Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 90/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen nachträglich eingetretener wesentlicher Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse erfordert aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die genaue Benennung des aufzuhebenden Verwaltungsakts auch nach seinem Datum in der Aufhebungsentscheidung.
2. Zur „Verschiebung der Wesensgrundlage“ als Grundlage einer Neubewertung von Unfallfolgen
2. Zur „Verschiebung der Wesensgrundlage“ als Grundlage einer Neubewertung von Unfallfolgen
Der Bescheid vom 22. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2013 wird aufgehoben. Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte die Verletztenrente des Klägers zu Recht von bislang 40 v.H. auf 30 v.H. unter der Annahme einer wesentlichen Besserung der anerkannten Unfallfolgen herabgesetzt hat.
Der xxxx geborene, als Gipser beschäftigt gewesene Kläger, erlitt am 01.09.2008 einen Arbeits(Wege-)unfall: Nach der Rückkehr von seiner Arbeitsstelle nach Hause klemmte er sich beim Aussteigen aus seinem Pkw die rechte Hand ein, als seine damals 4-jährige Tochter die Fahrzeugtüre zuschlug. Dabei zog sich der Kläger eine dislozierte subkapitale Fraktur des zweiten Mittelhandknochens zu. Am 08.09.2008 erfolgte eine offene Reposition des Bruchs mit Platten und Schraubenosteosynthese und am 15.01.2009 die Entfernung des Osteosynthesematerials bei gleichzeitiger Strecksehnentenolyse und Artholyse des Zeigefingergrundgelenks jeweils in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L ... Eine im September 2010 begonnene Arbeits- und Belastungserprobung im zuletzt ausgeübten Beruf war nicht erfolgreich. Nach einer komplexen stationären Rehabilitation in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. in der Zeit vom 11.05. bis zum 05.08.2009 nahm der Kläger ab dem 15.09.2011 im Rahmen von Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben an einer Umschulung zum Qualitätsfachmann teil. Diese Maßnahme unterbrach die Beklagte mit Wirkung zum 29.04.2013 aus gesundheitlichen Gründen.
Gestützt auf Gutachten des Neurologen Prof. Dr. F. vom 29.04.2010, des Orthopäden Prof. Dr. M. vom 03.05.2010 und des Psychiaters Prof. Dr. W. vom 12.05.2010 und eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. A. vom 02.06.2010 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls ab dem 20.05.2010 Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H. der Vollrente. Als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannte sie:
"Am rechten Arm: Bewegungseinschränkung sämtlicher Fingergelenke und des Daumensattelgelenkes, Kraftminderung der Hand, röntgenologisch nachweisbare Kalksalzminderung des zweiten Handstrahls nach knöchern fest verheilter Fraktur des zweiten Mittelhandknochens mit nachfolgendem komplex-regionalem Schmerzsyndrom I. Anpassungsstörung mit langdauernder depressiver Reaktion"
(Bescheid vom 19.07.2010).
Diese Rente wandelte sich, nachdem die Beklagte ein im Januar 2011 eingeleitetes Verfahren zur Nachprüfung der Unfallfolgen wegen eines weiteren Arbeitsunfalls des Klägers vom März 2011 mit erneuter Verletzung u.a. der rechten Hand nicht zu Ende führte, kraft Gesetztes in eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit.
Im Dezember 2011 leitete die Beklagte von Amts wegen eine Nachprüfung des Ausmaßes der Unfallfolgen ein. Hierzu ließ sie den Kläger erneut durch die Prof. Dres. F. (Gutachten vom 21.01.2012) und W. (Gutachten vom 01.08.2012) sowie den Chirurgen Dr. R. (Gutachten vom 17.01.2013) untersuchen und begutachten. Prof. Dr. F. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein chronisch-regionales Schmerzsyndrom III. Grades der rechten Hand mit schmerzhafter Schwellung und Funktionseinschränkung in allen Handbewegungen sowie eine Anpassungsstörung. Gegenüber seinem Gutachten vom April 2010 sei keine wesentliche Änderung der Unfallfolgen eingetreten. Die unfallbedingte MdE auf neurologischem Fachgebiet bewertete er weiterhin mit 20 v.H ... Prof. Dr. W. diagnostizierte als Unfallfolge eine Anpassungsstörung. Diese habe sich durch den im März 2011 erlittenen erneuten Wegeunfall zunächst verstärkt und dann wieder teilweise zurückgebildet. Im Vergleich zu einer Untersuchung im Februar 2011 hätten sich die Ängste, innere Unruhe, Anspannung und Gereiztheit des Klägers vermehrt. Auch lebensmüde Gedanken seien zu Tage getreten. Der Kläger habe sich verstärkt sozial isoliert, außerdem habe sich eine weitere Verminderung seines Selbstwertes eingestellt. Eine qualitative Veränderung der Symptomatik sei indes nicht eingetreten. Der Kläger leide an einer ausgeprägten Störung mit depressiver und vegetativer Symptomatik, Angst und erheblicher Einschränkung der sozial-kommunikativen Funktionen und der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Die unfallbedingte MdE auf psychiatrischem Fachgebiet bewerte er weiterhin mit 25 v.H ... Dr. R. führte zusammenfassend aus, der Kläger leide an einer lediglich assistierenden Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand mit aktiver Bewegungseinschränkung aller Finger und dadurch bedingtem inkompletten Faustschluss, einem chronischen Schmerzsyndrom insbesondere des Zeigefingers rechts und des Mittelhandknochens des Zeigefingers, einer nahezu kompletten Kraftlosigkeit im Bereich der rechten Hand und einer mit geringer Dislokation verheilten Fraktur des Mittelhandknochens des Zeigefingers rechts. Eine wesentliche Veränderung der Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet sei nicht eingetreten. Die Teil-MdE bewerte er mit 30 v.H ... Hierzu führte der Beratungsarzt Dr. A. aus, den Gutachten des Prof. Dr. F. und des Dr. R. sei zuzustimmen. Zwischen den Unfallfolgen auf chirurgischem und neurologischem Fachgebiet bestehe eine volle Überschneidung, weshalb insoweit die Unfallfolgen integrierend mit einer MdE um 30 v.H. zu bewerten seien. Zu Unrecht habe dagegen Prof. Dr. W. weiterhin eine Anpassungsstörung als Unfallfolge diagnostiziert. Eine solche Gesundheitsstörung bestehe definitionsgemäß längstens für zwei Jahre nach einem eine Anpassung erfordernden Ereignis. Dieser Zeitrahmen sei bei dem Kläger längst überschritten, weshalb nunmehr formal eine depressive Episode mit Chronifizierung zu diagnostizieren sei. In diesem Zusammenhang habe Prof. Dr. W. indes eine gewisse Verschiebung der Wesensgrundlage nicht ausreichend beachtet. Denn die depressive Symptomatik des Klägers, die sicherlich vorwiegend noch auf die Folgen des Unfalls vom September 2008 zurückzuführen sei, sei nunmehr durch unfallferne Erlebnisweisen mitverursacht. Nachdem eine im Jahr 2011 im Universitätsklinikum H. durchgeführte teilstationäre multidimensionale Schmerzdiagnostik zu einer gewissen Besserung geführt habe, sei auf psychiatrischem Fachgebiet allein noch eine Teil-MdE um 10 v.H. anzunehmen. Auch insoweit bestehe indes eine bereite Überschneidung mit den Unfallfolgen auf neurologischem und chirurgischem Fachgebiet. Die Gesamt-MdE sei deshalb auf 30 v.H. herabzusetzen. Hierauf gestützt setzte die Beklagte - nach Anhörung des Klägers - (Schreiben vom 19.03.2013) die unfallbedingte MdE ab dem 01.05.2013 mit - noch - 30 v.H. neu fest. Eine wesentliche Besserung der dem Bescheid vom 19.07. 2010 zugrundeliegenden Verhältnissen sei insoweit eingetreten, als keine Anpassungsstörung, sondern nur noch eine leichte depressive Episode vorliege (Bescheid vom 22.04.2013).
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, seine Unfallfolgen hätten sich nicht verbessert, sondern wesentlich verschlimmert. Er habe deshalb seine Umschulung zum Qualitätsfachmann unterbrechen und eine dritte Schmerztherapie beginnen müssen. Auch leide er weiterhin an einer Anpassungsstörung. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Eine Anpassungsstörung sei längstens für einen Zeitraum von zwei Jahren nach dem Unfallereignis zu diagnostizieren. Formal liege nunmehr eine depressive Symptomatik mit depressiver Episode vor. Insoweit sei jedoch eine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten. Denn die zwischenzeitlich durchgeführten psychologischen Maßnahmen hätten gegriffen und zu einer Besserung des Stimmungsbildes des Klägers geführt. Zeitgleich bestünden indes auch unfallferne Erlebnisweisen im Privatleben des Klägers und im Umgang mit den anderen Umschülern. Diese verursachten die depressive Symptomatik in erheblichem Maße mit. Bei isolierter Betrachtung seien deshalb die Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet allein noch mit einer Teil-MdE um 10 v.H. zu bewerten. Insoweit bestehe indes eine breite Überschneidung mit den Unfallfolgen auf neurologischem und chirurgischem Fachgebiet. Eine Gesamt-MdE von 30 v.H. sei deshalb ausreichend und angemessen (Widerspruchsbescheid vom 11.12.2013).
