Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KA 6713/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 1950/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.01.2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 929,16 EUR endgültig festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen eine im Wege des linearen Budgetausgleichs verfügte Honorarkürzung.
Der Kläger nimmt an der vertragszahnärztlichen Versorgung mit Vertragszahnarztsitz in St. teil.
Mit Bescheid vom 19.04.2012 kürzte die Beklagte das Honorar des Klägers für das Kalenderjahr 2010 im Leistungsbereich ZEH-PK (Zahnerhaltung-Primärkassen) im Wege des linearen Budgetausgleichs um 929,16 EUR (Individuelle Bemessungsgrundlage (IBG) des Klägers für das Honorarkontingent (Honorartopf) ZEH-PK 116.669,88 EUR; Ist-Honorar 93.288,98 EUR; Kürzungssatz 0,996 %).
Am 21.05.2012 erhob der Kläger Widerspruch. Da die Differenz zwischen seiner IBG und seinem Ist-Honorar im Leistungsbereich ZEH-PK minus 23.380,90 EUR betrage, seine IBG also nicht überschritten worden sei, sei es nicht adäquat, in diesem Leistungsbereich erneut eine Kürzung - in diesem Falle um 0,996 % (929,16 EUR) - vorzunehmen.
Nachdem die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 16.05.2012 die Rechtslage erläutert hatte, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2013 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die lineare Honorarkürzung beruhe auf § 3 Abs. 1 des Honorarverteilungsmaßstabs in der für das Jahr 2010 geltenden Fassung (HVM 2010); die Vorschrift sei gültig, der HVM 2010 sei bereits mehrfach gerichtlich überprüft und für rechtmäßig befunden worden. Man habe aus Vereinfachungsgründen beschlossen, bei Überschreitung einzelner Honorartöpfe um weniger als 1 % keine individuellen Rückforderungsbeträge zu ermitteln. Stattdessen würden die Vergütungsansprüche aller Vertragszahnärzte in diesem Honorartopf gleichermaßen anteilig reduziert. Das führe u. U. dazu, dass auch bei Vertragszahnärzten, die den betreffenden Honorartopf selbst nicht überschritten hätten, ein gewisser Rückforderungsbetrag entstehe. Der Betrag pro Vertragszahnarzt werde durch Multiplikation des Anteiles des eigenen Umsatzes am Gesamtumsatz im Honorartopf mit der Gesamtforderung der Krankenkassen in diesem Honorartopf ermittelt. Große Praxen bzw. Praxen mit höherem Umsatz im betreffenden Honorartopf würden somit stärker belastet als Praxen mit geringerem Umsatz. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) habe mit Urteil vom 30.06.2010 (- S 10 KA 2625/08 -, nicht veröffentlicht) unter Verweis (u.a.) auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 09.12.1998 (- L 5 KA 3531/96 -, nicht veröffentlicht) erneut die Rechtmäßigkeit der linearen Honorarkürzung bestätigt. Die dem zugrundeliegende HVM-Regelung sei darauf gerichtet, die Honorarforderung in Übereinstimmung mit dem Gesamtvergütungsvolumen zu bringen, wenn dieses nicht ausreiche, um die von den Vertragszahnärzten erbrachten Leistungen mit den vereinbarten vollen Punktwerten zu vergüten; damit verfolge die Regelung einen legitimen Zweck. Der einzelne Vertragszahnarzt werde nicht ohne sachlichen Grund benachteiligt. Die lineare Kürzung betreffe alle Vertragszahnärzte des betroffenen Leistungsbereichs gleichermaßen, wobei die Höhe der Kürzung den individuellen Anteil an der Gesamtvergütung und den individuellen Anteil an der Überschreitung der Gesamtvergütung, wenngleich pauschalierend, berücksichtige. Nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung müsse nicht danach unterschieden werden, in welcher Höhe der einzelne Vertragszahnarzt ein ihm zugeteiltes individuelles Budget überschritten habe. Zum einen seien die Kürzungen nämlich äußerst geringfügig und beträfen nicht einmal 1 % des Honorars; sie hätten damit keinen nennenswerten Einfluss auf die Führung der Praxis. Zum anderen würde die Berechnung individueller Bemessungsgrundlagen angesichts der Vielzahl der Vertragszahnärzte einen hohen Verwaltungsaufwand erfordern. Eine pauschalierende Regelung in Bezug auf eine derart geringe Honorarkürzung sei damit sachgerecht und angemessen. Sie habe zur Verwaltungsvereinfachung eine pauschalierende und generalisierende Betrachtungsweise vornehmen dürfen. Der HVM 2010, der mit den Krankenkassen vereinbart worden sei, beruhe auf den Beschlüssen ihrer Vertreterversammlung. Das von der Vertragszahnärzteschaft durch Wahl demokratisch legitimierte Organ habe sich somit dafür entschieden, die Vergütungsansprüche bzw. die Kürzungen bei Überschreitung der höchstzulässigen Gesamtvergütung auf unterschiedliche Art zu berechnen, abhängig davon, ob in einem Honorartopf die Gesamtüberschreitung über oder unter 1 % liege.
