L 8 U 490/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 U 2636/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 490/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 04.12.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen infolge eines Arbeitsunfalls.

Der 1969 geborene Kläger wurde bei Ausübung seiner versicherten Tätigkeit als Kraftfahrer bei einer Spedition am 01.09.2000 beim Ausladen eines LKWs von einem anderen Lkw angefahren. Er erlitt dabei eine Quetschung des rechten Unterschenkels mit einer großer Schürfwunde und einer kleinen Platzwunde.

Im Jahr 2008 machte der Kläger zum wiederholten Mal eine Verletztenrente geltend. Nach Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. L. (Gutachten vom 15.03.2010), der keine eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) begründenden Unfallfolgen feststellte, insbesondere eine chronisch-venöse Insuffizienz der Beine, rechts mehr als links, als unfallunabhängig einstufte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.04.2010 [Bl. 137/139 der Verwaltungsakten der Beklagten (VA)] die Gewährung einer Verletztenrente ab. Den dagegen vom Kläger am 20.05.2010 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2011 (Bl. 191/194 VA) zurück. Die eingelegte Klage nahm er zurück (Niederschrift über die mündliche Verhandlung des SG Mannheim vom 22.03.2012 – S 1 U 1114/11, Bl. 9 SG-Akte).

Einen Antrag des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, insbesondere Kostenübernahme für eine Umschulungsmaßnahme, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.04.2012 ab. Bezüglich der dabei ebenfalls beantragten Kostenübernahme für orthopädische Schuhe teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 12.04.2012 (Bl. 15 SG-Akte) mit, dass eine Genehmigung ohne ärztliche Verordnung nicht erfolgen könne. Der Kläger werde gebeten, sich bei einem Durchgangsarzt vorzustellen.

Am 11.05.2015 stellte sich der Kläger bei dem Durchgangsarzt H. vor, der ausführte, dass die Beschwerden des Klägers seines Erachtens unfallunabhängig seien (Bericht vom 11.05.2015, Bl. 12/13 SG-Akte).

Am 31.08.2015 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) und machte die Gewährung von Unfallrente, Arbeitsbekleidung und Schuhen geltend. Sein rechter Fuß werde immer schlimmer, Schmerzen nicht besser.

Ein Vergleichsangebot der Beklagten, die Klage vom 31.08.2015 als Verschlimmerungsantrag zu behandeln, kommentierte der Kläger dahingehend, dass ein Vergleich über 250.000 EUR und eine monatliche Rente von 500 EUR rückwirkend für 15 Jahre zuzüglich Zinsen geschlossen werden könne. Er habe mehrere Wochen im Bett gelegen, weil des Schienbein wehgetan habe.

Mit Gerichtsbescheid vom 04.12.2015, der dem Kläger am 10.12.2015 zugestellt worden ist, wies das SG die Klage ab. Die Klage sei nicht zulässig, weil eine Verwaltungsentscheidung über das Begehren des Klägers noch nicht getroffen und auch ein Vorverfahren noch nicht durchgeführt worden sei.

Mit Schreiben vom 30.12.2015 hat sich U. G. an das SG Mannheim gewandt und Widerspruch gegen dessen Bescheid eingelegt. Es werde um Weiterleitung ans Landgericht Heilbronn gebeten. Der rechte Fuß habe sich verschlimmert. Das beim SG am 04.01.2016 eingegangene Schreiben wurde an das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) weitergeleitet.

Auf Anfrage, ob U. G. bevollmächtigt sei, in seinem Namen Berufung einzulegen, äußerte sich der Kläger nicht. Mit Schreiben vom 02.09.2016 teilte er mit, die HDI Versicherung wolle auch nichts bezahlen. Ihm stehe Geld zu. Es sei doch ein Arbeitsunfall und der Unfallverursacher ein Türke gewesen. Vor dem Unfall sei er ein gesunder Mensch gewesen und jetzt werde alles schlechter. Sein linker Fuß, Becken, Hüfte, Knie schmerzten. Dies habe er alles nach dem Unfall bekommen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente in Höhe von 500,00 EUR monatlich seit dem Arbeitsunfall vom 01.09.2000 zu zahlen sowie Leistungen für Arbeitskleidung und Arbeitsschuhe zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (Schreiben der Beklagte vom 31.08.2016, Erklärung des Klägers vom 02.09.2016).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie einen Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat [§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)], ist zulässig.

Der Senat legt das an das SG gerichtete und offensichtlich nicht von einer rechtskundigen Person verfasste Schreiben, mit welchem "Widerspruch" gegen den "Bescheid" des SG erklärt und um Weiterleitung an das Landgericht Heilbronn gebeten wurde, als Berufungseinlegung gegen den Gerichtsbescheid vom 04.12.2015 aus. Das Schreiben kann nur dahingehend verstanden werden, dass kein Einverständnis mit dem vom SG erlassenen Gerichtsbescheid besteht und deswegen für den Kläger ein Rechtsmittel zur nächsten Instanz eingelegt werden soll. Unter Berücksichtigung des aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebots der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist das Schreiben daher als Einlegung einer gegen den Gerichtsbescheid gemäß §§ 143, 144 SGG zulässigen Berufung an das hierfür zuständige LSG zu verstehen.

Mit Eingang des Schreibens am 04.01.2016 beim SG ist die Berufung gemäß § 151 SGG auch fristgerecht erhoben. Der Kläger hat zwar nicht mitgeteilt, ob U. G. bevollmächtigt war, Berufung in seinem Namen einzulegen. Der Senat konnte auch nicht klären, ob es sich bei Ulrike Geißelmann um die Ehefrau des Klägers oder eine mit ihm in gerader Linie Verwandte, deren Bevollmächtigung nach § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG unterstellt werden kann, bzw. überhaupt eine nach § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGG vertretungsberechtigte Familienangehörige handelt. Selbst wenn jedoch eine Bevollmächtigung nicht vorlag, ist dies vorliegend für die Zulässigkeit der Berufung unschädlich. Denn der Kläger hat unter dem 02.09.2016 selbst sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt und zur Berufung weiter vorgetragen. Er hat damit konkludent jedenfalls die bisherigen Prozesshandlungen rückwirkend genehmigt (vgl. Leitherer in Meyer/Ladewig/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 73 Rn. 65). Dabei erlangen auch die rückwirkend genehmigten Prozesserklärungen der Personen, denen von Gesetzes wegen keine Prozessführungsbefugnis zusteht, Wirksamkeit, denn ihre Prozesshandlungen bleiben wirksam bis zu ihrer Zurückweisung durch den Senat (§ 73 Abs. 3 Satz 2 SGG). Ein Zurückweisungsbeschluss des Senats ist nicht ergangen.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 04.12.2015 die Klage zu Recht abgewiesen, weil sie unzulässig ist.

Für die Klage(n) liegen die Sachurteilsvoraussetzungen (vgl. Keller in Meyer/Ladewig/Leitherer a.a.O., Vor § 51 Rn. 12, 15) eines vorangegangenen anfechtbaren Verwaltungsaktes (§ 54 Abs. 1 SGG) und eines durchgeführten Vorverfahrens – Widerspruch und Widerspruchsbescheid – (§ 78 SGG) nicht vor.

Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Leistungen, insbesondere für Arbeitskleidung und Schuhe sowie eine Rente, aufgrund des jedenfalls mit Bescheid vom 09.04.2010 als Arbeitsunfall anerkannten Ereignisses vom 01.09.2000. Über die Gewährung von Sozialleistungen, zu denen die vom Kläger begehrten Leistungen gehören, ist vor Klageerhebung in einem Verwaltungsverfahren zu befinden, das mit einem Verwaltungsakt abschließt, gegen den die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig ist (§ 54 Abs. 1, 2, 4 SGG). Voraussetzung ist somit, dass zunächst die Verwaltung mit der Sache befasst war und über das Begehren entschieden hat (vgl. BSG, Urteil vom 21.09.2010 – B 2 U 25/09 R; Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R; Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 28/04 R). Ein anfechtbarer Verwaltungsakt bezüglich der vom Kläger begehrten Leistungen ist nicht ergangen. Der Bescheid vom 09.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2011 ist mit der Rücknahme der Klage für die Beteiligten bindend geworden (§ 77 SGG). Den Bescheid vom 16.04.2012 hat der Kläger nicht mit Widerspruch angefochten, so dass auch dieser bindend geworden ist. Die Bescheide können daher kein zulässiger Gegenstand der vorliegenden Klage sein. Eine sonstige Entscheidung der Beklagten, die Gegenstand einer gerichtlichen Prüfung sein könnte, ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Insbesondere hat die Beklagte mit dem Schreiben vom 12.04.2012 bezüglich der Kostenübernahme orthopädischer Schuhe noch keine Entscheidung getroffen. Vielmehr hat sich der Kläger mit seinem Begehren unmittelbar an die Gerichte gewandt, ohne dass zuvor eine Entscheidung darüber herbeigeführt wurde.

Die Klage ist auch nicht als reine Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 5 SGG statthaft, weil sie nur für Gleichordnungsverhältnisse vorgesehen ist, in denen ein Verwaltungsakt gerade nicht zu ergehen hat. Soweit ein Leistungsträger durch Verwaltungsakt vorgehen kann, ist die Erhebung einer Leistungsklage unzulässig (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, IV. Kapitel, Rn. 62). Eine Feststellungsklage ist ebenfalls nicht statthaft, weil ein Feststellungsinteresse regelmäßig fehlt, wenn eine (kombinierte Anfechtungs- und) Leistungsklage erhoben werden kann (Krasney/Udsching, a.a.O., Rn. 3).

Dass es sich bei der Klage um eine Untätigkeitsklage nach § 88 SGG handeln könnte, ist dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen. Im Übrigen setzt die Untätigkeitsklage voraus, dass bei der Behörde ein Antrag gestellt wurde, der ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden ist. Insbesondere einen (noch nicht beschiedenen) Antrag auf die mit der Klage geltend gemachte Rente hat der Kläger bei der Beklagten noch nicht gestellt. Würde die Klageerhebung in einen entsprechenden Antrag umgedeutet, kann darin nicht zugleich eine Untätigkeitsklage gesehen werden.

Die Berufung konnte damit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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