Am 07.01.2014 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung trägt er neben der Wiederholung seines Widerspruchsvorbringens im Wesentlichen vor, wegen einer Verschlechterung seiner gesundheitlichen Situation sei er nicht mehr in der Lage, an der Umschulung zum Qualitätsfachmann teilzunehmen. Dies habe die Beklagte mit ihrer Entscheidung über die Unterbrechung der Umschulung aus gesundheitlichen Gründen vom 06.06.2013 auch bestätigt. Überdies habe er Mitte August 2013 eine stationäre Schmerztherapie in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. begonnen. Er leide an erheblichen Schmerzen, einer massiven Einschränkung des Nachschlafes, Konzentrationsstörungen und Verständnisproblemen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Auskünfte des Facharztes für Anästhesie Dr. Kr., des Neurologen und Psychiaters Z. und des Anästhesisten Dr. S., der den Entlassungsbericht des Schmerztherapiezentrums Bad M. vom März 2014 beigefügt hat.
Sodann hat von Amts wegen der Internist, Neurologe und Psychiater sowie Facharzt für Psychotherapie Dr. Sch. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Diesem gegenüber hat der Kläger anamnestisch u.a. angegeben, er sei aktuell nicht in neurologischer, nervenfachärztlicher, psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Dr. Sch. hat zusammenfassend ausgeführt, er habe keine signifikanten neurologischen Auffälligkeiten erhoben. Der Lokalbefund an der rechten Hand bzw. am rechten Unterarm sei mit einem leicht ausgeprägten komplexen regionalen Schmerzsyndrom vereinbar. Im psychopathologischen Befund habe er keine Antriebsminderung oder psychomotorische Hemmung objektiviert. Der Kläger wirke durch die Medikamente insgesamt zwar schon gedämpft. Er sei jedoch geistig gut flexibel. Kognitive und mnestische Defizite habe er nicht objektiviert. Die Grundstimmung des Klägers sei niedergeschlagen, seine affektive Schwingungsfähigkeit eingeschränkt. Insgesamt wirke er missmutig und sei unterschwellig schnell gereizt. Der Kläger zeige indes keine emotionale Stumpfheit oder Hypervigilanz. Auch hätten sich keine Anhaltspunkte für eine Dissoziation oder Intrusion ergeben. Alpträume in Bezug auf den Arbeitsunfall habe er nicht geschildert. In den anerkannten Unfallfolgen sei in Bezug auf das chirurgische und neurologische Fachgebiet keine wesentliche Änderung gegenüber den dem Bescheid vom Juli 2010 zugrundeliegenden Verhältnissen eingetreten. In Bezug auf die psychiatrischen Gesundheitsstörungen habe Prof. Dr. W. bereits in seinem Gutachten vom Mai 2010 konkurrierende Ursachen für das seelische Befinden des Klägers nicht ausreichend berücksichtigt. Von den unfallbedingten psychischen Traumen seien solche psychischen Gesundheitsstörungen abzugrenzen, die erst als Reaktion auf mit dem Unfall verbundene soziale Veränderungen zu werten seien, z.B. Arbeitsplatzverlust, Änderungen in der Lebensplanung, Aufgabe von Hobbies und Freizeitaktivitäten, materielle oder finanzielle Einbußen, belastende Behandlungen und Entschädigungsstreitigkeiten. Insoweit bestehe kein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Bereits der verzögerte Eintritt der psychischen Symptomatik spreche gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfallereignis. Darüber hinaus habe der Kläger ihm gegenüber mehrfach angegeben, sein psychisches Befinden habe sich erst verschlechtert, nachdem er seine berufliche Tätigkeit als Gipser nicht mehr habe ausüben können und die Beklagte ihm eine Umschulung angeboten habe. Damit handele es sich um eine psychische Symptomatik, bedingt durch die eingetretene veränderte Situation. Erschwerend hinzugekommen seien finanzielle Sorgen des Klägers. Dieser habe das frühere Eigenheim nicht mehr halten können und mit Verlust verkaufen müssen. In der Folge seien Eheprobleme aufgetreten mit nachfolgender Trennung des Klägers von Ehefrau und Kindern. Auch die von Kläger geschilderten erheblichen Probleme im Umgang mit anderen Teilnehmern der Umschulungsmaßnahme stellten keine Unfallfolge dar. Den unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen des psychiatrischen Fachgebietes komme nach seiner Auffassung eine überragende Bedeutung zu. Die unfallbedingte MdE bewerte er ab Mai 2013 mit 30 v.H ...
Sodann hat im Auftrag der Kammer auf Antrag und dem Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Prof. Dr. W. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Dieser hat zusammenfassend ausgeführt, der von ihm erhobene psychische Untersuchungsbefund unterscheide sich nur in Nuancen von demjenigen in seinem Gutachten vom Mai 2010. Eine relevante Änderung der Symptomatik auf seinem Fachgebiet sei nicht eingetreten. Insbesondere sei keine überdauernde Besserung der psychischen Unfallfolgen zu verzeichnen. Überdies habe der Kläger nach zwischenzeitlichem Opiatentzug die Einnahme eines opiathaltigen Schmerzmittels wieder aufgenommen, so dass aktuell auch ein schädlicher Schmerzmittelgebrauch zu diagnostizieren sei. Aus der Vorgeschichte des Klägers ergebe sich kein Anhalt für ein Auftreten psychischer Gesundheitsstörungen ohne den Arbeitsunfall vom September 2008. Der Kläger leide an einer ausgeprägten subjektiven Bedrängnis und emotionalen Beeinträchtigung mit Behinderung sozialer Faktoren und Leistungen. Ausgangspunkt hierfür sei ein notwendig gewordener Anpassungsprozess an eine entscheidende Lebensveränderung (Verlust der Leistungsfähigkeit im erlernten Beruf) durch das Arbeitsunfallereignis. Der Einwand, eine Anpassungsstörung sei nur für eine Dauer von zwei Jahren und danach als depressive Episode zu diagnostizieren, sei zwar formal zutreffend. Bei chronischem Stressor sei die Diagnose einer chronischen Belastungsstörung indes auch ohne zeitliche Begrenzung zu stellen. Im Fall des Klägers bestehe das belastende Ereignis nicht aus dem Unfall, sondern aus der sich aus dem Unfall ergebenden dauerhaften Funktionseinschränkung und Schmerzsymptomatik. Er halte deshalb die Diagnose einer chronischen Anpassungsstörung für angemessener als diejenige einer depressiven Episode. Zwar seien im weiteren Verlauf zusätzliche Belastungen eingetreten, die den Kläger offensichtlich beschäftigen, wie insbesondere die Trennung von der Ehefrau, die zu einem Suizidversuch geführt habe, der Verlust der Arbeit, die zwischenzeitlich eingetretene Berentung sowie finanzielle Schwierigkeiten mit der Notwendigkeit, das frühere Eigenheim verkaufen zu müssen. In Bezug auf die aktuell bestehende depressive Symptomatik sehe er in der Gesamtschau eine Verschiebung der Wesensgrundlage jedoch nur bedingt als relevant an. Hinsichtlich der psychiatrischen Symptomatik bestehe weiterhin eine hohe Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfall vom September 2008. Zu diagnostizieren sei eine chronische Anpassungsstörung. Der darüber hinausgehende schädliche Gebrauch von Tramadol stelle keine unmittelbare Unfallfolge dar. Die unfallbedingte MdE auf seinem Fachgebiet bewerte er weiter mit 25 v.H. und die Gesamt-MdE unter Einschluss der orthopädisch-chirurgischen und neurologischen Teil-MdE-Werte auf 40 v.H.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 22. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Das Ergebnis des Gutachtens von Dr. Sch. werde durch den Entlassungsbericht des Schmerztherapiezentrums Bad M. vom März 2014 bestätigt. In Bezug auf die psychischen Gesundheitsstörungen seien zwischenzeitlich psychosoziale Veränderungen gegenüber den Unfallfolgen deutlich in den Vordergrund getreten.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG) zulässig. Denn bei einem Erfolg lebte der frühere Bescheid - hier: derjenige vom 19.07.2010 - wieder auf (vgl. BSG SozR 4-1500 § 77 Nr. 1, Rn. 13; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 10; BSG vom 13.02.2013 - B 2 U 25/11 R -, Rn. 10 (juris) und BSG SozR 4-7837 § 2 Nr. 24, Rn. 15). Mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide wäre die Beschwer des Klägers beseitigt und die Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. würde über den 30.04.2013 hinaus weitergezahlt werden.
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Unrecht hat die Beklagte die Verletztenrente des Klägers wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 01.09.2008 ab dem 01.05.2013 von bislang 40 v.H. auf - noch - 30 v.H. der Vollrente herabgesetzt. Denn eine wesentliche Änderung der anerkannten Unfallfolgen, insbesondere eine durchgreifende und überdauernde Besserung oder eine Verschiebung der Wesensgrundlage, ist entgegen der Auffassung der Beklagten seit dem Erlass des Bescheides vom 19.07.2010 nicht eingetreten.
1. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung - hier: derjenige vom 19.07.2010 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)). Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rdnr. 8). In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl. BSG SozR 4 2700 § 56 Nr. 1) aufgrund einer Verschlimmerung oder Besserung der als Unfallfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen sowie des Hinzutretens neuer oder des Wegfalls anerkannter Unfallfolgen und einer dadurch verursachten Erhöhung oder Minderung der MdE. Ob eine solche Änderung eingetreten ist, ist durch einen Vergleich der für die letzte, bindend gewordene Feststellung des Verletztenrentenanspruchs maßgebend gewesenen Befunde und Krankheitsäußerungen mit den jetzt vorliegenden Befunden zu ermitteln (vgl. BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 13; BSGE 55, 165 ff. und BSG vom 13.02.2013 - B 2 U 25/11 R - (Juris)). Wesentlich ist eine Änderung der Verhältnisse, wenn sich hierdurch die unfallbedingte MdE um mehr als 5 v.H. senkt oder erhöht (§ 73 Abs. 3 1. Halbsatz SGB VII; vgl. auch BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18).
2. Die angefochtenen Bescheide sind bereits formell rechtswidrig. Nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist bei einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung dieser Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist dabei grundsätzlich erforderlich, in der Aufhebungsentscheidung den aufzuhebenden Verwaltungsakt genau zu benennen und den Umfang der Aufhebung zu bezeichnen (vgl. BSG SozR 4-2700 § 62 Nr. 1, Rn. 22 und BSG SozR 4 - 2700 § 62 Nr. 2, Rn. 12, ferner LSG Niedersachsen-Bremen vom 01.11.2011 - L 9 AS 831/10 -, Rn. 40 (juris)). Um dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X zu genügen, ist dazu erforderlich, den aufzuhebenden oder zurückzunehmenden Bescheid auch nach Datum zu bezeichnen (vgl. LSG Hamburg vom 20.10.2011 - L 5 AS 87/08 -, Rn. 35 und LSG Baden-Württemberg vom 20.06.2013 - L 6 VK 3112/10 -, Rn. 27 f. (jeweils juris)). Diesen Anforderungen genügen die streitgegenständliche Bescheide nicht. Denn eine förmliche Aufhebung des Bescheides vom 19.07.2010 hat die Beklagte darin nicht verfügt. Vielmehr beschränkt sich der Verfügungssatz auf die Mitteilung, dass mit Wirkung vom 01.05.2013 die MdE mit 30 v.H. neu festgestellt und die Rente ab diesem Zeitpunkt auf monatlich 408,46 EUR herabgesetzt wird. Darin liegt weder eine ausdrückliche noch stillschweigende Aufhebung des Bescheides vom 19.07.2010. Diesen Bescheid hat die Beklagte in der Begründung des Bescheides vom 22.04.2013 allein im Zusammenhang mit einer von ihr angenommenen wesentlichen Änderung der Verhältnisse genannt. Eine (förmliche) Aufhebung oder Abänderung des Bescheides vom 19.07.2010 enthält auch der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid nicht. Schon dieser formelle Fehler führt zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide.
3. Die angefochtenen Bescheide sind auch materiell-rechtlich rechtswidrig. Denn in den anerkannten Unfallfolgen des Klägers ist keine Änderung eingetreten, die die Beklagte zu einer Herabsetzung der unfallbedingten MdE auf weniger als 40 v.H. der Vollrente berechtigen würde. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Prof. Dr. F. und des Dr. R., deren Gutachten sie im Wege des Urkundenbeweises verwertet, ferner auf das ebenfalls urkundenbeweislich verwertete Gutachten des Prof. Dr. W. vom August 2012 und dessen weiteres Gutachten als gerichtlicher Sachverständiger vom Mai 2015.
a) Soweit die Beklagte durch den Bescheid vom 19.07.2010 dem Kläger in Anwendung von § 62 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) Verletztenrente (nur) als vorläufige Entschädigung gewährt hatte, konnte sie die MdE nicht gemäß § 62 Abs. 2 S. 2 SGB VII ohne Änderung der Verhältnisse abweichend festsetzen. Denn die Entscheidung über die vorläufige Entschädigung hat sich mit Ablauf des 31.08.2011 kraft Gesetzes (§ 62 Abs. 2 S. 1 SGB VII) in eine Rente auf unbestimmte Zeit gewandelt, nachdem die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt keinen Umwandlungsbescheid erteilt hatte (vgl. insoweit Brandenburg in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 62, Rn. 37 und Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, § 62, Rn. 9). Die Herabbemessung der unfallbedingten MdE war deshalb nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X i.V.m. § 73 Abs. 1 SGB VII zulässig.
b) Die sonach erforderliche wesentliche Änderung in den anerkannten Unfallfolgen erachtet die Kammer indes aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) nicht für erwiesen.
aa) Eine wesentliche Besserung der Unfallfolgen auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet in Bezug auf die Bewegungseinschränkung sämtlicher Fingergelenke und des Daumensattelgelenks sowie die Kraftminderung der rechten Hand und auf neurologischem Fachgebiet in Form des komplex-regionalen Schmerzsyndroms haben Prof. Dr. F. und Dr. R. ausdrücklich verneint und die Teil-MdE von 30 v.H. bzw. 20 v.H. auf ihren Fachgebieten, die bereits Prof. Dr. M. und Prof. Dr. F. in ihren Gutachten vom April und Mai 2010 angenommen haben, bestätigt. Dem haben sich die Beklagte und ihr Beratungsarzt Dr. A. zu Recht angeschlossen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten.
bb) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten und dem Sachverständigen Dr. Sch. ist die Kammer indes nicht davon überzeugt, dass eine wesentliche Änderung der anerkannten psychiatrischen Unfallfolgen seit dem Erlass des Bescheides vom 19.07.2010 eingetreten ist. Hierfür stützt sie sich auf die zutreffende Darlegungen des Prof. Dr. W. in seinen Gutachten vom August 2012 und Mai 2015. Danach ist mit Blick auf die anerkannte Anpassungsstörung mit lang andauernder depressiver Reaktion auch keine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten.
Unter "Verschiebung der Wesensgrundlage" als Grundlage für eine Neubewertung von - wie hier - anerkannten Unfallfolgen wird grundsätzlich der nachträgliche Wechsel der Ursache bei unverändert gebliebenem Krankheitsbild verstanden (vgl. Bay. LSG vom 18.02.2014 - L 15 VG 2/09 -, Rn. 156 m.w.N. aus der Rspr. d. BSG (juris)). In den (Normal-Fällen), bei denen es hinsichtlich der Kausalität nur auf die wesentliche Verursachung ankommt, liegt eine Verschiebung der Wesensgrundlage vor, wenn das vorher wesentlich ursächliche Unfallereignis aufgrund nachträglicher Änderung so in den Hintergrund rückt, dass es seine Eigenschaft als wesentliche Ursache verliert. Dies kann der Fall sein, wenn unfallbedingte Gesundheitsstörungen abklingen, der Gesundheitszustand wegen davon unabhängiger neuer Leiden jedoch dennoch unverändert bleibt (vgl. Bay. LSG vom 09.12.2015 - L 2 U 496/12 -, Rn. 71 (juris); Schütze in von Wulffen, a.a.O., § 48, Rn. 8 und Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Seite 112). Eine Verschiebung der Wesensgrundlage kann bei psychoreaktiven Störungen insbesondere dann vorliegen, wenn im weiteren zeitlichen Verlauf Begehrensvorstellungen oder sonstige aus der Psyche heraus wirkende Kräfte so weit in den Vordergrund getreten sind, dass sie für den weiteren Verlauf die rechtlich allein noch wesentliche Ursache bilden (vgl. BSG vom 29.11.1963 - 2 RU 46/58 -, Rn. 33 (juris)). Eine Verschiebung der Wesensgrundlage darf mithin nur dann bejaht werden, wenn im gesundheitlichen Sachverhalt tatsächliche Änderungen - wenn auch "unsichtbare" - eingetreten und eindeutig festgestellt sind. Dabei hat das BSG eine Art tatsächliche Vermutung formuliert (vgl. BSG v. 23.05.1969 - 10 RV 273/66 -, Rn. 19 (juris)): würden danach die gleichen Erscheinungen und Beschwerden, also die gleichen Zustände einer Normabweichung festgestellt, dann spreche die Gleichheit der Zustände dafür, dass sich auch an der Ursache dieser Krankheitserscheinungen nichts geändert habe. Der Ursachenwechsel muss deshalb im Einzelfall erwiesen sein (mit Vollbeweis). Die objektive Beweislast liegt insoweit beim Leistungsträger, der sich auf eine Verschiebung der Wesensgrundlage beruft. Diese strengen Grundsätze gelten nicht nur dann, wenn - wie vorliegend - bereits eine Anerkennung als Unfall- oder Schädigungsfolge vorliegt, sondern auch, wenn eine Anerkennung bislang fehlen würde, diese aber materiell-rechtlich möglich gewesen wäre.
