Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 34 KR 354/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 396/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 27/16 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revision d.Bekl. mit Urteil des BSG zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.04.2016 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten nur noch im Rahmen der Widerklage um die Berechtigung der Beklagten, für eine stationäre Krankenhausbehandlung 1.373,05 Euro nachzuberechnen.
Der bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte I. T. (fortan: Versicherter) befand sich vom 4.10. bis 29.10.2010 zur stationären Behandlung im dem für die Versorgung von gesetzlich Versicherten zugelassenen (§ 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) Krankenhaus der Beklagten. Die Aufnahme des unter Parkinson leidenden Versicherten erfolgte wegen eines motorischen Hemisyndroms mit Verdacht auf einen Mediainfarkt. Der Versicherte wurde am 14.10.2010 operiert. Bereits vor der Operation entwickelte sich ab dem 7.10.2010 ein delirantes Syndrom, das sich nach zweimaliger Gabe von Lorazepam (Travor®) und die tägliche Verabreichung von Quetiapin (Seroquel®) nach der Operation bis zur Entlassung zurückbildete.
Die Beklagte stellte der Klägerin mit am 11.11.2010 zugegangener Schlussrechnung vom 9.11.2010 unter Zugrundelegung der DRG B 17 C einen Gesamtbetrag von 6.430,65 Euro in Rechnung, den die Klägerin beglich. Als zweite Nebendiagnose hatte die Beklagte ICD F13.7 (Psychische Verhaltensstörung durch Sedativa und Hypnotika: Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung) kodiert.
Die Klägerin leitete hinsichtlich der Frage, ob die Beklagte berechtigt war, die obere Grenzverweildauer zu überschreiten, ein Prüfverfahren beim Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) ein und forderte die Entlassungsberichte und die Fieberkurve an. Nachdem der MDK in seinem Gutachten vom 9.8.2011 von einer um 16 Belegungstage kürzeren Verweildauer ausging, forderte die Beklagte die sich daraus ergebende Überzahlung i.H.v. 3.757,84 Euro mit Schreiben vom 19.8.2011 zurück.
Nachdem die Beklagte hierauf auch nach Erinnerung nicht reagiert hatte, hat die Klägerin ihren Zahlungsanspruch mit Klage vom 12.4.2012 gerichtlich geltend gemacht. Die Beklagte hat ihre Schlussrechnung vom 9.11.2010 am 8.5.2011 storniert und der Klägerin für den streitigen Krankenhausaufenthalt eine neue Rechnung vom 8.5.2011 eingespielt, mit der sie unter Kodierung der ICD F13.7 als erste Nebendiagnose einen Gesamtbetrag i.H.v. 7.803,70 Euro forderte. Den Differenzbetrag zu der Schlussrechnung vom 9.11.2010 i.H.v. 1.373,05 hat sie widerklagend am 11.6.2012 geltend gemacht.
Die Klägerin hat zu der Widerklage vorgetragen, die Beklagte sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 8.9.2009 -B 1 KR 11/09 R-) mit ihrer Nachberechnung 18 Monate nach Erteilen der Schlussrechnung nach Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) ausgeschlossen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.757,84 Euro nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19.8.2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend hat die Beklagte beantragt,
die Klägerin im Wege der Widerklage zu verurteilen, an sie 1.373,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.5.2012 zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hat zu der Widerklage ausgeführt, dass die Klägerin angesichts des von ihr selbst eingeleiteten Prüfverfahrens und des sich anschließenden Rechtsstreits gar kein schutzwürdiges Vertrauen in die Schlussrechnung habe entwickeln können. Denn gerade sie selbst habe die Rechnung vom 9.11.2010 ja für unzutreffend gehalten. Zudem sei das MDK-Prüfverfahren frühestens mit dessen Gutachten vom 11.5.2011 beendet gewesen, sodass sie die Schlussrechnung am 8.5.2012 binnen Jahresfrist korrigiert habe.
Das SG hat gem. § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. I.1, Chefarzt der Klinik für Neurologie der Kliniken N in N., mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat am 26.4.2015 und 12.2.2016 u.a. ausgeführt, die Dauer der Krankenhausbehandlung sei medizinisch notwendig gewesen. Die Kodierung der Nebendiagnose F 13.7 sei nicht ausreichend begründet. Da als Ursachen des Delirs konkurrierend eher die Verschlechterung des Parkinson-Syndroms, ein postoperatives Delir oder die Verschlechterung durch den postoperativen Infekt in Frage komme, sei als Nebendiagnose F05.0 (Delir ohne Demenz) zu kodieren gewesen. Dies ist zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig wie der Umstand, dass in medizinischer Hinsicht die DRG B 07 Z zu kodieren gewesen wäre (vgl. Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung).
Das SG hat Klage und Widerklage (im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung) mit Urteil vom 28.4.2016 abgewiesen. Zu der im Wege der Widerklage erhobenen Leistungsklage hat es ausgeführt, die Beklagte sei nach Treu und Glauben mit ihrer Nachforderung ausgeschlossen, da sie diese erst im übernächsten auf die vorbehaltslose Schlussrechnung folgenden Jahr geltend gemacht habe.
Gegen das den Beteiligten am 6.5.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben könne ihr schon deshalb nicht vorgeworfen werden, weil die Klägerin angesichts des von ihr eingeleiteten Prüf- und Klageverfahrens kein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechnung habe bilden können. Der Hinweis des Sozialgerichts auf das sog. "Haushaltsjahr" sei verfehlt, da es an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage fehle. Ein entsprechender Ansatz sei auch nicht den §§ 67, 68 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) zu entnehmen, da sich die Regelungen nicht zu Rechten Dritter verhielten. Stelle man nur auf den Haushaltsplan und dessen zeitliche Komponente ab, lasse man das für eine Verwirkung zusätzlich erforderliche Umstandsmoment außen vor uns setzte sich in einen eklatanten Widerspruch zu der gesetzlich geregelten Verjährungsfrist von vier Jahren. Die Entscheidung des SG verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz (GG), da Vergütungsausschlüsse nach den Ausführungen des BVerfG (Beschluss vom 7.5.2014 -1 BvR 3571/13 und 3572/13-) prinzipiell einer gesetzlichen Grundlage bedürften und die Entscheidung die bei Grundrechtseingriffen zwingend erforderliche Güterabwägung vermissen lasse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.4.2016 zu ändern und nach dem Widerklageantrag zu entscheiden.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf das erstinstanzliche Urteil, die Rechtsprechung des BSG und die Entscheidung des erkennenden Senats vom 1.10.2015 (L 5 KR 733/13).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakten der Klägerin, die Gerichtsakten und die Patientenakte der Beklagten, die alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Widerklage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat keinen Anspruch gegen die Klägerin auf Zahlung weiterer 1.373,05 Euro aufgrund der stationären Behandlung des Versicherten im Zeitraum vom 4.10. - 29.10.2010.
Rechtsgrundlage des zulässig mit der echten Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG im Rahmen der Widerklage verfolgten weiteren Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme -der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist.
Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens war es zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Beklagten gegenüber der Klägerin für die stationäre Behandlung des Versicherten vom 4.10. - 29.10.2010 auf der Basis der DRG B 07 Z ein Vergütungsanspruch i.H.v. 7.803,70 Euro erwachsen war. Die Beklagte war am 8.5.2012 aber nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) mit der Nachberechnung der bisher noch nicht in Rechnung gestellten Differenz i.H.v. 1.373,05 Euro ausgeschlossen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) steht die Nachforderung eines restlichen Vergütungsanspruchs unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben, der über § 69 SGB V gemäß § 242 BGB auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten einwirkt. Die dauerhaften, professionellen Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen sind von einem systembedingten Beschleunigungsgebot geprägt, verpflichteten zu gegenseitiger Rücksichtnahme und begrenzten die Befugnis der Krankenhäuser zur nachträglichen Rechnungskorrektur. In der Zeit, als sowohl der 1. als auch der 3. Senat des BSG noch für das Leistungserbringerrecht der Krankenhäuser zuständig waren, haben sich beide Senate bereits mit den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Rechnungskorrektur auseinandergesetzt:
Der Entscheidung des 1. Senats vom 08.09.2009 (B 1 KR 11/09 R) lag eine Rechnungskorrektur mehr als zwei Jahre nach Rechnungslegung zugrunde. Der 1. Senat kam hier zu dem Ergebnis, dass die auf einem verdeckten Fehler beruhende Neuabrechnung nicht "zeitnah" erfolgt und daher nicht möglich sei. In dem Urteil vom 13.11.2012 (B 1 KR 6/12 R) präzisierte der 1. Senat den Begriff "zeitnah", indem er ausführte, die Krankenkassen dürften von den Krankenhäusern erwarten, dass diese "jedenfalls innerhalb eines vollständigen Geschäftsjahres" durch ihre Binnenkontrolle abklärten, ob die erteilten Schlussrechnungen vollständig oder zu korrigieren seien. Der 3. Senat entscheid am 17.12.2009 (B 3 KR 12/08 R) zu einer drei Monate nach Rechungslegung erfolgten Rechnungserhöhung um 1,7%, dass in Analogie zu § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V die Korrektur einer vorbehaltlosen Schlussrechnung durch ein Krankenhaus unabhängig von deren Höhe innerhalb von sechs Wochen seit Rechnungsstellung grundsätzlich möglich sei. Nach Ablauf der Sechswochenfrist und außerhalb eines laufenden Prüfverfahrens von Seiten des MDK könne ein Krankenhaus eine vorbehaltlose Schlussrechnung - von offensichtlichen Schreib- und Rechenfehlern abgesehen - nur dann korrigieren, wenn die Nachforderung den Betrag von 100,- Euro (bzw. 300,- Euro für die Zeit ab 25.03.2009) überschreite und mindestens 5 % des Ausgangsrechnungswertes erreiche. In seiner zweiten Entscheidung vom 22.11.2012 (B 3 KR 1/12 R) führte der 3. Senat bei einer die Betragsgrenze übersteigenden Rechnungskorrektur nach etwas mehr als sechs Monaten nach Erteilung der Schlussrechnung aus, dass er mit dem 1. Senat dahingehend übereinstimme, dass der zeitliche Rahmen für zulässige Nachberechnungen auf das Ende des auf die erste Abrechnung folgenden Kalenderjahres zu beschränken sei.
Nachdem die ausschließliche Zuständigkeit für das Leistungserbringerrecht der Krankenhäuser auf den 1.Senat des BSG übergegangen war, stellte dieser mit Urteil vom 19.4.2016 (B 1 KR 33/15 R) zu einer gut zwei Monate nach Rechnungsstellung erfolgten Korrektur fest, dass das Rechtsinstitut der Verwirkung als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht passe und nur in besonderen, engen Ausnahmefällen anzuwenden sei, etwa wenn sich das Krankenhaus länger als ein ganzes Rechnungsjahr Zeit lasse, um eine vorbehaltslos erteilte Schlussrechnung im Wege der Nachforderung im Blick auf Grundlagen zu korrigieren, die dem eigenen Verantwortungsbereich entstammten. An der Rechtsprechung des 3. Senats, der die Möglichkeit der Nachforderung sechs Wochen nach Rechnungsstellung nach dem Grundsatz der "Waffengleichheit", § 275 Abs. 1c SGB V und § 242 BGB eingeschränkt habe, werde nicht festgehalten, da im Rechtsverhältnis von Krankenkassen und Krankenhäusern weder über das "Gebot der Waffengleichheit" vermeintlich spiegelbildlich zu § 275 Abs. 1c SGB V nach Ablauf der Frist ein Einwendungsausschluss herzuleiten sei noch sich für eine "Bagatellgrenze" bei Nachberechnungen eine hinreichende gesetzliche Grundlage finde. Ein widersprüchliches Verhalten sei erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn die Krankenkasse auf die Schlussrechnung vertraut habe und ihr Vertrauen schutzwürdig sei, da sie sich in einer Art und Weise darauf eingerichtet habe, die eine Nachforderung für sie nicht mehr zumutbar erscheinen lasse. Daran fehle es, wenn die Nachforderung noch im laufenden Geschäftsjahr geltend gemacht werde. Diese Rechtsprechung bestätigte der 1. Senat mit Urteil vom 5.7.2016 (B 1 KR 40/15 R, siehe auch Beschuss (NZB) vom 25.7.2016 -B 1 KR 2/16 B-), der eine Nachberechnung infolge einer ursprünglich übersehenen Kodierung, die am 16.5.2011 auf die Schlussrechnung vom 11.3.2010 erfolgte, zu Grunde lag. Zur Erhaltung tragfähiger Berechnungsgrundlagen müssten sich die Krankenkassen grundsätzlich auf die erteilte Schlussrechnung verlassen können, um die dem Haushaltsplan (§§ 67 ff SGB IV) zu Grunde liegenden Ausgabe- und Einnahmeerwartungen mit den tatsächlichen Ausgaben und Einnahmen verlässlich abgleichen zu können. Um es aber den Krankenhäusern zu ermöglichen, alle im Haushaltsjahr übermittelten Schlussrechnungen noch einmal effektiv überprüfen zu können, sei diesen dafür im Sinne einer praktischen Konkordanz zum Ausgleich der gegenläufigen schutzwürdigen Interessen der Zeitraum eines vollen Haushaltsjahres nach Ablauf des Rechnungsjahres zuzubilligen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze verstößt die Rechnungskorrektur der Beklagten vom 8.5.2012 gegen Treu und Glauben. Die Klägerin hat auf die Schlussrechnung vom 9.11.2010 vertraut, ihr Vertrauen war schutzwürdig und sie durfte sich auf den Bestand der Schlussrechnung einrichten.
Die Beklagte hat mit ihrer nicht offensichtlich unrichtigen Schlussrechnung vom 9.11.2010 ein Umstandsmoment gesetzt und weder im Rechnungs- noch in dem darauf folgenden Haushaltsjahr in irgendeiner Weise zu erkennen geben, dass sie an dieser Schlussrechnung nicht mehr festhält und eine Nachberechnung vorzunehmen gedenkt. Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht hinsichtlich des aus Gründen praktischer Konkordanz grundsätzlich gezogenen zeitlichen Rahmens für nach § 242 BGB zulässige Rechnungskorrekturen kein weiterer Klärungsbedarf, da der 1. Senat in seiner Rechtsprechung -der sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung anschließt - mehrfach und ausdrücklich auf das dem Rechnungsjahr folgende Haushaltsjahr abgestellt hat.
Die Klägerin hat innerhalb der nach § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V geltenden Frist die Prüfung der Schlussrechnung hinsichtlich der Überschreitung der oberen Grenzverweildauer angezeigt, diese nach Eingang des MDK-Gutachtens vom 9.8.2011 hinsichtlich der oberen Grenzverweildauer beanstandet und den überzahlten Betrag i.H.v. 3.757,84 Euro im April 2012 klageweise zurückgefordert. Mit diesem Verhalten bringt die Klägerin zwar zum Ausdruck, dass sie anzweifelt, den gesamten am 11.11.2010 in Rechnung gestellten Betrag begleichen zu müssen. Zur Überzeugung des Senats hat sie aber darüber hinaus darauf vertraut, jedenfalls nicht mehr als 6.430,65 Euro für den stationären Aufenthalt des Versicherten vom 4.10. - 29.10.2010 zahlen zu müssen. Dieses Vertrauen war auch schutzwürdig, da die Beklagte sich weder zu der beanstandeten Thematik geäußert noch zum Ausdruck gebracht hat, dass die Rechnung vom 9.11.2010 zu niedrig ausgefallen war. Folglich durfte sich die Beklagte nach Ablauf des auf das Rechnungsjahr folgenden Haushaltsjahrs buchhalterisch darauf einrichten, jedenfalls nicht mehr als 6.430,65 Euro für den stationären Aufenthalt des Versicherten vom 4.10. - 29.10.2010 einzukalkulieren und keine weiteren Rückstellungen bilden zu müssen. Die erst am 8.4.2012 erstellte Rechnungskorrektur lag außerhalb des zeitlichen Rahmens, in dem Rechnungskorrekturen des Krankenhauses nach Treu und Glauben zulässig sind. Diese Betrachtungsweise benachteiligt die Beklagte nicht unangemessen, da nur sie über alle Unterlagen und Informationen verfügte, aus der sich die fehlerhafte Kodierung der Nebendiagnose ergab. Die Klägerin hat für die MDK-Prüfung lediglich die Entlassungsberichte und die Fieberkurve angefordert, aus denen die fehlerhafte Codierung der Nebendiagnose allein nicht erkennbar war. Der Beklagte hingegen wäre es -ohne zumutbare Nachteile in Kauf nehmen zu müssen- durchaus möglich gewesen, die Schlussrechnung innerhalb des hier entscheidungserheblichen Zeitrahmens -z.B. gerade auf auf die MDK-Prüfung hin- nochmal zu überprüfen. Zwar führt der 1. Senat in seinem Urteil vom 5.7.2016 (a.a.O., RZ. 22), in dem es allerdings auch nicht um eine von der Krankenkasse beanstandete Schlussrechnung ging, aus, dass die Krankenkassen grundsätzlich davon ausgehen dürfen, dass einmal gestellte, nicht beanstandete Schlussrechnungen nicht von den Krankenhäusern zu einem Zeitpunkt nachträglich korrigiert werden, die ihre Kalkulation beeinträchtigen. Dies widerspricht der Entscheidung des erkennenden Senats jedoch nicht. Denn im vorliegenden Fall erfolgte die Beanstandung nachdem die Beklagte ihre Kalkulation abgeschlossen hatte und sie erfolgte auch nur insoweit, als die Beklagte 6.430,65 Euro in Rechnung gestellt hatte.
Anhaltspunkte dafür, dass die Auslegung des erkennenden Senats die Beklagte in ihrem Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt, sind nicht ersichtlich. Es ist nicht dargetan, inwieweit die Beklagte durch die nicht mehr nachzufordernden 1.373,05 Euro an der Führung ihrer Klinik gehindert wird. Darüber hinaus wäre bei einer Güterabwägung sicherlich zu berücksichtigen, dass die Beklagte allein und ohne unzumutbaren Aufwand dazu in der Lage war, die fehlerhafte Codierung spätestens bis zum Ablauf des auf das Rechnungsjahr folgenden Haushaltsjahres zu erkennen und die Rechnung zu korrigieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Frage, ob unter welchen Voraussetzungen ein Krankenhaus mit Nachberechnungen nach Ablauf des auf das Rechnungsjahr folgenden Haushaltsjahres auch bei beanstandeten Schlussrechnungen nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist, bisher höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt ist; § 160 Abs. 2 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten nur noch im Rahmen der Widerklage um die Berechtigung der Beklagten, für eine stationäre Krankenhausbehandlung 1.373,05 Euro nachzuberechnen.
Der bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte I. T. (fortan: Versicherter) befand sich vom 4.10. bis 29.10.2010 zur stationären Behandlung im dem für die Versorgung von gesetzlich Versicherten zugelassenen (§ 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) Krankenhaus der Beklagten. Die Aufnahme des unter Parkinson leidenden Versicherten erfolgte wegen eines motorischen Hemisyndroms mit Verdacht auf einen Mediainfarkt. Der Versicherte wurde am 14.10.2010 operiert. Bereits vor der Operation entwickelte sich ab dem 7.10.2010 ein delirantes Syndrom, das sich nach zweimaliger Gabe von Lorazepam (Travor®) und die tägliche Verabreichung von Quetiapin (Seroquel®) nach der Operation bis zur Entlassung zurückbildete.
Die Beklagte stellte der Klägerin mit am 11.11.2010 zugegangener Schlussrechnung vom 9.11.2010 unter Zugrundelegung der DRG B 17 C einen Gesamtbetrag von 6.430,65 Euro in Rechnung, den die Klägerin beglich. Als zweite Nebendiagnose hatte die Beklagte ICD F13.7 (Psychische Verhaltensstörung durch Sedativa und Hypnotika: Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung) kodiert.
Die Klägerin leitete hinsichtlich der Frage, ob die Beklagte berechtigt war, die obere Grenzverweildauer zu überschreiten, ein Prüfverfahren beim Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) ein und forderte die Entlassungsberichte und die Fieberkurve an. Nachdem der MDK in seinem Gutachten vom 9.8.2011 von einer um 16 Belegungstage kürzeren Verweildauer ausging, forderte die Beklagte die sich daraus ergebende Überzahlung i.H.v. 3.757,84 Euro mit Schreiben vom 19.8.2011 zurück.
Nachdem die Beklagte hierauf auch nach Erinnerung nicht reagiert hatte, hat die Klägerin ihren Zahlungsanspruch mit Klage vom 12.4.2012 gerichtlich geltend gemacht. Die Beklagte hat ihre Schlussrechnung vom 9.11.2010 am 8.5.2011 storniert und der Klägerin für den streitigen Krankenhausaufenthalt eine neue Rechnung vom 8.5.2011 eingespielt, mit der sie unter Kodierung der ICD F13.7 als erste Nebendiagnose einen Gesamtbetrag i.H.v. 7.803,70 Euro forderte. Den Differenzbetrag zu der Schlussrechnung vom 9.11.2010 i.H.v. 1.373,05 hat sie widerklagend am 11.6.2012 geltend gemacht.
Die Klägerin hat zu der Widerklage vorgetragen, die Beklagte sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 8.9.2009 -B 1 KR 11/09 R-) mit ihrer Nachberechnung 18 Monate nach Erteilen der Schlussrechnung nach Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) ausgeschlossen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.757,84 Euro nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19.8.2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend hat die Beklagte beantragt,
die Klägerin im Wege der Widerklage zu verurteilen, an sie 1.373,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.5.2012 zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hat zu der Widerklage ausgeführt, dass die Klägerin angesichts des von ihr selbst eingeleiteten Prüfverfahrens und des sich anschließenden Rechtsstreits gar kein schutzwürdiges Vertrauen in die Schlussrechnung habe entwickeln können. Denn gerade sie selbst habe die Rechnung vom 9.11.2010 ja für unzutreffend gehalten. Zudem sei das MDK-Prüfverfahren frühestens mit dessen Gutachten vom 11.5.2011 beendet gewesen, sodass sie die Schlussrechnung am 8.5.2012 binnen Jahresfrist korrigiert habe.
Das SG hat gem. § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. I.1, Chefarzt der Klinik für Neurologie der Kliniken N in N., mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat am 26.4.2015 und 12.2.2016 u.a. ausgeführt, die Dauer der Krankenhausbehandlung sei medizinisch notwendig gewesen. Die Kodierung der Nebendiagnose F 13.7 sei nicht ausreichend begründet. Da als Ursachen des Delirs konkurrierend eher die Verschlechterung des Parkinson-Syndroms, ein postoperatives Delir oder die Verschlechterung durch den postoperativen Infekt in Frage komme, sei als Nebendiagnose F05.0 (Delir ohne Demenz) zu kodieren gewesen. Dies ist zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig wie der Umstand, dass in medizinischer Hinsicht die DRG B 07 Z zu kodieren gewesen wäre (vgl. Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung).
Das SG hat Klage und Widerklage (im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung) mit Urteil vom 28.4.2016 abgewiesen. Zu der im Wege der Widerklage erhobenen Leistungsklage hat es ausgeführt, die Beklagte sei nach Treu und Glauben mit ihrer Nachforderung ausgeschlossen, da sie diese erst im übernächsten auf die vorbehaltslose Schlussrechnung folgenden Jahr geltend gemacht habe.
Gegen das den Beteiligten am 6.5.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben könne ihr schon deshalb nicht vorgeworfen werden, weil die Klägerin angesichts des von ihr eingeleiteten Prüf- und Klageverfahrens kein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechnung habe bilden können. Der Hinweis des Sozialgerichts auf das sog. "Haushaltsjahr" sei verfehlt, da es an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage fehle. Ein entsprechender Ansatz sei auch nicht den §§ 67, 68 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) zu entnehmen, da sich die Regelungen nicht zu Rechten Dritter verhielten. Stelle man nur auf den Haushaltsplan und dessen zeitliche Komponente ab, lasse man das für eine Verwirkung zusätzlich erforderliche Umstandsmoment außen vor uns setzte sich in einen eklatanten Widerspruch zu der gesetzlich geregelten Verjährungsfrist von vier Jahren. Die Entscheidung des SG verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz (GG), da Vergütungsausschlüsse nach den Ausführungen des BVerfG (Beschluss vom 7.5.2014 -1 BvR 3571/13 und 3572/13-) prinzipiell einer gesetzlichen Grundlage bedürften und die Entscheidung die bei Grundrechtseingriffen zwingend erforderliche Güterabwägung vermissen lasse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.4.2016 zu ändern und nach dem Widerklageantrag zu entscheiden.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf das erstinstanzliche Urteil, die Rechtsprechung des BSG und die Entscheidung des erkennenden Senats vom 1.10.2015 (L 5 KR 733/13).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakten der Klägerin, die Gerichtsakten und die Patientenakte der Beklagten, die alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Widerklage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat keinen Anspruch gegen die Klägerin auf Zahlung weiterer 1.373,05 Euro aufgrund der stationären Behandlung des Versicherten im Zeitraum vom 4.10. - 29.10.2010.
Rechtsgrundlage des zulässig mit der echten Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG im Rahmen der Widerklage verfolgten weiteren Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme -der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist.
Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens war es zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Beklagten gegenüber der Klägerin für die stationäre Behandlung des Versicherten vom 4.10. - 29.10.2010 auf der Basis der DRG B 07 Z ein Vergütungsanspruch i.H.v. 7.803,70 Euro erwachsen war. Die Beklagte war am 8.5.2012 aber nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) mit der Nachberechnung der bisher noch nicht in Rechnung gestellten Differenz i.H.v. 1.373,05 Euro ausgeschlossen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) steht die Nachforderung eines restlichen Vergütungsanspruchs unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben, der über § 69 SGB V gemäß § 242 BGB auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten einwirkt. Die dauerhaften, professionellen Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen sind von einem systembedingten Beschleunigungsgebot geprägt, verpflichteten zu gegenseitiger Rücksichtnahme und begrenzten die Befugnis der Krankenhäuser zur nachträglichen Rechnungskorrektur. In der Zeit, als sowohl der 1. als auch der 3. Senat des BSG noch für das Leistungserbringerrecht der Krankenhäuser zuständig waren, haben sich beide Senate bereits mit den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Rechnungskorrektur auseinandergesetzt:
Der Entscheidung des 1. Senats vom 08.09.2009 (B 1 KR 11/09 R) lag eine Rechnungskorrektur mehr als zwei Jahre nach Rechnungslegung zugrunde. Der 1. Senat kam hier zu dem Ergebnis, dass die auf einem verdeckten Fehler beruhende Neuabrechnung nicht "zeitnah" erfolgt und daher nicht möglich sei. In dem Urteil vom 13.11.2012 (B 1 KR 6/12 R) präzisierte der 1. Senat den Begriff "zeitnah", indem er ausführte, die Krankenkassen dürften von den Krankenhäusern erwarten, dass diese "jedenfalls innerhalb eines vollständigen Geschäftsjahres" durch ihre Binnenkontrolle abklärten, ob die erteilten Schlussrechnungen vollständig oder zu korrigieren seien. Der 3. Senat entscheid am 17.12.2009 (B 3 KR 12/08 R) zu einer drei Monate nach Rechungslegung erfolgten Rechnungserhöhung um 1,7%, dass in Analogie zu § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V die Korrektur einer vorbehaltlosen Schlussrechnung durch ein Krankenhaus unabhängig von deren Höhe innerhalb von sechs Wochen seit Rechnungsstellung grundsätzlich möglich sei. Nach Ablauf der Sechswochenfrist und außerhalb eines laufenden Prüfverfahrens von Seiten des MDK könne ein Krankenhaus eine vorbehaltlose Schlussrechnung - von offensichtlichen Schreib- und Rechenfehlern abgesehen - nur dann korrigieren, wenn die Nachforderung den Betrag von 100,- Euro (bzw. 300,- Euro für die Zeit ab 25.03.2009) überschreite und mindestens 5 % des Ausgangsrechnungswertes erreiche. In seiner zweiten Entscheidung vom 22.11.2012 (B 3 KR 1/12 R) führte der 3. Senat bei einer die Betragsgrenze übersteigenden Rechnungskorrektur nach etwas mehr als sechs Monaten nach Erteilung der Schlussrechnung aus, dass er mit dem 1. Senat dahingehend übereinstimme, dass der zeitliche Rahmen für zulässige Nachberechnungen auf das Ende des auf die erste Abrechnung folgenden Kalenderjahres zu beschränken sei.
Nachdem die ausschließliche Zuständigkeit für das Leistungserbringerrecht der Krankenhäuser auf den 1.Senat des BSG übergegangen war, stellte dieser mit Urteil vom 19.4.2016 (B 1 KR 33/15 R) zu einer gut zwei Monate nach Rechnungsstellung erfolgten Korrektur fest, dass das Rechtsinstitut der Verwirkung als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht passe und nur in besonderen, engen Ausnahmefällen anzuwenden sei, etwa wenn sich das Krankenhaus länger als ein ganzes Rechnungsjahr Zeit lasse, um eine vorbehaltslos erteilte Schlussrechnung im Wege der Nachforderung im Blick auf Grundlagen zu korrigieren, die dem eigenen Verantwortungsbereich entstammten. An der Rechtsprechung des 3. Senats, der die Möglichkeit der Nachforderung sechs Wochen nach Rechnungsstellung nach dem Grundsatz der "Waffengleichheit", § 275 Abs. 1c SGB V und § 242 BGB eingeschränkt habe, werde nicht festgehalten, da im Rechtsverhältnis von Krankenkassen und Krankenhäusern weder über das "Gebot der Waffengleichheit" vermeintlich spiegelbildlich zu § 275 Abs. 1c SGB V nach Ablauf der Frist ein Einwendungsausschluss herzuleiten sei noch sich für eine "Bagatellgrenze" bei Nachberechnungen eine hinreichende gesetzliche Grundlage finde. Ein widersprüchliches Verhalten sei erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn die Krankenkasse auf die Schlussrechnung vertraut habe und ihr Vertrauen schutzwürdig sei, da sie sich in einer Art und Weise darauf eingerichtet habe, die eine Nachforderung für sie nicht mehr zumutbar erscheinen lasse. Daran fehle es, wenn die Nachforderung noch im laufenden Geschäftsjahr geltend gemacht werde. Diese Rechtsprechung bestätigte der 1. Senat mit Urteil vom 5.7.2016 (B 1 KR 40/15 R, siehe auch Beschuss (NZB) vom 25.7.2016 -B 1 KR 2/16 B-), der eine Nachberechnung infolge einer ursprünglich übersehenen Kodierung, die am 16.5.2011 auf die Schlussrechnung vom 11.3.2010 erfolgte, zu Grunde lag. Zur Erhaltung tragfähiger Berechnungsgrundlagen müssten sich die Krankenkassen grundsätzlich auf die erteilte Schlussrechnung verlassen können, um die dem Haushaltsplan (§§ 67 ff SGB IV) zu Grunde liegenden Ausgabe- und Einnahmeerwartungen mit den tatsächlichen Ausgaben und Einnahmen verlässlich abgleichen zu können. Um es aber den Krankenhäusern zu ermöglichen, alle im Haushaltsjahr übermittelten Schlussrechnungen noch einmal effektiv überprüfen zu können, sei diesen dafür im Sinne einer praktischen Konkordanz zum Ausgleich der gegenläufigen schutzwürdigen Interessen der Zeitraum eines vollen Haushaltsjahres nach Ablauf des Rechnungsjahres zuzubilligen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze verstößt die Rechnungskorrektur der Beklagten vom 8.5.2012 gegen Treu und Glauben. Die Klägerin hat auf die Schlussrechnung vom 9.11.2010 vertraut, ihr Vertrauen war schutzwürdig und sie durfte sich auf den Bestand der Schlussrechnung einrichten.
Die Beklagte hat mit ihrer nicht offensichtlich unrichtigen Schlussrechnung vom 9.11.2010 ein Umstandsmoment gesetzt und weder im Rechnungs- noch in dem darauf folgenden Haushaltsjahr in irgendeiner Weise zu erkennen geben, dass sie an dieser Schlussrechnung nicht mehr festhält und eine Nachberechnung vorzunehmen gedenkt. Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht hinsichtlich des aus Gründen praktischer Konkordanz grundsätzlich gezogenen zeitlichen Rahmens für nach § 242 BGB zulässige Rechnungskorrekturen kein weiterer Klärungsbedarf, da der 1. Senat in seiner Rechtsprechung -der sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung anschließt - mehrfach und ausdrücklich auf das dem Rechnungsjahr folgende Haushaltsjahr abgestellt hat.
Die Klägerin hat innerhalb der nach § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V geltenden Frist die Prüfung der Schlussrechnung hinsichtlich der Überschreitung der oberen Grenzverweildauer angezeigt, diese nach Eingang des MDK-Gutachtens vom 9.8.2011 hinsichtlich der oberen Grenzverweildauer beanstandet und den überzahlten Betrag i.H.v. 3.757,84 Euro im April 2012 klageweise zurückgefordert. Mit diesem Verhalten bringt die Klägerin zwar zum Ausdruck, dass sie anzweifelt, den gesamten am 11.11.2010 in Rechnung gestellten Betrag begleichen zu müssen. Zur Überzeugung des Senats hat sie aber darüber hinaus darauf vertraut, jedenfalls nicht mehr als 6.430,65 Euro für den stationären Aufenthalt des Versicherten vom 4.10. - 29.10.2010 zahlen zu müssen. Dieses Vertrauen war auch schutzwürdig, da die Beklagte sich weder zu der beanstandeten Thematik geäußert noch zum Ausdruck gebracht hat, dass die Rechnung vom 9.11.2010 zu niedrig ausgefallen war. Folglich durfte sich die Beklagte nach Ablauf des auf das Rechnungsjahr folgenden Haushaltsjahrs buchhalterisch darauf einrichten, jedenfalls nicht mehr als 6.430,65 Euro für den stationären Aufenthalt des Versicherten vom 4.10. - 29.10.2010 einzukalkulieren und keine weiteren Rückstellungen bilden zu müssen. Die erst am 8.4.2012 erstellte Rechnungskorrektur lag außerhalb des zeitlichen Rahmens, in dem Rechnungskorrekturen des Krankenhauses nach Treu und Glauben zulässig sind. Diese Betrachtungsweise benachteiligt die Beklagte nicht unangemessen, da nur sie über alle Unterlagen und Informationen verfügte, aus der sich die fehlerhafte Kodierung der Nebendiagnose ergab. Die Klägerin hat für die MDK-Prüfung lediglich die Entlassungsberichte und die Fieberkurve angefordert, aus denen die fehlerhafte Codierung der Nebendiagnose allein nicht erkennbar war. Der Beklagte hingegen wäre es -ohne zumutbare Nachteile in Kauf nehmen zu müssen- durchaus möglich gewesen, die Schlussrechnung innerhalb des hier entscheidungserheblichen Zeitrahmens -z.B. gerade auf auf die MDK-Prüfung hin- nochmal zu überprüfen. Zwar führt der 1. Senat in seinem Urteil vom 5.7.2016 (a.a.O., RZ. 22), in dem es allerdings auch nicht um eine von der Krankenkasse beanstandete Schlussrechnung ging, aus, dass die Krankenkassen grundsätzlich davon ausgehen dürfen, dass einmal gestellte, nicht beanstandete Schlussrechnungen nicht von den Krankenhäusern zu einem Zeitpunkt nachträglich korrigiert werden, die ihre Kalkulation beeinträchtigen. Dies widerspricht der Entscheidung des erkennenden Senats jedoch nicht. Denn im vorliegenden Fall erfolgte die Beanstandung nachdem die Beklagte ihre Kalkulation abgeschlossen hatte und sie erfolgte auch nur insoweit, als die Beklagte 6.430,65 Euro in Rechnung gestellt hatte.
Anhaltspunkte dafür, dass die Auslegung des erkennenden Senats die Beklagte in ihrem Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt, sind nicht ersichtlich. Es ist nicht dargetan, inwieweit die Beklagte durch die nicht mehr nachzufordernden 1.373,05 Euro an der Führung ihrer Klinik gehindert wird. Darüber hinaus wäre bei einer Güterabwägung sicherlich zu berücksichtigen, dass die Beklagte allein und ohne unzumutbaren Aufwand dazu in der Lage war, die fehlerhafte Codierung spätestens bis zum Ablauf des auf das Rechnungsjahr folgenden Haushaltsjahres zu erkennen und die Rechnung zu korrigieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Frage, ob unter welchen Voraussetzungen ein Krankenhaus mit Nachberechnungen nach Ablauf des auf das Rechnungsjahr folgenden Haushaltsjahres auch bei beanstandeten Schlussrechnungen nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist, bisher höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt ist; § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved