Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 828/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 3152/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Die Regelung des § 3 Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung ist bzgl. eines durch die Folgen eines Arbeitsunfalls entstandenen Minderverdienstes des Versicherten weder unmittelbar noch analog anzuwenden. Dies verstößt weder gegen Grundrechte des Versicherten aus Art. 2 des Grundgesetzes noch gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung eines Minderverdienstausfalls wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.
Der 1980 geborene, bis zum 15.11.2014 als Betonarbeiter beschäftigt gewesene Kläger zog sich während seiner versicherten Tätigkeit am 17.10.2013 eine Quetschung der rechten Mittelhand zu, als ihm ein schweres Metallteil auf die Hand fiel. Die Zahlung von Verletztengeld stellte die Beklagte mit Ablauf des 08.11.2015 mit der Begründung ein, mit dem Wiedereintritt von Arbeitsfähigkeit sei nicht zu rechnen und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen (Bescheid vom 05.11.2015).
Gestützt auf Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Bühler und des Chirurgen Prof. Dr. Kneser sowie eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wallis-Simon anerkannte die Beklagte das Unfallereignis als Arbeitsunfall und als dessen Folgen:
"Am rechten Arm: Nach schwerer Quetschverletzung der Hand deutliche Einschränkung bei der Unterarmauswärtsdrehung und minimaler bei der Einwärtsdrehung. Bewegungseinschränkung der Hand, inkompletter Faustschluss, inkomplette Streckung der Langfinger, Pfötchenstellung der Hand, reduzierte Handspanne, Minderung der groben Kraft, Chronisch regionales (CRPS), Schwellneigung des Handrückens mit Überwärmung und Rötung.
Anpassungsstörung mit ausgeprägtem Störungsbild, algogenes Psychosyndrom (schmerzbedingte psychische Beeinträchtigungen)."
Wegen der Unfallfolgen gewährt sie dem Kläger seit dem 09.11.2015 Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. der Vollrente (Bescheid vom 03.05.2016). Über den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers hat die Beklagte - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Bereits am 03.12.2015 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls Übergangsleistungen gem. § 3 Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) zu gewähren mit der Begründung, er habe unfallbedingt seine alte Tätigkeit als Betonarbeiter aufgeben müssen. Ihm sei deshalb ein Minderverdienst entstanden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Regelungen der BKV fänden allein bei Berufskrankheiten (BKen) Anwendung, nicht aber bei Arbeitsunfällen. Eine vergleichbare Vorschrift zum Ausgleich eines Minderverdienstes bei Arbeitsunfällen gebe es nicht. Auch sehe der gesetzliche Leistungskatalog bei Arbeitsunfällen keinen unfallbedingten Minderverdienstausgleich vor (Bescheid vom 14.12.2015, Widerspruchsbescheid vom 02.03.2016).
Deswegen hat der Kläger am 09.03.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er leide unfallbedingt an einer ausgeprägten Anpassungsstörung, für die Dr. Bühler eine MdE um 30 v.H. angenommen habe. Damit sei eine BK zu bejahen. Im Übrigen verstoße § 3 Abs. 2 BKV gegen den Gleichheitsgrundsatz, soweit ein durch einen Arbeitsunfall verursachter Minderverdienstausfallschaden nicht ausgeglichen werde. Außerdem verstoße die Regelung gegen Art. 2 des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,
den Bescheid vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. März 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2013 einen Minderverdienstausgleich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Mit Schreiben vom 03.06.2016 und vom 21.07.2016 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, es erwäge eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 56 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Minderverdienstausgleichs wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.10.2013. Hierüber konnte die Kammer gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die mit der Klage begehrte Gewährung eines Minderverdienstausgleichs wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 17.10. 2013 steht dem Kläger mangels Rechtsgrundlage nicht zu. § 3 Abs. 2 BKV, demzufolge Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, dass eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert (§ 3 Abs. 1 S. 1 BKV), zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen haben, ist vorliegend weder unmittelbar (dazu nachfolgend unter 1.) noch analog (dazu nachfolgend unter 2.) anwendbar. Dies verstößt auch nicht gegen Grundrechte des Klägers aus Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 GG (dazu nachfolgend unter 3.).