Im Anschluss an Prof. Dr. W. leidet der Kläger - weiterhin - an einer Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion. Überzeugend hat der gerichtliche Sachverständige dargelegt, dass sich der psychische Untersuchungsbefund nur in Nuancen von demjenigen unterscheidet, den er bei seiner Untersuchung und Begutachtung des Klägers am 19.04.2010 erhoben hatte. Seinerzeit zeigte sich der Kläger kooperativ, freundlich zugewandt und berichtete sichtlich mitgenommen über die tiefen Einschnitte, die der Unfall in sein Leben gerissen habe. Er war wach, zu allen Qualitäten sicher orientiert, aufmerksam und in der Auffassung nicht gestört. Subjektiv angegebene Konzentrations- und Gedächtnisprobleme konnte Prof. Dr. W. damals nicht objektivieren. Das formale Denken des Klägers war intakt, wobei er über Gedankenkreisen und Zwangsgrübeln berichtete. Die Stimmung war seinerzeit depressiv gedrückt, aber im Gespräch auslenkbar. Die Schwingungsfähigkeit des Klägers war eingeschränkt. Er wirkte ausgesprochen angespannt und innerlich unruhig. Außerdem fand Prof. Dr. W. Antrieb und Energie erheblich reduziert. Bei sozialem Rückzug berichtete der Kläger über ausgeprägte Schuldideen als Folge der veränderten beruflichen Lebensperspektive. Dies wurde bestätigt durch die fremdanamnestischen Angaben der Ehefrau des Klägers, die von einer dramatischen Veränderung des Klägers seit dem Arbeitsunfall berichtete. So hatte dieser keinen Bezug mehr zu den Kindern und insbesondere den Kontakt zu seiner Tochter fast komplett verloren, war reizbar und streckenweise aggressiv geworden und verwickelte sich in Streitigkeiten. Auch die Ehefrau des Klägers berichtete seinerzeit über Niedergeschlagenheit und Energielosigkeit des Klägers sowie den Verlust der Kontakte zu seinen Freunden. Diese Befunde und Krankheitsäußerungen entsprechen im Wesentlichen denjenigen, die Prof. Dr. W. bei der Untersuchung und Begutachtung des Klägers am 04.03.2015 erhoben hat. So schilderte der Kläger seine depressive Symptomatik nunmehr etwas gravierender, während die Angstattacken offenbar weniger häufig auftreten.
Im Vordergrund des psychiatrischen Beschwerdebildes des Klägers stehen weiterhin Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens sowie Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld. Als Folge hiervon kam es neben einem sozialen Rückzug zu einem auch emotionalen Rückzug des Klägers von seiner Familie, insbesondere von seiner Tochter, der er immer noch die Schuld an seinem Arbeitsunfall vom September 2008 anlastet, außerdem zu immer heftigeren Streitigkeiten mit seiner Ehefrau, die schließlich im September 2013 mit den gemeinsamen Kindern aus dem vormals ehegemeinschaftlichen Haus aus- und in eine andere Wohnung umgezogen und seither getrennt von dem Kläger lebt. Der Kläger sieht sich infolge seines Arbeitsunfalls und des dadurch bedingten Ausscheidens nicht nur aus dem zuletzt ausgeübten Beruf als Gipser, sondern aus dem Erwerbsleben insgesamt - die im September 2013 zunächst wieder aufgenommene Umschulungsmaßnahme brach er im Juni 2014 endgültig ab und bezieht seit Oktober 2014 von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg eine Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31.12.2018 - nicht (mehr) in der Lage, für seine Familie zu sorgen. Kennzeichnend hierfür ist auch der notwendig gewordene Verkauf des früheren ehegemeinschaftlichen Hausanwesens. Außerdem sieht sich der Kläger in der Achtung Dritter, namentlich der früheren Mitteilnehmer der Umschulungsmaßnahme, gesunken, abgelehnt und ausgegrenzt. Er kann sich nach seinen weiter glaubhaften Angaben gegenüber Prof. Dr. W. nicht vorstellen, wieder als Vater und Ehemann zu funktionieren und denkt immer wieder auch an Suizid.
Damit erfüllt der Kläger - weiterhin - die Kriterien einer schwergradigen Depression, wie Prof. Dr. W. auch insoweit zutreffend dargelegt hat. Auch die als Unfallfolge anerkannte Anpassungsstörung besteht fort. Bei dieser Gesundheitsstörung handelt es sich definitionsgemäß um Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Faktoren und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Die Belastung kann das soziale Netz des Betroffenen beschädigt haben oder das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder sozialer Werte. Die Anzeichen sind unterschiedlich und umfassen depressive Stimmung, Angst oder Sorge (oder eine Mischung von diesem). Außerdem kann ein Gefühl bestehen, mit den alltäglichen Gegebenheiten nicht zu Recht zu kommen, diese nicht vorausplanen oder fortsetzen zu können. Störungen des Sozialverhaltens können ein zusätzliches Symptom sein. Hervorstechendes Merkmal kann eine kurze oder längere depressive Reaktion oder eine Störung anderer Gefühle und des Sozialverhaltens sein (vgl. F 43.2 ICD-10). Ursächlich für eine Anpassungsstörung ist danach eine außergewöhnlich belastendes Lebensereignis, das eine akute Belastungsreaktion hervorruft, oder eine besondere Veränderung im Leben, die zu einer anhaltend unangenehmen Situation geführt hat und eine Anpassungsstörung hervorruft (vgl. F 43 ICD-10). Eine Anpassungsstörung kann zwar grundsätzlich lediglich bis zu einem Zeitraum von maximal zwei Jahren nach der hierfür maßgebenden Ursache diagnostiziert werden (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 143 m.w.N. und Venzlaff-Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009, S. 682) und sind danach Symptome, die - wie hier - länger als zwei Jahre anhalten, mit der Annahme einer unfallbedingten Anpassungsstörung in der Regel nicht vereinbar (vgl. Venzlaff-Foerster, a.a.O.) In diesem Zusammenhang weist Prof. Dr. W. indes zutreffend darauf hin, dass bei einem chronischen Stressor die Diagnose einer chronischen Belastungsstörung auch ohne zeitliche Begrenzung gestellt werden kann. Im Fall des Klägers sind - nachdem vor dem Arbeitsunfall vom September 2008 psychische Auffälligkeiten nicht bestanden - der Unfall und die hieraus resultierenden Funktionsstörungen an der rechten Hand und das sich nachfolgend entwickelte chronisch-regionale Schmerzsyndrom weiterhin wesentlich ursächlich für die fortbestehende Anpassungsstörungen mit reaktiver Depression. Durch fachärztliche Behandlungen - zuletzt im Schmerztherapiezentrum Bad M. im Frühjahr 2014 - konnte zwar jeweils eine kurzzeitige, jedoch keine überdauernde Besserung des psychiatrischen Bewerdebildes erzielt werden, wie der Sachverständige Prof. Dr. W. auch insoweit zutreffend ausgeführt hat.
Eine Verschiebung der Wesensgrundlage ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht eingetreten. Zwar sind seit dem Erlass des Bescheides vom 19.07.2010 zusätzliche Belastungsfaktoren aufgetreten, die den Kläger beschäftigen wie die Trennung von der Ehefrau und den Kindern, der Verlust der Arbeit, seine Berentung sowie die finanziellen Schwierigkeiten mit der Notwendigkeit, das vormalige Eigenheim unter Verlust zu verkaufen. All diese Umstände gründen sich indes auf die Folgen des Unfallereignisses vom September 2008 und die dadurch bewirkten insbesondere psychiatrischen Gesundheitsstörungen des Klägers. Überdies lagen u.a. die Rückzugstendenzen, insbesondere die Schuldzuweisung des Klägers gegenüber der Tochter und Verhaltensauffälligkeiten gegenüber der Ehefrau, auch bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.07.2010 vor. Mit anderen Worten: das Unfallereignis und die daraus resultierenden Folgen können nicht hinweggedacht werden, ohne dass die zusätzlichen Belastungsfaktoren entfielen. Vor diesem Hintergrund liegt eine Verschiebung der Wesensgrundlage, die die Beklagte zu einer Herabsetzung der unfallbedingten MdE von bislang 40 v.H. auf nunmehr 30 v.H. rechtfertigen könnte, nicht vor. Dies räumt im Ergebnis auch der Beratungsarzt der Beklagten, Dr. A., ein, wenn er in seiner Stellungnahme vom 13.03.2013, dort Seite 12, zum Einen nur von einer "gewissen" Verschiebung der Wesensgrundlage ausgeht und zum Anderen zwei Absätze später ausführt, dass die depressive Symptomatik "sicherlich vorwiegend noch auf die Folgen des versicherten Unfalls von 2008 zurückzuführen sind" und unfallferne Erlebnisweisen die Symptomatik "mit unterhalten".
Anders ist auch nicht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Sch. zu entscheiden. Denn dieser hat seine Auffassung, dass unfallunabhängige Gesundheitsstörungen des psychiatrischen Fachgebietes "eindeutig eine überragende Bedeutung" zukomme, nicht, jedenfalls nicht ausreichend, begründet. Insbesondere misst Dr. Sch. nach Auffassung des erkennenden Gerichts dem Umstand, dass die sozialen Belastungen des Klägers mangels Vorerkrankung erst durch das Unfallereignis und dessen Folgen ausgelöst wurden und aufrechterhalten werden, keine ausreichende Bedeutung bei. Im Übrigen ist auch nicht entscheidungsrelevant, ob Prof. Dr. W. bereits im Gutachten vom Mai 2010 konkurrierende Ursachen für die Anpassungsstörung nicht ausreichend gewürdigt hatte; denn die Beklagte hatte durch den Bescheid vom 19.07.2013 eine "Anpassungsstörung mit langdauernder depressiver Reaktion" ausdrücklich als Unfallfolge anerkannt.
