Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 146 SO 953/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 211/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. August 2016 geändert und insoweit aufgehoben, als der Beigeladene zur Zahlung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) verpflichtet worden und soweit der Antrag gegen den Antragsgegner in vollem Umfang abgelehnt worden ist. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 200,00 Euro monatlich für die Zeit vom 2. August 2016 bis zum 30. November 2016, längstens bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu gewähren. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits in vollem Umfang zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren L 15 SO 211/16 B ER Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 23. August 2016 bewilligt und Rechtsanwalt L, beigeordnet.
Gründe:
Die Beschwerde des beigeladenen Jobcenters gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. August 2016, mit dem dieses den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, der Antragstellerin vorläufig Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II i.H.v. 200,00 Euro monatlich für den Zeitraum vom 2. August 2016 bis zum 31. Januar 2017, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu zahlen, ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch gegen den Beigeladenen, sondern gegen den Antragsgegner, und zwar in dem sich aus der Beschlussformel ergebenden Umfang. Der Senat ist zu einer Verpflichtung des Antragsgegners auch befugt. Wird die Klage – hier der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – gegen den Beklagten - hier den Antragsgegner - abgewiesen und der Beigeladene verurteilt und legt nur dieser Rechtsmittel eine, muss das Rechtsmittelgericht über alle in Frage kommenden Ansprüche, also auch über den Anspruch entscheiden, der gegen den Beklagten - hier den Antragsgegner - gerichtet war (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz - SGG -, 11. Auflage, § 75 Rn. 18b mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - ).
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Leistungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund, d.h. eine Eilbedürftigkeit, gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht ist.
Die Antragstellerin, die bulgarische Staatsangehörige ist, unterliegt dem Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen vom Leistungsbezug ausgenommen.
Die Antragstellerin hat nach Aktenlage kein Recht auf Aufenthalt mehr, auch nicht aus dem Zweck der Arbeitsuche gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a) des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU 2004). Sie hält sich seit 2014, also mehr als sechs Monate, in der Bundesrepublik Deutschland auf und hatte - trotz von ihr angegebener Arbeitsuche - noch nie ein Beschäftigungsverhältnis inne. Insofern besteht auch keine begründete Aussicht für sie, eingestellt zu werden. Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG sind - über den Wortlaut des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hinaus - auch diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgenommen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht (mehr) verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S 2 SGB II ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können (vgl. ausführlich Urteil des BSG vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R, dokumentiert in juris, Rn. 19 ff, und in SozR 4-4200 § 7 Nr. 43; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015, Az. B 14 AS 15/14 R, juris Rn. 20; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016, Az. B 14 AS 35/15 R, juris Rn. 24; BSG, Urteil vom 17. März 2016, Az. B 4 AS 32/15 R, juris Rn. 15).
Auch ein Aufenthaltsrecht aus einem anderen Grund ist nicht ersichtlich.
Ein Anordnungsanspruch folgt entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Berlin auch nicht aus § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II im Hinblick darauf, dass das Sozialgericht Mainz mit Beschluss vom 18. April 2016, Az. S 3 AS 149/16, dokumentiert in juris, die Frage der Verfassungsgemäßheit des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II dem Bundesverfassungsgericht (Aktenzeichen noch nicht bekannt) vorgelegt hat.
Nach § 328 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht ist.
Ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Beigeladenen auf Grund dieser Vorschrift besteht nicht, weil die Verurteilung - hier Verpflichtung - des Beigeladenen subsidiär ist und erst in Betracht kommt, wenn die Klage - hier der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - gegen den Beklagten - hier den Antragsgegner - keinen Erfolg haben kann (vgl. Urteil des BSG vom 15. November 1979, Az. 11 RA 9/79, juris Rn. 12 = SozR 5090 § 6 Nr. 4; Groß in Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 75 Rn. 16; Leitherer, aaO., § 75 Rn. 18 mit weiteren Nachweisen auch zur Rechtsprechung des BSG). § 75 Abs. 5 SGG gibt den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit aus prozessökonomischen Gründen die Befugnis, in Fällen, in denen der Kläger einen nicht leistungspflichtigen Versicherungsträger verklagt, den in Wirklichkeit leistungspflichtigen Versicherungsträger nach Beiladung zu verurteilen, um einen neuen Rechtsstreit und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden. Demnach kommt eine Verurteilung der Beigeladenen nur subsidiär in Betracht; sie darf erst stattfinden, wenn (soweit) die Klage gegen den Beklagten keinen Erfolg haben kann (BSG, Urteil vom 15. November 1979, aaO.). D.h., der streitige Anspruch gegen den Beklagten bzw. Beigeladenen muss in Wechselwirkung stehen (Ausschließlichkeitsverhältnis, vgl. Leitherer, aaO.). Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen diese Grundsätze nicht auch für das einstweilige Anordnungsverfahren gelten sollten.
Die genannten Voraussetzungen (Ausschließlichkeit) für eine Verpflichtung des Beigeladenen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat einen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Leistungen der Sicherung zum Lebensunterhalt gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) glaubhaft gemacht. Nach der Rechtsprechung des BSG ergibt sich dieser aus dem garantierten Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. hierzu auch die Urteile des 14. und des 4. Senats des BSG vom 16. Dezember 2015, Az. B 14 AS 15/14 R , B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R und vom 17. März 2016, Az. B 4 AS 32/15 R, alle dokumentiert in juris). Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Gründe des oben zitierten Urteils des BSG vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R, a.a.O., verwiesen. Der Senat berücksichtigt diese Rechtsprechung zumindest für die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. den Beschluss vom 13. April 2016, Az. L 15 SO 53/16 B ER; so auch Beschluss des Landessozialgerichts - LSG - Berlin-Brandenburg vom 13. April 2016, Az. L 23 SO 46/16 B ER, beide dokumentiert in juris und zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Das Sozialgericht muss nur deshalb auf § 328 SGB III zurückgreifen und dort von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen, weil es der oben genannten Rechtsprechung des BSG nicht folgt. Folgt man dieser Rechtsprechung jedoch, ist die Existenz der Antragstellerin hier anderweitig, und zwar durch den Antragsgegner, gesichert. Dieser Anspruch ist auch nicht "nachrangig" gegenüber einem etwaigen Anspruch aus § 328 SGB III, bzw. nur dann gegebenenfalls, wenn man von der Verfassungswidrigkeit des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II überzeugt ist. Auch ist der Anspruch gemäß § 328 SGB III nicht leichter durchzusetzen, bei beiden Vorschriften handelt es sich um Ermessensnormen. Es spricht zurzeit sehr viel mehr dafür, dass im Hauptsacheverfahren ein Anspruch gegen den Antragsgegner bestätigt wird, als gegen den Beigeladenen. Sämtliche der zuständigen Senate des BSG, einschließlich des für die Sozialhilfe zuständigen 8. Senats, sehen einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger und nicht gegen den Träger der SGB-II-Leistungen in Fällen wie dem der Antragstellerin als gegeben an. Dies bedeutet auch, dass das BSG, und damit das zuständige oberste Bundesgericht, von der vom Sozialgericht Mainz angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht überzeugt ist. Dies hat, zumindest für das einstweilige Anordnungsverfahren, eine große Indizwirkung.
Die Einwendungen des Sozialgerichts und des Antragsgegners gegen die Urteile des BSG sind hier im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht geeignet, einen Anordnungsanspruch zu verneinen und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber dem Antragsgegner abzulehnen. Der für die Sozialhilfe zuständige 8. Senat des BSG hat bereits entschieden, dass auch einem Ausländer, der dem Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 erste oder zweite Alternative SGB XII unterfällt, vom Träger der Sozialhilfe Leistungen in Ausübung von Ermessen gewährt werden können, soweit es im Einzelfall gerechtfertigt ist (vgl. Urteil des BSG vom 18. November 2014, Az. B 8 SO 9/13 R, juris Rn. 28 = SozR 4- 3500 § 25 Nr. 5). Mit den Einwendungen des Sozialgerichts und des Antragsgegners gegenüber der Rechtsprechung der mit den Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II befassten Senate des BSG wird sich ggf. im Hauptsacheverfahren auseinanderzusetzen sein.
Der Senat hat eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt jedoch nur bis zum 30. November 2016 ausgesprochen, damit der Antragsgegner Gelegenheit hat, sein Ermessen unter Berücksichtigung der ggf. noch zu ermittelnden Umstände des Einzelfalles auszuüben. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, der Rechtsgrundlage für die Verpflichtung des Antragsgegners ist, kann, wenn ein Anspruch auf Leistungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht gegeben ist, Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Danach ist, nach Feststellung der Umstände des Einzelfalles, vom Sozialhilfeträger Ermessen auszuüben, was bisher nicht erfolgt ist. In seinem Ablehnungsbescheid vom 27. Juli 2016 hat der Antragsgegner lediglich auf einen Anspruch gegen den Beigeladenen aus § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II verwiesen.
Unabhängig davon, ob der Rechtsprechung des BSG zu folgen ist, wonach eine Ermessensreduzierung auf Null im Regelfall bereits anzunehmen ist, wenn sich der Hilfebedürftige länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. hierzu ablehnend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. März 2016, Az. L 15 AS 185/15 B ER, juris, Rn. 16 f.), ergibt sich bereits aus dem Urteil des BSG vom 3. Dezember 2015, Az.: B 4 AS 44/15 R, dass es auch Fälle geben kann, in denen trotz des Zeitablaufs eine Reduzierung des dem Beklagten nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII eingeräumten Ermessens nicht anzunehmen ist.
Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird, oder wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthaltes eingeleitet hat (vgl. bereits BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R, juris Rn. 57 am Ende). Berücksichtigung kann auch finden, ob der Betroffene in der Vergangenheit bereits seinen Aufenthalt im Inland für längere Zeit unterbrochen und in seinem Heimatland oder einem anderen Mitgliedstaat gelebt hat.
Die Höhe der Leistung entspricht der vom Sozialgericht ausgesprochenen Verpflichtung und folgt aus den §§ 27 ff SGB XII. Sie berücksichtigt das Erwerbseinkommen des Partners der Antragstellerin. Das Sozialgericht hat zwar offensichtlich für den Partner der Antragstellerin keinen Erwerbstätigenfreibetrag angesetzt, da die Antragstellerin gegen die Höhe des Betrages, zu dessen Zahlung verpflichtet wurde, jedoch keine Einwendungen erhoben hat und hiergegen nicht selbst in die Beschwerde gegangen ist, hat es der Senat bei diesem Betrag belassen. Gleiches gilt für die vom Sozialgericht vorgenommene Kürzung der Regelleistung um die Ansparanteile. Es ergibt sich ein Betrag von 200,00 Euro, ausgehend von einem Bedarf von 504,00 Euro und anzurechnendem Einkommen des Partners von 304,00 Euro.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG analog.
Der Antragstellerin war Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren, da die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot bzw. sogar erfolgreich war (§ 73 a SGG i.V.m. 114 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Mit diesem Beschluss erledigt sich auch der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung gemäß § 199 SGG.
Gründe:
Die Beschwerde des beigeladenen Jobcenters gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. August 2016, mit dem dieses den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, der Antragstellerin vorläufig Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II i.H.v. 200,00 Euro monatlich für den Zeitraum vom 2. August 2016 bis zum 31. Januar 2017, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu zahlen, ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch gegen den Beigeladenen, sondern gegen den Antragsgegner, und zwar in dem sich aus der Beschlussformel ergebenden Umfang. Der Senat ist zu einer Verpflichtung des Antragsgegners auch befugt. Wird die Klage – hier der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – gegen den Beklagten - hier den Antragsgegner - abgewiesen und der Beigeladene verurteilt und legt nur dieser Rechtsmittel eine, muss das Rechtsmittelgericht über alle in Frage kommenden Ansprüche, also auch über den Anspruch entscheiden, der gegen den Beklagten - hier den Antragsgegner - gerichtet war (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz - SGG -, 11. Auflage, § 75 Rn. 18b mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - ).
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Leistungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund, d.h. eine Eilbedürftigkeit, gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht ist.
Die Antragstellerin, die bulgarische Staatsangehörige ist, unterliegt dem Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen vom Leistungsbezug ausgenommen.
Die Antragstellerin hat nach Aktenlage kein Recht auf Aufenthalt mehr, auch nicht aus dem Zweck der Arbeitsuche gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a) des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU 2004). Sie hält sich seit 2014, also mehr als sechs Monate, in der Bundesrepublik Deutschland auf und hatte - trotz von ihr angegebener Arbeitsuche - noch nie ein Beschäftigungsverhältnis inne. Insofern besteht auch keine begründete Aussicht für sie, eingestellt zu werden. Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG sind - über den Wortlaut des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hinaus - auch diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgenommen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht (mehr) verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S 2 SGB II ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können (vgl. ausführlich Urteil des BSG vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R, dokumentiert in juris, Rn. 19 ff, und in SozR 4-4200 § 7 Nr. 43; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015, Az. B 14 AS 15/14 R, juris Rn. 20; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016, Az. B 14 AS 35/15 R, juris Rn. 24; BSG, Urteil vom 17. März 2016, Az. B 4 AS 32/15 R, juris Rn. 15).
Auch ein Aufenthaltsrecht aus einem anderen Grund ist nicht ersichtlich.
Ein Anordnungsanspruch folgt entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Berlin auch nicht aus § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II im Hinblick darauf, dass das Sozialgericht Mainz mit Beschluss vom 18. April 2016, Az. S 3 AS 149/16, dokumentiert in juris, die Frage der Verfassungsgemäßheit des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II dem Bundesverfassungsgericht (Aktenzeichen noch nicht bekannt) vorgelegt hat.
Nach § 328 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht ist.
Ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Beigeladenen auf Grund dieser Vorschrift besteht nicht, weil die Verurteilung - hier Verpflichtung - des Beigeladenen subsidiär ist und erst in Betracht kommt, wenn die Klage - hier der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - gegen den Beklagten - hier den Antragsgegner - keinen Erfolg haben kann (vgl. Urteil des BSG vom 15. November 1979, Az. 11 RA 9/79, juris Rn. 12 = SozR 5090 § 6 Nr. 4; Groß in Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 75 Rn. 16; Leitherer, aaO., § 75 Rn. 18 mit weiteren Nachweisen auch zur Rechtsprechung des BSG). § 75 Abs. 5 SGG gibt den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit aus prozessökonomischen Gründen die Befugnis, in Fällen, in denen der Kläger einen nicht leistungspflichtigen Versicherungsträger verklagt, den in Wirklichkeit leistungspflichtigen Versicherungsträger nach Beiladung zu verurteilen, um einen neuen Rechtsstreit und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden. Demnach kommt eine Verurteilung der Beigeladenen nur subsidiär in Betracht; sie darf erst stattfinden, wenn (soweit) die Klage gegen den Beklagten keinen Erfolg haben kann (BSG, Urteil vom 15. November 1979, aaO.). D.h., der streitige Anspruch gegen den Beklagten bzw. Beigeladenen muss in Wechselwirkung stehen (Ausschließlichkeitsverhältnis, vgl. Leitherer, aaO.). Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen diese Grundsätze nicht auch für das einstweilige Anordnungsverfahren gelten sollten.
Die genannten Voraussetzungen (Ausschließlichkeit) für eine Verpflichtung des Beigeladenen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat einen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Leistungen der Sicherung zum Lebensunterhalt gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) glaubhaft gemacht. Nach der Rechtsprechung des BSG ergibt sich dieser aus dem garantierten Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. hierzu auch die Urteile des 14. und des 4. Senats des BSG vom 16. Dezember 2015, Az. B 14 AS 15/14 R , B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R und vom 17. März 2016, Az. B 4 AS 32/15 R, alle dokumentiert in juris). Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Gründe des oben zitierten Urteils des BSG vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R, a.a.O., verwiesen. Der Senat berücksichtigt diese Rechtsprechung zumindest für die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. den Beschluss vom 13. April 2016, Az. L 15 SO 53/16 B ER; so auch Beschluss des Landessozialgerichts - LSG - Berlin-Brandenburg vom 13. April 2016, Az. L 23 SO 46/16 B ER, beide dokumentiert in juris und zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Das Sozialgericht muss nur deshalb auf § 328 SGB III zurückgreifen und dort von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen, weil es der oben genannten Rechtsprechung des BSG nicht folgt. Folgt man dieser Rechtsprechung jedoch, ist die Existenz der Antragstellerin hier anderweitig, und zwar durch den Antragsgegner, gesichert. Dieser Anspruch ist auch nicht "nachrangig" gegenüber einem etwaigen Anspruch aus § 328 SGB III, bzw. nur dann gegebenenfalls, wenn man von der Verfassungswidrigkeit des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II überzeugt ist. Auch ist der Anspruch gemäß § 328 SGB III nicht leichter durchzusetzen, bei beiden Vorschriften handelt es sich um Ermessensnormen. Es spricht zurzeit sehr viel mehr dafür, dass im Hauptsacheverfahren ein Anspruch gegen den Antragsgegner bestätigt wird, als gegen den Beigeladenen. Sämtliche der zuständigen Senate des BSG, einschließlich des für die Sozialhilfe zuständigen 8. Senats, sehen einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger und nicht gegen den Träger der SGB-II-Leistungen in Fällen wie dem der Antragstellerin als gegeben an. Dies bedeutet auch, dass das BSG, und damit das zuständige oberste Bundesgericht, von der vom Sozialgericht Mainz angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht überzeugt ist. Dies hat, zumindest für das einstweilige Anordnungsverfahren, eine große Indizwirkung.
Die Einwendungen des Sozialgerichts und des Antragsgegners gegen die Urteile des BSG sind hier im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht geeignet, einen Anordnungsanspruch zu verneinen und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber dem Antragsgegner abzulehnen. Der für die Sozialhilfe zuständige 8. Senat des BSG hat bereits entschieden, dass auch einem Ausländer, der dem Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 erste oder zweite Alternative SGB XII unterfällt, vom Träger der Sozialhilfe Leistungen in Ausübung von Ermessen gewährt werden können, soweit es im Einzelfall gerechtfertigt ist (vgl. Urteil des BSG vom 18. November 2014, Az. B 8 SO 9/13 R, juris Rn. 28 = SozR 4- 3500 § 25 Nr. 5). Mit den Einwendungen des Sozialgerichts und des Antragsgegners gegenüber der Rechtsprechung der mit den Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II befassten Senate des BSG wird sich ggf. im Hauptsacheverfahren auseinanderzusetzen sein.
Der Senat hat eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt jedoch nur bis zum 30. November 2016 ausgesprochen, damit der Antragsgegner Gelegenheit hat, sein Ermessen unter Berücksichtigung der ggf. noch zu ermittelnden Umstände des Einzelfalles auszuüben. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, der Rechtsgrundlage für die Verpflichtung des Antragsgegners ist, kann, wenn ein Anspruch auf Leistungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht gegeben ist, Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Danach ist, nach Feststellung der Umstände des Einzelfalles, vom Sozialhilfeträger Ermessen auszuüben, was bisher nicht erfolgt ist. In seinem Ablehnungsbescheid vom 27. Juli 2016 hat der Antragsgegner lediglich auf einen Anspruch gegen den Beigeladenen aus § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II verwiesen.
Unabhängig davon, ob der Rechtsprechung des BSG zu folgen ist, wonach eine Ermessensreduzierung auf Null im Regelfall bereits anzunehmen ist, wenn sich der Hilfebedürftige länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. hierzu ablehnend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. März 2016, Az. L 15 AS 185/15 B ER, juris, Rn. 16 f.), ergibt sich bereits aus dem Urteil des BSG vom 3. Dezember 2015, Az.: B 4 AS 44/15 R, dass es auch Fälle geben kann, in denen trotz des Zeitablaufs eine Reduzierung des dem Beklagten nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII eingeräumten Ermessens nicht anzunehmen ist.
Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird, oder wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthaltes eingeleitet hat (vgl. bereits BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15 R, juris Rn. 57 am Ende). Berücksichtigung kann auch finden, ob der Betroffene in der Vergangenheit bereits seinen Aufenthalt im Inland für längere Zeit unterbrochen und in seinem Heimatland oder einem anderen Mitgliedstaat gelebt hat.
Die Höhe der Leistung entspricht der vom Sozialgericht ausgesprochenen Verpflichtung und folgt aus den §§ 27 ff SGB XII. Sie berücksichtigt das Erwerbseinkommen des Partners der Antragstellerin. Das Sozialgericht hat zwar offensichtlich für den Partner der Antragstellerin keinen Erwerbstätigenfreibetrag angesetzt, da die Antragstellerin gegen die Höhe des Betrages, zu dessen Zahlung verpflichtet wurde, jedoch keine Einwendungen erhoben hat und hiergegen nicht selbst in die Beschwerde gegangen ist, hat es der Senat bei diesem Betrag belassen. Gleiches gilt für die vom Sozialgericht vorgenommene Kürzung der Regelleistung um die Ansparanteile. Es ergibt sich ein Betrag von 200,00 Euro, ausgehend von einem Bedarf von 504,00 Euro und anzurechnendem Einkommen des Partners von 304,00 Euro.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG analog.
Der Antragstellerin war Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren, da die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot bzw. sogar erfolgreich war (§ 73 a SGG i.V.m. 114 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Mit diesem Beschluss erledigt sich auch der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung gemäß § 199 SGG.
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