S 2 R 483/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 R 483/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 382/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähig-keit. Der am 00 ...00.1954 im J ... geborene Kläger war nach Besuch einer Hochschule, Fach-hochschule und eines Berufskollegs (Studienrichtung Management) zunächst von 1979 bis 1989 bei den J. Streitkräften beschäftigt. Im Anschluss übte er verschiedene selbständige Tätigkeiten im J ... in K.(Antikgeschäft) und N (Reisebüro) aus, bis er nach seiner Einreise nach Deutschland in der Zeit von 1998 bis 2004 einer selbständigen Tätigkeit im Bereich Export-/Importgeschäfte und dem Betrieb eines Internetcafés in T. nachging.

Unter dem 28.08.2012 beantragte der Kläger eine Rente wegen verminderter Erwerbsfä-higkeit bei der Beklagten. Die Beklagte zog zunächst ein ärztliches Attest der Fachärztin für Neurologie Dr. Z. vom 10.06.2012 und des Facharztes für Innere Medizin Dr. K. vom 05.09.2012 bei und wertete diese aus. Weiter veranlasste sie eine Begutachtung des Klä-gers durch die Ärztin für Allgemeinmedizin, Allergologie, Umweltmedizin und Sozialmedizin Frau K ... Diese kam in ihrem Gutachten vom 10.09.2012 zu dem Ergebnis, der Kläger könne noch körperlich leichte leidensangepasste Arbeiten mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Mit Bescheid vom 20.09.2012 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begrün-dung ab, der Kläger könne mit den bestehenden Einschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes er-werbstätig sein. Dagegen legte der Kläger unter dem 04.10.2012 Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen. Die Beklagte holte daraufhin Befundberichte von Dr. Z. vom 29.12.2012 und Dr. K. vom 10.12.2012 ein und veranlasste nach deren Auswertung eine Begutachtung des Klägers durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie – Psychotherapie Dr. F ... Die Sach-verständige kam in dem Gutachten vom 07.03.2013 zu dem Ergebnis, der Kläger könne noch körperlich leichte bis mittelschwere leidensangepasste Arbeiten mindestens 6 Stun-den täglich verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück und führte aus, der Ärztliche Beratungsdienst der Beklagten habe bestä-tigt, dass der Kläger noch erwerbstätig sein könne. Im Vordergrund stünden eine Anpas-sungsstörung mit Rückzugstendenzen und depressiver Symptomatik, ein Wirbelsäulen-syndrom, ein Diabetes mellitus, ein Bluthochdruckleiden und ein ernährungsbedingtes Übergewicht. Der Kläger sei aber noch in der Lage, leichte Arbeiten auszuüben. Eine ver-sicherungspflichtige Tätigkeit habe der Kläger bisher nicht ausgeübt, sodass er als unge-lernter Arbeiter/Angestellter zu beurteilen sei. Er müsse sich deshalb auf sämtliche unge-lernte Tätigkeiten verweisen lassen.

Hiergegen richtet sich die unter dem 15.08.2013 erhobene Klage. Der Kläger führt aus, er könne nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein, da er zusätzliche Pausen benötige. Aus einem Gutachten des TÜV S. vom 00.00.2013 ergebe sich, dass er nur unter 3 Stunden täglich erwerbstätig sein könne.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu verurteilen, ihm unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 28.08.2012 Rente wegen verminderter Erwerbsfä-higkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.

Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte des Facharztes für Innere Medizin Dr. K.vom 27.01.2014 und der Fachärztin für Neurologie Dr. Z. vom 28.01.2014 eingeholt. Dr. K. führte aus, der Kläger sei in seiner Arbeitsfähig-keit eingeschränkt. Zum Leistungsvermögen äußerte er sich nicht eindeutig. Dr. Z. kam zu dem Ergebnis, der Kläger könne nur noch unter 3 Stunden täglich erwerbstätig sein.

Sodann hat es von Amts wegen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache eine Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. veranlasst. Dr. H. kam in seinem Gutachten vom 18.08.2014 zu dem Ergebnis, der Kläger könne noch körperlich leichte leidensangepasste Arbeiten mindestens 6 Stunden täglich verrichten, die Wegefähigkeit sei erhalten. Der Kläger ist dem Gutachten entgegen getreten und hat auf die abweichende Einschätzung von Dr. Z. verwiesen. Beigefügt war eine schriftliche Stellungnahme von Dr. Z. vom 18.06.2014, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 130 d. GA). Mit den bestehenden Einschränkun-gen gebe es keine Tätigkeit, die der Kläger ausüben könne, auch unter Berücksichtigung der bestehenden sprachlichen Barriere. Dr. H. hat dazu mit Schreiben vom 19.12.2014 ergänzend Stellung genommen. Auf den Inhalt der Stellungnahme wird verwiesen (Bl. 136 ff. d. GA). Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwie-sen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ge-wechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminde-rung. Ein solcher Anspruch besteht bei Erfüllung der versicherungsrechtlichen Vorausset-zungen für Versicherte, die erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) sind. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den übli-chen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich er-werbstätig sein kann. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger, der die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, kann noch mindes-tens 6 Stunden täglich arbeiten.

Er leidet unter folgenden Gesundheitsstörungen: 1. Anpassungsstörung mit lange dauernden schwierigen psychosozialen Entwicklun-gen, bedingt durch Kriegsereignisse und politische Umwälzungen im XXXX mit Rückzugstendenzen bei derzeit moderater ängstlich-depressiver Symptomatik und nachvollziehbarer Vorsichtname bei Berücksichtigung der speziellen Vorgeschichte, 2. Rückenschmerzen mit rezidivierenden Lumboischialgien und pseudoradiculären Beschwerden in beide Beine bei Adipositas per magna ohne neurologische Ausfälle und ohne klinischen Nachweis einer Polyneuropathie, 3. Diabetes mellitus Typ II, 4. Bronchitis, 5. Arterielle Hypertonie, 6. Adipositas per magna.

Der Kläger ist auch angesichts dieser Gesundheitsstörungen noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ohne Zwangshaltungen im Freien unter Witterungsschutz und in geschlossenen Räumen in Tagesschicht zu verrich-ten. Es sollen keine Arbeiten unter Zeitdruck, in Einzel- und Gruppenakkord, Fließbandar-beiten, Arbeiten an Automaten, auf Leitern und Gerüsten bzw. mit Absturzgefahr, an lau-fenden Maschinen, unter Staubeinwirkung, mit Gefährdung durch Dämpfe oder Nässe ausgeübt werden. Aus psychischen Gründen können das Konzentrationsvermögen, die Durchhaltekraft, die Nervenkraft, eventuell die Zuverlässigkeit und die Sorgfalt beeinträch-tigt sein. Die Vigilanz ist erhalten, das technische Verständnis entspricht dem Ausbil-dungsstand, das Durchsetzungsvermögen ist persönlichkeitsspezifisch vorhanden, die Umstellungsfähigkeit für neue Tätigkeiten ist ausreichend vorhanden. Zusätzliche, nicht betriebsübliche Pausen müssen nicht zugebilligt werden. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ist der Kläger in der Lage, an 5 Tagen in der Woche mindestens 6 Stunden unter betriebsüblichen Bedingungen tätig zu sein. Er kann viermal täglich Fußwege von geringfügig mehr als 500 Metern innerhalb eines Zeit-raums von höchstens 20 Minuten zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel oder einen PKW nutzen. Das Gericht entnimmt dies dem von Amts wegen eingeholten Gutachten von Dr. H ... Der Sachverständige ist als Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie aufgrund eingehender Untersuchung und sorgfältiger Befunderhebung sowie unter Berücksichtigung der übrigen vorliegenden medizinischen Unterlagen zu der nachvollziehbaren Schlussfolgerung gelangt, die Leiden des Klägers führten nicht zu quantitativ relevanten Einschränkungen des Leistungsvermögens. Die neurologische Untersuchung durch Dr. H. war ohne besonderen Befund (Seite 11 ff. des Gutachtens). Insbesondere konnte der Kläger den Zehen- und Hackenstand vorfüh-ren ohne Nachweise einer Parese, ebenso konnte der Zehen- und Hackengang kurzzeitig vorgeführt werden. Der Kläger erschien pünktlich zur Untersuchung und war bewusst-seinsklar sowie voll orientiert. Es bestand Leidensdruck für die Ereignisse in Folge der politischen Umwälzungen im Irak mit weitreichenden Folgen für die Primärfamilie des Klä-gers. Die emotionale Schwingungsbreite war adäquat, das psychosomatische Ausdrucks-vermögen persönlichkeitsspezifisch erhalten. Die Stimmungslage war dysphorisch und dysthym, aber nicht resignativ (Seite 15 des Gutachtens). Dr. H. stellte keine Wahrneh-mungs-, Trieb- oder Willensstörungen im engeren psychiatrischen Sinn fest. Zum Zeit-punkt der Begutachtung war der formale Gedankengang regelrecht, inhaltlich bestand ei-ne Akzentuierung des Denkens auf die psychosozialen Entwicklungen. Die Auffassungs-gabe für bestehende Sachverhalte war gut, die zeitliche Zuordnung gelang ungestört. Auch die Merkfähigkeit und das Frisch- und Altzeitgedächtnis waren ungestört. Die psy-chische Belastbarkeit war wenig eingeschränkt (Seite 16 des Gutachtens). Im Rahmen der Zusatzuntersuchungen ergab das Elektroencephalogramm einen Normalbefund (Seite 16 f. des Gutachtens), der Sachverständige fand keine Hinweise auf Schädigungen der sensiblen zentralen Leitungsbahnen (Seite 17 des Gutachtens). Insgesamt hat die Kam-mer keine Bedenken, sich der Einschätzung des Sachverständigen anzuschließen. Sie geht insbesondere davon aus, dass Dr. H. die bestehenden Einschränkungen des Klägers hinreichend im Rahmen der beschriebenen qualitativen Leistungseinschränkungen be-rücksichtigt hat. Die Kammer vermag sich demgegenüber nicht der Einschätzung von Dr. Z. im Befundbe-richt vom 28.01.2014 und der Stellungnahme vom 18.06.2014 anzuschließen. Soweit Dr. Z. die Diagnosen "posttraumatische Belastungsstörung, schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, Anpassungsstörung" gestellt hat, ist anzumerken, dass es sich dabei nicht um ihr Fachgebiet handelt. Wie Dr. H. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.12.2014 zutreffend ausgeführt hat, ist Dr. Z. Fachärztin für Neurologie und daher nicht für die Behandlung von seelischen/psychischen Erkrankungen wie Psychosen, Depressionen, Ängsten, Anpassungsstörungen, Traumastörungen usw. fachlich qualifi-ziert. Aus diesem Grund hat die Kammer keinerlei Bedenken, sich hinsichtlich der seeli-schen/psychischen Leiden Dr. H. als Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychothe-rapie anzuschließen. Hinzu kommt, dass Dr. H. die Einschätzung von Dr. Z. bereits bei Erstellung des Gutachtens bekannt war. So hat er auch selbst noch einen aktuellen Be-fundbericht bei dieser eingeholt. Der Sachverständige hat die Einschätzung von Dr. Z. berücksichtigt und bei seiner Bewertung des klägerischen Leistungsvermögens einbezo-gen. Die Ausführungen von Dr. H. in der ergänzenden Stellungnahme zu einer posttrau-matischen Belastungsstörung überzeugen die Kammer vollumfänglich. So hat der Sach-verständige ausgeführt, dass der Kläger unzweifelhaft durch die Kriegsereignisse in sei-nem Heimatland stark betroffen worden ist. Nach Asylbeantragung in Deutschland habe der Kläger allerdings ein Internetcafé und ein Export-/Importgeschäft betrieben. Diese Tä-tigkeiten würden wie die klinischen Befunde gegen eine posttraumatische Belastungsstö-rung bzw. ein psychotraumatisches Stresssyndrom sprechen. Das erscheint der Kammer nachvollziehbar. Auch das Gutachten des TÜV X vom19.07.2013 lag dem Sachverständi-gen bereits bei Erstellung des Gutachtens vor und wurde von diesem hinreichend berück-sichtigt.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Ein solcher Anspruch besteht nach §§ 240 Abs. 1, 43 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI für Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren sind, die versicherungsrechtli-chen Voraussetzungen erfüllen und berufsunfähig sind.

Der vor dem 02.01.1961 geborene Kläger, der die versicherungsrechtlichen Vorausset-zungen erfüllt, ist jedoch nicht berufsunfähig. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinde-rung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Ver-sicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbs-fähigkeit der Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI).

Bisheriger Beruf in diesem Sinne ist in der Regel die zuletzt ausgeübte versicherungs-pflichtige Tätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.1996, Az. 13 RJ 35/96 m.w.N.). Kann der bisherige Beruf nicht mehr ausgeübt werden, hängt der Rentenanspruch davon ab, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die sozial zumutbar ist und gesundheitlich und fachlich noch bewältigt werden kann. Dabei richtet sich die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstä-tigkeit nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufs. Zur Bestimmung dieser Wertig-keit ist vom Bundessozialgericht auch für den Angestelltenbereich ein Mehrstufenschema entwickelt worden, das - ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Aus-bildung für die Qualität eines Berufs haben - durch Berufsgruppen der Versicherten cha-rakterisiert ist. Entsprechend diesem Mehrstufenschema werden folgende Stufen unter-schieden: Berufe mit regelmäßig akademischer Ausbildung, Berufe mit der Voraussetzung eines erfolgreichen Abschlusses einer Fachhochschule oder einer zumindest gleichwerti-gen Berufsausbildung, Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrung oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen, Berufe mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, Berufe mit einer Ausbildung von bis zu zwei Jahren sowie un-gelernte Berufe (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.1994, Az. 4 RA 35/93; Beschluss vom 27.08.2009, Az. B 13 R 85/09 B; KassKomm/Gürtner SGB VI § 240 Rn. 24, Stand 84. Ergänzungslieferung 2014). Grundsätzlich darf ein Versicherter, der seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann, nur auf Tätigkeiten der jeweils niedrigeren Gruppe ver-wiesen werden. Das Gesetz sieht einen Versicherten nämlich nicht schon dann als be-rufsunfähig an, wenn er seinen bisherigen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, sondern verlangt, dass er - ausgehend von diesem Beruf - einen sozial zumutbaren beruflichen Abstieg in Kauf nimmt. Erst wenn der Versicherte in diesem Sinne nicht mehr auf eine zumutbare Tätigkeit verwiesen werden kann, ist er berufsunfähig (BSG, Urteil vom 25.01.1994, a.a.O.). Der Kläger hat bisher keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt, sodass er auf sämtliche ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar ist. Er kann sich nicht auf einen Berufsschutz berufen. Denn nur der pflichtversichert ausgeübte Beruf bestimmt das versicherte Risiko (KassKomm/Gürtner a.a.O. Rn. 15). Solche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann der Kläger nach den soeben getroffenen Feststel-lungen mit dem verbliebenen Leistungsvermögen noch ausüben.

Soweit der Kläger vorgetragen hat, es sei keine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeits-markt erkennbar, die er noch ausüben könne, ist dies nicht nachvollziehbar. Dies könnte allenfalls beim Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen der Fall sein. Dann bestünde die Pflicht der Beklagten zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit. Für den Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach sei-nem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte Tätigkeiten täglich min-destens 6 Stunden verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen übli-chen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leis-tungsvermögen in der Regel noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in meist ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden (KassKomm/Gürtner a.a.O. § 43 Rn. 37). Es besteht jedoch die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungs-tätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vorliegt (BSG, Urteil vom 19.10.2011, B 13 R 78/09 R, juris m.w.N.). Auch bei sechsstündiger Erwerbsfähigkeit kann nämlich der Ar-beitsmarkt ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (KassKomm/Gürtner a.a.O. § 43 m.w.N.). Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungs-einschränkungen liegt vor, wenn eine Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur ein-zelne Verrichtungen und Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen – ohne im Einzelnen oder auf den ersten Blick ungewöhnlich zu sein – das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können (KassKomm/Gürtner a.a.O. § 43 Rn. 47). Einen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt es nicht, vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 23.05.2006, B 13 RJ 38/05 R, juris). Zu berücksichtigen sind insbesondere Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen. Bei einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschrän-kungen oder bei einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung muss wenigstens eine Verweisungstätigkeit konkret benannt werden (BSG, Urteil vom 18.02.1981, 1 RJ 124/79; Urteil vom 23.06.1981, 1 RJ 72/80; Urteil vom 01.03.1984, 4 RJ 43/83; Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94, jeweils juris). Unter die Begriffe der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder der schweren spezifischen Leistungsbehinderung fallen nicht die üblichen Leistungseinschränkungen wie z.B. der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erfordern, im Akkord oder Schichtdienst verrichtet werden oder besondere Anforderungen an das Seh-, Hör-, oder Konzentrationsvermögen erfordern (KassKomm/Gürtner a.a.O. § 43 Rn. 47). Auf der ersten Prüfstufe ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicher-ten Verrichtungen oder Tätigkeiten (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reini-gen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Tei-len usw.) erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. In diesem Fall genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte. Erst dann, wenn sich solche Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht beschreiben lassen, in denen es Arbeitsplätze gibt, die der Versicherte unter Berücksichtigung seines Restleistungs-vermögens noch ausfüllen kann und insofern "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Ein-satzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich die Prüfpflicht, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG, Urteil vom 19.10.2011 a.a.O.). Kommen also für den Kläger Arbeitsfelder in Betracht, die Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen beinhalten (vgl. Urteil des BSG vom 19.10.2011 a.a.O.), stellt sich für die Kammer nicht die Prüf-pflicht, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine beson-dere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, die zur Benennung mindestens einer konkreten Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen zwingen würde (vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 26.07.2013, L 14 R 1015/12 und Urteil vom 23.07.2013, L 18 R 513/10, jeweils juris). Die Kammer hat keinerlei Zwei-fel, dass der Kläger mit dem oben beschriebenen Restleistungsvermögen jedenfalls noch Tätigkeiten wie Verpacken, Kleben oder Zusammensetzen von Teilen ausführen kann. Soweit der Kläger auf seine Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hinweist, sei zu-nächst angemerkt, dass für Verpacken, Kleben oder das Zusammensetzen von Teilen keine besonderen Sprachkenntnisse erforderlich sind. Darüber hinaus kann sich ein Ver-sicherter bei der Prüfung von Berufs- und Erwerbsunfähigkeit nicht darauf berufen, dass eine andere Sprache als Deutsch seine Muttersprache ist und er keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache habe (BSG, Urteil vom 15.05.1991, 5 RJ 92/89, juris). Hinzu tritt, dass die Kammer nach dem persönlichen Eindruck von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung davon ausgeht, dass der Kläger über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, um am Erwerbsleben teilzunehmen. Die Kammer hat den Eindruck gewonnen, dass der Kläger dem Verlauf der mündlichen Verhandlung folgen konnte, und zwar auch bevor der Dolmetscher jeweils das Gesagte für ihn übertragen hat. Auch hatte die Vertreterin der Beklagten nach Ende der Verhandlung mitgeteilt, dass der Kläger sich mit seiner Prozessbevollmächtigten in einer Verhandlungspause durchaus auch auf Deutsch verständig hat. Letztlich kam es darauf für die vorliegende Entscheidung jedoch nicht an, sodass keine weitere Klärung durch die Kammer notwendig war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved