S 35 KR 441/15 ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 35 KR 441/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin mit Wirkung vom 14.09.2016 an für einen Zeitraum von einem Jahr vorläufig Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form von Blasenstimulationen von derzeit 5 mal täglich zu gewähren.

Die Antragsgegnerin erstattet der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von häuslicher Krankenpflege als Sachleistung, wobei es sich bei der Behandlungsmaßnahme um die Blasen- und Darmentleerung unter Einsatz des der Antragstellerin implantierten Brindley-Stimulators handelt.

Die 19 ... geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Sie ist seit 1999 querschnittsgelähmt und erhält Leistungen der Pflegeversicherung im Rahmen der Pflegestufe III, aktuell in der Form von Kombinationsleistungen, nämlich Sachleistungen in den Leistungskomplexen "Große Morgen-/Abendtoilette", "Lagern/Betten" und "Darm- und Blasenentleerung", so dass noch eine Geldleistung in Höhe von 59,75 EUR verbleibt.

Sie leidet unter anderem an einer spastischen Harnblasen- und Mastdarmlähmung. Im Juli 2004 erfolgte die Implantation eines Vorderwurzelstimulators (Brindley-Stimulator) und die sakrale Deafferatation (Durchtrennung sensibler Nervenbahnen am Rückenmark). Dabei wurde ein Empfänger unter die Haut implantiert und spezielle Elektroden an die für die Blasensteuerung zuständigen Spinalnerven platziert. Das Auslösen der Stimulation erfolgt durch passgenaues Auflegen des Senders auf den unter der Bauchdecke liegenden Empfänger.

Die Hausärztin verordnete der Antragstellerin zur Durchführung der Blasenstimulationen laufend (seit 2006) häusliche Krankenpflege als Behandlungssicherungspflege, zuletzt mit Verordnung vom 01.03.2016 für den Zeitraum 01.03.2016 bis 31.12.2016. In den Verordnungen wird jeweils ausgeführt:

"Dauerverordnung, Blasenentleerungsstörung, Querschnittslähmung, hypotone Kreislaufdysregulation bei Lagewechsel, bei Bedarf Beine hochlagern, Intervention, Kreislauftropfen, Blasenstimulation 5 mal täglich, bei Bedarf Blase katheterisieren, Darmstimulation 5 x tgl, b. Bedarf digitale Darmentleerung, bei Bedarf hochlagern/Intervention, Kreislauftropfen."

Die Antragstellerin wurde zunächst von dem Pflegedienst D ... betreut. Im Jahr 2006 gab es eine Einzelfallentscheidung der Krankenkasse für den Zeitraum Januar bis März 2006, dass die Blasenstimulation als Leistung der häuslichen Krankenpflege genehmigt wird und mit 12,50 EUR abgerechnet werden kann.

Welche Grundlage diese Entscheidung hatte, war nicht zu ermitteln, ebenfalls blieb unklar, wie lange auf dieser Grundlage abgerechnet wurde.

Die in der Folgezeit angewendete Angebotskalkulation für Leistungen im Rahmen der Pflegeversicherung, insbesondere vom 06.06.2011 sah keine ausdrückliche Leistungsbeschreibung bezüglich der Blasenentleerung vor. Der Pflegevertrag vom 07.06.2011 sah vor, dass der Leistungserbringer die Leistungen der Grundpflege, der Behandlungspflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung nach dem SGB V jeweils nach ärztlicher Verordnung erbringt.

Im Jahr 2011 stellte der Pflegedienst fest, dass für die Blasenstimulationen keine (erhöhte) Vergütung gezahlt wurde. Mit Schreiben vom 24.06.2011 beantragte er eine Einzelfallentscheidung zur Genehmigung der Leistungen der Blasenstimulation.

Die Kasse teilte daraufhin dem Pflegedienst und der Antragstellerin am 31.08.2011 mit, die Abrechnung der verordneten Blasenstimulationen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege sei ab dem 03.09.2011 nicht mehr möglich, da es sich um Grundpflege handele, die von der Pflegeversicherung abgedeckt sei.

Dagegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass es je nach Füllungsgrad der Blase infolge der Stimulation zu erheblichen vegetativen Dysregulationen kommen könne, die dann eine rasche Intervention der Pflegekraft verlange. Insoweit läge eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme vor. Das Auslösen des Stimulators sei zwar grundsätzlich durch jeden möglich, allerdings nicht die Einleitung qualifizierter Interventionsmaßnahmen bei vegetativen Entgleisungen.

Die Antragstellerin erhob gegen die Ablehnung der Erstattung der vom Pflegedienst ihr gegenüber geltend gemachten Ansprüche im Zusammenhang mit der Pflege und der Blasenstimulation für den Zeitraum 01.09.2011 bis zum 31.01.2012 vor dem SG B ... nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens Klage, da sie seinerzeit noch ihren Hauptwohnsitz in B ... hatte. Das SG B ... hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.08.2016 abgewiesen, ohne über die Frage zu entscheiden, ob es sich bei der streitigen Leistung um Behandlungspflege handelt.

Der Pflegedienst kündigte an, aufgrund der aufgelaufenen Zahlungsrückstände, die sich aus den abgerechneten Pflegeleistungen und den Leistungen der Pflegeversicherung ergaben, den Pflegevertrag zu kündigen, da die Klägerin den streitigen Betrag in Höhe von 3.562,45 EUR nicht kurzfristig ausgleichen konnte.