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und war dem Begehren des Klägers stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte die Verletztenrente des Klägers zu Recht von bislang 40 v.H. auf 30 v.H. unter der Annahme einer wesentlichen Besserung der anerkannten Unfallfolgen herabgesetzt hat.
Der xxxx geborene, als Gipser beschäftigt gewesene Kläger, erlitt am 01.09.2008 einen Arbeits(Wege-)unfall: Nach der Rückkehr von seiner Arbeitsstelle nach Hause klemmte er sich beim Aussteigen aus seinem Pkw die rechte Hand ein, als seine damals 4-jährige Tochter die Fahrzeugtüre zuschlug. Dabei zog sich der Kläger eine dislozierte subkapitale Fraktur des zweiten Mittelhandknochens zu. Am 08.09.2008 erfolgte eine offene Reposition des Bruchs mit Platten und Schraubenosteosynthese und am 15.01.2009 die Entfernung des Osteosynthesematerials bei gleichzeitiger Strecksehnentenolyse und Artholyse des Zeigefingergrundgelenks jeweils in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L ... Eine im September 2010 begonnene Arbeits- und Belastungserprobung im zuletzt ausgeübten Beruf war nicht erfolgreich. Nach einer komplexen stationären Rehabilitation in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. in der Zeit vom 11.05. bis zum 05.08.2009 nahm der Kläger ab dem 15.09.2011 im Rahmen von Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben an einer Umschulung zum Qualitätsfachmann teil. Diese Maßnahme unterbrach die Beklagte mit Wirkung zum 29.04.2013 aus gesundheitlichen Gründen.
Gestützt auf Gutachten des Neurologen Prof. Dr. F. vom 29.04.2010, des Orthopäden Prof. Dr. M. vom 03.05.2010 und des Psychiaters Prof. Dr. W. vom 12.05.2010 und eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. A. vom 02.06.2010 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls ab dem 20.05.2010 Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H. der Vollrente. Als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannte sie:
"Am rechten Arm: Bewegungseinschränkung sämtlicher Fingergelenke und des Daumensattelgelenkes, Kraftminderung der Hand, röntgenologisch nachweisbare Kalksalzminderung des zweiten Handstrahls nach knöchern fest verheilter Fraktur des zweiten Mittelhandknochens mit nachfolgendem komplex-regionalem Schmerzsyndrom I. Anpassungsstörung mit langdauernder depressiver Reaktion"
(Bescheid vom 19.07.2010).
Diese Rente wandelte sich, nachdem die Beklagte ein im Januar 2011 eingeleitetes Verfahren zur Nachprüfung der Unfallfolgen wegen eines weiteren Arbeitsunfalls des Klägers vom März 2011 mit erneuter Verletzung u.a. der rechten Hand nicht zu Ende führte, kraft Gesetztes in eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit.
Im Dezember 2011 leitete die Beklagte von Amts wegen eine Nachprüfung des Ausmaßes der Unfallfolgen ein. Hierzu ließ sie den Kläger erneut durch die Prof. Dres. F. (Gutachten vom 21.01.2012) und W. (Gutachten vom 01.08.2012) sowie den Chirurgen Dr. R. (Gutachten vom 17.01.2013) untersuchen und begutachten. Prof. Dr. F. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein chronisch-regionales Schmerzsyndrom III. Grades der rechten Hand mit schmerzhafter Schwellung und Funktionseinschränkung in allen Handbewegungen sowie eine Anpassungsstörung. Gegenüber seinem Gutachten vom April 2010 sei keine wesentliche Änderung der Unfallfolgen eingetreten. Die unfallbedingte MdE auf neurologischem Fachgebiet bewertete er weiterhin mit 20 v.H ... Prof. Dr. W. diagnostizierte als Unfallfolge eine Anpassungsstörung. Diese habe sich durch den im März 2011 erlittenen erneuten Wegeunfall zunächst verstärkt und dann wieder teilweise zurückgebildet. Im Vergleich zu einer Untersuchung im Februar 2011 hätten sich die Ängste, innere Unruhe, Anspannung und Gereiztheit des Klägers vermehrt. Auch lebensmüde Gedanken seien zu Tage getreten. Der Kläger habe sich verstärkt sozial isoliert, außerdem habe sich eine weitere Verminderung seines Selbstwertes eingestellt. Eine qualitative Veränderung der Symptomatik sei indes nicht eingetreten. Der Kläger leide an einer ausgeprägten Störung mit depressiver und vegetativer Symptomatik, Angst und erheblicher Einschränkung der sozial-kommunikativen Funktionen und der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Die unfallbedingte MdE auf psychiatrischem Fachgebiet bewerte er weiterhin mit 25 v.H ... Dr. R. führte zusammenfassend aus, der Kläger leide an einer lediglich assistierenden Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand mit aktiver Bewegungseinschränkung aller Finger und dadurch bedingtem inkompletten Faustschluss, einem chronischen Schmerzsyndrom insbesondere des Zeigefingers rechts und des Mittelhandknochens des Zeigefingers, einer nahezu kompletten Kraftlosigkeit im Bereich der rechten Hand und einer mit geringer Dislokation verheilten Fraktur des Mittelhandknochens des Zeigefingers rechts. Eine wesentliche Veränderung der Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet sei nicht eingetreten. Die Teil-MdE bewerte er mit 30 v.H ... Hierzu führte der Beratungsarzt Dr. A. aus, den Gutachten des Prof. Dr. F. und des Dr. R. sei zuzustimmen. Zwischen den Unfallfolgen auf chirurgischem und neurologischem Fachgebiet bestehe eine volle Überschneidung, weshalb insoweit die Unfallfolgen integrierend mit einer MdE um 30 v.H. zu bewerten seien. Zu Unrecht habe dagegen Prof. Dr. W. weiterhin eine Anpassungsstörung als Unfallfolge diagnostiziert. Eine solche Gesundheitsstörung bestehe definitionsgemäß längstens für zwei Jahre nach einem eine Anpassung erfordernden Ereignis. Dieser Zeitrahmen sei bei dem Kläger längst überschritten, weshalb nunmehr formal eine depressive Episode mit Chronifizierung zu diagnostizieren sei. In diesem Zusammenhang habe Prof. Dr. W. indes eine gewisse Verschiebung der Wesensgrundlage nicht ausreichend beachtet. Denn die depressive Symptomatik des Klägers, die sicherlich vorwiegend noch auf die Folgen des Unfalls vom September 2008 zurückzuführen sei, sei nunmehr durch unfallferne Erlebnisweisen mitverursacht. Nachdem eine im Jahr 2011 im Universitätsklinikum H. durchgeführte teilstationäre multidimensionale Schmerzdiagnostik zu einer gewissen Besserung geführt habe, sei auf psychiatrischem Fachgebiet allein noch eine Teil-MdE um 10 v.H. anzunehmen. Auch insoweit bestehe indes eine bereite Überschneidung mit den Unfallfolgen auf neurologischem und chirurgischem Fachgebiet. Die Gesamt-MdE sei deshalb auf 30 v.H. herabzusetzen. Hierauf gestützt setzte die Beklagte - nach Anhörung des Klägers - (Schreiben vom 19.03.2013) die unfallbedingte MdE ab dem 01.05.2013 mit - noch - 30 v.H. neu fest. Eine wesentliche Besserung der dem Bescheid vom 19.07. 2010 zugrundeliegenden Verhältnissen sei insoweit eingetreten, als keine Anpassungsstörung, sondern nur noch eine leichte depressive Episode vorliege (Bescheid vom 22.04.2013).
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, seine Unfallfolgen hätten sich nicht verbessert, sondern wesentlich verschlimmert. Er habe deshalb seine Umschulung zum Qualitätsfachmann unterbrechen und eine dritte Schmerztherapie beginnen müssen. Auch leide er weiterhin an einer Anpassungsstörung. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Eine Anpassungsstörung sei längstens für einen Zeitraum von zwei Jahren nach dem Unfallereignis zu diagnostizieren. Formal liege nunmehr eine depressive Symptomatik mit depressiver Episode vor. Insoweit sei jedoch eine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten. Denn die zwischenzeitlich durchgeführten psychologischen Maßnahmen hätten gegriffen und zu einer Besserung des Stimmungsbildes des Klägers geführt. Zeitgleich bestünden indes auch unfallferne Erlebnisweisen im Privatleben des Klägers und im Umgang mit den anderen Umschülern. Diese verursachten die depressive Symptomatik in erheblichem Maße mit. Bei isolierter Betrachtung seien deshalb die Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet allein noch mit einer Teil-MdE um 10 v.H. zu bewerten. Insoweit bestehe indes eine breite Überschneidung mit den Unfallfolgen auf neurologischem und chirurgischem Fachgebiet. Eine Gesamt-MdE von 30 v.H. sei deshalb ausreichend und angemessen (Widerspruchsbescheid vom 11.12.2013).
Am 07.01.2014 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung trägt er neben der Wiederholung seines Widerspruchsvorbringens im Wesentlichen vor, wegen einer Verschlechterung seiner gesundheitlichen Situation sei er nicht mehr in der Lage, an der Umschulung zum Qualitätsfachmann teilzunehmen. Dies habe die Beklagte mit ihrer Entscheidung über die Unterbrechung der Umschulung aus gesundheitlichen Gründen vom 06.06.2013 auch bestätigt. Überdies habe er Mitte August 2013 eine stationäre Schmerztherapie in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. begonnen. Er leide an erheblichen Schmerzen, einer massiven Einschränkung des Nachschlafes, Konzentrationsstörungen und Verständnisproblemen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Auskünfte des Facharztes für Anästhesie Dr. Kr., des Neurologen und Psychiaters Z. und des Anästhesisten Dr. S., der den Entlassungsbericht des Schmerztherapiezentrums Bad M. vom März 2014 beigefügt hat.
Sodann hat von Amts wegen der Internist, Neurologe und Psychiater sowie Facharzt für Psychotherapie Dr. Sch. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Diesem gegenüber hat der Kläger anamnestisch u.a. angegeben, er sei aktuell nicht in neurologischer, nervenfachärztlicher, psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Dr. Sch. hat zusammenfassend ausgeführt, er habe keine signifikanten neurologischen Auffälligkeiten erhoben. Der Lokalbefund an der rechten Hand bzw. am rechten Unterarm sei mit einem leicht ausgeprägten komplexen regionalen Schmerzsyndrom vereinbar. Im psychopathologischen Befund habe er keine Antriebsminderung oder psychomotorische Hemmung objektiviert. Der Kläger wirke durch die Medikamente insgesamt zwar schon gedämpft. Er sei jedoch geistig gut flexibel. Kognitive und mnestische Defizite habe er nicht objektiviert. Die Grundstimmung des Klägers sei niedergeschlagen, seine affektive Schwingungsfähigkeit eingeschränkt. Insgesamt wirke er missmutig und sei unterschwellig schnell gereizt. Der Kläger zeige indes keine emotionale Stumpfheit oder Hypervigilanz. Auch hätten sich keine Anhaltspunkte für eine Dissoziation oder Intrusion ergeben. Alpträume in Bezug auf den Arbeitsunfall habe er nicht geschildert. In den anerkannten Unfallfolgen sei in Bezug auf das chirurgische und neurologische Fachgebiet keine wesentliche Änderung gegenüber den dem Bescheid vom Juli 2010 zugrundeliegenden Verhältnissen eingetreten. In Bezug auf die psychiatrischen Gesundheitsstörungen habe Prof. Dr. W. bereits in seinem Gutachten vom Mai 2010 konkurrierende Ursachen für das seelische Befinden des Klägers nicht ausreichend berücksichtigt. Von den unfallbedingten psychischen Traumen seien solche psychischen Gesundheitsstörungen abzugrenzen, die erst als Reaktion auf mit dem Unfall verbundene soziale Veränderungen zu werten seien, z.B. Arbeitsplatzverlust, Änderungen in der Lebensplanung, Aufgabe von Hobbies und Freizeitaktivitäten, materielle oder finanzielle Einbußen, belastende Behandlungen und Entschädigungsstreitigkeiten. Insoweit bestehe kein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Bereits der verzögerte Eintritt der psychischen Symptomatik spreche gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfallereignis. Darüber hinaus habe der Kläger ihm gegenüber mehrfach angegeben, sein psychisches Befinden habe sich erst verschlechtert, nachdem er seine berufliche Tätigkeit als Gipser nicht mehr habe ausüben können und die Beklagte ihm eine Umschulung angeboten habe. Damit handele es sich um eine psychische Symptomatik, bedingt durch die eingetretene veränderte Situation. Erschwerend hinzugekommen seien finanzielle Sorgen des Klägers. Dieser habe das frühere Eigenheim nicht mehr halten können und mit Verlust verkaufen müssen. In der Folge seien Eheprobleme aufgetreten mit nachfolgender Trennung des Klägers von Ehefrau und Kindern. Auch die von Kläger geschilderten erheblichen Probleme im Umgang mit anderen Teilnehmern der Umschulungsmaßnahme stellten keine Unfallfolge dar. Den unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen des psychiatrischen Fachgebietes komme nach seiner Auffassung eine überragende Bedeutung zu. Die unfallbedingte MdE bewerte er ab Mai 2013 mit 30 v.H ...
Sodann hat im Auftrag der Kammer auf Antrag und dem Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Prof. Dr. W. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Dieser hat zusammenfassend ausgeführt, der von ihm erhobene psychische Untersuchungsbefund unterscheide sich nur in Nuancen von demjenigen in seinem Gutachten vom Mai 2010. Eine relevante Änderung der Symptomatik auf seinem Fachgebiet sei nicht eingetreten. Insbesondere sei keine überdauernde Besserung der psychischen Unfallfolgen zu verzeichnen. Überdies habe der Kläger nach zwischenzeitlichem Opiatentzug die Einnahme eines opiathaltigen Schmerzmittels wieder aufgenommen, so dass aktuell auch ein schädlicher Schmerzmittelgebrauch zu diagnostizieren sei. Aus der Vorgeschichte des Klägers ergebe sich kein Anhalt für ein Auftreten psychischer Gesundheitsstörungen ohne den Arbeitsunfall vom September 2008. Der Kläger leide an einer ausgeprägten subjektiven Bedrängnis und emotionalen Beeinträchtigung mit Behinderung sozialer Faktoren und Leistungen. Ausgangspunkt hierfür sei ein notwendig gewordener Anpassungsprozess an eine entscheidende Lebensveränderung (Verlust der Leistungsfähigkeit im erlernten Beruf) durch das Arbeitsunfallereignis. Der Einwand, eine Anpassungsstörung sei nur für eine Dauer von zwei Jahren und danach als depressive Episode zu diagnostizieren, sei zwar formal zutreffend. Bei chronischem Stressor sei die Diagnose einer chronischen Belastungsstörung indes auch ohne zeitliche Begrenzung zu stellen. Im Fall des Klägers bestehe das belastende Ereignis nicht aus dem Unfall, sondern aus der sich aus dem Unfall ergebenden dauerhaften Funktionseinschränkung und Schmerzsymptomatik. Er halte deshalb die Diagnose einer chronischen Anpassungsstörung für angemessener als diejenige einer depressiven Episode. Zwar seien im weiteren Verlauf zusätzliche Belastungen eingetreten, die den Kläger offensichtlich beschäftigen, wie insbesondere die Trennung von der Ehefrau, die zu einem Suizidversuch geführt habe, der Verlust der Arbeit, die zwischenzeitlich eingetretene Berentung sowie finanzielle Schwierigkeiten mit der Notwendigkeit, das frühere Eigenheim verkaufen zu müssen. In Bezug auf die aktuell bestehende depressive Symptomatik sehe er in der Gesamtschau eine Verschiebung der Wesensgrundlage jedoch nur bedingt als relevant an. Hinsichtlich der psychiatrischen Symptomatik bestehe weiterhin eine hohe Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfall vom September 2008. Zu diagnostizieren sei eine chronische Anpassungsstörung. Der darüber hinausgehende schädliche Gebrauch von Tramadol stelle keine unmittelbare Unfallfolge dar. Die unfallbedingte MdE auf seinem Fachgebiet bewerte er weiter mit 25 v.H. und die Gesamt-MdE unter Einschluss der orthopädisch-chirurgischen und neurologischen Teil-MdE-Werte auf 40 v.H.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 22. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Das Ergebnis des Gutachtens von Dr. Sch. werde durch den Entlassungsbericht des Schmerztherapiezentrums Bad M. vom März 2014 bestätigt. In Bezug auf die psychischen Gesundheitsstörungen seien zwischenzeitlich psychosoziale Veränderungen gegenüber den Unfallfolgen deutlich in den Vordergrund getreten.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG) zulässig. Denn bei einem Erfolg lebte der frühere Bescheid - hier: derjenige vom 19.07.2010 - wieder auf (vgl. BSG SozR 4-1500 § 77 Nr. 1, Rn. 13; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr. 16, Rn. 10; BSG vom 13.02.2013 - B 2 U 25/11 R -, Rn. 10 (juris) und BSG SozR 4-7837 § 2 Nr. 24, Rn. 15). Mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide wäre die Beschwer des Klägers beseitigt und die Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. würde über den 30.04.2013 hinaus weitergezahlt werden.
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Unrecht hat die Beklagte die Verletztenrente des Klägers wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 01.09.2008 ab dem 01.05.2013 von bislang 40 v.H. auf - noch - 30 v.H. der Vollrente herabgesetzt. Denn eine wesentliche Änderung der anerkannten Unfallfolgen, insbesondere eine durchgreifende und überdauernde Besserung oder eine Verschiebung der Wesensgrundlage, ist entgegen der Auffassung der Beklagten seit dem Erlass des Bescheides vom 19.07.2010 nicht eingetreten.
1. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung - hier: derjenige vom 19.07.2010 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)). Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rdnr. 8). In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl. BSG SozR 4 2700 § 56 Nr. 1) aufgrund einer Verschlimmerung oder Besserung der als Unfallfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen sowie des Hinzutretens neuer oder des Wegfalls anerkannter Unfallfolgen und einer dadurch verursachten Erhöhung oder Minderung der MdE. Ob eine solche Änderung eingetreten ist, ist durch einen Vergleich der für die letzte, bindend gewordene Feststellung des Verletztenrentenanspruchs maßgebend gewesenen Befunde und Krankheitsäußerungen mit den jetzt vorliegenden Befunden zu ermitteln (vgl. BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 13; BSGE 55, 165 ff. und BSG vom 13.02.2013 - B 2 U 25/11 R - (Juris)). Wesentlich ist eine Änderung der Verhältnisse, wenn sich hierdurch die unfallbedingte MdE um mehr als 5 v.H. senkt oder erhöht (§ 73 Abs. 3 1. Halbsatz SGB VII; vgl. auch BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18).
2. Die angefochtenen Bescheide sind bereits formell rechtswidrig. Nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist bei einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung dieser Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist dabei grundsätzlich erforderlich, in der Aufhebungsentscheidung den aufzuhebenden Verwaltungsakt genau zu benennen und den Umfang der Aufhebung zu bezeichnen (vgl. BSG SozR 4-2700 § 62 Nr. 1, Rn. 22 und BSG SozR 4 - 2700 § 62 Nr. 2, Rn. 12, ferner LSG Niedersachsen-Bremen vom 01.11.2011 - L 9 AS 831/10 -, Rn. 40 (juris)). Um dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X zu genügen, ist dazu erforderlich, den aufzuhebenden oder zurückzunehmenden Bescheid auch nach Datum zu bezeichnen (vgl. LSG Hamburg vom 20.10.2011 - L 5 AS 87/08 -, Rn. 35 und LSG Baden-Württemberg vom 20.06.2013 - L 6 VK 3112/10 -, Rn. 27 f. (jeweils juris)). Diesen Anforderungen genügen die streitgegenständliche Bescheide nicht. Denn eine förmliche Aufhebung des Bescheides vom 19.07.2010 hat die Beklagte darin nicht verfügt. Vielmehr beschränkt sich der Verfügungssatz auf die Mitteilung, dass mit Wirkung vom 01.05.2013 die MdE mit 30 v.H. neu festgestellt und die Rente ab diesem Zeitpunkt auf monatlich 408,46 EUR herabgesetzt wird. Darin liegt weder eine ausdrückliche noch stillschweigende Aufhebung des Bescheides vom 19.07.2010. Diesen Bescheid hat die Beklagte in der Begründung des Bescheides vom 22.04.2013 allein im Zusammenhang mit einer von ihr angenommenen wesentlichen Änderung der Verhältnisse genannt. Eine (förmliche) Aufhebung oder Abänderung des Bescheides vom 19.07.2010 enthält auch der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid nicht. Schon dieser formelle Fehler führt zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide.
3. Die angefochtenen Bescheide sind auch materiell-rechtlich rechtswidrig. Denn in den anerkannten Unfallfolgen des Klägers ist keine Änderung eingetreten, die die Beklagte zu einer Herabsetzung der unfallbedingten MdE auf weniger als 40 v.H. der Vollrente berechtigen würde. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Prof. Dr. F. und des Dr. R., deren Gutachten sie im Wege des Urkundenbeweises verwertet, ferner auf das ebenfalls urkundenbeweislich verwertete Gutachten des Prof. Dr. W. vom August 2012 und dessen weiteres Gutachten als gerichtlicher Sachverständiger vom Mai 2015.
a) Soweit die Beklagte durch den Bescheid vom 19.07.2010 dem Kläger in Anwendung von § 62 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) Verletztenrente (nur) als vorläufige Entschädigung gewährt hatte, konnte sie die MdE nicht gemäß § 62 Abs. 2 S. 2 SGB VII ohne Änderung der Verhältnisse abweichend festsetzen. Denn die Entscheidung über die vorläufige Entschädigung hat sich mit Ablauf des 31.08.2011 kraft Gesetzes (§ 62 Abs. 2 S. 1 SGB VII) in eine Rente auf unbestimmte Zeit gewandelt, nachdem die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt keinen Umwandlungsbescheid erteilt hatte (vgl. insoweit Brandenburg in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 62, Rn. 37 und Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, § 62, Rn. 9). Die Herabbemessung der unfallbedingten MdE war deshalb nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X i.V.m. § 73 Abs. 1 SGB VII zulässig.
b) Die sonach erforderliche wesentliche Änderung in den anerkannten Unfallfolgen erachtet die Kammer indes aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) nicht für erwiesen.
aa) Eine wesentliche Besserung der Unfallfolgen auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet in Bezug auf die Bewegungseinschränkung sämtlicher Fingergelenke und des Daumensattelgelenks sowie die Kraftminderung der rechten Hand und auf neurologischem Fachgebiet in Form des komplex-regionalen Schmerzsyndroms haben Prof. Dr. F. und Dr. R. ausdrücklich verneint und die Teil-MdE von 30 v.H. bzw. 20 v.H. auf ihren Fachgebieten, die bereits Prof. Dr. M. und Prof. Dr. F. in ihren Gutachten vom April und Mai 2010 angenommen haben, bestätigt. Dem haben sich die Beklagte und ihr Beratungsarzt Dr. A. zu Recht angeschlossen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten.
bb) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten und dem Sachverständigen Dr. Sch. ist die Kammer indes nicht davon überzeugt, dass eine wesentliche Änderung der anerkannten psychiatrischen Unfallfolgen seit dem Erlass des Bescheides vom 19.07.2010 eingetreten ist. Hierfür stützt sie sich auf die zutreffende Darlegungen des Prof. Dr. W. in seinen Gutachten vom August 2012 und Mai 2015. Danach ist mit Blick auf die anerkannte Anpassungsstörung mit lang andauernder depressiver Reaktion auch keine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten.
Unter "Verschiebung der Wesensgrundlage" als Grundlage für eine Neubewertung von - wie hier - anerkannten Unfallfolgen wird grundsätzlich der nachträgliche Wechsel der Ursache bei unverändert gebliebenem Krankheitsbild verstanden (vgl. Bay. LSG vom 18.02.2014 - L 15 VG 2/09 -, Rn. 156 m.w.N. aus der Rspr. d. BSG (juris)). In den (Normal-Fällen), bei denen es hinsichtlich der Kausalität nur auf die wesentliche Verursachung ankommt, liegt eine Verschiebung der Wesensgrundlage vor, wenn das vorher wesentlich ursächliche Unfallereignis aufgrund nachträglicher Änderung so in den Hintergrund rückt, dass es seine Eigenschaft als wesentliche Ursache verliert. Dies kann der Fall sein, wenn unfallbedingte Gesundheitsstörungen abklingen, der Gesundheitszustand wegen davon unabhängiger neuer Leiden jedoch dennoch unverändert bleibt (vgl. Bay. LSG vom 09.12.2015 - L 2 U 496/12 -, Rn. 71 (juris); Schütze in von Wulffen, a.a.O., § 48, Rn. 8 und Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Seite 112). Eine Verschiebung der Wesensgrundlage kann bei psychoreaktiven Störungen insbesondere dann vorliegen, wenn im weiteren zeitlichen Verlauf Begehrensvorstellungen oder sonstige aus der Psyche heraus wirkende Kräfte so weit in den Vordergrund getreten sind, dass sie für den weiteren Verlauf die rechtlich allein noch wesentliche Ursache bilden (vgl. BSG vom 29.11.1963 - 2 RU 46/58 -, Rn. 33 (juris)). Eine Verschiebung der Wesensgrundlage darf mithin nur dann bejaht werden, wenn im gesundheitlichen Sachverhalt tatsächliche Änderungen - wenn auch "unsichtbare" - eingetreten und eindeutig festgestellt sind. Dabei hat das BSG eine Art tatsächliche Vermutung formuliert (vgl. BSG v. 23.05.1969 - 10 RV 273/66 -, Rn. 19 (juris)): würden danach die gleichen Erscheinungen und Beschwerden, also die gleichen Zustände einer Normabweichung festgestellt, dann spreche die Gleichheit der Zustände dafür, dass sich auch an der Ursache dieser Krankheitserscheinungen nichts geändert habe. Der Ursachenwechsel muss deshalb im Einzelfall erwiesen sein (mit Vollbeweis). Die objektive Beweislast liegt insoweit beim Leistungsträger, der sich auf eine Verschiebung der Wesensgrundlage beruft. Diese strengen Grundsätze gelten nicht nur dann, wenn - wie vorliegend - bereits eine Anerkennung als Unfall- oder Schädigungsfolge vorliegt, sondern auch, wenn eine Anerkennung bislang fehlen würde, diese aber materiell-rechtlich möglich gewesen wäre.
