L 1 KR 197/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 129/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 197/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. November 2014 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Kosten eines Widerspruchsverfahrens.

Mit Beschluss vom 1. Mai 2004 hat das Amtsgericht Cottbus über das Vermögen der K. N. wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter ist der Kläger bestimmt worden. Die Beklagte führte am 20. Mai 2008 bei K. N. eine Betriebsprüfung (Prüfzeitraum vom 1. Mai 2004 bis zum 30. Juni 2004) durch.

Mit gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der insolventen K. N. erlassenen Bescheid vom 26. Mai 2008 forderte die Beklagte Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von insgesamt 5.535,17 EUR als Masseverbindlichkeiten nach. Die Beklagte forderte unter Fristsetzung die Zahlung dieses Betrages an die jeweiligen Einzugsstellen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass für die in der dem Bescheid angeführten Anlage genannten Arbeitnehmer die Erstellung und Einreichung eines Beitragsnachweises unterblieben sei. Diese fehlenden Beitragsnachweise würden hiermit im Rahmen der Prüfung erstellt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass der Zeitraum, für den Beiträge und Umlagen nachgefordert würden, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liege. Für diesen Zeitraum seien von der Bundesagentur für Arbeit Leistungen an die betroffenen Arbeitnehmer nach § 143 Drittes Buch Sozialgesetzbuch a. F. (SGB III) erbracht worden. Darin seien Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung enthalten gewesen. Damit werde nach § 335 Abs. 3 SGB III der Arbeitgeber, also nunmehr er als Insolvenzverwalter, von seiner Pflicht, insoweit Beiträge an die Kranken- und Rentenversicherung abzuführen, befreit. Vielmehr seien entsprechende Ansprüche nach § 115 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen und müssten von ihr geltend gemacht werden. Lediglich in Höhe der Differenz zwischen geschuldetem Arbeitslohn und dem von der Bundesagentur für Arbeit gewährten Leistungen bestehe eine Pflicht des Insolvenzverwalters, Beiträge an die Einzugsstelle abzuführen. Der Bescheid sei entsprechend zu korrigieren.

Nach Rücksprache mit den Einzugsstellen teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er als Insolvenzverwalter von den Krankenkassen jeweils nur für einen Betrag abzüglich der Anspruchsübergänge auf die Bundesagentur für Arbeit nach § 335 Abs. 3 und Abs. 5 SGB III in Anspruch genommen werde.

Der Kläger erklärte daraufhin mit Schreiben vom 16. März 2010 die Hauptsache für erledigt und beantragte die Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheiden vom 31. Mai 2010 und vom 7. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2011 ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass dem Kostenerstattungsantrag nicht entsprochen werden könne, weil der Widerspruch nicht erfolgreich gewesen sei. Er sei zurückgenommen worden. Der Beitragsbescheid vom 26. Mai 2008 sei auch in seiner Ursprungsform unverändert geblieben. Ohne die abgegebene Erledigungserklärung hätte der Widerspruch zurückgewiesen werden müssen.

Die hiergegen gerichtete Klage vom 27. April 2011 hat das Sozialgericht Potsdam mit Urteil vom 28. November 2014 zurückgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26. Mai 2008 nicht stattgegeben worden sei. Er habe den Widerspruch zurückgenommen. Der "Bescheid vom 26. Mai 2008 setz(e) vor allen Dingen ausbleibende Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 5.582,17 EUR als Masseschuld fest. An diesem Ergebnis (habe) sich auch nach Rücknahme des Widerspruchs nichts geändert. Der vom Kläger eingelegte Widerspruch (habe) sich auch nicht gegen die Höhe der als Masseschuld festgesetzten Sozialversicherungsbeiträge (gerichtet), sondern im Ergebnis lediglich dagegen, an wen er, der Kläger, diese Masseschuld zu begleichen (habe)." Mit Blick auf die festgestellte Gesamtsozialversicherungsforderung als Masseschuld habe der Widerspruch des Klägers keine Änderung herbeigeführt. Insofern habe er auch nicht erfolgreich sein können.

Gegen dieses im August 2015 zugestellte Urteil richtet sich die bereits am 28. Mai 2015 erhobene Berufung des Klägers. Zur Begründung trägt er vor, dass er den Widerspruch entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts nicht zurückgenommen habe. Er habe ihn für erledigt erklärt. Diese Erklärung sei zeitlich nach der Zusicherung durch die Beklagte mit Schreiben vom 1. März 2010 erfolgt, dass die Insolvenzmasse nur in Höhe der Sozialversicherungsbeiträge abzüglich der Anspruchsübergänge auf die Bundesagentur für Arbeit in Anspruch genommen werde. Die Beklagte habe ausdrücklich zugesichert, dass von keiner der betroffenen Krankenkassen die Insolvenzmasse für Anspruchsübergänge auf die Bundesagentur in Anspruch genommen werde. Eben dies sei die Rechtsfolge des § 335 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Diese Befreiung von der Pflicht zur Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe der von der Bundesagentur für Arbeit bereits geleisteten Beiträge, habe der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2008 nicht berücksichtigt. Schließlich sei dieser Bescheid auch unbestimmt. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Den Verfügungssatz der Beklagten mit Bescheid vom 26. Mai 2008 sei aber gerade nicht zu entnehmen, ob und inwieweit nunmehr Sozialversicherungsbeiträge zur Zahlung festgesetzt würden, also welche bereits aufgrund der Rechtsfolge des § 335 Abs. 3 Satz 2 SGB III von dem Kläger nicht zu erstatten und insbesondere von der Bundesagentur für Arbeit bereits erfüllt worden seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. November 2014 und die Bescheide der Beklagten vom 31. Mai 2010 und vom 7. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 459,40 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das angefochtene Urteil sei nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Der Senat konnte in der Sache entscheiden. Die Voraussetzungen für die Zurückweisung der Sache an das Sozialgericht nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Zwar leidet das angefochtene Urteil an einem wesentlichen Mangel, weil es nicht innerhalb von fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014; § 134 RdNr. 4 m. w. Nachw.), sondern ausweislich der Schlussverfügung der Geschäftsstelle erst am 31. Juli 2015. Jedenfalls ist aber keine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig.

Rechtsgrundlage des Erstattungsbegehrens des Klägers ist § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach hat, soweit ein Widerspruch erfolgreich war, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der den Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2008 war nicht erfolgreich. Die Beklagte war befugt, die Nachforderungssumme gegenüber dem Kläger durch Nachforderungsbescheid mit Fälligstellung und Zahlungsfristsetzung festzusetzen. Sie durfte die rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen auch in der in dem Bescheid genannten Höhe verlangen. Der angefochtene Bescheid war auch inhaltlich hinreichend bestimmt.

Rechtsgrundlage des Bescheides der Beklagten vom 26. Mai 2008 ist § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob dieser ihrer Meldepflicht und ihren sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

Dieser Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten steht nicht entgegen, dass über das Vermögen der insolventen Arbeitgeberin mit Wirkung zum 1. Mai 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Denn der Leistungs- und Zahlungsbescheid der Beklagten vom 26. Mai 2008 ist erst die Grundlage für ein nachfolgendes Beitragsverfahren. Ob ein solcher Bescheid letztendlich vollstreckt werden darf oder ob die zwangsweise Durchsetzung der Beitragsforderung wegen eines insolvenzrechtlichen Vollstreckungsverbots ausscheidet, ist erst auf der späteren Ebene von den Krankenkassen (als Einzugsstellen) beim Einzug der Beiträge und hier in einem letzten, selbständigen Verfahrensabschnitt zu prüfen, wenn die vom Arbeitgeber geschuldete Beitragssumme nicht freiwillig gezahlt wird (Urteil des BSG vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R -, zitiert nach juris). In diesem Sinne regelt ein im Rahmen einer Betriebsprüfung erlassener Leistungs- bzw. Zahlungsbescheid des Rentenversicherungsträgers für die Einzugsstellen verbindlich die maximale Höhe der (rückständigen) Gesamtsozialversicherungsbeiträge als Ausgangsbasis für den Beitragseinzug (BSG, a. a. O.).

Der widersprochene Bescheid war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte im Hinblick auf § 335 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 SGB III gehalten gewesen wäre, die rückständigen Beiträge von Beginn an in niedrigerer Höhe zu ermitteln oder ihre Summe im Widerspruchsverfahren im Wege der Teilabhilfe bzw. später durch Bescheidkorrektur zu reduzieren. Denn diese Befreiung des Arbeitgebers von der Verpflichtung zur Errichtung von (Gesamt-)sozialversicherungsbeiträgen nach § 335 Abs. 3 Satz 2 SGB III gibt diesen nicht einen von den Rentenversicherungsträgern bei der Festsetzung von Beitragsnachforderungen im Rahmen einer Betriebsprüfung zu beachtenden Erfüllungseinwand. Mit der Beitragszahlung durch die Bundesanstalt für Arbeit anlässlich einer "Gleichwohlgewährung" erfüllt diese nicht etwa eine Beitragsschuld des Arbeitgebers, sondern eine eigene Beitragsschuld; denn die Bundesagentur führt Beiträge – wegen einer Versicherungspflicht aufgrund des Leistungsbezuges - ab und nicht etwa wegen einer Versicherungspflicht aufgrund (fortbestehender) Beschäftigung auf das Arbeitsentgelt (BSG, a. a. O.).

In diesem Sinne verschafft § 335 Abs. 3 Satz 2 SGB III dann, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen, dem Arbeitgeber nur einen Einwand der Zahlungsbefreiung, der verhindern soll, dass der Arbeitgeber der Gefahr einer Doppelbelastung ausgesetzt ist.

Im Hinblick hat die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 1. März 2010 lediglich diesen Sachverhalt mitgeteilt und darüber hinaus nach Rücksprache mit den Krankenkassen abgeklärt, dass er von keiner der betroffenen Krankenkassen für Anspruchsübergänge der Bundesagentur für Arbeit nach § 335 Abs. 3 und Abs. 5 SGB III in Anspruch genommen werde. Eine Korrektur des Bescheides vom 26. Mai 2008 ist mit diesem Schreiben nicht erfolgt. Die durch die Beklagte festgesetzte Nachforderungssumme ist im vorgenannten Sinne als Grundlagenbescheid nicht zu beanstanden.

War die Beklagte nach alldem berechtigt, die (rückständigen) Gesamtsozialversicherungsbeiträge nebst Umlagen in voller Höhe festzusetzen, so ist dieser Bescheid auch in Übereinstimmung mit § 33 Abs. 1 SGB X inhaltlich hinreichend bestimmt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 161 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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