Am 28.11.2013 erhob der Kläger Klage beim SG. Er trug vor, die angefochtene Entscheidung verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), auch sei die Freiheit der Berufsausübung und die Menschenwürde tangiert. Er habe seine IBG für das Jahr 2010 nicht überschritten. Sein Ist-Honorar im Leistungsbereich ZEH-PK betrage lediglich 23.380,90 EUR. Eine erneute Kürzung des Honorars um 0,996 % sei für ihn nicht nachvollziehbar. Er habe sich hinsichtlich seiner IBG völlig korrekt verhalten. Der gesunde Menschenverstand besage, dass man nur demjenigen etwas abziehen könne, der auch etwas überschritten habe. Die Beklagte solle deswegen alle Vertragszahnärzte, die ihre IBG überschritten hätten, in einen Topf werfen und nur bei diesen Honorarkürzungen vornehmen, unabhängig davon, ob sie das linear oder individuell durchführen wolle und ob die Honorarkürzung über oder unter 1 % liege. Vertragszahnärzte, die ihre IBG überschritten hätten, lebten auf Kosten der Vertragszahnärzte, die ihre IBG nicht überschritten hätten, und nur bei ihnen sei eine Kürzung angezeigt.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie trug ergänzend vor, die baden-württembergische Sozialgerichtsbarkeit habe die der Verteilung des vertragszahnärztlichen Honorars zugrundliegenden HVM-Regelungen in ständiger Rechtsprechung für rechtmäßig befunden. Das LSG Baden-Württemberg habe im Urteil vom 01.07.2009 (- L 5 KA 1977/07 -, nicht veröffentlicht) insoweit eine umfassende Würdigung vorgenommen und sich dabei auch mit der - der hier maßgeblichen Regelung inhaltsgleichen Regelung - des HVM für das Jahr 2002 befasst. Gemäß § 2 HVM 2010 würden die Gesamtvergütungen in vier Honorartöpfe aufgeteilt. Werde die Gesamtvergütung in einem der Honorartöpfe (mit den Honoraranforderungen) überschritten, richte sich die Honorarverteilung nach § 3 HVM 2010. Sei die Überschreitung größer als 1 %, gelte § 3 Abs. 2 HVM 2010 mit der Folge, dass ein Vergütungsanspruch zunächst bis zur Höhe der dem Vertragszahnarzt zugeteilten IBG bestehe. Darüber hinaus erfolge eine Honorarverteilung über die Restvergütung (§ 3 Abs. 2 Satz 3 HVM 2010). Betrage die Überschreitung - wie hier - (nur) bis zu 1 %, reduzierten sich gemäß § 3 Abs. 1 HVM 2010 die Vergütungsansprüche aller Zahnärzte entsprechend linear. Deshalb komme es auch zu einer Honorarkürzung beim Kläger, obwohl er seine IBG nicht überschritten habe. Die Rechtmäßigkeit dieser (pauschalen) linearen Kürzung sei bereits mehrfach gerichtlich bestätigt worden (zuletzt SG Stuttgart, Urteil vom 30.06.2010, - S 10 KA 2625/08 -, nicht veröffentlicht).
Mit Urteil vom 30.01.2015 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2013 (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz, SGG) aus, die Klage sei unbegründet, die mit den angefochtenen Bescheiden verfügte lineare Honorarkürzung sei rechtmäßig. Die vom Kläger behauptete Grundrechtsverletzung liege nicht vor; der Kläger verkenne insoweit die Tragweite der Grundrechte. Unerheblich sei, dass er im Jahr 2010 seine IBG nicht überschritten habe. Die der linearen Honorarkürzung zugrundeliegende Regelung des HVM 2010 (§ 3 Abs. 1) sei rechtsgültig (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.07.2009, - L 5 KA 1977/07 -, nicht veröffentlicht).
Gegen das ihm am 08.04.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.05.2015 Berufung eingelegt. Er wiederholt und bekräftigt sein bisheriges Vorbringen. Vorliegend würden die Grundprinzipien des Rechtsstaats eklatant verletzt; auch sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Man dürfe nur für Taten bestraft werden, die man auch begangen habe. Er habe seine IBG im Jahr 2011 (gemeint: 2010) nicht überschritten, weshalb die verfügte Honorarkürzung nicht nachvollziehbar sei. Er habe sich korrekt verhalten und dürfe daher nicht bestraft werden. Das Argument zu hohen Verwaltungsaufwands in Fällen der vorliegenden Art weise er zurück; für die notwendigen Berechnungen genüge das "Mathematikniveau 4-5 Klasse" im Rahmen einer Dreisatzaufgabe. Die Rechtsauffassung des SG verstoße gegen den gesunden Menschenverstand.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.01.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 19.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2013 aufzuheben und ihm 929,16 EUR zurückzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt ebenfalls ihr bisheriges Vorbringen. Bei linearen Honorarkürzungen nach § 3 Abs. 1 HVM 2010 spiele die IBG keine Rolle. Die Zulässigkeit der linearen Honorarkürzung sei durch eine Vielzahl von Gerichtsurteilen bestätigt worden. Der Berechnungsaufwand bei der (individuellen) Kürzungsberechnung sei hoch; mit einer "Dreisatzaufgabe" - wie der Kläger meine - sei es nicht getan. So sei schon die Berechnung der IBG in vielen Fällen sehr komplex. Mit der linearen Honorarkürzung in Fällen der vorliegenden Art, die gerade nicht auf die IBG abstelle, werde die verwaltungsmäßige Umsetzung der Kürzung deutlich vereinfacht.
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er die Berufung, was vorliegend beabsichtigt sei, gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen kann, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger hat sich nicht mehr geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger hat sich nicht mehr geäußert.
Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist bei einem Kürzungsbetrag von 929,16 EUR überschritten. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat nimmt auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und ergänzend auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2013 Bezug (§§ 153 Abs. 1 und 2, 136 Abs. 3 SGG). Ergänzend sei angemerkt:
Der Kläger wiederholt zur Begründung der Berufung im Wesentlichen das Vorbringen, das bereits Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens gewesen ist und das das SG zu Recht für nicht erheblich befunden hat. Vorliegend geht es nicht um eine irgendwie geartete "Bestrafung", sondern um die Anwendung des § 3 Abs. 1 HVM 2010 und eine darauf gestützte lineare Honorarkürzung. Die genannte Vorschrift ist gültig und die darin vorgesehene lineare Honorarkürzung ist zulässig. Der Senat hat sich mit den der vertragszahnärztlichen Honorarverteilung zugrundeliegenden HVM-Regelungen, wie die Beklagte und das SG dargelegt haben, wiederholt befasst und diese nicht beanstandet (vgl. Senatsurteile vom 09.12.1998, - L 5 KA 3531/96 -, nicht veröffentlicht; vom 26.02.2003, - L 5 KA 1909/00 -, in juris; vom 01.07.2009, - L 5 KA 1977/07 -, nicht veröffentlicht); auch die hier streitige lineare Honorarkürzung ist in der Rechtsprechung des Senats nicht beanstandet worden. Rechtsstaatliche Prinzipien oder grundrechtliche Gewährleistungen sind nicht verletzt. Dafür genügt es nicht, dass der Kläger die HVM-Regelung zur linearen Honorarkürzung nicht akzeptieren will. Sie ist geltendes Recht, das die Beklagte anwenden muss und an das auch die Sozialgerichte gebunden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 929,16 EUR endgültig festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen eine im Wege des linearen Budgetausgleichs verfügte Honorarkürzung.
