S 24 AS 2987/15

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
24
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 24 AS 2987/15
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Fälligkeit einer formell ordnungsgemäßen und prüffähigen Betriebskostenabrechnung wird durch einen Widerspruch gegen die Betriebskostenabrechnung, der auf die Überprüfung ihrer materiellen Rechtmäßigkeit gerichtet ist, nicht gehemmt oder verändert.

2. Ein bestehendes und ausgeübtes Zurückbehaltungsrecht des Mieters hemmt die Fälligkeit der gegen ihn bestehenden Forderung bis zur Erfüllung seiner fälligen Gegenforderung. Wenn der Vermieter dem Mieter die Überprüfung der Abrechnung durch Einsichtnahme in die der Abrechnung zugrunde liegenden Unterlagen angeboten hat, besteht seitens des Mieters kein Zurückbehaltungsrecht für die Nachforderungen aus der Abrechnung.

3. Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts muss, insbesondere von einer anwaltlich vertretenen Person, hinreichend deutlich gemacht werden und ergibt sich nicht bereits allein aus der Weigerung, eine fällige Forderung zu begleichen.
Die Klage wird abgewiesen. Es sind keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Nachforderungen aus den Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2012 und 2013 im Jahr 2015 als Bedarf der Kosten der Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen und vom Beklagten zu übernehmen sind.

Die Klägerin stand in der Zeit vom 24.10.2006 bis 31.12.2007 sowie in der Zeit 01.08.2014 bis Oktober 2015 im Leistungsbezug beim Beklagten.

Sie hatte mit Schreiben vom 10.06.2013 die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2012 im Juni 2013 sowie mit Schreiben vom 02.06.2014 die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2013 im Juni 2014 erhalten und jeweils Widerspruch gegen die Abrechnungen gegenüber ihrem Vermieter eingelegt. Darin forderte sie diverse Erläuterungen zu den Abrechnungen an. Insbesondere machte sie geltend, die Ablesewerte seien nicht nachvollziehbar.

Das Anschreiben zu der Betriebskostenabrechnung vom 10.06.2013 enthielt den Hinweis, dass alle den Abrechnungen zugrundeliegenden Belege nach Absprache eingesehen werden könnten und die Nachforderung im Falle einer vorhandenen Lastschriftermächtigung mit der Miete des folgenden Monats eingezogen werden würden bzw. bei fehlender Lastschriftermächtigung bis zum Ende des Monats Juni 2013 zu überweisen sei.

Nachdem der Vermieter die angeforderten Erläuterungen und Nachweise unter dem 05.05.2015 vorgelegt hatte, hatte sich der Widerspruch aus Sicht der Klägerin erledigt. Die Klägerin beantragte am 16.07.2015 die Übernahme der Nachforderung aus der Be-triebskostenabrechnung für das Jahr 2012 und am 18.08.2015 die Übernahme der Nachforderung aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2013.

Dies lehnte der Beklagte mit Bescheiden zwei gesonderten vom 26.08.2015 ab. Die dagegen gerichteten Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte mit zwei gesonderten Widerspruchsbescheiden vom 02.10.2015 zurück und begründete dies damit, dass sich die Klägerin in der Zeit vom 01.01.2008 bis zum 31.07.2014, in welchem beide Nachforderungen fällig geworden seien, nicht im Leistungsbezug beim Beklagten befunden habe. Die Nachforderungen seien jeweils mit Zugang der Abrechnungen bei der Klägerin fällig geworden, da sie formell ordnungsgemäß erteilt worden seien; rein inhaltliche Mängel hätten keinen Einfluss auf deren Fälligkeit.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Nachforderungen aus den Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2012 und 2013 seien nicht mit Zugang der Nachforderungen fällig geworden. Die Fälligkeit sei aufgrund der Widersprüche erst mit der Erledigung durch die Erläuterungen des Vermieters im Jahr 2015 eingetreten. Darüber hinaus habe zumindest ein Zurückbehaltungsrecht der Klägerin gegenüber dem Vermieter bestanden, so dass der Bedarf aus den Nebenkostenabrechnungen erst nach Klärung der fraglichen Punkte durch den Vermieter entstanden sei. Da sich die Klägerin zu diesem Zeitpunkt im ALG II-Bezug befunden habe, seien die Nachforderungen aus den Abrechnungen vom Beklagten zu übernehmen.

Die Klägerin beantragt:

Der Bescheid des Beklagten vom 26.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids W-09402-01311/15 vom 02.10.2015 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 309,86 Euro aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung für das Jahr 2012 zu gewähren. Der Bescheid des Beklagten vom 26.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids W-09402-01312/15 vom 02.10.2015 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, der Klägerin einen Betragt in Höhe von 616,95 Euro aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung für das Jahr 2013 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen seine Begründung aus den Wider-spruchsbescheiden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten, insbesondere zu den Betriebskostenabrechnungen, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihre Zustimmung hierzu erklärt haben.

Die nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Nachforderungen aus den Be-triebskostenabrechnungen ihres Vermieters für die Jahre 2012 und 2013 als Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung im vorliegenden Bewilligungszeitraum 2015 gegen den Beklagten aus § 22 Abs.1 S. 1 SGB II.

Nach dieser Vorschrift werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Hierdurch erfasst werden nicht nur Leistungen für laufende, sondern auch für einmalige Kosten für Unterkunft und Heizung. Soweit eine Nachforderung von Unterkunfts- und/oder Heizkosten in einer Summe fällig wird, gehört sie im Fälligkeitsmonat zum tatsächlichen, aktuellen Bedarf (vgl Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 9/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 50 Rn.14 - zitiert nach juris; BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 40/14 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr 83, Rn. 13- zitiert nach juris).

Die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2012 ist entsprechend dem Anschreiben des Vermieters der Klägerin vom 10.06.2013 zum 30.06.2013 (bei Überweisung) bzw. im Juli 2013 (bei Einzugsermächtigung) fällig geworden und stellte damit in diesem Monat einen Bedarf der Klägerin dar. Die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2013 ist gemäß § 271 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit Zugang der Abrechnung bei der Klägerin im Juni 2014 fällig geworden und zählt in diesem Monat zum Bedarf der Klägerin. Beide Abrechnungen stellen damit keinen Bedarf im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum 2015 dar, sondern vielmehr in Zeiten, in denen die Klägerin nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II gewesen ist. Der Eintritt der Fälligkeit setzt nicht voraus, dass nach Erteilung der Abrechnung zunächst eine angemessene Frist zu ihrer Überprüfung durch den Mieter verstrichen ist. Gemäß § 271 Abs. 1 BGB kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen, wenn eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist. Der Anspruch des Vermieters auf Bezahlung der vom Mieter zu tragenden Betriebskosten wird daher grundsätzlich mit der Erteilung der formell ordnungsgemäßen Abrechnung fällig (s. u.a. Senatsurteil vom 09.03.2005 - VIII ZR 57/04, NJW 2005, 1499, unter II 3 c m.w.N.; BGH Urteil vom 11.11.2004 - IX ZR 237/03, NJW-RR 2005, 487, unter 1 b; BGH, Urt. v. 08.03.2006 - VIII ZR 78/05 Rn. 20 - zitiert nach juris). Dies gilt vorliegend für die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2013. Hinsichtlich der Betriebskos-tenabrechnung für das Jahr 2012 hat der Vermieter die Fälligkeit der Nachforderung auf den 30.06.2013 bei Überweisung bzw. auf den Zeitpunkt der Mieteinziehung im Juli 2013 bei Einzugsermächtigung festgelegt.

Beide Abrechnungen waren formell ordnungsgemäß und prüffähig. Um die Anforderungen an eine formell ordnungsgemäße Abrechnung zu erfüllen, muss eine Nebenkostenabrechnung folgende Punkte enthalten:

Eine Zusammenstellung der Gesamtkosten, die Angabe und Erläuterung der zu Grunde gelegten Verteilerschlüssel, die Berechnung des Anteils des Mieters und den Abzug der geleisteten Vorauszahlungen

(ständige Rechtsprechung, u.a. BGH, Urt. v. 20.10.2010 - VIII ZR 73/10). Dabei muss sie in den Einzelangaben und in der Gesamtheit insgesamt so klar, übersichtlich und aus sich heraus verständlich sein, dass ein durchschnittlich gebildeter Mieter sie nachvollziehen und den Saldo rechnerisch nachprüfen kann (ständige Rechtsprechung, u.a. BGH, Urteil vom 07.12.2011 - VIII ZR 118/11).

Die beiden streitgegenständlichen Betriebskostenabrechnungen der Klägerin für die Jahre 2012 und 2013 erfüllen diese Voraussetzungen, sodass sich die ursprünglichen Fälligkeiten der Nachforderungen durch die Widersprüche der Klägerin nicht verändert haben.

Der Klägerin stand auch kein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Vermieter zu.

Zwar kann dem Mieter gegenüber der Nachforderung des Vermieters ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zustehen, solange der Vermieter ihm keine Überprüfung der Abrechnung ermöglicht (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, 299; LG Frankfurt am Main, WuM 1997, 52; Schmidt-Futterer/Langenberg, Mietrecht, 8. Auflage, § 566 Rn. 495 f., BGH, Urteil vom 08. März 2006 – VIII ZR 78/05 –, Rn. 21, juris). Der Vermieter hat der Klägerin jedoch bereits im Anschreiben vom 10.06.2013 zur Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2012 die Einsichtnahme in die der Abrechnung zugrunde liegenden Belege nach vorheriger Terminabsprache angeboten und ihr damit eine ausreichende Überprüfung ihrer Abrechnung ermöglicht (BGH, Urteil vom 08. März 2006 – VIII ZR 78/05 –, Rn. 21, juris).

Dass die Klägerin von einer Einsichtnahme durch Schreiben Ihrer Prozessbevollmächtigten vom 03.07.2014 aus Gründen der Einfachheit jedoch nach eigenem Willen und ohne Zutun des Vermieters Abstand genommen hat und stattdessen um Überlassung der Kopien gebeten hat, ändert an der Erfüllung des Anspruchs der Klägerin auf Ermöglichung der Einsichtnahme in die Abrechnungsbelege durch den Vermieter nichts. Zudem wurden die angeforderten Belege der Klägerin vom Vermieter auf Anfrage auch überlassen. Er ist damit seinen Verpflichtungen, deren Verletzung die Klägerin zu einem möglichen Zurückbehalten berechtigt hätte, vollumfänglich nachgekommen. Die sich an die Einsichtnahme anschließende inhaltlichen Prüfung der Unterlagen begründet hingegen kein Zurückbehaltungsrecht der Klägerin. Da ein Zurückbehaltungsrecht be-reits aus den genannten Gründen ausgeschlossen war, war eine Prüfung des Mietvertrages auf einen nicht unüblichen entsprechenden Ausschluss eines Zurückbehaltungsrechts nicht notwendig.

Im Übrigen geht aus den vorgelegten Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Vermieter der Klägerin auch nicht hinreichend hervor, dass diese gegenüber dem Vermieter ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen wollten, welches - wie oben dargelegt - auch nicht bestanden hätte.

II.

Es besteht derzeit auch kein Anspruch auf Übernahme der Schulden aus den Betriebs-kostenabrechnungen im Wege eines Darlehens oder (im atypischen Fall) eines Zuschusses nach § 22 Abs. 8 SGB II gegenüber dem Beklagten. Nach dieser Vorschrift können, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (Satz 1). Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2). Dabei ist Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 ist vorrangig einzusetzen (3). Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (4). Das Klagebegehren der anwaltlich vertretenen Klägerin ist ersichtlich nicht auf die Gewährung eines Darlehens gerichtet. Ein atypischer Fall, in dem Geldleistungen als Zuschuss erbracht werden können, liegt hier nicht vor. Sofern die Klägerin von dem Beklagten ein Darlehen zur Deckung der streitgegenständlichen Nachforderungen begehren würde, wäre zunächst zu prüfen, ob bei der Klägerin sogenanntes Schonvermögen nach § 12 Abs. 2 S.1 Nr. 1 SGB II vorhanden ist, welches dann vorrangig einzusetzen wäre. Zudem ist nicht erkennbar, dass ein solches Darlehen zur Sicherung zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage notwendig wäre, da weder der Verlust der Wohnung droht noch eine vergleichbare Notlage ersichtlich ist. So steht es der Klägerin beispielsweise offen, zur Begleichung der offenen Forderungen des Vermieters mit diesem eine entsprechende Ratenzahlungsvereinbarung anzustreben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Berufung ist gemäß § 143 SGG zulässig, da die mit der Klage begehrten Übernahmen der Nachforderungen aus den Betriebskostenabrechnungen der Jahre 2012 und 2013 insgesamt einen Geldwert in Höhe von 750 Euro übersteigen ( kein Ausschluss nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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