1. Eine Übergangsleistung in unmittelbarer Anwendung des § 3 Abs. 2 BKV steht dem Kläger nicht zu, weil er nicht von einer BK-Gefahr bedroht würde, wenn er seine Tätigkeit als Betonarbeiter wieder aufnähme. Normzweck des § 3 BKV ist die so genannte BK-Prophylaxe; die Bestimmung umfasst Maßnahmen der Vorbeugung und Krankheitsverhütung und soll das Entstehen eines Entschädigungsanspruchs verhindern oder die Auswirkungen bereits eingetretener Versicherungsfälle beeinflussen (vgl. BSG SozR 4-5671 § 3 Nr. 1). Der Gesetzgeber hat sich darauf beschränkt, bei der Individualprävention des § 3 BKV insbesondere Geldleistungen nur bei konkret-individuell drohender BK unter besonderen kausalen Voraussetzungen zweckbestimmt als unterstützende Maßnahme der Prävention zu gewähren (vgl. Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 9 SGB VII, Anhang III, § 3 BKV, Rn. 4). Der Geltungsbereich von § 3 BKV betrifft generell weder die allgemeine arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr noch Arbeitsunfälle im Sinne des § 8 SGB - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII; vgl. Koch, a.a.O., Rn. 12). Die einzelnen Absätze des § 3 BKV stehen durch den einheitlichen Zweck der individuellen Prävention gegen eine BK in einem Gesamtzusammenhang. § 3 Abs. 2 BKV ist deshalb im Zusammenhang mit den Voraussetzungen des Absatzes 1 dieser Bestimmung zu sehen, insbesondere der dort geregelten Aufforderung, eine gefährdende Tätigkeit zu unterlassen (§ 3 Abs. 1 S. 2 BKV). Anlass dafür sind im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB VII besondere, schädigende Einwirkungen durch die Arbeit, die die Gefahr einer BK begründen. Die Bundesregierung darf nach § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VII mit Zustimmung des Bundesrates Krankheiten als BKen bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Dieser generellen Gefahr durch schädigende Einwirkungen, die zur Aufnahme einer bestimmten Krankheit als Listenerkrankung in die BK-Liste führt, haben die Träger der Unfallversicherung grundsätzlich mit allen geeigneten Mitteln vorzubeugen (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Versicherte, die trotz dieser allgemeinen Prävention gegenüber der generellen Gefahr solchen besonderen schädigenden Einwirkungen durch ihre Arbeit ausgesetzt sind, können deswegen unter einer in zeitlich zunehmenden Maße anwachsenden, konkreten, individuellen Gefahr stehen, an einer BK zu erkranken, die sich grundsätzlich von einer Unfallgefahr unterscheidet. Eine solche konkrete, individuelle Gefahr meint § 9 Abs. 6 Nr. 1 SGB VII, der die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von BKen zu regeln. Dem ist der Verordnungsgeber in § 3 BKV nachgekommen. Diese besondere individuelle Gefahr für den Versicherten ist der Schlüssel zur Anwendung des § 3 BKV, der die individuelle BK-Prävention zum Ziel hat (vgl. BSG vom 16.03.1995 - 2 RU 18/94 - (Juris)).
Voraussetzung für eine Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV ist, dass die für eine BK relevanten, besonderen, schädigenden Einwirkungen den Versicherten am konkreten Arbeitsplatz treffen und in seiner Person die individuelle Gefahr begründen müssen, dass sie im Sinne der Kausalitätsanforderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung eine BK entstehen, wiederaufleben oder verschlimmern lassen (vgl. BSGE 40, 146, 148). Vorliegend ist indes weder streitig noch zweifelhaft, dass der Kläger weder an einer BK leidet noch bei Wiederaufnahme der Tätigkeit als Betonbauer von einer konkreten, individuellen BK-Gefahr bedroht wäre. Zwar kann er, auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und unzweifelhaft, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.10.2013 seine frühere Tätigkeit als Betonbauer nicht mehr ausüben. Jedoch ist bei Arbeitsunfällen die in § 3 Abs. 2 BKV geregelte Übergangsleistung nicht vorgesehen (vgl. BSG vom 16.03.1995 - 2 RU 18/94 - (Juris) und LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1989, 28, 29; ferner Koch, a.a.O., Rn. 15).
2. Die Bestimmung des § 3 Abs. 2 BKV kann vorliegend auch nicht analog angewandt werden. Eine Analogie dieser Bestimmung als Sondervorschrift im Recht der BKen ist an sich schon ausgeschlossen (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O.) Denn § 3 BKV ist an die Liste der BKen angebunden. Der Zweck der Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV besteht darin, den Versicherten im Zuge der Entwicklung eines langwierigen Krankheitsgeschehens zur Aufgabe der ihm gefährdenden Tätigkeiten zu veranlassen (vgl. BSG SozR 5677 § 3 Nr. 2). Im Vordergrund steht dabei die besondere Prävention, sachbezogen auf die Art und Weise der Entstehung, des Wiederauflebens oder der Verschlimmerung einer BK, bei der der Versicherungsfall grundsätzlich im Gegensatz zum Arbeitsunfall nicht plötzlich während einer Arbeitsschicht auftritt, sondern sich durch längerdauernde Einwirkungen im Verlaufe des versicherten Erwerbslebens ergibt. Wesentlich ist auch, dass bezüglich BKen schon dann Leistungen gewährt werden können, wenn der Versicherungsfall noch nicht eingetreten ist, sein Eintritt aber befürchtet werden muss.
Davon zu unterscheiden ist der wirtschaftliche Nachteil, den Versicherte erleiden, weil sie wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls die bisherige versicherte Tätigkeit aufgeben mussten und - wie der Kläger - aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Zwar haben die Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln auch für die Verhütung von Arbeitsunfällen zu sorgen (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Aber sowohl alle Vorbeugemaßnahmen zur Bekämpfung der vom Arbeitsleben ausgehenden Gesundheitsgefahren, die nicht zu einer Listenerkrankung im Sinne der Anlage 1 der BKV führen, als auch allgemeine Maßnahmen, mit denen gesundheitlich Ungeeignete, insbesondere wenn sie von den Folgen eines Arbeitsunfalls betroffen sind, von bestimmten Tätigkeiten oder Bereichen des Arbeitslebens ferngehalten werden, liegen nicht im Rahmen des § 3 BKV und damit außerhalb seines Schutzbereiches (vgl. BSG vom 16.03.1995 - 2 RU 18/94 -). Auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung kann dem der Träger der Unfallversicherung durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 35 SGB VII), durch Berücksichtigung bei der Bemessung der unfallbedingten MdE (§ 56 SGB VII) und durch Erhöhung der Rente bei Arbeitslosigkeit (§ 58 SGB VII) begegnen, nicht aber durch eine Übergangsleistung im Rahmen der BK-Prävention nach § 3 Abs. 2 BKV. Weil überdies bei der Tätigkeit als Betonarbeiter keine konkrete, individuelle BK-Gefahr durch lang andauernde, schädigende, besondere Arbeitseinwirkungen droht, muss auch die vom Kläger geltend gemachte entsprechende Anwendung des § 3 Abs. 2 BKG scheitern. Denn weder der unzweideutige Wortlaut noch der Sinn und Zweck der BK-Prävention lassen es zu, den Anspruch auf eine Übergangsleistung im Rahmen der BK-Prävention auf die Fälle allgemeiner Unfallverhütung und Gesundheitsvorsorge zu übertragen. Solange nicht jede arbeitsbedingte Erkrankung wie ein Arbeitsunfall entschädigt werden kann, sondern nur eine besonders bezeichnete BK, muss die BK-Prävention des § 3 BKV die Listengrenze der BKV einhalten. Insoweit besteht auch, wie die im Wortlaut eindeutige Ermächtigungsnorm des § 9 Abs. 6 Nr. 1 SGB VII bestätigt, keine Regelungslücke. Übergangsleistungen bei einer BK sind im Übrigen keine echten Entschädigungsleistungen, die einen konkreten Vermögensschaden ausgleichen sollen, worauf der Kläger aber abhebt, sondern sachbezogene Maßnahmen der Vorbeugung und der Krankheitsverhütung.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Entschädigung nach Eintritt eines Arbeitsunfalls in Form einer Verletztenrente keine konkret am bisher erzielten Erwerbseinkommen orientierte Leistung ist, sondern als abstrakte Schadensberechnung erfolgt. Denn die unfallbedingte MdE bezieht sich auf die verminderten Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, d.h. dem sogenannten allgemeinen Arbeitsmarkt, wie sich aus § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII ergibt. Der bisherige Beruf oder die bisherige berufliche Tätigkeit ist deshalb - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen im Sinne des § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB VII abgesehen - grundsätzlich nicht entscheidend für die Höhe der unfallbedingten MdE. Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn unter Wahrung des Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde (vgl. BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 7). Dabei muss es sich um wirtschaftlich messbare Beeinträchtigungen der Nutzung erworbener besonderer Kenntnisse und Erfahrungen handeln, die eine durch die bisher verrichtete Tätigkeit erworbene besonders günstige Stellung im allgemeinen Erwerbsleben mindern (vgl. BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2). Daran fehlt es im Fall des Klägers.