Im Anschluss an Prof. Dr. W. leidet der Kläger - weiterhin - an einer Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion. Überzeugend hat der gerichtliche Sachverständige dargelegt, dass sich der psychische Untersuchungsbefund nur in Nuancen von demjenigen unterscheidet, den er bei seiner Untersuchung und Begutachtung des Klägers am 19.04.2010 erhoben hatte. Seinerzeit zeigte sich der Kläger kooperativ, freundlich zugewandt und berichtete sichtlich mitgenommen über die tiefen Einschnitte, die der Unfall in sein Leben gerissen habe. Er war wach, zu allen Qualitäten sicher orientiert, aufmerksam und in der Auffassung nicht gestört. Subjektiv angegebene Konzentrations- und Gedächtnisprobleme konnte Prof. Dr. W. damals nicht objektivieren. Das formale Denken des Klägers war intakt, wobei er über Gedankenkreisen und Zwangsgrübeln berichtete. Die Stimmung war seinerzeit depressiv gedrückt, aber im Gespräch auslenkbar. Die Schwingungsfähigkeit des Klägers war eingeschränkt. Er wirkte ausgesprochen angespannt und innerlich unruhig. Außerdem fand Prof. Dr. W. Antrieb und Energie erheblich reduziert. Bei sozialem Rückzug berichtete der Kläger über ausgeprägte Schuldideen als Folge der veränderten beruflichen Lebensperspektive. Dies wurde bestätigt durch die fremdanamnestischen Angaben der Ehefrau des Klägers, die von einer dramatischen Veränderung des Klägers seit dem Arbeitsunfall berichtete. So hatte dieser keinen Bezug mehr zu den Kindern und insbesondere den Kontakt zu seiner Tochter fast komplett verloren, war reizbar und streckenweise aggressiv geworden und verwickelte sich in Streitigkeiten. Auch die Ehefrau des Klägers berichtete seinerzeit über Niedergeschlagenheit und Energielosigkeit des Klägers sowie den Verlust der Kontakte zu seinen Freunden. Diese Befunde und Krankheitsäußerungen entsprechen im Wesentlichen denjenigen, die Prof. Dr. W. bei der Untersuchung und Begutachtung des Klägers am 04.03.2015 erhoben hat. So schilderte der Kläger seine depressive Symptomatik nunmehr etwas gravierender, während die Angstattacken offenbar weniger häufig auftreten.
Im Vordergrund des psychiatrischen Beschwerdebildes des Klägers stehen weiterhin Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens sowie Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld. Als Folge hiervon kam es neben einem sozialen Rückzug zu einem auch emotionalen Rückzug des Klägers von seiner Familie, insbesondere von seiner Tochter, der er immer noch die Schuld an seinem Arbeitsunfall vom September 2008 anlastet, außerdem zu immer heftigeren Streitigkeiten mit seiner Ehefrau, die schließlich im September 2013 mit den gemeinsamen Kindern aus dem vormals ehegemeinschaftlichen Haus aus- und in eine andere Wohnung umgezogen und seither getrennt von dem Kläger lebt. Der Kläger sieht sich infolge seines Arbeitsunfalls und des dadurch bedingten Ausscheidens nicht nur aus dem zuletzt ausgeübten Beruf als Gipser, sondern aus dem Erwerbsleben insgesamt - die im September 2013 zunächst wieder aufgenommene Umschulungsmaßnahme brach er im Juni 2014 endgültig ab und bezieht seit Oktober 2014 von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg eine Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31.12.2018 - nicht (mehr) in der Lage, für seine Familie zu sorgen. Kennzeichnend hierfür ist auch der notwendig gewordene Verkauf des früheren ehegemeinschaftlichen Hausanwesens. Außerdem sieht sich der Kläger in der Achtung Dritter, namentlich der früheren Mitteilnehmer der Umschulungsmaßnahme, gesunken, abgelehnt und ausgegrenzt. Er kann sich nach seinen weiter glaubhaften Angaben gegenüber Prof. Dr. W. nicht vorstellen, wieder als Vater und Ehemann zu funktionieren und denkt immer wieder auch an Suizid.
Damit erfüllt der Kläger - weiterhin - die Kriterien einer schwergradigen Depression, wie Prof. Dr. W. auch insoweit zutreffend dargelegt hat. Auch die als Unfallfolge anerkannte Anpassungsstörung besteht fort. Bei dieser Gesundheitsstörung handelt es sich definitionsgemäß um Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Faktoren und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Die Belastung kann das soziale Netz des Betroffenen beschädigt haben oder das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder sozialer Werte. Die Anzeichen sind unterschiedlich und umfassen depressive Stimmung, Angst oder Sorge (oder eine Mischung von diesem). Außerdem kann ein Gefühl bestehen, mit den alltäglichen Gegebenheiten nicht zu Recht zu kommen, diese nicht vorausplanen oder fortsetzen zu können. Störungen des Sozialverhaltens können ein zusätzliches Symptom sein. Hervorstechendes Merkmal kann eine kurze oder längere depressive Reaktion oder eine Störung anderer Gefühle und des Sozialverhaltens sein (vgl. F 43.2 ICD-10). Ursächlich für eine Anpassungsstörung ist danach eine außergewöhnlich belastendes Lebensereignis, das eine akute Belastungsreaktion hervorruft, oder eine besondere Veränderung im Leben, die zu einer anhaltend unangenehmen Situation geführt hat und eine Anpassungsstörung hervorruft (vgl. F 43 ICD-10). Eine Anpassungsstörung kann zwar grundsätzlich lediglich bis zu einem Zeitraum von maximal zwei Jahren nach der hierfür maßgebenden Ursache diagnostiziert werden (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 143 m.w.N. und Venzlaff-Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009, S. 682) und sind danach Symptome, die - wie hier - länger als zwei Jahre anhalten, mit der Annahme einer unfallbedingten Anpassungsstörung in der Regel nicht vereinbar (vgl. Venzlaff-Foerster, a.a.O.) In diesem Zusammenhang weist Prof. Dr. W. indes zutreffend darauf hin, dass bei einem chronischen Stressor die Diagnose einer chronischen Belastungsstörung auch ohne zeitliche Begrenzung gestellt werden kann. Im Fall des Klägers sind - nachdem vor dem Arbeitsunfall vom September 2008 psychische Auffälligkeiten nicht bestanden - der Unfall und die hieraus resultierenden Funktionsstörungen an der rechten Hand und das sich nachfolgend entwickelte chronisch-regionale Schmerzsyndrom weiterhin wesentlich ursächlich für die fortbestehende Anpassungsstörungen mit reaktiver Depression. Durch fachärztliche Behandlungen - zuletzt im Schmerztherapiezentrum Bad M. im Frühjahr 2014 - konnte zwar jeweils eine kurzzeitige, jedoch keine überdauernde Besserung des psychiatrischen Bewerdebildes erzielt werden, wie der Sachverständige Prof. Dr. W. auch insoweit zutreffend ausgeführt hat.
Eine Verschiebung der Wesensgrundlage ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht eingetreten. Zwar sind seit dem Erlass des Bescheides vom 19.07.2010 zusätzliche Belastungsfaktoren aufgetreten, die den Kläger beschäftigen wie die Trennung von der Ehefrau und den Kindern, der Verlust der Arbeit, seine Berentung sowie die finanziellen Schwierigkeiten mit der Notwendigkeit, das vormalige Eigenheim unter Verlust zu verkaufen. All diese Umstände gründen sich indes auf die Folgen des Unfallereignisses vom September 2008 und die dadurch bewirkten insbesondere psychiatrischen Gesundheitsstörungen des Klägers. Überdies lagen u.a. die Rückzugstendenzen, insbesondere die Schuldzuweisung des Klägers gegenüber der Tochter und Verhaltensauffälligkeiten gegenüber der Ehefrau, auch bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 19.07.2010 vor. Mit anderen Worten: das Unfallereignis und die daraus resultierenden Folgen können nicht hinweggedacht werden, ohne dass die zusätzlichen Belastungsfaktoren entfielen. Vor diesem Hintergrund liegt eine Verschiebung der Wesensgrundlage, die die Beklagte zu einer Herabsetzung der unfallbedingten MdE von bislang 40 v.H. auf nunmehr 30 v.H. rechtfertigen könnte, nicht vor. Dies räumt im Ergebnis auch der Beratungsarzt der Beklagten, Dr. A., ein, wenn er in seiner Stellungnahme vom 13.03.2013, dort Seite 12, zum Einen nur von einer "gewissen" Verschiebung der Wesensgrundlage ausgeht und zum Anderen zwei Absätze später ausführt, dass die depressive Symptomatik "sicherlich vorwiegend noch auf die Folgen des versicherten Unfalls von 2008 zurückzuführen sind" und unfallferne Erlebnisweisen die Symptomatik "mit unterhalten".
Anders ist auch nicht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Sch. zu entscheiden. Denn dieser hat seine Auffassung, dass unfallunabhängige Gesundheitsstörungen des psychiatrischen Fachgebietes "eindeutig eine überragende Bedeutung" zukomme, nicht, jedenfalls nicht ausreichend, begründet. Insbesondere misst Dr. Sch. nach Auffassung des erkennenden Gerichts dem Umstand, dass die sozialen Belastungen des Klägers mangels Vorerkrankung erst durch das Unfallereignis und dessen Folgen ausgelöst wurden und aufrechterhalten werden, keine ausreichende Bedeutung bei. Im Übrigen ist auch nicht entscheidungsrelevant, ob Prof. Dr. W. bereits im Gutachten vom Mai 2010 konkurrierende Ursachen für die Anpassungsstörung nicht ausreichend gewürdigt hatte; denn die Beklagte hatte durch den Bescheid vom 19.07.2013 eine "Anpassungsstörung mit langdauernder depressiver Reaktion" ausdrücklich als Unfallfolge anerkannt.
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und war dem Begehren des Klägers stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
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