L 22 R 888/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 14 R 725/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 888/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten höhere Altersrente unter Berücksichtigung eines Entgeltpunktes jeweils pro Kind und Jahr für die festgestellten Zeiten der Kindererziehung neben den erzielten Verdiensten über die Beitragsbemessungsgrenze hinaus.

Die im März 1951 geborene Klägerin, die unter anderem von Juli 1973 bis Mai 1975, von September 1980 bis November 1980 und von Januar 1981 bis Juli 1981 Pflichtbeitragszeiten aus einer Beschäftigung zurückgelegt hat, ist die Mutter des 1973 geborenen T und des 1979 geborenen N.

Auf ihren im August 2014 gestellten Antrag gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 11. November 2014 Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 1. Dezember 2014 bei 4,7264 persönlichen Entgeltpunkten und 69,7476 persönlichen Entgeltpunkten (Ost). Sie legte der Rentenberechnung als Pflichtbeitragszeit für Kindererziehung die Zeiten von Juni 1973 bis Mai 1975 und von August 1979 bis Juli 1981 zugrunde, die sie, da in einzelnen Kalendermonaten die Beitragsbemessungsgrenze erreicht wurde, mit insgesamt 3,1170 persönlichen Entgeltpunkten (Ost) bewertete.

Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin die nicht volle Bewertung der Kindererziehungszeiten beanstandete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2015 zurück: Nach dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung werde bei Müttern oder Vätern, die ab 1. Juli 2014 in Rente gingen, die Kindererziehungszeit um bis zu 12 Kalendermonate je Kind verlängert. Eine darüber hinausgehende bessere Berücksichtigung durch einen Zuschlag in Höhe von zwei Entgeltpunkten je Kind, sehe dieses Gesetz nicht vor. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dieses Gesetz gegen das Grundgesetz (GG) verstoßen könnte.

Dagegen hat die Klägerin am 19. Februar 2015 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.

Sie hat gemeint, die Beklagte habe die Entgeltpunkte für die Beitragszeiten der Kindererziehung begrenzt, ohne dass klar sei, aus welchen Gründen dies geschehen sei. Die Klägerin werde nicht wegen etwaiger Stichtage in ihren Rechten begrenzt, sondern deswegen, weil die Beklagte die Entgeltpunkte für diese Pflichtbeitragszeit einer Beitragsbemessungsgrenze unterworfen habe.

Mit Urteil vom 13. Oktober 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Regelung des § 70 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sei mit der Verfassung vereinbar. Sie folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), das diese Begrenzung in seinem Nichtannahmebeschluss vom 29. August 2007 – 1 BvR 858/03 für verfassungsgemäß erachte.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigen am 10. November 2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 16. November 2015 eingelegte Berufung der Klägerin.

Sie ist der Ansicht, seitens des Gesetzgebers sei ein Gestaltungsraum gelassen worden, den es gelte, verhältnismäßig für den einzelnen Betroffenen anzuwenden. Selbst wenn keine additive Regelung verlangt werden könne, dann doch zumindest eine entsprechende Anhebung der Entgeltpunkte, um den Lebensumständen im Leben der Klägerin gerecht zu werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 11. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2015 zu verurteilen, für die festgestellten Zeiten der Kindererziehung neben den erzielten Verdiensten jeweils pro Kind und Jahr einen Entgeltpunkt zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten (), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 11. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2015 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte weitere Entgeltpunkte über die Beitragsbemessungsgrenze hinaus, also jeweils pro Kind und Jahr einen Entgeltpunkt, für Pflichtbeitragszeiten der Kindererziehung anrechnet.

Nach § 63 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn 1. die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, 2. der Rentenartfaktor und 3. der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Die persönlichen Entgeltpunkte für die Ermittlung des Monatsbetrages der Rente ergeben sich, indem die Summe aller Entgeltpunkte u. a. für Beitragszeiten mit dem Zugangsfaktor vervielfältigt wird (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) gezahlt worden sind (§ 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Die Beiträge für Kindererziehungszeiten werden vom Bund gezahlt (§ 177 Abs. 1 SGB VI). Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), jedoch endet die Kindererziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt (§ 249 Abs. 1 SGB VI).

Zur Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten bestimmt § 70 Abs. 2 SGB VI: Kindererziehungszeiten erhalten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2 b. Die von dieser Vorschrift genannte Anlage 2 b legt die jährlichen Höchstwerte an Entgeltpunkten fest, die sich dadurch ergeben, dass das erzielte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen bis zur höchstmöglichen Grenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (so genannte Beitragsbemessungsgrenze) versichert wird (§ 159, § 260 Satz 2 SGB VI).

Die Beklagte hat insbesondere § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI zutreffend angewandt. Soweit in einem Kalendermonat mit einer Kindererziehungszeit eine sonstige Beitragszeit vorhanden ist, hat sie zu den Entgeltpunkten für diese sonstige Beitragszeit zwar weitere Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten hinzugerechnet, jedoch nicht über die jeweiligen Höchstwerte der Anlage 2 b hinaus. Daraus resultiert, dass nicht 3,9984 Entgeltpunkte (0,0833 Entgeltpunkte x 24 Kalendermonate x 2 Kinder), sondern lediglich 3,1170 Entgeltpunkte für die Pflichtbeiträge wegen Kindererziehung anzurechnen sind.

§ 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist nicht verfassungswidrig.

Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, der das Eigentum gewährleistet, scheidet aus, denn der Gesetzgeber hat die der Klägerin eingeräumte Rechtsposition, die Anrechnung von Entgeltpunkten für Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung, von vornherein mit der Begrenzung auf die so genannte Beitragsbemessungsgrenze geschaffen, so dass es an einem Eingriff in eine zuvor bereits bestandene Rechtsposition mangelt. Diese Vorschrift verstößt auch nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG, da sich aus ihm lediglich eine allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich ergibt, er aber nicht eine konkrete Entscheidung darüber vorsieht, in welchem Umfang und in welcher Weise ein sozialer Ausgleich vorzunehmen ist; vielmehr besteht insoweit grundsätzlich eine Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Schließlich wird auch Art. 3 Abs. 1 GG, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, nicht verletzt. Der Gesetzgeber ist von Verfassung wegen nicht verpflichtet, Kindererziehungszeiten rentenversicherungsrechtlich so zu behandeln, dass sich für den begünstigen Personenkreis auch jeweils eine effektive Rentenerhöhung entsprechend 0,0833 Entgeltpunkte pro Beitragsmonat ergibt. In seinem Beschluss vom 12. März 1996 – 1 BvR 609/90 und 1 BvR 692/90 (abgedruckt in BVerfGE 94, 241) hat das BVerfG ausdrücklich ausgeführt, dass der Gesetzgeber von Verfassung wegen nicht gehalten sei, Kindererziehungszeiten auf der Grundlage des additiven Modells zu berücksichtigen, sondern dass ihm vielmehr mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stünden, innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung die Nachteile auszugleichen, die sich daraus ergeben, dass Kindererziehung beim erziehenden Elternteil typischerweise Sicherungslücken in der Rentenbiografie hinterlässt. Dann aber kann jedenfalls aufgrund dieser Entscheidung nicht behauptet werden, dass, wenn sich der Gesetzgeber für die additive Lösung entschieden hat, er verpflichtet sei, diese auch über die Beitragsbemessungsgrenze hinaus durchzuhalten (so Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – B 13 RJ 22/05 R, Rdnrn. 29, 31, 35 und 36, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 4-2600 § 70 Nr. 2).

Die - vom BVerfG aus verfassungsrechtlichen Gründen als nicht erforderlich angesehene - additive Lösung, also die Hinzurechnung von Entgeltpunkten für Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung zu Entgeltpunkten aus insbesondere Pflichtbeitragszeiten, ist allerdings mit § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Gesetz geworden. Es bedarf daher entgegen der Ansicht der Klägerin keiner entsprechenden Auslegung eines vorhandenen Gesetzes, um zu einer Anhebung der Entgeltpunkte im Sinne einer additiven Lösung zu gelangen. Die Begrenzung einer solchen Anhebung auf die so genannte Beitragsbemessungsgrenze ist hierbei sachgerecht, denn der mit den Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung verfolgte Zweck, beim erziehenden Elternteil typischerweise auftretende Sicherungslücken in der Rentenbiografie auszugleichen, wird damit erreicht. Die Höchstwerte an Entgeltpunkten nach Anlage 2 b können selbst diejenigen Versicherten nicht überschreiten, die keine Zeiten einer Kindererziehung und damit keinen dadurch eintretende Nachteil haben, denn angesichts der nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze versicherbaren Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen können sie keine höheren Entgeltpunkte erzielen. Der Klägerin wird damit der Nachteil durch die Kindererziehung im überhaupt höchstmöglichen Umfang in der gesetzlichen Rentenversicherung mit der Anrechnung von Entgeltpunkten bis zur Anlage 2 b ausgeglichen. Im Beschluss des BVerfG vom 29. August 2007 – 1 BvR 858/03 (Rdnrn. 8 und 11, zitiert nach juris) wird dieser Gesichtspunkt besonders hervorgehoben. Danach ist die unterschiedliche Bewertung von Kindererziehungszeiten durch die in § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI getroffene Regelung durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Das BVerfG hat dazu ausgeführt, dass der Gesetzgeber aufgrund des Schutzauftrages aus Art. 6 Abs. 1 GG zwar dazu verpflichtet ist, durch die Kindererziehung entstehende Benachteiligung in der Alterssicherung von kindererziehenden Familienmitgliedern auszugleichen. Allerdings verfügt er dabei über einen nicht unerheblichen Gestaltungsrahmen. Der Gesetzgeber darf nicht nur die jeweilige Haushaltslage und die finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch über Jahrzehnte gewachsene und bewährte Prinzipien im komplexen System der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigen. Die Begrenzung der Beitragspflicht, also die so genannte Beitragsbemessungsgrenze, gehörte von Beginn an zu den Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies schließt es aus, Entgeltpunkte über die Höchstwerte der Anlage 2 b hinausgehend, also über der sog. Beitragsbemessungsgrenze, der Rentenberechnung zugrunde zulegen.

Die Berufung der Klägerin muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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