Der Kläger nimmt an der vertragszahnärztlichen Versorgung mit Vertragszahnarztsitz in St. teil.
Mit Bescheid vom 19.04.2012 kürzte die Beklagte das Honorar des Klägers für das Kalenderjahr 2010 im Leistungsbereich ZEH-PK (Zahnerhaltung-Primärkassen) im Wege des linearen Budgetausgleichs um 929,16 EUR (Individuelle Bemessungsgrundlage (IBG) des Klägers für das Honorarkontingent (Honorartopf) ZEH-PK 116.669,88 EUR; Ist-Honorar 93.288,98 EUR; Kürzungssatz 0,996 %).
Am 21.05.2012 erhob der Kläger Widerspruch. Da die Differenz zwischen seiner IBG und seinem Ist-Honorar im Leistungsbereich ZEH-PK minus 23.380,90 EUR betrage, seine IBG also nicht überschritten worden sei, sei es nicht adäquat, in diesem Leistungsbereich erneut eine Kürzung - in diesem Falle um 0,996 % (929,16 EUR) - vorzunehmen.
Nachdem die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 16.05.2012 die Rechtslage erläutert hatte, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2013 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die lineare Honorarkürzung beruhe auf § 3 Abs. 1 des Honorarverteilungsmaßstabs in der für das Jahr 2010 geltenden Fassung (HVM 2010); die Vorschrift sei gültig, der HVM 2010 sei bereits mehrfach gerichtlich überprüft und für rechtmäßig befunden worden. Man habe aus Vereinfachungsgründen beschlossen, bei Überschreitung einzelner Honorartöpfe um weniger als 1 % keine individuellen Rückforderungsbeträge zu ermitteln. Stattdessen würden die Vergütungsansprüche aller Vertragszahnärzte in diesem Honorartopf gleichermaßen anteilig reduziert. Das führe u. U. dazu, dass auch bei Vertragszahnärzten, die den betreffenden Honorartopf selbst nicht überschritten hätten, ein gewisser Rückforderungsbetrag entstehe. Der Betrag pro Vertragszahnarzt werde durch Multiplikation des Anteiles des eigenen Umsatzes am Gesamtumsatz im Honorartopf mit der Gesamtforderung der Krankenkassen in diesem Honorartopf ermittelt. Große Praxen bzw. Praxen mit höherem Umsatz im betreffenden Honorartopf würden somit stärker belastet als Praxen mit geringerem Umsatz. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) habe mit Urteil vom 30.06.2010 (- S 10 KA 2625/08 -, nicht veröffentlicht) unter Verweis (u.a.) auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 09.12.1998 (- L 5 KA 3531/96 -, nicht veröffentlicht) erneut die Rechtmäßigkeit der linearen Honorarkürzung bestätigt. Die dem zugrundeliegende HVM-Regelung sei darauf gerichtet, die Honorarforderung in Übereinstimmung mit dem Gesamtvergütungsvolumen zu bringen, wenn dieses nicht ausreiche, um die von den Vertragszahnärzten erbrachten Leistungen mit den vereinbarten vollen Punktwerten zu vergüten; damit verfolge die Regelung einen legitimen Zweck. Der einzelne Vertragszahnarzt werde nicht ohne sachlichen Grund benachteiligt. Die lineare Kürzung betreffe alle Vertragszahnärzte des betroffenen Leistungsbereichs gleichermaßen, wobei die Höhe der Kürzung den individuellen Anteil an der Gesamtvergütung und den individuellen Anteil an der Überschreitung der Gesamtvergütung, wenngleich pauschalierend, berücksichtige. Nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung müsse nicht danach unterschieden werden, in welcher Höhe der einzelne Vertragszahnarzt ein ihm zugeteiltes individuelles Budget überschritten habe. Zum einen seien die Kürzungen nämlich äußerst geringfügig und beträfen nicht einmal 1 % des Honorars; sie hätten damit keinen nennenswerten Einfluss auf die Führung der Praxis. Zum anderen würde die Berechnung individueller Bemessungsgrundlagen angesichts der Vielzahl der Vertragszahnärzte einen hohen Verwaltungsaufwand erfordern. Eine pauschalierende Regelung in Bezug auf eine derart geringe Honorarkürzung sei damit sachgerecht und angemessen. Sie habe zur Verwaltungsvereinfachung eine pauschalierende und generalisierende Betrachtungsweise vornehmen dürfen. Der HVM 2010, der mit den Krankenkassen vereinbart worden sei, beruhe auf den Beschlüssen ihrer Vertreterversammlung. Das von der Vertragszahnärzteschaft durch Wahl demokratisch legitimierte Organ habe sich somit dafür entschieden, die Vergütungsansprüche bzw. die Kürzungen bei Überschreitung der höchstzulässigen Gesamtvergütung auf unterschiedliche Art zu berechnen, abhängig davon, ob in einem Honorartopf die Gesamtüberschreitung über oder unter 1 % liege.
Am 28.11.2013 erhob der Kläger Klage beim SG. Er trug vor, die angefochtene Entscheidung verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), auch sei die Freiheit der Berufsausübung und die Menschenwürde tangiert. Er habe seine IBG für das Jahr 2010 nicht überschritten. Sein Ist-Honorar im Leistungsbereich ZEH-PK betrage lediglich 23.380,90 EUR. Eine erneute Kürzung des Honorars um 0,996 % sei für ihn nicht nachvollziehbar. Er habe sich hinsichtlich seiner IBG völlig korrekt verhalten. Der gesunde Menschenverstand besage, dass man nur demjenigen etwas abziehen könne, der auch etwas überschritten habe. Die Beklagte solle deswegen alle Vertragszahnärzte, die ihre IBG überschritten hätten, in einen Topf werfen und nur bei diesen Honorarkürzungen vornehmen, unabhängig davon, ob sie das linear oder individuell durchführen wolle und ob die Honorarkürzung über oder unter 1 % liege. Vertragszahnärzte, die ihre IBG überschritten hätten, lebten auf Kosten der Vertragszahnärzte, die ihre IBG nicht überschritten hätten, und nur bei ihnen sei eine Kürzung angezeigt.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie trug ergänzend vor, die baden-württembergische Sozialgerichtsbarkeit habe die der Verteilung des vertragszahnärztlichen Honorars zugrundliegenden HVM-Regelungen in ständiger Rechtsprechung für rechtmäßig befunden. Das LSG Baden-Württemberg habe im Urteil vom 01.07.2009 (- L 5 KA 1977/07 -, nicht veröffentlicht) insoweit eine umfassende Würdigung vorgenommen und sich dabei auch mit der - der hier maßgeblichen Regelung inhaltsgleichen Regelung - des HVM für das Jahr 2002 befasst. Gemäß § 2 HVM 2010 würden die Gesamtvergütungen in vier Honorartöpfe aufgeteilt. Werde die Gesamtvergütung in einem der Honorartöpfe (mit den Honoraranforderungen) überschritten, richte sich die Honorarverteilung nach § 3 HVM 2010. Sei die Überschreitung größer als 1 %, gelte § 3 Abs. 2 HVM 2010 mit der Folge, dass ein Vergütungsanspruch zunächst bis zur Höhe der dem Vertragszahnarzt zugeteilten IBG bestehe. Darüber hinaus erfolge eine Honorarverteilung über die Restvergütung (§ 3 Abs. 2 Satz 3 HVM 2010). Betrage die Überschreitung - wie hier - (nur) bis zu 1 %, reduzierten sich gemäß § 3 Abs. 1 HVM 2010 die Vergütungsansprüche aller Zahnärzte entsprechend linear. Deshalb komme es auch zu einer Honorarkürzung beim Kläger, obwohl er seine IBG nicht überschritten habe. Die Rechtmäßigkeit dieser (pauschalen) linearen Kürzung sei bereits mehrfach gerichtlich bestätigt worden (zuletzt SG Stuttgart, Urteil vom 30.06.2010, - S 10 KA 2625/08 -, nicht veröffentlicht).
Mit Urteil vom 30.01.2015 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2013 (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz, SGG) aus, die Klage sei unbegründet, die mit den angefochtenen Bescheiden verfügte lineare Honorarkürzung sei rechtmäßig. Die vom Kläger behauptete Grundrechtsverletzung liege nicht vor; der Kläger verkenne insoweit die Tragweite der Grundrechte. Unerheblich sei, dass er im Jahr 2010 seine IBG nicht überschritten habe. Die der linearen Honorarkürzung zugrundeliegende Regelung des HVM 2010 (§ 3 Abs. 1) sei rechtsgültig (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.07.2009, - L 5 KA 1977/07 -, nicht veröffentlicht).
Gegen das ihm am 08.04.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.05.2015 Berufung eingelegt. Er wiederholt und bekräftigt sein bisheriges Vorbringen. Vorliegend würden die Grundprinzipien des Rechtsstaats eklatant verletzt; auch sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Man dürfe nur für Taten bestraft werden, die man auch begangen habe. Er habe seine IBG im Jahr 2011 (gemeint: 2010) nicht überschritten, weshalb die verfügte Honorarkürzung nicht nachvollziehbar sei. Er habe sich korrekt verhalten und dürfe daher nicht bestraft werden. Das Argument zu hohen Verwaltungsaufwands in Fällen der vorliegenden Art weise er zurück; für die notwendigen Berechnungen genüge das "Mathematikniveau 4-5 Klasse" im Rahmen einer Dreisatzaufgabe. Die Rechtsauffassung des SG verstoße gegen den gesunden Menschenverstand.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.01.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 19.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2013 aufzuheben und ihm 929,16 EUR zurückzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt ebenfalls ihr bisheriges Vorbringen. Bei linearen Honorarkürzungen nach § 3 Abs. 1 HVM 2010 spiele die IBG keine Rolle. Die Zulässigkeit der linearen Honorarkürzung sei durch eine Vielzahl von Gerichtsurteilen bestätigt worden. Der Berechnungsaufwand bei der (individuellen) Kürzungsberechnung sei hoch; mit einer "Dreisatzaufgabe" - wie der Kläger meine - sei es nicht getan. So sei schon die Berechnung der IBG in vielen Fällen sehr komplex. Mit der linearen Honorarkürzung in Fällen der vorliegenden Art, die gerade nicht auf die IBG abstelle, werde die verwaltungsmäßige Umsetzung der Kürzung deutlich vereinfacht.
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er die Berufung, was vorliegend beabsichtigt sei, gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen kann, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger hat sich nicht mehr geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger hat sich nicht mehr geäußert.
Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist bei einem Kürzungsbetrag von 929,16 EUR überschritten. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat nimmt auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und ergänzend auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2013 Bezug (§§ 153 Abs. 1 und 2, 136 Abs. 3 SGG). Ergänzend sei angemerkt:
Der Kläger wiederholt zur Begründung der Berufung im Wesentlichen das Vorbringen, das bereits Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens gewesen ist und das das SG zu Recht für nicht erheblich befunden hat. Vorliegend geht es nicht um eine irgendwie geartete "Bestrafung", sondern um die Anwendung des § 3 Abs. 1 HVM 2010 und eine darauf gestützte lineare Honorarkürzung. Die genannte Vorschrift ist gültig und die darin vorgesehene lineare Honorarkürzung ist zulässig. Der Senat hat sich mit den der vertragszahnärztlichen Honorarverteilung zugrundeliegenden HVM-Regelungen, wie die Beklagte und das SG dargelegt haben, wiederholt befasst und diese nicht beanstandet (vgl. Senatsurteile vom 09.12.1998, - L 5 KA 3531/96 -, nicht veröffentlicht; vom 26.02.2003, - L 5 KA 1909/00 -, in juris; vom 01.07.2009, - L 5 KA 1977/07 -, nicht veröffentlicht); auch die hier streitige lineare Honorarkürzung ist in der Rechtsprechung des Senats nicht beanstandet worden. Rechtsstaatliche Prinzipien oder grundrechtliche Gewährleistungen sind nicht verletzt. Dafür genügt es nicht, dass der Kläger die HVM-Regelung zur linearen Honorarkürzung nicht akzeptieren will. Sie ist geltendes Recht, das die Beklagte anwenden muss und an das auch die Sozialgerichte gebunden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
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