Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 4 U 307/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 U 222/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für eine Schädigung der Leibesfrucht durch berufliche Einflüsse auf die Mutter während der Schwangerschaft bestand nach dem Recht der DDR kein § 12 SGB VII entsprechender sozialversicherungsrechtlicher Schutz, so dass eine nachträgliche Anerkennung einer Berufskrankheit ausscheidet.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. September 2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer bei der Klägerin seit ihrer Geburt bestehenden Erkrankung als Berufskrankheit durch schädigende Einwirkungen auf die Mutter während der Schwangerschaft.
Bei der 1974 geborenen Klägerin besteht ausweislich einer Mitteilung ihrer Mutter vom 23.04.2013 an die Beklagte seit der Geburt ein Hydrocephalus. Die Mutter wies darauf hin, dass sie ab 01.07.1972 als Laborantin tätig gewesen sei und seit 01.09.1972 auch Uranproben habe untersuchen müssen. Auch zu Beginn ihrer Schwangerschaft habe sie in diesem Labor gearbeitet. Bei der Klägerin bestünden fortbestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Für die Klägerin wurden Unterlagen der vormaligen Arbeitgeberin der Mutter zur Akte gereicht.
Mit Bescheid vom 27.06.2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit ab. Nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland erstrecke sich der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf die Leibesfrucht, wenn diese durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit der Mutter während der Schwangerschaft geschädigt worden ist (§ 12 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VII –). Da die Klägerin bereits vor dem 01.01.1992 im Beitrittsgebiet geboren sei, seien die Regelungen der ehemaligen DDR anzuwenden. Danach habe ein Schutz der Leibesfrucht nicht bestanden. Insofern könne eine weitere Tatsachenaufklärung zum Zusammenhang der beruflichen Belastungen der Mutter und der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen unterbleiben.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 04.07.2013 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.2013 zurück. Ergänzend zu den Ausführungen im angefochtenen Bescheid führte die Beklagte aus, dass nach § 215 SGB VII i. V. m. § 1150 Abs. 2 und 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) a. F. Versicherungsfälle aus dem Gebiet der ehemaligen DDR, die vor dem 01.01.1992 eingetreten und nach dem 31.12.1993 einem ab 01.01.1992 zuständigen Unfallversicherungsträger gemeldet worden seien (hier: 2013), dann anerkannt werden könnten, wenn sie sowohl nach den Vorschriften der ehemaligen DDR als auch nach den derzeitigen Rechtsvorschriften anerkannt werden könnten. Nach dem Recht der DDR habe es keine Vorschriften gegeben, die den Schutz der Leibesfrucht infolge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit der Mutter regelten. Die Klägerin sei am 1974 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geboren worden, damit läge ein möglicher Versicherungsfall vor dem 01.01.1992.
Hiergegen hat die Klägerin am 12.09.2013 Klage zum Sozialgericht Chemnitz (SG) eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass die Mutter einschließlich der Klägerin als Leibesfrucht während der Schwangerschaft erheblicher ionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Die Leibesfrucht sei nach dem Recht der DDR bis zur Geburt genauso wenig rechtsfähig wie nach geltendem Recht. Nach keiner Norm werde ausdrücklich zwischen Kindesmutter und der Leibesfrucht differenziert, bis zur Geburt werde die Leibesfrucht faktisch als Körperbestandteil der Kindesmutter behandelt. Aus § 12 SGB VII ergebe sich nur deklaratorisch, dass die Leibesfrucht einem Versicherten gleichstehe. Ob eine rein deklaratorische Feststellung im Altrecht des Beitrittsgebietes ihre Entsprechung finde, sei daher unerheblich. Somit habe die Leibesfrucht auch nach dem Recht der DDR unter dem gleichen Schutz gestanden, wie ihn § 12 SGB VII deklaratorisch hervorhebe. Auch strafrechtliche Normen würden diese Auffassung stützen.
Die Beklagte hat ausgeführt, dass nur aufgrund von § 12 SGB VII ein Versicherungsschutz für die Leibesfrucht bestehe, es handele sich nicht um eine deklaratorische Wiederholung einer rechtlichen Selbstverständlichkeit. In den Vorschriften der DDR, die 1974 gegolten hätten, fände sich kein Hinweis darauf, dass auch die Leibesfrucht zum Kreis der versicherten Personen im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen oder Berufskrankheit gehört habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 25.09.2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: "Die Erkrankung der Klägerin ist keine Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 1, 2 SGB VII.
Gemäß § 215 SGB VII i.V. m. § 1150 Abs. 2 und 3 RVO können Versicherungsfälle aus dem Gebiet der ehemaligen DDR, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind und nach dem 31.12.1993 einem ab 01.01.1992 zuständigen Unfallversicherungsträger gemeldet wurden, nur dann anerkannt werden, wenn sie sowohl nach den Vorschriften der ehemaligen DDR als auch nach den derzeitigen Rechtsvorschriften anerkannt werden können. Der streitgegenständliche Sachverhalt trat vor dem 01.01.1992 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ein und wurde dem zuständigen Unfallversicherungsträger, mithin der Beklagten, erstmals im April 2013 bekannt.
Zwar ist bzw. war die Leibesfrucht nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 12 SGB VII unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt; jedoch trifft dies für das damals geltende Recht der DDR nicht zu. Gemäß § 12 SGB VII ist ein Versicherungsfall auch der Gesundheitsschaden einer Leibesfrucht infolge eines Versicherungsfalles der Mutter während der Schwangerschaft; die Leibesfrucht steht insoweit einem Versicherten gleich. Bei einer Berufskrankheit als Versicherungsfall genügt, dass der Gesundheitsschaden der Leibesfrucht durch besondere Einwirkungen verursacht worden ist, die generell geeignet sind, eine Berufskrankheit der Mutter zu verursachen. Eine entsprechende Regelung im Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB/DDR) gab es nicht. Die Regelung des § 12 SGB VII entspricht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1977 (1 BvL 2/74) und erstreckt den Versicherungsschutz auf die Leibesfrucht wegen der "Gleichheit der Gefahrenlage, die aus der natürlichen Einheit von Mutter und Kind entsteht". § 12 SGB VII ist die Nachfolgevorschrift zu § 555 a RVO a.F., welche am 31.10.1977 in Kraft getreten war. In seiner Entscheidung vom 22.06.1997 (1 BvL 2/74) stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass die Regelungen des Dritten Buches der Reichsversicherungsordnung insoweit mit Art. 3 Abs. 1 und 20 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar seien, als sie das Kind einer versicherten Frau, das durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit seiner Mutter vor seiner Geburt gesundheitlich geschädigt worden ist, nicht in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen (vgl. BVerfG a.a.O., zitiert nach juris, Rdnr. 36 ff.). Dies zeigt, dass – entgegen der Ansicht der Klägerseite – § 12 SGB VII nicht nur eine deklaratorische Regelung enthält und es auch keinen allgemeingültigen rechtlichen Grundsatz gibt, dass die Leibesfrucht bis zur Geburt faktisch als Körperbestandteil der Kindesmutter behandelt würde. Gerade aus diesem Grund hat es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1977 für notwendig erachtet, die damalige Gesetzeslage in der Bundesrepublik Deutschland, welche die Leibesfrucht nicht in den Versicherungsschutz einbezog, für verfassungswidrig zu erklären. Würde man der Ansicht der Klägerseite folgen, wäre eine derartige Entscheidung und daraus folgend eine Ergänzung der RVO überflüssig gewesen. Dementsprechend gilt für das Recht der ehemaligen DDR, dass die Leibesfrucht mangels einer dortigen ausdrücklichen Regelung nicht vor Einwirkungen geschützt wurde, welcher die Kindesmutter ausgesetzt war."
Gegen den der Klägerin am 06.10.2014 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich ihre am 03.11.2014 zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung. Sie hat ausgeführt, dass die Vorgängervorschrift von § 12 SGB VII in der RVO auf einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beruhe, das Bundesverfassungsgericht habe den Schutz des ungeborenen Lebens direkt aus § 539 Abs. 1 RVO abgeleitet im Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip. Auch nach DDR-Recht müsse aus gleichen Erwägungen heraus ein entsprechender Unfallversicherungsschutz zugestanden werden. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen seien in der DDR mindestens identisch gewesen, wobei in sozialstaatlicher Hinsicht im Verhältnis zum Grundgesetz programmatisch ein noch dichterer und umfassenderer Versorgungsansatz verfolgt worden sei. Daraus ergebe sich erst recht ein entsprechender Schutz nach dem DDR-Recht. Die Klägerin hat ferner Ausführungen ihrer Mutter zu den während der Schwangerschaft bestehenden Arbeitsbedingungen sowie weitere Unterlagen aus dem Zeitraum ihrer Kindheit bzw. der vorhergehenden Schwangerschaft zur Akte gereicht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 25.09.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2013 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihr seit Geburt bestehenden Erkrankungen Berufskrankheiten nach Nr. 2402 der Anlage 1 der BerufskrankheitenVerordnung (entspricht der Liste der Berufskrankheiten der DDR Nr. 51) sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat die Beklagte an ihrer Auffassung festgehalten, dass es im Berufskrankheitenrecht der DDR keine der Vorschrift von § 12 SGB VII entsprechende Regelung gegeben habe.
Dem Senat liegen die Gerichtsakte beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- sowie fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat das SG mit dem Gerichtsbescheid vom 25.09.2014 die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG - vgl. Urteile vom 07.09.2004, Az.: B 2 U 35/03 R und B 2 U 45/03 R - juris) ist das klägerische, auf Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit gerichtete Begehren als Feststellungsklage i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - auszulegen. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an dieser Feststellung besteht, weil es die Vorfrage für die Entscheidung der Beklagten über die zu gewährenden Leistungen darstellt. Eine Entscheidung hierüber war dem Senat verwehrt, weil die Beklagte über einzelne in Betracht kommende Leistungen noch keine Entscheidung getroffen hat (BSG, a.a.O.).
Der Anspruch der Klägerin auf Feststellung, dass die bei ihr seit ihrer Geburt bestehenden Erkrankungen eine Berufskrankheit i.S. der BK-Nr. 2402 BKV ist, findet seine rechtliche Grundlage in §§ 9, 12, 215 SGB VII. Während § 9 SGB VII allgemein Berufskrankheiten definiert und § 12 SGB VII den Versicherungsschutz (als Nachfolgevorschrift zu § 555a RVO) auf die Leibesfrucht erweitert, finden sich in § 215 SGB VII Sondervorschriften für Versicherungsfälle in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet. Nach § 215 Absatz 1 Satz 1 SGB VII gilt: Für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist § 1150 Abs. 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden.
§ 1150 Abs. 2 und 3 RVO haben folgenden Wortlaut: (2) Unfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, gelten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches. Dies gilt nicht für Unfälle und Krankheiten, 1. die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch nicht zu entschädigen wären, 2. die mit Wirkung für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 als Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten nach dem Fremdrentengesetz anerkannt worden sind, es sei denn, der Verletzte hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem 1. Januar 1992 in das Beitrittsgebiet verlegt. (3) § 555a gilt auch, wenn der Arbeitsunfall der Mutter vor dem 1. Januar 1992 eingetreten ist und das Kind nach dem 31. Dezember 1991 geboren wurde.
Zwar kommt entsprechend der Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid nach §§ 9, 12 SGB VII die Anerkennung einer BK in Bezug auf die Schädigung der Leibesfrucht in Betracht, insofern ist insbesondere die von der Klägerin geltend gemachte BK-Nr. 2402 BKV naheliegend.
Es fehlt aber an einem Anspruch auf Feststellung des Vorliegens einer BK bei einer Erkrankung des Kindes durch schädigende Einflüsse auf die Mutter während der Schwangerschaft nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht. Im Recht der DDR existierte keine dem § 555a RVO bzw. § 12 SGB VII entsprechende Vorschrift. Weder das bis zum 31.12.1991 fortgeltende Recht der DDR (vgl. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag –, Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet I - Gesetzliche Unfallversicherung Abschnitt III) noch die im Zeitpunkt der Geburt der Klägerin im Jahr 1974 geltenden Vorschriften der DDR enthielten einen entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Anspruch.
Aus Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet I - Gesetzliche Unfallversicherung Abschnitt III Einigungsvertrag folgt: Folgendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik bleibt mit folgenden Maßgaben in Kraft: 1. Die Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten vom 11. April 1973 (GBl. I Nr. 22 S. 199), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 20. September 1977 (GBl. I Nr. 31 S. 346), bleibt bis zum 31. Dezember 1991 mit der Maßgabe in Kraft, daß der erweiterte Versicherungsschutz auf die in § 2 genannten Tätigkeiten eingeschränkt wird. 2. Die Achte Durchführungsbestimmung vom 2. Januar 1957 zur Verordnung über die Sozialpflichtversicherung - Deckung der Lasten aus Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten - (GBl. I Nr. 3 S. 21; Ber. GBl. I Nr. 9 S. 88), zuletzt geändert durch die Neunte Durchführungsbestimmung vom 14. Januar 1958 (GBl. I Nr. 8 S. 82), bleibt bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft. 3. Der § 24 mit Anlage der Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik vom 9. Dezember 1977 (GBl. I 1978 Nr. 1 S. 23), zuletzt geändert durch Verordnung vom 28. Juni 1990 (GBl. I Nr. 38 S. 509), bleibt bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft. 4. Die §§ 220 und 221 des Arbeitsgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. Juni 1977 (GBl. I Nr. 18 S. 185), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Juni 1990 (GBl. I Nr. 35 S. 371), bleiben bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft. 5. Die Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 26. Februar 1981 (GBl. I Nr. 12 S. 137) und die Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten - Liste der Berufskrankheiten - vom 21. April 1981 (GBl. I Nr. 12 S. 139; Ber. GBl. I Nr. 25 S. 312) bleiben bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft.
Aus diesen genannten Vorschriften, insbesondere denen nach Ziffer 1, 4 und 5, ist kein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer BK zu entnehmen. Zwar enthält die Liste der Berufskrankheiten nach Nr. 51 auch "Berufskrankheiten durch ionisierende Strahlung", es bestand aber kein Schutz des Nasciturus (so auch BT-Drucks. 12/405 zu § 1150 Abs. 3 RVO S. 155; KassKomm/Ricke, § 215 SGB VII Rdnr. 5 a.E., Stand Dezember 2014). Nach § 220 Arbeitsgesetzbuch der DDR wurde als Arbeitsunfall die Verletzung eines Werktätigen (bzw. ab Änderung durch Gesetz vom 22.06.1990: eines Arbeitnehmers) im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess angesehen. Die in § 221 Arbeitsgesetzbuch der DDR enthaltene Definition der Berufskrankheiten ("Eine Berufskrankheit ist eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wird und die in der Liste der Berufskrankheiten genannt ist. Einzelheiten werden in Rechtsvorschriften festgelegt.") verweist wegen Einzelheiten auf Festlegungen in Rechtsvorschriften. Unter Heranziehung von § 1 Abs. 2 Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten (vgl. oben Ziffer 5) war der BK-Schutz auf die im Arbeitsrechtsverhältnis stehenden Werktätigen beschränkt. Regelungen für den Fall einer Schädigung des Nasciturus waren hier ebenso wenig vorhanden wie in der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes (vgl. oben Ziffer 1).
Auch für den Zeitpunkt der Geburt der Klägerin im Jahr 1974 existierten keine den §§ 555a RVO, 12 SGB VII entsprechenden Vorschriften. Das Gesetzbuch der Arbeit der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.04.1961, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.06.1968, wurde durch das Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16.06.1977 abgelöst. Nach § 97 Gesetzbuch der Arbeit der DDR sind die Betriebe verpflichtet, dem Werktätigen bei Schädigung seiner Gesundheit durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit oder den Hinterbliebenen beim Tod des Werktätigen Unterstützung und Hilfe zu gewähren. Sie haben den Werktätigen, wenn er seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, oder die Hinterbliebenen zu unterstützen, dass sie eine zumutbare Arbeit erhalten. Nach § 98 Abs. 1 Gesetzbuch der Arbeit der DDR besteht ein Anspruch des Werktätigen gegen den Betrieb auf Ersatz des ihm durch die Beeinträchtigung seiner Gesundheit und Arbeitsfähigkeit entstandenen Schadens, wenn er einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit erleidet, weil der Betrieb die ihm im Gesundheits- und Arbeitsschutz obliegenden Pflichten nicht erfüllt hat. Nach Absatz 3 werden auf den Anspruch gegen den Betrieb u. a. die Leistungen der Sozialversicherung angerechnet. Nach Absatz 4 verjähren die Ansprüche des Werktätigen bzw. des Hinterbliebenen nach zwei Jahren, die Frist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Werktätige bzw. die Hinterbliebenen Kenntnis vom Schaden und vom Ersatzpflichtigen erlangen. Nach §§ 99 ff. Gesetzbuch der Arbeit der DDR gehörte zu den Leistungen der Sozialversicherung u. a. eine Rente bei völligem oder teilweisem Verlust der Erwerbsfähigkeit infolge von Arbeitsunfall oder Berufskrankheit. Flankiert werden diese Vorschriften von §§ 90 ff. Gesetzbuch der Arbeit der DDR ("Der Gesundheits- und Arbeitsschutz im Betrieb") sowie von §§ 129 ff. Gesetzbuch der Arbeit der DDR ("Der besondere Schutz der werktätigen Frau und Mutter"). Nach § 129 Abs. 2 Gesetzbuch der Arbeit der DDR durften Schwangere und stillende Mütter nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, die nach Gutachten des Betriebsarztes oder Arztes der Schwangerenberatungsstelle das Leben oder die Gesundheit der Frau bzw. des Kindes gefährden könnten. Eine Erstreckung des Berufskrankheitenschutzes auf die Leibesfrucht ergibt sich für den Senat aus keiner der genannten Vorschriften.
Soweit in § 1150 Abs. 3 RVO nur eine eingeschränkte rückwirkende Anwendbarkeit von § 555 a RVO auf das Beitrittsgebiet (Schädigung vor dem 01.01.1992 und Geburt des Kindes nach dem 31.12.1991) postuliert wird, bestanden bei dem Senat bezogen auf den vorliegenden Fall mit Geburt der Klägerin bereits 1974 keine verfassungsrechtlichen Bedenken, es liegen auch keine Gründe für eine erweiternde Auslegung des Rechts der DDR entsprechend der verfassungsrechtlichen Erwägungen in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1977 (1 BvL 2/74, zitiert nach juris) vor. Für den Senat von besonderer Bedeutung ist die unterschiedliche Rechtssystematik der beiden Sozialversicherungssysteme.
Im Beitrittsgebiet stand nach den oben dargelegten Vorschriften von § 98 Gesetzbuch der Arbeit der DDR bzw. nach §§ 267 ff. Arbeitsgesetzbuch der DDR dem Werktätigen ein Schadensersatzanspruch gegen den Betrieb bei Pflichtverletzung des Betriebes zu (ausführlich hierzu: Michas, Arbeitsrecht der DDR, Berlin 1970, S. 459 ff.). Auf diesen arbeitsrechtlich/zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch waren Leistungen der Sozialversicherung anzurechnen (vgl. zum Übergangsrecht BAG, Urteil vom 14.12.1995, 8 AZR 878/94 – juris). Es bestand aber keine Haftungsfreistellung des Betriebes durch die Sozialversicherung, sondern eine Haftung des Betriebes, die nicht auf die Leistungen der Sozialversicherung beschränkt war. Ein arbeits-/zivilrechtlicher Haftungsausschluss für einen durch die Arbeit des Werktätigen eingetretenen Schaden der Leibesfrucht durch den Betrieb findet sich im Recht der DDR ebenso wenig wie eine Einstandspflicht der Sozialversicherung für solche Schäden. Demgegenüber besteht nach § 104 SGB VII (bzw. bestand nach § 636 RVO) eine komplette Haftungsfreistellung des Arbeitgebers für durch die Arbeit eingetretene Gesundheitsstörungen. Eine parallele arbeitsrechtliche/zivilrechtliche Haftung existiert hier grundsätzlich nicht, rechtsdogmatisch wurde das privatrechtliche Haftungsrecht durch das Sozialrecht verdrängt (vgl. zu den Einzelheiten Waltermann in Wannagat, SGB VII, § 104 Rdnr. 1 ff.).
Diese Verschiedenheit der Rechtssysteme steht einer Verfassungswidrigkeit von § 1150 Abs. 3 RVO entgegen. Gerade der arbeitgeberseitige Haftungsausschluss nach der RVO war nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ein wesentlicher Aspekt für die Erweiterung des sozialrechtlichen Schutzbereiches (BVerfG, Beschluss vom 22.06.1977, 1 BvL 2/74, Rdnr. 37 – juris). Eine Übertragung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf das Recht der DDR ist aufgrund dieser unterschiedlichen Haftungssysteme nicht zu rechtfertigen. Gleichzeitig ist aufgrund der arbeits-/zivilrechtlichen Haftung des Betriebes auch die von der Klägerin geforderte verfassungskonforme Erweiterung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften dahingehend, den Begriff der Berufskrankheit entsprechend der Vorschriften der RVO für das ungeborene Leben im Recht der DDR erweiternd auszulegen, nicht geboten. Die Vorschriften des in Bundesrecht transformierten Rechts der DDR, die im Beitrittsgebiet fortgalten, dienten der zeitlich befristeten Wahrung eines in der DDR etablierten rechtlichen Status quo bis zur endgültigen Überleitung des Unfallversicherungsrechts. Daher kommt hier der historischen Auslegung ein besonderes Gewicht zu; Ausgangspunkt hierfür ist die Konkretisierung der betreffenden Norm aus diesem Regelungsbereich durch die Rechts- und Verwaltungspraxis der DDR, wobei indes Bestimmungen und Auslegungsgrundsätze, die von spezifisch sozialistischen Wertungen und Rechtsmaximen geprägt sind, unberücksichtigt bleiben müssen (vgl. BSG, Urteil vom 4. 12. 2001 – B 2 U 35/00 R – juris). Die von der Klägerin geltend gemachte verfassungskonforme Auslegung betrifft nach der dargelegten Systematik allenfalls den primären arbeits-/zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den Betrieb, kann aber (wegen der fehlenden kompletten Haftungsfreistellung des Betriebes) nicht zu einer (nachträglichen) Erweiterung der sozialversicherungsrechtlichen Normen der DDR führen. Da jedoch ein arbeits-/zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch kein Versicherungsfall i.S.v. § 215 SGB VII i.V. m. § 1150 Abs. 2 und 3 RVO ist, erübrigen sich Ausführungen dahingehend, ob das Recht der DDR nachträglich überhaupt einer solchen verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist. Allein Gründe der Verwaltungspraktikabilität (vgl. Urteil des Senats vom 02.07.2008, L 6 U 40/03) können danach keine nachträgliche Angleichung der verschiedenartigen Rechtslagen rechtfertigen.
Die seinerzeit ggf. nicht erfolgte Geltendmachung entsprechender Ansprüche kann an der grundsätzlichen Systematik nichts ändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer bei der Klägerin seit ihrer Geburt bestehenden Erkrankung als Berufskrankheit durch schädigende Einwirkungen auf die Mutter während der Schwangerschaft.
Bei der 1974 geborenen Klägerin besteht ausweislich einer Mitteilung ihrer Mutter vom 23.04.2013 an die Beklagte seit der Geburt ein Hydrocephalus. Die Mutter wies darauf hin, dass sie ab 01.07.1972 als Laborantin tätig gewesen sei und seit 01.09.1972 auch Uranproben habe untersuchen müssen. Auch zu Beginn ihrer Schwangerschaft habe sie in diesem Labor gearbeitet. Bei der Klägerin bestünden fortbestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Für die Klägerin wurden Unterlagen der vormaligen Arbeitgeberin der Mutter zur Akte gereicht.
Mit Bescheid vom 27.06.2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit ab. Nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland erstrecke sich der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf die Leibesfrucht, wenn diese durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit der Mutter während der Schwangerschaft geschädigt worden ist (§ 12 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VII –). Da die Klägerin bereits vor dem 01.01.1992 im Beitrittsgebiet geboren sei, seien die Regelungen der ehemaligen DDR anzuwenden. Danach habe ein Schutz der Leibesfrucht nicht bestanden. Insofern könne eine weitere Tatsachenaufklärung zum Zusammenhang der beruflichen Belastungen der Mutter und der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen unterbleiben.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 04.07.2013 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.2013 zurück. Ergänzend zu den Ausführungen im angefochtenen Bescheid führte die Beklagte aus, dass nach § 215 SGB VII i. V. m. § 1150 Abs. 2 und 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) a. F. Versicherungsfälle aus dem Gebiet der ehemaligen DDR, die vor dem 01.01.1992 eingetreten und nach dem 31.12.1993 einem ab 01.01.1992 zuständigen Unfallversicherungsträger gemeldet worden seien (hier: 2013), dann anerkannt werden könnten, wenn sie sowohl nach den Vorschriften der ehemaligen DDR als auch nach den derzeitigen Rechtsvorschriften anerkannt werden könnten. Nach dem Recht der DDR habe es keine Vorschriften gegeben, die den Schutz der Leibesfrucht infolge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit der Mutter regelten. Die Klägerin sei am 1974 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geboren worden, damit läge ein möglicher Versicherungsfall vor dem 01.01.1992.
Hiergegen hat die Klägerin am 12.09.2013 Klage zum Sozialgericht Chemnitz (SG) eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass die Mutter einschließlich der Klägerin als Leibesfrucht während der Schwangerschaft erheblicher ionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Die Leibesfrucht sei nach dem Recht der DDR bis zur Geburt genauso wenig rechtsfähig wie nach geltendem Recht. Nach keiner Norm werde ausdrücklich zwischen Kindesmutter und der Leibesfrucht differenziert, bis zur Geburt werde die Leibesfrucht faktisch als Körperbestandteil der Kindesmutter behandelt. Aus § 12 SGB VII ergebe sich nur deklaratorisch, dass die Leibesfrucht einem Versicherten gleichstehe. Ob eine rein deklaratorische Feststellung im Altrecht des Beitrittsgebietes ihre Entsprechung finde, sei daher unerheblich. Somit habe die Leibesfrucht auch nach dem Recht der DDR unter dem gleichen Schutz gestanden, wie ihn § 12 SGB VII deklaratorisch hervorhebe. Auch strafrechtliche Normen würden diese Auffassung stützen.
Die Beklagte hat ausgeführt, dass nur aufgrund von § 12 SGB VII ein Versicherungsschutz für die Leibesfrucht bestehe, es handele sich nicht um eine deklaratorische Wiederholung einer rechtlichen Selbstverständlichkeit. In den Vorschriften der DDR, die 1974 gegolten hätten, fände sich kein Hinweis darauf, dass auch die Leibesfrucht zum Kreis der versicherten Personen im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen oder Berufskrankheit gehört habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 25.09.2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: "Die Erkrankung der Klägerin ist keine Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 1, 2 SGB VII.
Gemäß § 215 SGB VII i.V. m. § 1150 Abs. 2 und 3 RVO können Versicherungsfälle aus dem Gebiet der ehemaligen DDR, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind und nach dem 31.12.1993 einem ab 01.01.1992 zuständigen Unfallversicherungsträger gemeldet wurden, nur dann anerkannt werden, wenn sie sowohl nach den Vorschriften der ehemaligen DDR als auch nach den derzeitigen Rechtsvorschriften anerkannt werden können. Der streitgegenständliche Sachverhalt trat vor dem 01.01.1992 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ein und wurde dem zuständigen Unfallversicherungsträger, mithin der Beklagten, erstmals im April 2013 bekannt.
Zwar ist bzw. war die Leibesfrucht nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 12 SGB VII unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt; jedoch trifft dies für das damals geltende Recht der DDR nicht zu. Gemäß § 12 SGB VII ist ein Versicherungsfall auch der Gesundheitsschaden einer Leibesfrucht infolge eines Versicherungsfalles der Mutter während der Schwangerschaft; die Leibesfrucht steht insoweit einem Versicherten gleich. Bei einer Berufskrankheit als Versicherungsfall genügt, dass der Gesundheitsschaden der Leibesfrucht durch besondere Einwirkungen verursacht worden ist, die generell geeignet sind, eine Berufskrankheit der Mutter zu verursachen. Eine entsprechende Regelung im Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB/DDR) gab es nicht. Die Regelung des § 12 SGB VII entspricht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1977 (1 BvL 2/74) und erstreckt den Versicherungsschutz auf die Leibesfrucht wegen der "Gleichheit der Gefahrenlage, die aus der natürlichen Einheit von Mutter und Kind entsteht". § 12 SGB VII ist die Nachfolgevorschrift zu § 555 a RVO a.F., welche am 31.10.1977 in Kraft getreten war. In seiner Entscheidung vom 22.06.1997 (1 BvL 2/74) stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass die Regelungen des Dritten Buches der Reichsversicherungsordnung insoweit mit Art. 3 Abs. 1 und 20 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar seien, als sie das Kind einer versicherten Frau, das durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit seiner Mutter vor seiner Geburt gesundheitlich geschädigt worden ist, nicht in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen (vgl. BVerfG a.a.O., zitiert nach juris, Rdnr. 36 ff.). Dies zeigt, dass – entgegen der Ansicht der Klägerseite – § 12 SGB VII nicht nur eine deklaratorische Regelung enthält und es auch keinen allgemeingültigen rechtlichen Grundsatz gibt, dass die Leibesfrucht bis zur Geburt faktisch als Körperbestandteil der Kindesmutter behandelt würde. Gerade aus diesem Grund hat es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1977 für notwendig erachtet, die damalige Gesetzeslage in der Bundesrepublik Deutschland, welche die Leibesfrucht nicht in den Versicherungsschutz einbezog, für verfassungswidrig zu erklären. Würde man der Ansicht der Klägerseite folgen, wäre eine derartige Entscheidung und daraus folgend eine Ergänzung der RVO überflüssig gewesen. Dementsprechend gilt für das Recht der ehemaligen DDR, dass die Leibesfrucht mangels einer dortigen ausdrücklichen Regelung nicht vor Einwirkungen geschützt wurde, welcher die Kindesmutter ausgesetzt war."
Gegen den der Klägerin am 06.10.2014 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich ihre am 03.11.2014 zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung. Sie hat ausgeführt, dass die Vorgängervorschrift von § 12 SGB VII in der RVO auf einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beruhe, das Bundesverfassungsgericht habe den Schutz des ungeborenen Lebens direkt aus § 539 Abs. 1 RVO abgeleitet im Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip. Auch nach DDR-Recht müsse aus gleichen Erwägungen heraus ein entsprechender Unfallversicherungsschutz zugestanden werden. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen seien in der DDR mindestens identisch gewesen, wobei in sozialstaatlicher Hinsicht im Verhältnis zum Grundgesetz programmatisch ein noch dichterer und umfassenderer Versorgungsansatz verfolgt worden sei. Daraus ergebe sich erst recht ein entsprechender Schutz nach dem DDR-Recht. Die Klägerin hat ferner Ausführungen ihrer Mutter zu den während der Schwangerschaft bestehenden Arbeitsbedingungen sowie weitere Unterlagen aus dem Zeitraum ihrer Kindheit bzw. der vorhergehenden Schwangerschaft zur Akte gereicht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 25.09.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2013 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihr seit Geburt bestehenden Erkrankungen Berufskrankheiten nach Nr. 2402 der Anlage 1 der BerufskrankheitenVerordnung (entspricht der Liste der Berufskrankheiten der DDR Nr. 51) sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat die Beklagte an ihrer Auffassung festgehalten, dass es im Berufskrankheitenrecht der DDR keine der Vorschrift von § 12 SGB VII entsprechende Regelung gegeben habe.
Dem Senat liegen die Gerichtsakte beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- sowie fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat das SG mit dem Gerichtsbescheid vom 25.09.2014 die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG - vgl. Urteile vom 07.09.2004, Az.: B 2 U 35/03 R und B 2 U 45/03 R - juris) ist das klägerische, auf Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit gerichtete Begehren als Feststellungsklage i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - auszulegen. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an dieser Feststellung besteht, weil es die Vorfrage für die Entscheidung der Beklagten über die zu gewährenden Leistungen darstellt. Eine Entscheidung hierüber war dem Senat verwehrt, weil die Beklagte über einzelne in Betracht kommende Leistungen noch keine Entscheidung getroffen hat (BSG, a.a.O.).
Der Anspruch der Klägerin auf Feststellung, dass die bei ihr seit ihrer Geburt bestehenden Erkrankungen eine Berufskrankheit i.S. der BK-Nr. 2402 BKV ist, findet seine rechtliche Grundlage in §§ 9, 12, 215 SGB VII. Während § 9 SGB VII allgemein Berufskrankheiten definiert und § 12 SGB VII den Versicherungsschutz (als Nachfolgevorschrift zu § 555a RVO) auf die Leibesfrucht erweitert, finden sich in § 215 SGB VII Sondervorschriften für Versicherungsfälle in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet. Nach § 215 Absatz 1 Satz 1 SGB VII gilt: Für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist § 1150 Abs. 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden.
§ 1150 Abs. 2 und 3 RVO haben folgenden Wortlaut: (2) Unfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, gelten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches. Dies gilt nicht für Unfälle und Krankheiten, 1. die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch nicht zu entschädigen wären, 2. die mit Wirkung für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 als Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten nach dem Fremdrentengesetz anerkannt worden sind, es sei denn, der Verletzte hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem 1. Januar 1992 in das Beitrittsgebiet verlegt. (3) § 555a gilt auch, wenn der Arbeitsunfall der Mutter vor dem 1. Januar 1992 eingetreten ist und das Kind nach dem 31. Dezember 1991 geboren wurde.
Zwar kommt entsprechend der Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid nach §§ 9, 12 SGB VII die Anerkennung einer BK in Bezug auf die Schädigung der Leibesfrucht in Betracht, insofern ist insbesondere die von der Klägerin geltend gemachte BK-Nr. 2402 BKV naheliegend.
Es fehlt aber an einem Anspruch auf Feststellung des Vorliegens einer BK bei einer Erkrankung des Kindes durch schädigende Einflüsse auf die Mutter während der Schwangerschaft nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht. Im Recht der DDR existierte keine dem § 555a RVO bzw. § 12 SGB VII entsprechende Vorschrift. Weder das bis zum 31.12.1991 fortgeltende Recht der DDR (vgl. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag –, Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet I - Gesetzliche Unfallversicherung Abschnitt III) noch die im Zeitpunkt der Geburt der Klägerin im Jahr 1974 geltenden Vorschriften der DDR enthielten einen entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Anspruch.
Aus Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet I - Gesetzliche Unfallversicherung Abschnitt III Einigungsvertrag folgt: Folgendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik bleibt mit folgenden Maßgaben in Kraft: 1. Die Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten vom 11. April 1973 (GBl. I Nr. 22 S. 199), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 20. September 1977 (GBl. I Nr. 31 S. 346), bleibt bis zum 31. Dezember 1991 mit der Maßgabe in Kraft, daß der erweiterte Versicherungsschutz auf die in § 2 genannten Tätigkeiten eingeschränkt wird. 2. Die Achte Durchführungsbestimmung vom 2. Januar 1957 zur Verordnung über die Sozialpflichtversicherung - Deckung der Lasten aus Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten - (GBl. I Nr. 3 S. 21; Ber. GBl. I Nr. 9 S. 88), zuletzt geändert durch die Neunte Durchführungsbestimmung vom 14. Januar 1958 (GBl. I Nr. 8 S. 82), bleibt bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft. 3. Der § 24 mit Anlage der Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik vom 9. Dezember 1977 (GBl. I 1978 Nr. 1 S. 23), zuletzt geändert durch Verordnung vom 28. Juni 1990 (GBl. I Nr. 38 S. 509), bleibt bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft. 4. Die §§ 220 und 221 des Arbeitsgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. Juni 1977 (GBl. I Nr. 18 S. 185), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Juni 1990 (GBl. I Nr. 35 S. 371), bleiben bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft. 5. Die Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 26. Februar 1981 (GBl. I Nr. 12 S. 137) und die Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten - Liste der Berufskrankheiten - vom 21. April 1981 (GBl. I Nr. 12 S. 139; Ber. GBl. I Nr. 25 S. 312) bleiben bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft.
Aus diesen genannten Vorschriften, insbesondere denen nach Ziffer 1, 4 und 5, ist kein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer BK zu entnehmen. Zwar enthält die Liste der Berufskrankheiten nach Nr. 51 auch "Berufskrankheiten durch ionisierende Strahlung", es bestand aber kein Schutz des Nasciturus (so auch BT-Drucks. 12/405 zu § 1150 Abs. 3 RVO S. 155; KassKomm/Ricke, § 215 SGB VII Rdnr. 5 a.E., Stand Dezember 2014). Nach § 220 Arbeitsgesetzbuch der DDR wurde als Arbeitsunfall die Verletzung eines Werktätigen (bzw. ab Änderung durch Gesetz vom 22.06.1990: eines Arbeitnehmers) im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess angesehen. Die in § 221 Arbeitsgesetzbuch der DDR enthaltene Definition der Berufskrankheiten ("Eine Berufskrankheit ist eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wird und die in der Liste der Berufskrankheiten genannt ist. Einzelheiten werden in Rechtsvorschriften festgelegt.") verweist wegen Einzelheiten auf Festlegungen in Rechtsvorschriften. Unter Heranziehung von § 1 Abs. 2 Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten (vgl. oben Ziffer 5) war der BK-Schutz auf die im Arbeitsrechtsverhältnis stehenden Werktätigen beschränkt. Regelungen für den Fall einer Schädigung des Nasciturus waren hier ebenso wenig vorhanden wie in der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes (vgl. oben Ziffer 1).
Auch für den Zeitpunkt der Geburt der Klägerin im Jahr 1974 existierten keine den §§ 555a RVO, 12 SGB VII entsprechenden Vorschriften. Das Gesetzbuch der Arbeit der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.04.1961, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.06.1968, wurde durch das Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16.06.1977 abgelöst. Nach § 97 Gesetzbuch der Arbeit der DDR sind die Betriebe verpflichtet, dem Werktätigen bei Schädigung seiner Gesundheit durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit oder den Hinterbliebenen beim Tod des Werktätigen Unterstützung und Hilfe zu gewähren. Sie haben den Werktätigen, wenn er seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, oder die Hinterbliebenen zu unterstützen, dass sie eine zumutbare Arbeit erhalten. Nach § 98 Abs. 1 Gesetzbuch der Arbeit der DDR besteht ein Anspruch des Werktätigen gegen den Betrieb auf Ersatz des ihm durch die Beeinträchtigung seiner Gesundheit und Arbeitsfähigkeit entstandenen Schadens, wenn er einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit erleidet, weil der Betrieb die ihm im Gesundheits- und Arbeitsschutz obliegenden Pflichten nicht erfüllt hat. Nach Absatz 3 werden auf den Anspruch gegen den Betrieb u. a. die Leistungen der Sozialversicherung angerechnet. Nach Absatz 4 verjähren die Ansprüche des Werktätigen bzw. des Hinterbliebenen nach zwei Jahren, die Frist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Werktätige bzw. die Hinterbliebenen Kenntnis vom Schaden und vom Ersatzpflichtigen erlangen. Nach §§ 99 ff. Gesetzbuch der Arbeit der DDR gehörte zu den Leistungen der Sozialversicherung u. a. eine Rente bei völligem oder teilweisem Verlust der Erwerbsfähigkeit infolge von Arbeitsunfall oder Berufskrankheit. Flankiert werden diese Vorschriften von §§ 90 ff. Gesetzbuch der Arbeit der DDR ("Der Gesundheits- und Arbeitsschutz im Betrieb") sowie von §§ 129 ff. Gesetzbuch der Arbeit der DDR ("Der besondere Schutz der werktätigen Frau und Mutter"). Nach § 129 Abs. 2 Gesetzbuch der Arbeit der DDR durften Schwangere und stillende Mütter nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, die nach Gutachten des Betriebsarztes oder Arztes der Schwangerenberatungsstelle das Leben oder die Gesundheit der Frau bzw. des Kindes gefährden könnten. Eine Erstreckung des Berufskrankheitenschutzes auf die Leibesfrucht ergibt sich für den Senat aus keiner der genannten Vorschriften.
Soweit in § 1150 Abs. 3 RVO nur eine eingeschränkte rückwirkende Anwendbarkeit von § 555 a RVO auf das Beitrittsgebiet (Schädigung vor dem 01.01.1992 und Geburt des Kindes nach dem 31.12.1991) postuliert wird, bestanden bei dem Senat bezogen auf den vorliegenden Fall mit Geburt der Klägerin bereits 1974 keine verfassungsrechtlichen Bedenken, es liegen auch keine Gründe für eine erweiternde Auslegung des Rechts der DDR entsprechend der verfassungsrechtlichen Erwägungen in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1977 (1 BvL 2/74, zitiert nach juris) vor. Für den Senat von besonderer Bedeutung ist die unterschiedliche Rechtssystematik der beiden Sozialversicherungssysteme.
Im Beitrittsgebiet stand nach den oben dargelegten Vorschriften von § 98 Gesetzbuch der Arbeit der DDR bzw. nach §§ 267 ff. Arbeitsgesetzbuch der DDR dem Werktätigen ein Schadensersatzanspruch gegen den Betrieb bei Pflichtverletzung des Betriebes zu (ausführlich hierzu: Michas, Arbeitsrecht der DDR, Berlin 1970, S. 459 ff.). Auf diesen arbeitsrechtlich/zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch waren Leistungen der Sozialversicherung anzurechnen (vgl. zum Übergangsrecht BAG, Urteil vom 14.12.1995, 8 AZR 878/94 – juris). Es bestand aber keine Haftungsfreistellung des Betriebes durch die Sozialversicherung, sondern eine Haftung des Betriebes, die nicht auf die Leistungen der Sozialversicherung beschränkt war. Ein arbeits-/zivilrechtlicher Haftungsausschluss für einen durch die Arbeit des Werktätigen eingetretenen Schaden der Leibesfrucht durch den Betrieb findet sich im Recht der DDR ebenso wenig wie eine Einstandspflicht der Sozialversicherung für solche Schäden. Demgegenüber besteht nach § 104 SGB VII (bzw. bestand nach § 636 RVO) eine komplette Haftungsfreistellung des Arbeitgebers für durch die Arbeit eingetretene Gesundheitsstörungen. Eine parallele arbeitsrechtliche/zivilrechtliche Haftung existiert hier grundsätzlich nicht, rechtsdogmatisch wurde das privatrechtliche Haftungsrecht durch das Sozialrecht verdrängt (vgl. zu den Einzelheiten Waltermann in Wannagat, SGB VII, § 104 Rdnr. 1 ff.).
Diese Verschiedenheit der Rechtssysteme steht einer Verfassungswidrigkeit von § 1150 Abs. 3 RVO entgegen. Gerade der arbeitgeberseitige Haftungsausschluss nach der RVO war nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ein wesentlicher Aspekt für die Erweiterung des sozialrechtlichen Schutzbereiches (BVerfG, Beschluss vom 22.06.1977, 1 BvL 2/74, Rdnr. 37 – juris). Eine Übertragung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf das Recht der DDR ist aufgrund dieser unterschiedlichen Haftungssysteme nicht zu rechtfertigen. Gleichzeitig ist aufgrund der arbeits-/zivilrechtlichen Haftung des Betriebes auch die von der Klägerin geforderte verfassungskonforme Erweiterung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften dahingehend, den Begriff der Berufskrankheit entsprechend der Vorschriften der RVO für das ungeborene Leben im Recht der DDR erweiternd auszulegen, nicht geboten. Die Vorschriften des in Bundesrecht transformierten Rechts der DDR, die im Beitrittsgebiet fortgalten, dienten der zeitlich befristeten Wahrung eines in der DDR etablierten rechtlichen Status quo bis zur endgültigen Überleitung des Unfallversicherungsrechts. Daher kommt hier der historischen Auslegung ein besonderes Gewicht zu; Ausgangspunkt hierfür ist die Konkretisierung der betreffenden Norm aus diesem Regelungsbereich durch die Rechts- und Verwaltungspraxis der DDR, wobei indes Bestimmungen und Auslegungsgrundsätze, die von spezifisch sozialistischen Wertungen und Rechtsmaximen geprägt sind, unberücksichtigt bleiben müssen (vgl. BSG, Urteil vom 4. 12. 2001 – B 2 U 35/00 R – juris). Die von der Klägerin geltend gemachte verfassungskonforme Auslegung betrifft nach der dargelegten Systematik allenfalls den primären arbeits-/zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den Betrieb, kann aber (wegen der fehlenden kompletten Haftungsfreistellung des Betriebes) nicht zu einer (nachträglichen) Erweiterung der sozialversicherungsrechtlichen Normen der DDR führen. Da jedoch ein arbeits-/zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch kein Versicherungsfall i.S.v. § 215 SGB VII i.V. m. § 1150 Abs. 2 und 3 RVO ist, erübrigen sich Ausführungen dahingehend, ob das Recht der DDR nachträglich überhaupt einer solchen verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist. Allein Gründe der Verwaltungspraktikabilität (vgl. Urteil des Senats vom 02.07.2008, L 6 U 40/03) können danach keine nachträgliche Angleichung der verschiedenartigen Rechtslagen rechtfertigen.
Die seinerzeit ggf. nicht erfolgte Geltendmachung entsprechender Ansprüche kann an der grundsätzlichen Systematik nichts ändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
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