3. Soweit der Gesetzgeber zum Ausgleich eines Minderverdienstes bei Arbeitsunfällen eine dem § 3 Abs. 2 BKV entsprechende Regelung im Leistungskatalog nicht vorgesehen hat, verstößt dies auch nicht gegen Verfassungsrecht, namentlich nicht gegen Art. 2 und Art. 3 GG.
a) Der Kläger hat vorliegend schon nicht dargelegt, inwieweit hierdurch überhaupt seine allgemeine Handlungsfreiheit und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie sein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit betroffen sein sollen. Denn durch das Fehlen einer § 3 Abs. 2 BKV entsprechenden Regelung in Bezug auf Arbeitsunfälle werden dem Kläger keine Rechtspflichten auferlegt. Alle in Art. 2 GG normierten Grundrechte sind als Freiheitsrechte formuliert (vgl. Murswiek in Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 2, Rn. 7) und als solche in erster Linie Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe (vgl. Murswiek, a.a.O., Rn. 18). Dies bedeutet, dass - formell - Exekutive und Judikative in die grundrechtlich geschützten Freiheiten nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung eingreifen dürfen und - materiell - der Gesetzgeber nicht jede beliebige Freiheitseinschränkung vornehmen darf, sondern diese Befugnis durch die Grundrechte begrenzt wird. Überdies erwächst aus Art. 2 GG ein Anspruch des einzelnen gegen den Staat auf Schutz gegen Eingriffe Dritter in grundrechtliche Schutzgüter (vgl. Murswiek, a.a.O., Rn. 24). Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob das Fehlen einer § 3 Abs. 2 BKV entsprechenden Regelung zum Ausgleich eines Minderverdienstes bei Arbeitsunfällen überhaupt den Schutzbereich des Art. 2 GG berührt. Denn aus einem eventuellen Verstoß gegen das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) erwachsen dem Grundrechtsträger keine konkreten Sozialleistungsansprüche, die über die Sicherung des unverzichtbaren, menschenwürdigen Existenzminimums hinausgehen (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 2, Rn. 93 sowie Murswiek, a.a.O., Rn. 38 und 224). Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nur verpflichtet, in Würdigung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und der Schutzgüter aus Art. 2 Abs. 2 GG im Inland lebenden Bedürftigen das zur physischen Existenz Unerlässliche zu gewähren (vgl. BSG SozR 4-2500 § 62 Nr. 6, Rn. 31). In der Nichtgewährung einer staatlichen Leistung liegt indes kein Grundrechtseingriff, weil nicht die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte betroffen ist. Art. 2 GG konkretisiert insoweit Pflichten bzw. Ansprüche, die sich aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) ergeben (vgl. BVerfGK 20, 316 ff., Rn. 20). Diese Verpflichtung begründet jedoch keine Ansprüche auf konkrete unfallversicherungs¬rechtliche Leistungen (vgl. BVerfGK 1, 182 ff., Rn. 10).
b) Das Fehlen einer § 3 Abs. 2 BKV entsprechenden gesetzlichen Regelung eines Minder-verdienstausgleichs auch bei Arbeitsunfällen verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem wie auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), u.a. in BVerfGE 103, 310, 318; 112, 268, 278 und 116, 164, 180, ferner BSGE 107, 261 ff.). Die Tatsache, dass Versicherte, anders als Arbeitsunfallgeschädigte, unter besonderen, schädigenden Einwirkungen arbeiten müssen, die eine in zeitlich zunehmendem Maße anwachsende, individuelle BK-Gefahr begründen, ist für die Beschränkung des Anspruchs auf Übergangsleistungen im Sinne des § 3 Abs. 2 BKV auf BK-Gefährdete ein sachlicher Unterscheidungsgrund, der mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist (vgl. nochmals BSG vom 16.03.1995 - 2 RU 18/94 - (Juris)). Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass im Sozialversicherungsrecht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung konkreter Leistungen ein weiter Spielraum zusteht (vgl. BVerfGE 113, 167, 215), der auch unterschiedliche Konzepte für verschiedene Bereiche umfasst (BVerfGE 97, 271, 297). Wenn der Gesetzgeber nach einem einmal eingetretenen Arbeitsunfall nicht die entsprechenden Maßnahmen der Vorbeugung und Krankheitsverhütung wie im Vorstadium der Gefahr des Eintritts einer BK vorsieht, erscheint dies nicht als willkürliche Differenzierung, sondern als sachbezogen (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Seite 30f.).
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung eines Minderverdienstausfalls wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.
Der 1980 geborene, bis zum 15.11.2014 als Betonarbeiter beschäftigt gewesene Kläger zog sich während seiner versicherten Tätigkeit am 17.10.2013 eine Quetschung der rechten Mittelhand zu, als ihm ein schweres Metallteil auf die Hand fiel. Die Zahlung von Verletztengeld stellte die Beklagte mit Ablauf des 08.11.2015 mit der Begründung ein, mit dem Wiedereintritt von Arbeitsfähigkeit sei nicht zu rechnen und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen (Bescheid vom 05.11.2015).
Gestützt auf Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Bühler und des Chirurgen Prof. Dr. Kneser sowie eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wallis-Simon anerkannte die Beklagte das Unfallereignis als Arbeitsunfall und als dessen Folgen:
"Am rechten Arm: Nach schwerer Quetschverletzung der Hand deutliche Einschränkung bei der Unterarmauswärtsdrehung und minimaler bei der Einwärtsdrehung. Bewegungseinschränkung der Hand, inkompletter Faustschluss, inkomplette Streckung der Langfinger, Pfötchenstellung der Hand, reduzierte Handspanne, Minderung der groben Kraft, Chronisch regionales (CRPS), Schwellneigung des Handrückens mit Überwärmung und Rötung.
Anpassungsstörung mit ausgeprägtem Störungsbild, algogenes Psychosyndrom (schmerzbedingte psychische Beeinträchtigungen)."
Wegen der Unfallfolgen gewährt sie dem Kläger seit dem 09.11.2015 Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. der Vollrente (Bescheid vom 03.05.2016). Über den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers hat die Beklagte - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Bereits am 03.12.2015 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls Übergangsleistungen gem. § 3 Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) zu gewähren mit der Begründung, er habe unfallbedingt seine alte Tätigkeit als Betonarbeiter aufgeben müssen. Ihm sei deshalb ein Minderverdienst entstanden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Regelungen der BKV fänden allein bei Berufskrankheiten (BKen) Anwendung, nicht aber bei Arbeitsunfällen. Eine vergleichbare Vorschrift zum Ausgleich eines Minderverdienstes bei Arbeitsunfällen gebe es nicht. Auch sehe der gesetzliche Leistungskatalog bei Arbeitsunfällen keinen unfallbedingten Minderverdienstausgleich vor (Bescheid vom 14.12.2015, Widerspruchsbescheid vom 02.03.2016).
Deswegen hat der Kläger am 09.03.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er leide unfallbedingt an einer ausgeprägten Anpassungsstörung, für die Dr. Bühler eine MdE um 30 v.H. angenommen habe. Damit sei eine BK zu bejahen. Im Übrigen verstoße § 3 Abs. 2 BKV gegen den Gleichheitsgrundsatz, soweit ein durch einen Arbeitsunfall verursachter Minderverdienstausfallschaden nicht ausgeglichen werde. Außerdem verstoße die Regelung gegen Art. 2 des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,
den Bescheid vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. März 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2013 einen Minderverdienstausgleich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Mit Schreiben vom 03.06.2016 und vom 21.07.2016 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, es erwäge eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 56 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Minderverdienstausgleichs wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.10.2013. Hierüber konnte die Kammer gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die mit der Klage begehrte Gewährung eines Minderverdienstausgleichs wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 17.10. 2013 steht dem Kläger mangels Rechtsgrundlage nicht zu. § 3 Abs. 2 BKV, demzufolge Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, dass eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert (§ 3 Abs. 1 S. 1 BKV), zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen haben, ist vorliegend weder unmittelbar (dazu nachfolgend unter 1.) noch analog (dazu nachfolgend unter 2.) anwendbar. Dies verstößt auch nicht gegen Grundrechte des Klägers aus Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 GG (dazu nachfolgend unter 3.).
1. Eine Übergangsleistung in unmittelbarer Anwendung des § 3 Abs. 2 BKV steht dem Kläger nicht zu, weil er nicht von einer BK-Gefahr bedroht würde, wenn er seine Tätigkeit als Betonarbeiter wieder aufnähme. Normzweck des § 3 BKV ist die so genannte BK-Prophylaxe; die Bestimmung umfasst Maßnahmen der Vorbeugung und Krankheitsverhütung und soll das Entstehen eines Entschädigungsanspruchs verhindern oder die Auswirkungen bereits eingetretener Versicherungsfälle beeinflussen (vgl. BSG SozR 4-5671 § 3 Nr. 1). Der Gesetzgeber hat sich darauf beschränkt, bei der Individualprävention des § 3 BKV insbesondere Geldleistungen nur bei konkret-individuell drohender BK unter besonderen kausalen Voraussetzungen zweckbestimmt als unterstützende Maßnahme der Prävention zu gewähren (vgl. Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 9 SGB VII, Anhang III, § 3 BKV, Rn. 4). Der Geltungsbereich von § 3 BKV betrifft generell weder die allgemeine arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr noch Arbeitsunfälle im Sinne des § 8 SGB - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII; vgl. Koch, a.a.O., Rn. 12). Die einzelnen Absätze des § 3 BKV stehen durch den einheitlichen Zweck der individuellen Prävention gegen eine BK in einem Gesamtzusammenhang. § 3 Abs. 2 BKV ist deshalb im Zusammenhang mit den Voraussetzungen des Absatzes 1 dieser Bestimmung zu sehen, insbesondere der dort geregelten Aufforderung, eine gefährdende Tätigkeit zu unterlassen (§ 3 Abs. 1 S. 2 BKV). Anlass dafür sind im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB VII besondere, schädigende Einwirkungen durch die Arbeit, die die Gefahr einer BK begründen. Die Bundesregierung darf nach § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VII mit Zustimmung des Bundesrates Krankheiten als BKen bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Dieser generellen Gefahr durch schädigende Einwirkungen, die zur Aufnahme einer bestimmten Krankheit als Listenerkrankung in die BK-Liste führt, haben die Träger der Unfallversicherung grundsätzlich mit allen geeigneten Mitteln vorzubeugen (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Versicherte, die trotz dieser allgemeinen Prävention gegenüber der generellen Gefahr solchen besonderen schädigenden Einwirkungen durch ihre Arbeit ausgesetzt sind, können deswegen unter einer in zeitlich zunehmenden Maße anwachsenden, konkreten, individuellen Gefahr stehen, an einer BK zu erkranken, die sich grundsätzlich von einer Unfallgefahr unterscheidet. Eine solche konkrete, individuelle Gefahr meint § 9 Abs. 6 Nr. 1 SGB VII, der die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von BKen zu regeln. Dem ist der Verordnungsgeber in § 3 BKV nachgekommen. Diese besondere individuelle Gefahr für den Versicherten ist der Schlüssel zur Anwendung des § 3 BKV, der die individuelle BK-Prävention zum Ziel hat (vgl. BSG vom 16.03.1995 - 2 RU 18/94 - (Juris)).
Voraussetzung für eine Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV ist, dass die für eine BK relevanten, besonderen, schädigenden Einwirkungen den Versicherten am konkreten Arbeitsplatz treffen und in seiner Person die individuelle Gefahr begründen müssen, dass sie im Sinne der Kausalitätsanforderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung eine BK entstehen, wiederaufleben oder verschlimmern lassen (vgl. BSGE 40, 146, 148). Vorliegend ist indes weder streitig noch zweifelhaft, dass der Kläger weder an einer BK leidet noch bei Wiederaufnahme der Tätigkeit als Betonbauer von einer konkreten, individuellen BK-Gefahr bedroht wäre. Zwar kann er, auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und unzweifelhaft, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.10.2013 seine frühere Tätigkeit als Betonbauer nicht mehr ausüben. Jedoch ist bei Arbeitsunfällen die in § 3 Abs. 2 BKV geregelte Übergangsleistung nicht vorgesehen (vgl. BSG vom 16.03.1995 - 2 RU 18/94 - (Juris) und LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1989, 28, 29; ferner Koch, a.a.O., Rn. 15).
2. Die Bestimmung des § 3 Abs. 2 BKV kann vorliegend auch nicht analog angewandt werden. Eine Analogie dieser Bestimmung als Sondervorschrift im Recht der BKen ist an sich schon ausgeschlossen (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O.) Denn § 3 BKV ist an die Liste der BKen angebunden. Der Zweck der Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV besteht darin, den Versicherten im Zuge der Entwicklung eines langwierigen Krankheitsgeschehens zur Aufgabe der ihm gefährdenden Tätigkeiten zu veranlassen (vgl. BSG SozR 5677 § 3 Nr. 2). Im Vordergrund steht dabei die besondere Prävention, sachbezogen auf die Art und Weise der Entstehung, des Wiederauflebens oder der Verschlimmerung einer BK, bei der der Versicherungsfall grundsätzlich im Gegensatz zum Arbeitsunfall nicht plötzlich während einer Arbeitsschicht auftritt, sondern sich durch längerdauernde Einwirkungen im Verlaufe des versicherten Erwerbslebens ergibt. Wesentlich ist auch, dass bezüglich BKen schon dann Leistungen gewährt werden können, wenn der Versicherungsfall noch nicht eingetreten ist, sein Eintritt aber befürchtet werden muss.
Davon zu unterscheiden ist der wirtschaftliche Nachteil, den Versicherte erleiden, weil sie wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls die bisherige versicherte Tätigkeit aufgeben mussten und - wie der Kläger - aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Zwar haben die Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln auch für die Verhütung von Arbeitsunfällen zu sorgen (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Aber sowohl alle Vorbeugemaßnahmen zur Bekämpfung der vom Arbeitsleben ausgehenden Gesundheitsgefahren, die nicht zu einer Listenerkrankung im Sinne der Anlage 1 der BKV führen, als auch allgemeine Maßnahmen, mit denen gesundheitlich Ungeeignete, insbesondere wenn sie von den Folgen eines Arbeitsunfalls betroffen sind, von bestimmten Tätigkeiten oder Bereichen des Arbeitslebens ferngehalten werden, liegen nicht im Rahmen des § 3 BKV und damit außerhalb seines Schutzbereiches (vgl. BSG vom 16.03.1995 - 2 RU 18/94 -). Auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung kann dem der Träger der Unfallversicherung durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 35 SGB VII), durch Berücksichtigung bei der Bemessung der unfallbedingten MdE (§ 56 SGB VII) und durch Erhöhung der Rente bei Arbeitslosigkeit (§ 58 SGB VII) begegnen, nicht aber durch eine Übergangsleistung im Rahmen der BK-Prävention nach § 3 Abs. 2 BKV. Weil überdies bei der Tätigkeit als Betonarbeiter keine konkrete, individuelle BK-Gefahr durch lang andauernde, schädigende, besondere Arbeitseinwirkungen droht, muss auch die vom Kläger geltend gemachte entsprechende Anwendung des § 3 Abs. 2 BKG scheitern. Denn weder der unzweideutige Wortlaut noch der Sinn und Zweck der BK-Prävention lassen es zu, den Anspruch auf eine Übergangsleistung im Rahmen der BK-Prävention auf die Fälle allgemeiner Unfallverhütung und Gesundheitsvorsorge zu übertragen. Solange nicht jede arbeitsbedingte Erkrankung wie ein Arbeitsunfall entschädigt werden kann, sondern nur eine besonders bezeichnete BK, muss die BK-Prävention des § 3 BKV die Listengrenze der BKV einhalten. Insoweit besteht auch, wie die im Wortlaut eindeutige Ermächtigungsnorm des § 9 Abs. 6 Nr. 1 SGB VII bestätigt, keine Regelungslücke. Übergangsleistungen bei einer BK sind im Übrigen keine echten Entschädigungsleistungen, die einen konkreten Vermögensschaden ausgleichen sollen, worauf der Kläger aber abhebt, sondern sachbezogene Maßnahmen der Vorbeugung und der Krankheitsverhütung.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Entschädigung nach Eintritt eines Arbeitsunfalls in Form einer Verletztenrente keine konkret am bisher erzielten Erwerbseinkommen orientierte Leistung ist, sondern als abstrakte Schadensberechnung erfolgt. Denn die unfallbedingte MdE bezieht sich auf die verminderten Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, d.h. dem sogenannten allgemeinen Arbeitsmarkt, wie sich aus § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII ergibt. Der bisherige Beruf oder die bisherige berufliche Tätigkeit ist deshalb - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen im Sinne des § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB VII abgesehen - grundsätzlich nicht entscheidend für die Höhe der unfallbedingten MdE. Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn unter Wahrung des Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde (vgl. BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 7). Dabei muss es sich um wirtschaftlich messbare Beeinträchtigungen der Nutzung erworbener besonderer Kenntnisse und Erfahrungen handeln, die eine durch die bisher verrichtete Tätigkeit erworbene besonders günstige Stellung im allgemeinen Erwerbsleben mindern (vgl. BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2). Daran fehlt es im Fall des Klägers.
3. Soweit der Gesetzgeber zum Ausgleich eines Minderverdienstes bei Arbeitsunfällen eine dem § 3 Abs. 2 BKV entsprechende Regelung im Leistungskatalog nicht vorgesehen hat, verstößt dies auch nicht gegen Verfassungsrecht, namentlich nicht gegen Art. 2 und Art. 3 GG.
a) Der Kläger hat vorliegend schon nicht dargelegt, inwieweit hierdurch überhaupt seine allgemeine Handlungsfreiheit und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie sein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit betroffen sein sollen. Denn durch das Fehlen einer § 3 Abs. 2 BKV entsprechenden Regelung in Bezug auf Arbeitsunfälle werden dem Kläger keine Rechtspflichten auferlegt. Alle in Art. 2 GG normierten Grundrechte sind als Freiheitsrechte formuliert (vgl. Murswiek in Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 2, Rn. 7) und als solche in erster Linie Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe (vgl. Murswiek, a.a.O., Rn. 18). Dies bedeutet, dass - formell - Exekutive und Judikative in die grundrechtlich geschützten Freiheiten nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung eingreifen dürfen und - materiell - der Gesetzgeber nicht jede beliebige Freiheitseinschränkung vornehmen darf, sondern diese Befugnis durch die Grundrechte begrenzt wird. Überdies erwächst aus Art. 2 GG ein Anspruch des einzelnen gegen den Staat auf Schutz gegen Eingriffe Dritter in grundrechtliche Schutzgüter (vgl. Murswiek, a.a.O., Rn. 24). Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob das Fehlen einer § 3 Abs. 2 BKV entsprechenden Regelung zum Ausgleich eines Minderverdienstes bei Arbeitsunfällen überhaupt den Schutzbereich des Art. 2 GG berührt. Denn aus einem eventuellen Verstoß gegen das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) erwachsen dem Grundrechtsträger keine konkreten Sozialleistungsansprüche, die über die Sicherung des unverzichtbaren, menschenwürdigen Existenzminimums hinausgehen (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 2, Rn. 93 sowie Murswiek, a.a.O., Rn. 38 und 224). Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nur verpflichtet, in Würdigung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und der Schutzgüter aus Art. 2 Abs. 2 GG im Inland lebenden Bedürftigen das zur physischen Existenz Unerlässliche zu gewähren (vgl. BSG SozR 4-2500 § 62 Nr. 6, Rn. 31). In der Nichtgewährung einer staatlichen Leistung liegt indes kein Grundrechtseingriff, weil nicht die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte betroffen ist. Art. 2 GG konkretisiert insoweit Pflichten bzw. Ansprüche, die sich aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) ergeben (vgl. BVerfGK 20, 316 ff., Rn. 20). Diese Verpflichtung begründet jedoch keine Ansprüche auf konkrete unfallversicherungs¬rechtliche Leistungen (vgl. BVerfGK 1, 182 ff., Rn. 10).
b) Das Fehlen einer § 3 Abs. 2 BKV entsprechenden gesetzlichen Regelung eines Minder-verdienstausgleichs auch bei Arbeitsunfällen verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem wie auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), u.a. in BVerfGE 103, 310, 318; 112, 268, 278 und 116, 164, 180, ferner BSGE 107, 261 ff.). Die Tatsache, dass Versicherte, anders als Arbeitsunfallgeschädigte, unter besonderen, schädigenden Einwirkungen arbeiten müssen, die eine in zeitlich zunehmendem Maße anwachsende, individuelle BK-Gefahr begründen, ist für die Beschränkung des Anspruchs auf Übergangsleistungen im Sinne des § 3 Abs. 2 BKV auf BK-Gefährdete ein sachlicher Unterscheidungsgrund, der mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist (vgl. nochmals BSG vom 16.03.1995 - 2 RU 18/94 - (Juris)). Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass im Sozialversicherungsrecht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung konkreter Leistungen ein weiter Spielraum zusteht (vgl. BVerfGE 113, 167, 215), der auch unterschiedliche Konzepte für verschiedene Bereiche umfasst (BVerfGE 97, 271, 297). Wenn der Gesetzgeber nach einem einmal eingetretenen Arbeitsunfall nicht die entsprechenden Maßnahmen der Vorbeugung und Krankheitsverhütung wie im Vorstadium der Gefahr des Eintritts einer BK vorsieht, erscheint dies nicht als willkürliche Differenzierung, sondern als sachbezogen (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Seite 30f.).
4. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.
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