Daraufhin reichte die Antragstellerin am 29.07.2015 den vorliegenden Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein.

Der Pflegedienst kündigte aufgrund des Zahlungsrückstands zum 31.10.2015 den Vertrag.

Die Antragstellerin vereinbarte mit dem Pflegedienst i ... in H ... am 27.10.2015 die Übernahme der ambulanten pflegerischen Leistungen, wobei in dem Vertrag auch die Leistungserbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege grundsätzlich vereinbart wurde, das Kostenangebot, nach dem die Abrechnung erfolgte, weist jedoch nur die oben genannten Leistungen aus, die insgesamt der Pflegeversicherung zugeordnet wurden.

Häusliche Krankenpflege wurde nicht abgerechnet, weil die entsprechenden Verordnungen der behandelnden Ärztin von der Kasse nicht genehmigt wurden und der Pflegedienst daher die Leistungen nicht als Sachleistung erbringen konnte.

Eine Vereinbarung der Abrechnung zu Lasten der Antragstellerin kam für die Antragstellerin nicht in Betracht, da sie keine weiteren Schulden machen wollte.

Die Verordnungen der Hausärztin über die HKP wurden bei der Kasse eingereicht, die Genehmigung jedoch abgelehnt und der Widerspruch dagegen im Hinblick auf die laufenden Gerichtsverfahren ruhend gestellt.

Tatsächlich erhielt die Antragstellerin ab 01.11.2015 nur Leistungen der Pflegeversicherung, wobei ein erheblicher Teil, nämlich 545,15 EUR (Kostenangebot) auf die Blasen- und Darmentleerung entfällt.

Die Antragstellerin trägt vor, dass aufgrund der Verschiebung der Blasenstimulation in die Grundpflege, die bisherigen Leistungen der Pflegeversicherung nicht mehr ausreichend seien. Die Antragstellerin müsse einen großen Teil der Grundpflege nunmehr privat sicherstellen, wobei ihre Lebensgefährtin einen erheblichen Teil leiste, was schwierig sei, da sie nicht in ihrem Haushalt lebe. Wenn diese verhindert sei, müssten andere Lösungen gefunden werden, zuletzt habe die Antragstellerin zu ihrer Mutter nach B ... fahren müssen, um eine ausreichende Versorgung sicherzustellen, was langfristig nicht zumutbar sei.

Auch die spätabendlichen Blasenstimulationen würden nun nicht mehr vom Pflegedienst abgedeckt, so dass auch hier regelmäßig die Lebensgefährtin eingesprungen sei, was dauerhaft jedoch keine Lösung sei.

Die Antragstellerin gehe davon aus, dass es sich bei der streitigen Blasenstimulation um eine Leistung der Behandlungssicherungspflege handele, was sich daraus ergebe, dass die Stimulation den früheren intermittierenden Fremdkatherismus ersetze und ein Hilfsmittel zum Einsatz komme, das massiv auf den Körper der Antragstellerin einwirke und als Medizinprodukt der Risikoklasse 2 zugeordnet sei. Das Auslösen der Stimulation erfolge über passgenaues Auflegen des Senders auf den unter der Bauchdecke liegenden Empfänger. Die erzeugten Signale würden durch Kabel zu Elektroden geleitet, die mit den sakralen Nerven im Rückenmark verbunden seien. Die Impulse seien starke Stromstöße, die nicht nur zur sukzessiven Entleerung der Blase führten, sondern auch erhebliche Kraft auf den Körper der Antragstellerin ausübten und zur Folge hätten, dass sich der Körper kräftig und ruckartig nach hinten in den Toilettenstuhl wölbe. Zudem löse ein Stromstoß eine Spastik der Beine aus.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig in einem Zeitrahmen, der in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form von Blasenstimulationen 5 x täglich, sowie Einmalkatherisierungen nach Bedarf zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie geht weiterhin davon aus, dass es sich bei der Blasenstimulation mit dem Brindley-Stimulator um die in der Grundpflege erfasste Blasen- und Darmentleerung handele und keine Anhaltspunkte erkennbar seien, dass es sich um Behandlungspflege handele.

Ergänzend wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere das Protokoll des Erörterungstermins am 14.09.2016, sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen, die als unpaginierte, ungeheftete Blattsammlung in dem Verfahren S 35 KR 511/15 (ehemals S 31 P 38 und 38/14) vorgelegen hat.

II.

Die Antragstellerin hat vorläufig Anspruch auf Erbringung von häuslicher Krankenpflege als Sachleistung entsprechend der ärztlichen Verordnung der Hausärztin vom 01.03.2016 gemäß § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (z.B. Sächs. LSG vom 23.2.12, L3 AL 164/11 B ER m. Anm. Bienert, info also 12, 210). Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, desto geringer sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und umgekehrt. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz.

a) Die Antragstellerin hat den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Das Gericht geht nach - nicht nur summarischer - Prüfung davon aus, dass die streitige Blasenstimulation unter Einsatz des Brindley-Stimulators als Leistung der Behandlungssicherungspflege in die Leistungspflicht der Krankenkasse nach § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V gehört.

Der von der Krankenkasse eingeschaltete MDK hat in seiner 5. gutachterlichen Stellungnahme vom 31.01.2014 (im Lauf des Klageverfahrens des SG B.), die deutlich umfangreicher ist, als die vorherigen, ausgeführt:

" In den Sozialgesetzbüchern finden sich neben dem SGB V die Begriffe Grundpflege und Behandlungspflege nur noch im SGB XI und im SGB VII. Die Definition ist in allen drei Gesetzen identisch und entspricht der des SGB V. Unter Grundpflege ist die pflegerische Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens zu verstehen, die vor allem die körperlichen Grundbedürfnisse umfassen. Hierzu gehören zum Beispiel die Darm- und Blasenentleerung. Im SGB XI wird die Darm- und Blasenentleerung als Bestandteil der Körperpflege detailliert beschrieben. Hierzu gehören die Kontrolle des Wasserlassens und Stuhlgangs, sowie die notwendigen Handgriffe bei dieser Verrichtung, wie das Richten der Kleidung vor und nach der Benutzung der Toilette, das Säubern des Intimbereichs nach dem Wasserlassen und dem Stuhlgang, das Entleeren und Säubern eines Toilettenstuhls bzw. eines Stechbeckens oder das Wechseln/Entleeren eines Urinbeutels. Auch zu berücksichtigen ist das An- und Ablegen und Wechseln von Inkontinenzprodukten, die Reinigung und Versorgung von künstlich geschaffenen Ausgängen (Stoma, Anus praeter). Wenn im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Darm- und Blasenentleerung zum Beispiel die Verabreichung eines Klistiers, eines Einlaufs oder die Einmalkatheterisierung notwendig ist, handelt es sich um eine verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme. Aufgrund der Vielfältigkeit der bei der Darm- und Blasenentleerung notwendigen verschiedenen Hilfeleistungen ist es erforderlich, den Hilfebedarf differenziert darzustellen. Insbesondere ist zu prüfen, ob die Durchführung der Pflege durch besondere Faktoren wie zum Beispiel verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen beeinflusst ist. Als verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen kommen nur solche Maßnahmen in Betracht, die aus medizinischpflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil der Hilfe bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen der Grundpflege sind oder objektiv notwendig im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit diesen Verrichtungen vorgenommen werden müssen. Ausgangspunkt für die Bewertung verrichtungsbezogener krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen ist der Hilfebedarf bei der jeweiligen Verrichtung der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 SGB XI. Verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen stellen für sich allein gesehen keine Verrichtungen des täglichen Lebens dar und können deshalb nur dann berücksichtigt werden, wenn sie bei bestehendem Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 SGB XI zusätzlich notwendig sind. Nur dann sind verrichtungsbezogene Krankheit spezifische Pflegemaßnahmen im Sinne eines Erschwernisfaktors bei der Feststellung des individuellen zeitlichen Hilfebedarfs für die jeweilige Verrichtung zu berücksichtigen. Dieser Hilfebedarf wurde auch bei der Pflegebegutachtung als Hilfe bei der Blasenentleerung berücksichtigt. Die urologische Kollegin, die zur Beurteilung einbezogen wurde, teilte mit, dass in der Regel bei Patienten, die keine Einschränkungen des oberen Stütz- und Bewegungsapparates haben, keine Pflegeperson zur Blasenstimulation erforderlich ist. Frau T ... gibt in ihrem Schreiben vom 29.10.2013 an, dass es zu keinen lebensbedrohlichen Komplikationen bisher gekommen ist. Aufgrund der hohen Querschnittslähmung hatte die Versicherte immer Hilfebedarf durch Pflegepersonal bei der Darm- und Blasenentleerung gemäß SGB XI. Die entsprechenden Leistungskomplexe wurden abgerechnet. Die allgemeine Beaufsichtigung gehört zu allen pflegerischen Leistungen und ist insbesondere bei relativ immobilen Versicherten hinsichtlich möglicher Kreislaufdysregulation besonders zu beachten. Die sozialmedizinischen Voraussetzungen für die verordnete Behandlungspflege "sonstige Maßnahmen: Blasenstimulation fünfmal täglich" sind auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme von Dr. D ... nicht erkennbar."

Das Gericht geht davon aus, dass der MDK hier genau die zutreffenden Fragen gestellt hat, eine wirkliche Auseinandersetzung damit, ob hier verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen vorliegen, die die Grundpflege übersteigen, fehlen jedoch vollständig. Der MDK hat vielmehr weiter seine Linie verfolgt, dass es keine Regelung der Blasenstimulation in der HKP-Richtlinie gebe, die der GBA nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGV erlassen hat und daher HKP nur gegeben sein könnte, wenn es sich um Krankenbeobachtung handeln würde. Diese sei wiederum nur dann als einzelne Leistung anrechenbar, wenn sie einer lebensbedrohlichen Situation vorbeugen solle.

Das Gericht geht davon aus, dass diese Betrachtung rechtsfehlerhaft ist, wobei der Hinweis erlaubt sei, dass die Kasse hier dem MDK RECHTSfragen und keine medizinischen Fragen zur Beantwortung vorgelegt hat. Das hat wohl auch der MDK als Problem angesehen, aber dennoch ein Gutachten abgegeben, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass "keine Grundsatzstellungnahme beauftragt" worden sei.

Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung vom 16.7.2014 (B 3 KR 2/13 R, Gilchrist-Verband, zitiert nach juris) nochmals zusammenfassende Ausführungen zur Abgrenzung der Leistungen der Pflegeversicherung und der Behandlungssicherungspflege gemacht (Unterstreichungen durch das erkennende Gericht).

Es führt aus:

18 aa) Der Begriff der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme ist von der Rechtsprechung entwickelt und vom Gesetzgeber aufgegriffen worden. Danach sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen solche, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Heilberufe oder auch von Laien erbracht werden (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 2, 9, 11 und 18). Verrichtungsbezogen sind solche krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen, wenn sie untrennbarer Bestandteil einer der in § 14 Abs 4 SGB XI aufgeführten Verrichtungen sind oder mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in untrennbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang durchzuführen sind (BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11).

19 Das BSG hat den Begriff der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme in einem Fall geprägt, in dem es um das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ging (BSG SozR 3-2500 § 37 Nr 3). Es hat die hierbei erforderliche Hilfe zunächst in die ausschließliche Zuständigkeit der Pflegeversicherung verwiesen. Daraufhin fügte der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190) dem § 37 Abs 2 S 1 SGB V den Halbsatz hinzu:

"Der Anspruch umfasst das Anziehen und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse 2 auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist."

Damit hat der Gesetzgeber diese verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme in Abkehr von der damaligen Rechtsprechung ausdrücklich der Leistungspflicht der GKV im Rahmen der Behandlungssicherungspflege unterworfen. Um aufgrund dieser doppelten Zuständigkeit für dieselben Leistungen Doppelleistungen zu vermeiden, hat die Rechtsprechung anschließend den Versicherten ein Wahlrecht zugestanden, ob sie die Maßnahme als Leistung der GKV im Rahmen der Behandlungssicherungspflege (§ 37 Abs 2 SGB V) beanspruchen oder eine Berücksichtigung im Rahmen von Leistungen der Pflegeversicherung vorziehen.

Die Rechtsprechung hat dieses Wahlrecht den Versicherten nicht nur im Hinblick auf das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen, sondern bei allen verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen zuerkannt (BSGE 94, 192, RdNr 31 ff = SozR 4-2500 § 37 Nr 3). Das Wahlrecht der Versicherten hat der Gesetzgeber zum 01.04.2007 durch das GKV-WSG (GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I S 378) wieder beseitigt, die zu den Kompressionsstrümpfen getroffene Regelung gleichzeitig aber entsprechend der Rechtsprechung auf sämtliche verrichtungsbezogenen Maßnahmen der Behandlungspflege ausgeweitet (vgl dazu BT-Drucks 16/3100, insbesondere zu Nr 22 b, S 104 ff).

Zugleich hat er eine damit korrespondierende Regelung in § 15 Abs 3 S 2 SGB XI geschaffen: "Bei der Feststellung des Zeitaufwandes ist ein Zeitaufwand für erforderliche verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zu berücksichtigen; dies gilt auch dann, wenn der Hilfebedarf zu Leistungen nach dem SGB V führt." Die Definition der "verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen" entspricht der oben beschriebenen langjährigen Rechtsprechung des erkennenden Senats; sie findet sich seit dem 01.04.2007 - insoweit nur als Klarstellung gedacht - in § 15 Abs 3 S 3 SGB XI. Dem GBA wurde die Aufgabe übertragen, in Richtlinien nach § 92 SGB V das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nach § 37 Abs 2 S 1 SGB V zu bestimmen (§ 37 Abs 6 S 2 SGB V).

20 Damit hat der Gesetzgeber für alle verrichtungsbezogenen Maßnahmen der Behandlungssicherungspflege eine Doppelzuständigkeit von Krankenkassen und Pflegekassen geschaffen. Diese Rechtsentwicklung lässt erkennen, dass der Gesetzgeber den Anspruch aus § 37 Abs 2 S 1 SGB V sogar bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XI möglichst ungeschmälert erhalten wissen will. Dies entspricht zum einen dem in § 31 SGB XI niedergelegten Grundsatz, dass die medizinische Rehabilitation gegenüber der Pflege Vorrang hat, und zum anderen dem Zweck der Regelungen der sozialen Pflegeversicherung, die Leistungen der GKV zu ergänzen, sie aber prinzipiell nicht - ganz oder teilweise - zu verdrängen. Dies hat der erkennende Senat für den Bereich der Hilfsmittel (§ 33 SGB V) und Pflegehilfsmittel (§ 40 SGB XI) bereits grundlegend ausgeführt (BSGE 99, 197 = SozR 4-2500 § 33 Nr 16). Die Parallelität und Gleichrangigkeit der Ansprüche gegen die Krankenkasse und die Pflegekasse kommt auch in der Vorschrift des § 13 Abs 2 SGB XI zum Ausdruck, wonach die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V unberührt bleiben.

21 Klarstellend hat die Rechtsprechung im Folgenden zur Abgrenzung von krankheitsspezifischen verrichtungsbezogenen Pflegemaßnahmen den Begriff der "reinen Grundpflege" geprägt. Die "reine Grundpflege", bei der keine verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Leistungen erbracht werden, obliegt der Pflegekasse (BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11, RdNr 28 ff).

22 bb) Das An- und Ablegen des Gilchristverbandes ist eine krankheitsspezifische verrichtungsbezogene Pflegemaßnahme, die im Rahmen der Behandlungssicherungspflege von den Krankenkassen zu leisten ist. Die Klägerin erhielt den Gilchristverband nach ihrer stationären Behandlung wegen einer Luxation ihres rechten Schultergelenkes. Das Tragen des Verbandes beruht mithin ursächlich auf dieser Krankheit, soll dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten und Krankheitsbeschwerden zu lindern und ist zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich. Das An- und Ablegen des Gilchristverbandes ist untrennbarer Bestandteil sowohl der Körperpflege beim Waschen/Baden/Duschen als auch im Bereich der Mobilität beim An- und Auskleiden. Bei längerem Tragen ist das regelmäßige Ablegen des Verbandes zur angemessenen Körperpflege erforderlich. Da der Gilchristverband regelmäßig zumindest teilweise über der Kleidung getragen wird, ist er auch für das An- und Auskleiden jeweils zu entfernen und danach wieder anzulegen.

23 Unerheblich ist, ob der Verband auch aus medizinischen Gründen regelmäßig an- und abzulegen ist und daher schon der Vorgang des An- und Ablegens selbst der Krankenbehandlung dient. Denn der Gilchristverband kann nicht getragen werden, wenn er nicht zur Durchführung der genannten Verrichtungen iS des § 14 Abs 4 SGB XI an- und abgelegt wird. Das An- und Auskleiden sowie eine elementare Körperpflege sind unabdingbare Grundbedürfnisse. Der Gilchristverband kann daher nur getragen werden, wenn er zur Körperpflege und zum An- und Auskleiden an- und abgelegt werden kann und nach diesen Verrichtungen ggf eingetretene Verschiebungen korrigiert werden. Deshalb ist das An- und Ablegen untrennbar mit dem Tragen des Gilchristverbandes, das der Behandlungssicherung dient, verbunden und keiner gesonderten Bewertung zugänglich.

24 cc) Dem stehen die Regelungen der HKP-RL einschließlich der das Leistungsverzeichnis beinhaltenden Anlage nicht entgegen. Nach § 37 Abs 6 S 2 SGB V bestimmt der GBA in Richtlinien nach § 92 SGB V das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nach § 37 Abs 2 S 1 SGB V. Dementsprechend regelt § 2 Abs 4 der HKP-RL, dass verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen als Behandlungspflege im Rahmen der Sicherungspflege auch dann verordnet werden können, wenn dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit in der Pflegeversicherung bereits berücksichtigt worden ist. Zudem zählt § 2 Abs 6 HKP-RL beispielhaft einige verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auf, wie etwa das Einreiben mit Dermatika bei der Verrichtung des Waschens/Duschens/Badens. Die HKP-RL enthält als Anlage ein Leistungsverzeichnis mit den verordnungsfähigen Leistungen. Danach sind alle Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung des Verzeichnisses ausschließlich im Rahmen der Krankenhausvermeidungspflege nach § 37 Abs 1 SGB V oder als Satzungsleistung zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung nach § 37 Abs 2 SGB V verordnungsfähig. Die enthaltenen Aussagen zur Dauer der Verordnung und zur Häufigkeit der Verrichtungen sind Empfehlungen für den Regelfall, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann.

25 Diese Regelungen sind nicht - wie die Beklagte und die Vorinstanzen meinen - so zu verstehen, dass die bei der Grundpflege aufgeführten Maßnahmen als Maßnahmen der Behandlungspflege von vornherein nicht in Betracht kommen. Denn eine solche Auslegung der HKP-RL würde gegen die ausdrückliche gesetzliche Bestimmung des § 37 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB V verstoßen, mit welcher der Gesetzgeber klargestellt hat, dass verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen vom Anspruch auf Behandlungssicherungspflege umfasst sind.

Darauf nimmt auch § 2 Abs 4 HKP-RL ausdrücklich Bezug. Bei den grundpflegerischen Maßnahmen kann es daher Überschneidungsbereiche geben, wenn diese zugleich krankheitsspezifisch sind und der Behandlungssicherung dienen. Für die Verordnungsfähigkeit von Maßnahmen der Behandlungssicherungspflege sind die die Grundpflege betreffenden Ausführungen im Leistungsverzeichnis der HKP-RL unerheblich.

26 Das An- und Ablegen eines Gilchristverbandes lässt sich den unter Nr 31 des Leistungsverzeichnisses zur HKP-RL genannten Leistungen der Behandlungspflege zuordnen, denn der Gilchristverband ist ein stützender und stabilisierender Verband zur unterstützenden Funktionssicherung der Gelenke zB bei Distorsion, Kontusion, Erguss.

27 Zudem stellen die HKP-RL keinen abschließenden Leistungskatalog über die zu erbringenden Leistungen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege dar. Die in § 37 Abs 6 S 2 SGB V normierte Ermächtigung des GBA, das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen zu bestimmen, beschränkt sich - wie es dem Wesen von Richtlinien entspricht - im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben auf die Konkretisierung und Interpretation des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs 4, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 SGB V) für die Regelfälle im Hinblick auf Art und Inhalt verrichtungsbezogener krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen der häuslichen Krankenpflege. Für eine Ausgrenzung notwendiger Leistungen aus dem Versorgungsauftrag der Krankenkassen, ihre Zuweisung zum Aufgabenbereich der Pflegekassen oder in die Eigenverantwortung der Versicherten (d.h. Selbstbeteiligung; dazu Peters in: Kasseler Kommentar, § 2 SGB V RdNr 3) hat der GBA keine Ermächtigung. Demzufolge bleiben Maßnahmen der Behandlungspflege, die im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind, auch außerhalb der HKP-RL in der Leistungsverpflichtung der Krankenkassen (vgl BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 7 RdNr 21, zustimmend Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 37 RdNr 156 ff; vgl auch Nolte in: Kasseler Kommentar, § 37 SGB V RdNr 20a)."

Die Durchführung der Blasenstimulation unter Einsatz des Brindley-Stimulators ist eine krankheitsspezifische verrichtungsbezogene Pflegemaßnahme, die im Rahmen der Behandlungssicherungspflege von der Krankenkasse zu leisten ist.

Die Antragstellerin ist mit dem Vorderwurzelstimulator aufgrund ihrer Querschnittslähmung versorgt, nachdem das zuvor durchgeführte Fremdkatherisieren nach Aussagen der behandelnden Ärzte zu unbefriedigenden Ergebnissen hinsichtlich der Blasenentleerung geführt hat.

Der behandelnde Arzt der Schwerpunktklinik B ..., Dr. D ..., in der die Antragstellerin bei größeren Komplikationen und im Zusammenhang mit dem Brindley-Stimulator regelmäßig behandelt wird, führt dazu aus:

"Im Juli 2004, also fünf Jahre nach dem Unfall, erfolgte die Implantation eines Vorderwurzelstimulators und die sakrale Deafferenzierung von S2 bis S5. Die Indikation zu dieser Operation waren vor allem rezidivierende Harnwegsinfekte. Vor der sakralen Deafferation und Implantation eines Vorderwurzelstimulators wurde die Patientin durch mehrere Personen fremdkatheterisiert. Das Volumen, das durch den Katherterismus entleert worden ist, lag mitunter nur bei 100-150 ml. Durch rezidivierende Harnwegsinfekte waren multiresistente Keime nachzuweisen, also Bakterien, die auf eine Antibiotika-Behandlung nicht mehr reagierten. Im Rahmen der Auswahl einer optimierten Therapie sollte Frau T ... 2004 versuchen den Selbstkatheterismus zu erlernen. Dies war ihr lähmungsbedingt nicht möglich. Aus diesem Grund entschied sich Frau T ..., die sakrale Deafferation von S2 bis S 5 durchführen zu lassen. Dadurch wird die Spastik der Harnblase aufgehoben. Die Harnblase ist wieder in der Lage, den Urin zu speichern. Das Problem ist, dass eine Reflexentleerung dadurch nicht mehr eintritt. Aus diesem Grund wird die Operation mit der Implantation eines Vorderwurzelstimulators kombiniert. Der Vorderwurzelstimulator dient der Blasenentleerung. Auch zu Damenentleerung wird der Vorderwurzelstimulator eingesetzt. Die Darmentleerung unterscheidet sich stimulationstechnisch dadurch, dass die Zeit für die Stimulation deutlich länger ist und durch Pausen unterbrochen wird

Bei der Stimulation der Harnblase und des Darms hat Frau T ... 2 Probleme: einerseits verrutscht durch die Stimulation die Senderplatte. Andererseits ist der Patientin nach Übersetzen zur Blasenentleerung oft schwindlig. Grund ist eine Fehlregulation des Blutdrucks auf Werte um 70/90 mmHG. Um diese Situation zu beherrschen, werden die Beine durch das Pflegepersonal hochgehalten oder der Patientin etwas zu Trinken gereicht. Mitunter kam es zu einem Absinken des Blutdrucks auch während der Stimulation, so dass diese unterbrochen werden musste. Noch aufwändiger gestaltet sich die Stimulation im Bett. Die Maßnahmen zur Blasenentleerung, das Ankleiden, Auskleiden und Übersetzen nicht mitgerechnet, liegt zwischen 10 und 30 Minuten. Der zeitliche Aufwand ist abhängig von der Blasenfüllung und vom Zustand der Patientin. Mitunter ist der Stimulationsimpuls so stark, dass die Gefahr besteht, dass die Patientin aus dem Rollstuhl gedrückt wird. Eine solche Situation kommt vor allem durch verrutschen der Senderplatte vor".

Auch wenn die Schilderung des Stimulationsvorgangs durch den Pflegedienst, wie er der Krankenkasse und dem Gericht gegenüber abgegeben wurde, weniger "dramatisch" klingt, ist davon auszugehen, dass das Risikopotenzial bei der Blasenstimulation erheblich größer ist, als bei der "ganz normalen" Blasenentleerung im Rahmen der üblichen Grundpflege.

Der MDK hat sich in der Sache nicht wirklich mit den Ausführungen von Dr. D ... auseinandergesetzt, sondern lediglich eine Urologin beigezogen, wobei nicht erkennbar ist, ob diese mit den Besonderheiten von querschnittsgelähmten Patienten vertraut ist. Diese hat Ausführungen dazu gemacht hat, wie die Stimulation bei nicht querschnittsgelähmten Patienten erfolgt. Daraus auf den besonderen Fall von querschnittsgelähmten Patienten zu schließen, dürfte nicht lege artis sein. Ohne auch nur ein Wort der Argumentation, wird mitgeteilt, dass der Einschätzung des "Fachmanns" nicht gefolgt wird.

Es ist festzustellen, dass die Notwendigkeit der Blasenstimulation ursächlich auf der Querschnittslähmung beruht und dazu beitragen soll die Auswirkungen der Krankheit zu lindern. Damit erfüllt sie die Kriterien, die das Bundessozialgericht zur krankheitsspezifischen verrichtungsbezogenen Pflegemaßnahme aufgestellt hat.

Dabei ist es unerheblich, wer den Sender auf die unter der Bauchdecke liegende Senderplatte aufsetzt, da nicht das Aufsetzen die verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme ist, sondern die Beherrschung der Folgen der Stimulation, was in gewisser Weise der Krankenbeobachtung nah kommt, aber eben auch darüber deutlich hinausgeht.

Es ist festzustellen, dass diese Maßnahme über die Grundpflege ganz erheblich hinausgeht, wobei vorliegend erschwerend hinzukommt, dass sowohl nach der Schilderung des Pflegedienstes, als auch der Schilderung des Dr. D ... und der Antragstellerin bereits das Umsetzen der Antragstellerin zu Kreislaufdysregulationen führen kann. Das hat auch der MDK ausdrücklich anerkannt.

Daraus ergibt sich für das Gericht, dass schon für das Umsetzen, erst recht aber für die Blasenstimulation als solcher deutlich mehr medizinischer Sachverstand erforderlich ist, als für die Grundpflege.

Das Erfordernis dieses medizinischen Sachverstandes dürfte das maßgebliche Abgrenzungskriterien sein, das die Grundpflege von der Behandlungssicherungspflege unterscheidet. Dies wird beispielsweise auch deutlich im Vergleich zwischen der Grundpflege Stoma-Versorgung und der Behandlungspflegemaßnahme Stoma-Versorgung plus Wundversorgung an der Platte.

Für die Abgrenzung zwischen Grundpflege und häuslicher Krankenpflege kommt es nicht darauf an, ob ein lebensbedrohlicher Zustand durch die streitige Maßnahme eintreten kann. Hier scheint es so, dass der MDK offensichtlich als Maßnahmen der Behandlungssicherungspflege lediglich die Krankenüberwachung bei lebensbedrohlichen Zuständen in sein Prüfungsraster einbezogen hat, ohne zu erkennen, dass es auch Behandlungspflegemaßnahmen geben kann, die nicht ausdrücklich im Katalog der HKP-Richtlinie genannt sind. Dass dies unzutreffend ist, hat das BSG ausdrücklich ausgeführt. Auch der vom Sozialgericht B ... befragte Gemeinsame Bundesausschuss hat in seiner Stellungnahme auf die Anfrage des SG B ... ausdrücklich erklärt, der Katalog der HKP Richtlinie sei nicht abschließend.

b)

Die Antragstellerin hat auch den erforderlichen Anordnungsgrund im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft gemacht.

Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, was hier nach den obigen Ausführungen geschehen ist.

Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch die getroffene Regelungsanordnung war zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich, weil ohne die Verpflichtung der Krankenkasse zur Erbringung der Sachleistung die Antragstellerin weiter ohne die ihr zustehende behandlungssichernde häusliche Krankenpflege bliebe.

Der Antrag wurde eingereicht, um durch eine vorläufige Regelung herbeizuführen, um die Kündigung des langjährig bestehenden Pflegevertrages mit dem Pflegedienst M ... abzuwenden. Dies ist aufgrund organisatorischer Probleme des Gerichts, die eine Verfahrensverzögerung bedingten und der fehlenden Bereitschaft des Pflegedienstes eine vorläufige Regelung zu treffen, gescheitert. Das Gericht hat im Vorfeld verkannt, dass die Regelung unabhängig von den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Pflegedienst und Antragstellerin zu treffen ist.

Die Antragstellerin konnte mit dem neuen Pflegedienst ebenfalls keine vorläufige Regelung treffen, da sie persönlich weder in Vorleistung gehen konnte, noch weitere Schulden anhäufen wollte. Daher war sie hinsichtlich der HKP-Leistungen seit dem 01.11.2015 unversorgt, was teilweise dazu geführt hat, dass sie nicht mehr in ihrer eigenen Wohnung leben konnte, sondern zu ihrer Mutter nach B ... ausweichen musste, um eine vollständige Versorgung sicherzustellen.

Auch der Umstand, dass Leistungen durch die Lebensgefährtin und Freunde abgedeckt werden, ist der Antragstellerin ebenso wenig weiterhin zuzumuten, wie das Risiko, dass nicht ausreichend qualifizierte Kräfte die Blasenstimulation durchführen, da diese als Leistung der Grundpflege angesehen wird.

Der Verzicht auf diese Leistungen seit dem 01.11.2015 lässt das Eilbedürfnis nicht entfallen. Die Antragstellerin kann nicht mehr als den Antrag stellen, weder die mangelnde Kapazität des Gerichts zur Sachbearbeitung, noch der zwischenzeitliche Ausfall des Prozessbevollmächtigten belegen, dass keine vorläufige Regelung notwendig ist.

Vorliegend ist sowohl die körperliche Unversehrtheit der Antragstellerin, als auch ihr aus der Menschenwürde fließender Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben zu beachten, die beide höher zu bewerten sind, als das monetäre Interesse der Krankenkasse, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer späteren anderslautenden Entscheidung in der Hauptsache ggf zu Unrecht erbrachte Geldleistungen nicht zur Erstattung bringen kann. Das ist im Sozialrecht häufig der Fall und hinzunehmen.

c)

Welche Anordnung zu treffen ist, beurteilt sich nach dem Ermessen des Gerichts (Abs. 2 Satz 4 iVm § 938 Abs. 1 ZPO).

Das Gericht kann ein Minus oder ein Aliud im Verhältnis zu dem im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Recht bestimmen (Happ in Eyermann § 123 VwGO Rn. 64). Die Hauptsache muss noch nicht anhängig sein (Abs.3).

Hier war davon auszugehen, dass es einer Regelung für einen gewissen Zeitraum bedarf, in dem die Krankenkasse nochmals Gelegenheit zur Prüfung erhält, da ein Zuwarten auf die Entscheidungen der Sozialgerichte in den bisher anhängigen Verfahren, die als "Hauptsache" angesehen wurden, voraussichtlich nicht erfolgen wird. Aufgrund der nicht wirklich nachvollziehbaren Abrechnungen des bisherigen Pflegedienstes geht das SG B ... in dem Gerichtsbescheid vom 30.08.2016 davon aus, dass kein Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich der aufgelaufenen Beträge gegeben ist, ohne sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es sich um Leistungen der häuslichen Krankenpflege handelt.

Auch die beim Sozialgericht Halle anhängige Klage (S 35 KR 511/15) dürfte an dieser Frage scheitern, so dass derzeit keine "Hauptsache" anhängig sein dürfte, in der mit einer baldigen Klärung der Frage zu rechnen ist. Dies ist grundsätzlich unschädlich, aber bei der Frage der zu treffenden "Regelung" zu berücksichtigen.

Im Weiteren hat das Gericht die eher unzureichenden Stellungnahmen des MDK gewürdigt und die vom MDK selbst aufgeworfene Frage nach einer "Grundsatzstellungnahme". Diese dürfte unter Einschaltung des MDS geboten sein, was nach Erfahrung des Gerichts üblicherweise ebenfalls mehrere Monate Zeit in Anspruch nimmt.

Schließlich hat das Gericht in seine Erwägung eingestellt, dass mit den Änderungen in der Pflegeversicherung zum 01.01.2017 die bisherigen Regelungen zur verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Behandlungspflege sich jedenfalls im Bereich der Pflegeversicherung aufgrund der dann geänderten Einstufung der Pflegebedürftigkeit ändern werden, die entsprechenden Regelungen in § 37 Abs 1 werden zum 01.01.2017 gestrichen. Ob damit auch die Versuche des BSG und des Gesetzgebers der Abgrenzung der Leistungen des SGV V zum SGB XI Makulatur sind, vermag das Gericht derzeit nicht einzuschätzen.

Unter Berücksichtigung der erheblichen grundrechtlichen Relevanz der Versorgung der Antragstellerin mit der streitigen Leistung erscheint damit die Bewilligung für einen Zeitraum von einem Jahr geboten, die gleichzeitig eine Begrenzung im Vergleich zu der Verurteilung bis zur Rechtskraft der Hauptsache darstellt. Wenn nunmehr über den Sachleistungsanspruch der Antragstellerin in einem der ruhend gestellten Widerspruchsverfahren entschieden wird, ist davon auszugehen, dass ein sich anschließendes Klageverfahren nicht innerhalb eines Jahres rechtskräftig beendet ist.

Die Beteiligten haben somit Gelegenheit in dieser Zeit eine aufgrund der besonderen Situation sachgerechte Einzelfallregelung zu finden. Anderenfalls bedarf es ggf einer erneuten gerichtlichen Regelung.

Soweit keine weitere Verordnung von Behandlungspflege durch die behandelnde Ärztin über den 31.12.2016 hinaus erfolgen sollte, wovon das Gericht aufgrund der bisher seit 2006 regelmäßig erfolgten Verordnung nicht ausgeht, wird der Beschluss gegenstandslos, da damit eine wesentliche Bewilligungsvoraussetzung entfällt.

Sollte sich die Frequenz der Behandlungspflege aus gesundheitlichen oder pflegerischen Gründen erhöhen, geht das Gericht davon aus, dass auch diese Erhöhung von dem Beschluss erfasst wird, soweit sie nicht in einem Umfang erfolgt, der die Verordnung als quasi "andere" Leistung erscheinen lässt.

Das Gericht geht weiter davon aus, dass die streitige Behandlungspflege von Art und Umfang dem Fremdkatheterisieren vergleichbar ist, so dass die Leistungen mit der "Großen Behandlungspauschale" wie sie im Rahmenvertrag 2014 benannt ist, abgebildet sein dürfte.

Eine Anrechnung von Teilen der HKP-Leistung auf die Leistungen der Pflegeversicherung findet ebensowenig statt wie umgekehrt. Dazu führt Flint im Kasseler Kommentar, § 37 Rn aus:

"Der Gesetzgeber -2007- nimmt ausdrücklich eine Doppelzuständigkeit von GKV und Pflegeversicherung in Kauf. Er zieht diese einem Wahlrecht der Versicherten vor, weil sie u.a. einen Zugewinn an Rechtssicherheit für die Versicherten bringe und den Beratungsbedarf verringere. Doppelleistungen seien ausgeschlossen, weil ambulante Pflegedienste aufgrund einer Ergänzung des § 36 Abs 2 SGB XI nicht zweimal abrechnen könnten und das Pflegegeld, da es kein Äquivalent für die SGB V-Sachleistung sei, nicht als Doppelleistung angesehen werden könne (zum Ganzen FraktE BT-Drucks 16/3100 S 184, 185). Diese Rechtsentwicklung macht deutlich, dass der Gesetzgeber den Anspruch auf Behandlungssicherungspflege auch dann möglichst ungeschmälert erhalten sehen möchte, wenn gleichzeitig Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch genommen werden (BSG Urt v 17. 6. 2010 – B 3 KR 7/09 R RdNr 24)."

Nach alledem war wie tenoriert zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved