S 2 SO 385/15 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 385/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller über den 31. Juli 2015 hinaus gemäß Antrag vom 05.03.2015 die bisher gewährten Leistungen der Eingliederungshilfe bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag vom 05.03.2015 vorläufig weiter zu gewähren. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Weitergewährung der Eingliederungshilfe in Form eines persönlichen Budgets für seine Autismustherapie.

Der am 00.00.2001 geborene Antragsteller leidet unter einer deutlichen kognitiven Retardierung mit einer orientierend als mittelgradig beurteilten Intelligenzminderung mit einem IQ von 41 und einer Störung aus dem Bereich des Autismus. Er besucht die Förderklasse des 6. Schuljahres der Realschule C. Seit März 2005 erfolgte eine Autismustherapie im Institut L. Seit März 2006 wurde die Therapie durchgängig vom Sozialamt getragen.

Am 05.03.2015 beantragte der Antragsteller die Weitergewährung der Leistungen über Juli 2015 hinaus. Mit Bescheid vom 24.09.2015 lehnte die Antragsgegnerin die Weitergewährung der Leistungen ab dem 01.08.2015 ab. Eine weitere Förderung durch das ABA L sei nicht weiter zielführend. Sinnvoller wäre vielmehr eine heilpädagogische Förderung. Dagegen erhob der Antragsteller am 01.10.2015 Widerspruch. Er verwies darauf, dass bereits der Bericht der Universitätsklinik N vom 29.06.2015 zu einer anderen Schlussbetrachtung im Sinne einer Befürwortung der bisherigen Maßnahmen mit einer Wiedervorstellung in zwei Jahren komme. Mit Schriftsatz vom 26.11.2015 bot die Antragsgegnerin eine weitere Anhörung an. Mit Schriftsatz vom 03.12.2015 verwies der Antragsteller nochmals auf den Bericht der Uni-Klinik N durch Frau Dr. G-L1 vom 29.06.2015. Gerade in der Phase der Pubertät benötige er Unterstützung. Die Förderung werde derzeit noch auf eigene Kosten der Mutter fortgeführt. Die Mittel könnten bald jedoch nicht mehr aufgebracht werden.

Der Antragsteller begehrt nun einstweiligen Rechtsschutz.

Er beantragt sinngemäß,

die Antragsgegnerin auf seinen Antrag vom 05.03.2015 nun im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die bisher gewährten Leistungen der Eingliederungshilfe bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag vom 05.03.2015 weiter zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Obwohl an der Zugehörigkeit des Kindes zum Personenkreis nach § 53 SGB XII unverändert keine Zweifel bestünden, sei der Antrag abgelehnt worden, da die zuständigen Mitarbeiter des Gesundheitsamtes nach langjähriger Kenntnis des Falles endgültig zu dem Ergebnis gelangt seien, dass ein weiterer Eingliederungsprozess mittels der ABA-Methode L nicht mehr erwartet werden könne. Die Hinweise auf eine mittelgradige Intelligenzminderung i.V.m. minimalen Fortschritten hinsichtlich der intellektuellen Fähigkeiten führten zu dem Ergebnis, dass er im Institut L keine geeignete Unterstützung mehr erfahre. Auch die regelmäßigen Anträge auf Schulbegleitung bestätigten, dass seit Jahren unverändert eine umfassende Individualbetreuung erforderlich sei. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 21.12.2015 Bezug genommen.

Auch für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte des Verwaltungsverfahrens Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet. Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 86b Abs. 1 SGG auf Antrag ( ) 2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Bestimmung kommt auch zur Anwendung, wenn die Verwaltung die aufschiebende Wirkung nicht beachtet, also die aufschiebende Wirkung festgestellt werden muss (Meyer-Ladewig-Keller, Kommentar zum SGG § 86b Rdnr. 5 und 15). Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines bestehenden Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind gemäß §§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens bedarf es einer Interessenabwägung, ob dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten unzumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Im vorliegenden Fall geht die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Denn Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs. 2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs. 3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs. 4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.

Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII insbesondere 1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.

Zwischen den Beteiligten war für die Vergangenheit unstreitig, dass hier Eingliederungshilfe zu gewähren war. Die Antragsgegnerin nimmt nun den Standpunkt ein, die Fortführung der Therapie bringe nichts mehr. Eine abschließende Klärung, ob dieser Standpunkt zutreffend oder falsch ist, kann erst im Wege einer umfangreichen Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren erfolgen. Bei summarischer Prüfung anhand der gegenwärtigen Beweismittel sprechen allerdings sowohl der Bericht der Uni-Klinik N vom 29.06.2015 als auch das Halbjahreszeugnis der Realschule C vom 30.01.2015 dafür, dass der Antragsteller hinreichende Fortschritte macht. Auch die Argumentation, die wiederkehrende Beantragung der Schulbegleitung sei ein Hinweis darauf, dass keine Therapieerfolge einträten, ist nicht überzeugend. Es ist in den allermeisten Fällen, da Schüler inklusiv beschult werden, kaum davon auszugehen, dass im Laufe der Zeit auf den Integrationshelfer verzichtet werden kann, da die überwiegende Zahl der schweren Behinderungen natürlich nicht gänzlich geheilt werden kann. Dem Hinweis auf den notwendigen Schulbegleiter kommt daher kein indizieller Aussagewert zu, Eingliederungshilfe sei hier zwecklos. Insbesondere ergibt sich aus dem Halbjahreszeugnis der Realschule, dass der Antragsteller einen gewissen sozialen Anschluss an eine Gruppe von Mitschülern gefunden hat, die sich in den Pausen um ihn kümmern mögen. Das erachtet das Gericht angesichts der Diagnose Autismus bereits als nennenswerten Fortschritt. Auch die Orientierung im Schulgebäude hat sich verbessert und er hat die Aufgabe des Blumendienstes übernommen. Dass er weiterhin kognitive Probleme hat, liegt jedenfalls bei summarischer Beurteilung der Situation ohne weitere Beweisaufnahme in der Natur seiner Erkrankung und rechtfertigt nicht, die Therapie als zwecklos zu qualifizieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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