Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3219/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4894/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten sind Ansprüche auf Verletztenrente aus Anlass eines Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 umstritten.
Der 1949 geborene Kläger war bis 1999 Projektmanager für Tankstellenaufbau und danach in der Versicherungsbranche tätig. Als selbständiger Versicherungsmakler erlitt der Kläger am 4. September 2002 einen Arbeitsunfall, als er auf der Fahrt von seiner Wohnung in sein Büro als angeschnallter PKW-Fahrer in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde. In der Verkehrsunfallanzeige und dem Schlussvermerk der Polizei vom 14. November 2002 wurde dargestellt, dass das Fahrzeug des Klägers mit einem einbiegenden Fahrzeug zusammengestoßen sei. An beiden Fahrzeugen sei ein Totalschaden entstanden. Auf der Fahrbahn sei ein 13 Meter langer Bremsblockierstreifen des Autos des Klägers gefunden worden. Er habe in seiner polizeilichen Vernehmung vom 2. November 2002 von einer Brustprellung und schweren Syndromen der Halswirbelsäule (HWS), der Lendenwirbelsäule (LWS) und der Brustwirbelsäule (BWS).
Die Erstbehandlung des Klägers erfolgte ambulant durch Dr. H., H.-R.-Klinik, B ... Dieser erhob im Bereich der Halswirbelsäule Schmerzen ohne neurologische Ausfälle und einen muskulären paravertebralen Hartspann beidseits. Die röntgenologische Untersuchung der Halswirbelsäule in zwei Ebenen ergab eine Steilstellung ohne Fraktur oder Luxationszeichen. Dr. H. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen eine HWS-Distorsion. Die Erstversorgung erfolgte mittels Zervikalstütze und Schmerzmedikamenten (vgl. Durchgangsarztbericht vom 5. September "2003"). Bei einer durch Dr. H. veranlassten Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. K. gab der Kläger zum Unfallgeschehen an, ein anderer Pkw habe ihm von rechts kommend die Vorfahrt genommen. Der Zusammenstoß sei bei einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h erfolgt. Initial habe keine Bewusstlosigkeit vorgelegen. Dr. K. beschrieb den Kläger als zeitlich und örtlich orientiert, ohne gröbere Gedächtnisstörungen sowie mit ausgeglichener Stimmung und normalem Antrieb, und diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein Schleudertrauma der gesamten Wirbelsäule sowie sensible Wurzelreizerscheinungen an den Händen in Höhe C7/8 beidseits und an den Beinen im S1-Segment beidseits. Motorische Ausfälle habe er nicht objektivieren können (Befundbericht vom 9. September 2002). Nach MRT-Aufnahmen der gesamten Wirbelsäule im Oktober 2002 - kein Anhalt für eine Traumafolge im Bereich der ossären Strukturen sowie der Bandscheiben der LWS - führte Dr. H. in seinem Nachschaubericht vom 18. Oktober 2002 zusammenfassend aus, der Kläger berichte noch über Schmerzen im Bereich des Steißbeins; außerdem sei eine mäßige Hypästhesie im Bereich der rechten Ferse zu objektivieren. Sonst ließen sich wesentlichen Unfallfolgen nicht mehr nachweisen. Es sei nun definitiv Arbeitsfähigkeit ab 26. Oktober 2002 anzunehmen. Außerdem gab der Kläger gegenüber Dr. H. vermehrte Kopfschmerzen bei der PC-Arbeit an, der Heilverlauf sei aber korrekt (Auskunft vom 12. November 2002). Weiterführende ärztliche Behandlungen insbesondere auf HNO-fachärztlichem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet fanden in der Folgezeit nicht statt. Verletztengeld wurde dem Kläger vom 25. September bis 26. Oktober 2012 bezahlt. Danach arbeitete der Kläger wieder.
Im April 2003 stellte sich der Kläger erneut bei Dr. H. vor. Dieser objektivierte als Residuum der HWS-Distorsionsverletzung eine reflektorische Steilhaltung, einen paravertebralen Muskelhartspann und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule nach allen Richtungen (Bericht vom 7. April 2003). Bei der weiteren Nachuntersuchung durch Dr. H. am 29. April 2003 konnte dieser von Seiten seines Fachgebiets für die vom Kläger angegebenen Beschwerden (Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung in den Hinterkopf, des linken Unterkiefers und der linken Halsseite, unscharfes Sehen bei der Vorbeugung der Halswirbelsäule) kein objektives Korrelat feststellen (vgl. Zwischenbericht vom 29. April 2003). Auch Dr. K. konnte auf seinem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen diagnostizieren; der Kläger sei auffällig auf Schmerzen fixiert, die Stimmung gut und der Antrieb erhalten (vgl. Befundbericht vom 5. Mai 2003).
Durch Bescheid vom 26. Mai 2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus nicht in rentenberechtigendem Grade gemindert. Ein Anspruch auf Heilbehandlung wegen der Folgen des Versicherungsfalls bestehe nach dem 30. April 2003 nicht mehr. Als Unfallfolgen anerkannte die Beklagte eine "HWS-Distorsion".
Im August 2006 stellte sich der Kläger bei dem Orthopäden Dr. K. vor. Dabei klagte er über wiederkehrende Muskelverhärtungen, Blockaden, Schmerzen und Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule. Dr. K. verordnete deswegen chirotherapeutische Maßnahmen (vgl. Verlaufsbericht H-Arzt vom 24. August 2006). Außerdem begab sich der Kläger im Oktober 2010 in Behandlung des Chirurgen Dr. S. und klagte dabei über eine diskrete Übelkeit und Schmerzen im HWS-Bereich. Dr. S. konnte jedoch keine neurologischen Ausfälle objektivieren; die Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule ergab keinen Frakturnachweis. Dr. S. verordnete Schmerzmedikamente (vgl. Durchgangsarztbericht vom 29. Oktober 2010).
Am 13. Januar 2009 erlitt der Kläger einen weiteren Arbeitsunfall, indem er umknickte und sich seinen linken Fuß verletzte. Während eines diesbezüglich angestrengten Widerspruchsverfahrens gegen die Ablehnung einer Verletztenrente durch die Beklagte (Bescheid vom 13. Februar 2013) stellte der Kläger am 14. Juni 2013 bei der Beklagten den Antrag, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 Verletztenrente, gegebenenfalls als Stützrente unter Berücksichtigung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13. Januar 2009, zu gewähren. Zur Feststellung von Art und Ausmaß der Unfallfolgen ließ die Beklagte den Kläger durch den HNO-Arzt Dr. D. und den Chirurgen Dr. F. untersuchen und begutachten.
Gegenüber Dr. D. gab der Kläger an, es sei erstmals 14 Tage nach dem Unfallereignis zu einer Tinnitus-Symptomatik im Sinne eines Kopfgeräusches gekommen. Dr. D. erhob in seinem Gutachten vom 4. März 2014 ein beidseits normales Hörvermögen und führte zusammenfassend aus, nach den Angaben des Klägers gehe von der Ohrgeräuschempfindung keine wesentliche Beeinträchtigung aus. Eine Sekundärsymptomatik mit Einfluss auf das Stimmungsbild, die Konzentration oder die Schlafsituation habe der Kläger nicht angegeben. Er habe auch über keine ärztliche Konsultation im Zusammenhang mit der Ohrgeräuschsymptomatik gesprochen. Weiter gebe es nach Aktenlage keinen Anhaltspunkt für eine entsprechende ärztliche Behandlung. Hinweise auf eine periphervestibuläre Beeinträchtigung habe er nicht objektivieren können, ebenso wenig Anhaltspunkte für eine neurale oder retrocochleäre Störung. Insgesamt bestünde lediglich eine gering ausgeprägte Tinnitus-Symptomatik. Ein ursächlicher Zusammenhang dieses Tinnitus mit dem Arbeitsunfallereignis bestehe nicht. Bei Distorsionen der Halswirbelsäule seien Symptome am Hörorgan entweder sofort nach dem Unfallereignis vorhanden oder begännen mit einem Intervall von lediglich wenigen Stunden. Eine erst Tage später oder - wie vom Kläger angegeben - erst nach zwei Wochen zu beobachtende Ohrgeräuschsymptomatik sei in keinem Fall ursächlich auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen. Verzögerte Beschwerdeanteile könnten zwar durch eine verzögerte Ödembildung im Gewebe oder einer Einblutung möglich sein; solche krankhaften Folgen träten jedoch spätestens nach wenigen Stunden in Erscheinung. Auf seinem Fachgebiet bestehe keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).
Dr. F. erhob in seinem Gutachten vom 4. März 2014 beginnende degenerative Veränderungen an der unteren Halswirbelsäule ohne Gefügestörung. Auf seinem Fachgebiet bestünden keine Unfallfolgen mehr. Die vom Kläger angegebenen Kopfschmerzen und Zervikobrachialgien seien bei seiner Untersuchung und Begutachtung nicht zu objektivieren gewesen. Die unfallbedingte MdE bewerte er seit dem 27. Oktober 2002 bis zum 3. April 2003 mit weniger als 10 vom Hundert (v. H.) und ab dem 1. April 2003 bis auf Weiteres mit 0 v. H. An dieser Einschätzung hielt Dr. F. nach Übersendung des Gutachtens von Dr. D. fest (Stellungnahme vom 4. Mai 2014).
Daraufhin lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente für den Arbeitsunfall vom 4. September 2002 ab, da aus dem Versicherungsfall keine verbleibenden Gesundheitsschäden resultieren würden und eine rentenberechtigende MdE nicht vorliege (Bescheid vom 23. April 2014).
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2014 zurück. Sie verwies darauf, dass Funktion und bildgebende Darstellung der HWS unauffällig gewesen seien. Die degenerativen Veränderungen würden nicht im Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen. Die Gelenksbänder hätten keine Schädigungen gezeigt. Die Funktion der HWS sei frei gewesen. Weiter seien die Tinnitus-Beschwerden erst aktuell geltend gemacht worden. Vorher seien keine derartigen Beschwerden dokumentiert. Jedenfalls würden die Beschwerden auf HNO-ärztlichem Gebiet nicht zu einer nachweisbaren MdE führen.
Deswegen hat der Kläger am 25.09.2014 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben.
Auf Antrag des Klägers gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) haben im Auftrag des SG der Orthopäde Dr. St., der Psychiater und Facharzt für Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin Dr. B. sowie der HNO-Arzt Dr. M. medizinische Sachverständigengutachten erstattet.
Dr. St. hat in seinem Gutachten vom 18. März 2015 als Unfallfolge einen Zustand nach Distorsion der Hals- und Brustwirbelsäule mit vorübergehendem Wurzelreizsyndrom C7/8 beidseits diagnostiziert. Unfallunabhängig leide der Kläger an wiederkehrenden Zervicocephalgien und -brachialgien beidseits bei degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule in Form einer Osteochondrose C5/6 und Spondylose der unteren Halswirbelsäule, wiederkehrenden Rückenschmerzen bei Osteochondrose im Bereich Th8 bis Th10 und einem Impingementsyndrom der rechten Schulter bei fortgeschrittener Schultereckgelenksarthrose mit subacromialen Osteophyten. Eine unfallbedingte MdE bestehe nicht.
Gegenüber Dr. B. hat der Kläger über ein Ohrenpfeifen seit dem Arbeitsunfallereignis sowie über Panikattacken mit Schwitzen und Kopfschmerzen geklagt. Außerdem sei er schreckhaft, wenn er von rechts jemanden kommen sehe oder auch nur einen Schatten aus dieser Richtung wahrnehme. Eine nervenärztliche oder psychotherapeutische Behandlung habe er zu keinem Zeitpunkt in Anspruch genommen. Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 28. April 2015 unter anderem ausgeführt, der Kläger weise als Restsymptomatik des Unfalls immer noch ein Erschrecken auf, wenn von rechts eine vermeintliche Gefahr auf ihn zukomme. Die dann auftretenden starken Ängste und Kopfschmerzen hielten jeweils nur kurze Zeit an. Eine Agoraphobie, eine Panikstörung oder eine spezifische Phobie bestehe jedoch nicht. Im Hinblick auf die Schmerzqualität befinde sich der Kläger im Bereich der bewusstseinsnahen Aggravation bzw. es bestehe eine Überzeichnung der Schmerzqualitäten. Dr. B. hat als Unfallfolgen eine phobische Befürchtung mit Spannungskopfschmerzen als psychovegetatives posttraumatisches Erschrecken bei vermeintlichen Gefahren diagnostiziert. Unfallunabhängig leide der Kläger an einer anhaltenden affektiven Störung durch psychosoziale Belastungsfaktoren bei hysterischer Persönlichkeitsbildung. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, er habe psychopathologisch geringe psychomentale Einbußen durch psychosoziale Belastungsfaktoren bei hysterischer Persönlichkeit objektiviert. Durch das Unfallereignis sei es zu einer sofortigen psychischen Reaktion gekommen. Eine posttraumatische Belastungsstörung könne er jedoch im Vollbeweis nicht diagnostizieren, da bereits das A2-Kriterium mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen als Initialreaktion nur teilweise festzustellen gewesen sei. Psychosoziale Belastungsstörungen bestünden zunächst in einer histrionischen Persönlichkeitsstruktur, mehreren Scheidungen sowie dem Verlust zweier Wohnhäuser in der Folgezeit. Da der Kläger bei der Verdrängung und Verleugnung der Krisen in den Partnerschaften nicht mit einer depressiven oder ängstlichen Störung reagiert habe, sei die Persönlichkeitsanlage zum Zeitpunkt des Unfallereignisses kompensiert gewesen. Eine Begehrenshaltung oder Wunschvorstellung im Sinne sekundärer Motive sei auszuschließen, da der Kläger nach dem Unfall private Entschädigungen erstritten habe. Das Unfallereignis vom 4. September 2002 sei deshalb rechtlich wesentlich für die Auslösung der phobischen Störung und der psychovegetativen Spannungskopfschmerzen. Die phobische Störung mit leicht- bis mittelgradiger körperlich-funktioneller Einschränkung bedinge eine MdE von 10 v. H. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und kommunikative Beeinträchtigungen bestünden nicht.
Gegenüber Dr. M. hat der Kläger anamnestisch angegeben, er habe seit dem Unfallereignis bei Kopfbewegungen Drehschwindel und einen beidseitigen Tinnitus. Dr. M. hat in seinem Gutachten vom 3. Juni 2015 tonaudiometrisch ein annäherndes Normalvermögen rechts und links eine nur geringfügige Hochtonschwerhörigkeit erhoben. Die Vestibularisprüfung habe keinen Anhalt für einen peripher-vestibulären Schwindel ergeben. Dr. M. hat einen beidseitigen Tinnitus diagnostiziert, wobei er angefügt hat, dass es kein objektives Verfahren gebe, mit dem sich eine solche Gesundheitsstörung messen ließe. Der Tinnitus sei Folge des Arbeitsunfalls. Entgegen Dr. D. müssten Tinnitusbeschwerden nicht zwingend sofort nach einem Unfallereignis auftreten. Im Fall des Klägers erscheine als einzig möglicher Schädigungsmechanismus die funktionelle Kopfgelenksstörung infolge der HWS-Distorsion bei dem Auffahrunfall mit hoher Geschwindigkeit. Angesichts der von ihm gemessenen Hörschwelle verursache der Tinnitus jedoch keine messbare MdE. Es hätten sich keine Behandlungsversuche finden lassen und auch keine Belege für eine nennenswerte psychische Belastung. Die geklagten Schwindelbeschwerden hätten sich nicht objektivieren lassen, so dass hierfür auch keine MdE in Betracht komme.
Die Beklagte hat darauf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. M. vom 15. August 2015 vorgelegt, wonach das Gutachten von Dr. B. inkonsistent sei. Es sei unklar, wie der Gutachter die Störung mit phobischen Befürchtungen mit Spannungskopfschmerz als psychovegetatives posttraumatisches Erschrecken von der weiteren von ihm festgestellten Störung durch psychosoziale Belastungsfaktoren abgrenze. Es bestehe der Eindruck, dass sich diese Störungen überlappten. Der Ausschluss von möglichen sekundären Motiven (Begehrenshaltung) stehe im Missverhältnis zur durchgeführten Testpsychologie, konkret der Schmerzsimulationsskala. Als deutliche Inkonsistenz sei ferner das fehlende Aufsuchen von ärztlicher Behandlung zu werten. Das vom Gutachter beschriebene Störungsbild lasse sich zwar als milde Phobie interpretieren, stelle aber eher keinen krankhaften Zustand dar. Warum der Spannungskopfschmerz nicht ebenfalls durch die affektive Störung durch psychosoziale Belastungsfaktoren zu erklären sei, sei unklar.
Mit Urteil vom 16. Oktober 2015, zugestellt dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 21. Oktober 2015, hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Erwerbsfähigkeit sei wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 nicht gemindert, und hat sich dabei auf die Gutachten der Dres. D., F. und St. gestützt. Der Kläger habe sich bei dem Unfallereignis allein eine folgenlos ausgeheilte HWS-Distorsion ohne Residuen zugezogen. Das Tinnitusleiden sei nicht Folge des streitgegenständlichen Arbeitsunfalls. Der Kläger habe solche Beschwerden weder zeitnah nach dem Arbeitsunfall gegenüber seinen behandelnden Ärzten angegeben, noch sei seit September 2002 wegen Tinnitusbeschwerden eine HNO- oder neurologisch-psychiatrische Facharztbehandlung nachgewiesen. Typisch für ein traumatisches Tinnitusleiden sei außerdem dessen Ansiedlung im tief- bis mittelfrequenten Bereich. Die Ohrgeräusche des Klägers seien dagegen im Hochtonbereich zu lokalisieren. Schließlich lasse sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Tinnitus und einem Unfalltrauma nur dann wahrscheinlich machen, wenn gleichzeitig eine unfallbedingte messbare Hörstörung vorliege. Dagegen lasse sich ein Tinnitus als alleiniges Symptom eines Unfallereignisses nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit darstellen. Eine messbare Beeinträchtigung des Hörvermögens bestehe nicht. Schließlich seien auch die von Dr. B. diagnostizierten Gesundheitsstörungen auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet, namentlich eine phobische Störung und sonstige psycho-vegetative Störungen, nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Arbeitsunfallereignis zurückführbar. Gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs spreche bereits der Umstand, dass seit September 2002 keine neurologisch-psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung wegen der phobischen Befürchtung mit Spannungskopfschmerzen stattgefunden habe. Auch habe der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis gegenüber den behandelnden Ärzten solche Ängste oder Befürchtungen nicht angegeben. Vor diesem Hintergrund gehe Dr. B. schon zu Unrecht davon aus, dass es durch das Unfallereignis zu einer sofortigen psychischen Reaktion gekommen sei. Weiter bestünden erhebliche psychosoziale Belastungsfaktoren, die bereits im Zeitpunkt des Unfallereignisses vorgelegen hätten. Überdies habe der Kläger gegenüber Dr. B. den Unfallhergang und -ablauf deutlich dramatischer dargestellt, als sich dies nach dem Inhalt der aktenkundigen Ermittlungsakte des Polizeireviers B. ergeben habe. Weiter sei der Kläger - entgegen seinen Angaben gegenüber den Gutachtern - initial nicht bewusstlos gewesen. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass Symptome psychischer Störungen nach traumatischen Ereignissen wie eine akute Belastungsreaktion, eine Anpassungsstörung, eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Angststörung und Phobie mit einer Latenzzeit von wenigen Stunden bis allenfalls sechs Monate nach dem Trauma erstmals auftreten würden. Ein - wie hier - symptomfreies Intervall von mehr als 10 Jahren sei deshalb schon wegen des Zeitablaufs nicht geeignet, einen ursächlichen Zusammenhang wahrscheinlich zu machen.
Am 19. November 2015 hat der Kläger beim SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er führt u.a. an, dass wegen der Verdrängung der lang zurückliegenden Unfallerlebnisse seine Darstellungen darüber abweichend gewesen seien. Der schwere Verkehrsunfall sei auch keine Bagatelle gewesen. Er habe sich immer fortlaufend nach dem Unfall in Behandlung befunden, nicht allerdings in psychiatrischer (vgl. zu Letzterem: Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 20. Oktober 2016). Seine psychischen Störungen, die auf den Unfall zurückzuführen seien, seien ihm bislang nicht so klar gewesen.
In seinem im März 2015 beim Versorgungsamt gestellten Erstantrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung hatte der Kläger als Gesundheitsstörungen HWS- und Schulterbeschwerden wegen eines Wegeunfalls, eine Ruptur von Bändern im linken oberen Sprunggelenk und Belastungsharninkontinenz angegeben. Von Beschwerden auf Grund von Ohrgeräuschen oder einer phobischen Störung hatte er dort hingegen nicht berichtet. Mit Bescheid vom 10. September 2015 stellte das Landratsamt Raststatt einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 wegen Funktionsbehinderung im linken Sprunggelenk fest. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen u.a. in Form eines HWS-Syndroms hätten nicht nachgewiesen werden können.
Im parallel geführten Berufungsverfahren des Klägers gegen die Beklagte wegen des weiteren Arbeitsunfalls vom 13. Januar 2009 (Az. L 6 U 5131/14; Vorinstanz: SG Karlsruhe, Az. S 1 U 3295/13) hat der Senat von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Dr. B. vom 15. April 2016 eingeholt. Darin wird anamnestisch u.a. berichtet, dass der Kläger psychische Beschwerden spontan nicht angegeben habe. Auf Nachfrage habe er sich als psychisch stabil fühlend ohne depressive Verstimmungen und Ängste beschrieben. Er lebe mit seiner Frau aus vierter Ehe und seinem Stiefsohn zusammen in einer Wohnung. Die Beziehung zu beiden sei sehr gut. Er lese viel, gehe täglich mit seinem Hund spazieren, helfe im Haushalt mit und habe einen ausreichend großen Freundes- und Bekanntenkreis. Bei der Befunderhebung hat der Gutachter angegeben, dass der Kläger Fingerreiben beidseitig gehört habe. Seine Stimmung sei ausgeglichen gewesen, die affektive Schwingungsfähigkeit normal. Phobische Ängste oder Zwänge seien nicht eruierbar gewesen. Tinnitusbeschwerden hat er gegenüber dem Gutachter nicht erwähnt.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, die Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 bedingten eine MdE von 10 v.H. Gegebenenfalls seien die Sachverständigen Dr. B. und Dr. M. mündlich zu hören.
Der Kläger beantragt zuletzt in der mündlichen Verhandlung,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Oktober 2015 und den Bescheid vom 23. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm als Folge des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10. v. H. als Stützrente zu gewähren und für die Dauer der Wohlverhaltensphase auf das vom Insolvenzverwalter des Insolvenzverfahrens des Amtsgerichts Baden-Baden, Az.: 11 IN 369/14 geführte Treuhandkonto zu überweisen, soweit die Ansprüche pfändbar sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie führt an, dass sich der Kläger zwar nach dem Unfall in ärztlicher Behandlung befunden habe, nicht jedoch in psychiatrischer oder psychotherapeutischer. Die Beschwerden insoweit seien auch erst mit deutlicher Verspätung nach dem Unfallereignis beklagt worden.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten über das parallele Verfahren L 6 U 5131/14 sowie der Prozessakten aus erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist form- und nach § 151 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 SGG fristgerecht eingelegt worden und im Übrigen statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23. April 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 28. August 2014 sind nicht zu beanstanden.
Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif; die Gutachter Dr. B. und Dr. M. waren nicht zur Erläuterung ihrer Gutachten mündlich anzuhören. Das Gericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 7d, 7e m. w. N.). Welche Erkenntnisse eine mündliche Vernehmung der Gutachter über die bereits vorliegenden schriftlichen Äußerungen hinaus hätte erbringen sollen, hat der Kläger ebenso wenig dargelegt, wie welche Fragen noch offen geblieben sind. Der Senat lehnt daher den Beweisantrag ab, weil Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch darauf gewährt, das Fragerecht gegenüber Sachverständigen in jedem Fall mündlich auszuüben (vgl. BVerfG vom 29. Mai 2013 - 1 BvR 1522/12, juris; vgl. auch BVerfG vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 - NJW 2012, 1346, juris m. w. N.). Es ist auch nicht erkennbar, dass eine mündliche Befragung einen über die Wiederholung schriftlicher Äußerungen hinausreichenden Mehrwert hätte (so zuletzt BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2013 - B 13 R 198/13 B -, juris, Rz. 23). Auch wenn vom Kläger nicht verlangt werden kann, die Fragen im Einzelnen vorzuformulieren, so muss er doch deutlich machen, inwieweit noch Aufklärungsbedarf besteht (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 25. August 2016 – L 6 VG 3508/12 –, juris, Rz. 48). Dieser ist nicht ansatzweise zu erkennen. Allein der Umstand, dass das SG den Gutachten nicht gefolgt ist, begründet einen solchen jedenfalls nicht. Die Überzeugungskraft der Gutachten konnte der Senat auch in ihrer schriftlichen Fassung beurteilen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag auf persönliche Anhörung vom rechtskundig vertretenen Kläger nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten wurde und damit als erledigt angesehen werden kann (vgl. hierzu: BSG, Beschluss vom 10. März 2016 – B 13 R 93/15 B -, juris, Rz. 8).
Mit der Klage begehrt der Kläger zuletzt nur noch eine Verletztenrentengewährung. Andere Gesuche, insbesondere die Feststellung von Unfallfolgen, verlangt der Kläger nicht mehr (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung).
Die Klage auf Gewährung von Verletztenrente ist als Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig, jedoch nicht - auch nicht im Sinne einer Stützrente - begründet. Eine messbare MdE ist aufgrund des vom Beklagten als Arbeitsunfall anerkannten Unfalls vom 4. September 2002 nicht verblieben.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer MdE wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamt-gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, juris, Rz. 12): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum heraus-gearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Weiter müssen der Gesundheitsschaden und insbesondere der Funktionsverlust, aus dem sich die MdE ableitet, durch den Versicherungsfall rechtlich wesentlich verursacht worden sein. Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Er-folg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 &8722; B 2 U 27/04 R -, juris, Rz. 16). Für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand ist die Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte sei so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat anhand des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, juris, Rz. 25 ff.).
Hiervon ausgehend bedingen die verbliebenen Folgen des Arbeitsunfalles vom 4. September 2002 keine messbare MdE.
Auf orthopädisch/unfallchirurgischem Gebiet hat sich der Kläger durch den Wegeunfall eine folgenlos ausgeheilte HWS-Distorsion zugezogen, wie es bereits im ersten Durchgangsarztbericht vom 5. September "2003" (gemeint wohl: 2002) diagnostiziert worden war. Auch in dem in der Folge erstellten MRT der HWS vom 9. Oktober 2002 wurden ein unauffälliger Befund erhoben und eine Rückenmarksläsion mit Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Dementsprechend wurden vom behandelnden Arzt Dr. H. bereits in seinem Nachschaubericht vom 18. Oktober 2002 wesentliche Unfallfolgen als nicht mehr nachweisbar angesehen und die Arbeitsunfähigkeit in der Folge als beendet angesehen. Nicht zuletzt das HWS-MRT vom 8. Januar 2014 hat keinen Nachweis einer stattgehabten Fraktur, einer Bandverletzung oder einer Rückenmarksläsion erbracht. Der Senat schließt sich insofern dem Verwaltungsgutachten von Dr. F., hier im Wege des Urkundenbeweises verwertet, und dem gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. St. an, die beide bleibende Schäden auf ihrem Fachgebiet aufgrund des Unfalls im September 2002 verneinten und keine MdE bestätigen konnten. Der Kläger erhebt diesbezüglich in der Berufungsinstanz auch keine Einwände mehr.
Auf HNO-ärztlichem Bereich sind ebenfalls keine Unfallfolgen zur Überzeugung des Senats gelangt, die zu einer messbaren MdE führen würden. Der Senat lässt es dahinstehen, ob bei dem Kläger ein Tinnitus besteht und ob dieser ggfs. auf den hier streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen ist, wie es das SG verneint hat. Jedenfalls führen die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen, wie sie sich in diesem Verfahren darstellen, nicht zu einer MdE. Dies ergibt sich übereinstimmend aus den HNO-ärztlichen Gutachten von Dr. D. und Dr. M ... Der Kläger hatte seit dem deutlich über 10 Jahre zurückliegenden Unfall bezüglich seines angegebenen Tinnitus keinerlei Behandlungsversuche unternommen, was gegen einen stärkere Beeinträchtigung und höheren Leidensdruck spricht. Dem entspricht, dass Dr. D. von einer gering ausgeprägten Tinnitussymptomatik ausgeht. Der Tinnitus ist psychologisch gut kompensiert, so dass er in der ausführlichen psychologisch-psychiatrischen Anamnese von Dr. B. nur am Rande Erwähnung findet. Gegenüber dem nervenärztlichen Gutachter Dr. Berg im parallelen Rechtsstreit werden diesbezüglich sogar überhaupt keine Beschwerden erwähnt. Eine - anderenfalls zu erwartende - Sekundärsymptomatik mit Einfluss auf das Stimmungsbild, auf die Konzentration oder die Schlafsituation ist ebenfalls nicht ersichtlich. Da schließlich die Hörschwelle beim Kläger gegeben ist (vgl. Gutachten Dr. M.), entfällt mangels relevanter Beeinträchtigungen eine MdE für den Tinnitus. Die vom Kläger geklagten Schwindelbeschwerden konnten von beiden HNO-Gutachtern nicht objektiviert werden. Ein Schwindel durch funktionelle Kopfgelenkstörungen würde in der Regel seinen Niederschlag in den entsprechenden Provokationsnystagmen finden. Bei der Beobachtung der Augenbewegungen waren solche in den gutachterlichen Untersuchungen des Klägers jedoch nicht sichtbar.
Schließlich haben auch die von Dr. B. diagnostizierten Gesundheitsstörungen auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet, namentlich eine phobische Störung und sonstige psycho-vegetative Störungen, zur Überzeugung des Senats keine MdE zur Folge. Letztlich kann dabei dahinstehen, ob diese Störung überhaupt mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Arbeitsunfallereignis zurückführbar sind. Gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs spricht bereits - wie das SG zutreffend anführt - der Umstand, dass seit September 2002 keinerlei neurologisch-psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung wegen der von Dr. B. als Unfallfolgen diagnostizierten phobischen Befürchtung mit Spannungskopfschmerzen als psychovegetatives Erschrecken bei vermeintlichen Gefahren durchgeführt wurde und bis jetzt nicht durchgeführt wird. Im näheren zeitlichen Zusammenhang zum Unfallereignis wurden durch den Kläger auch keine derartigen Beschwerden gegenüber seinen behandelnden Ärzten, insbesondere dem Nervenarzt Dr. K., der ihn im September 2002 und Mai 2003 gesehen hatte, angegeben. Das Vorliegen einer von Dr. B. allein anamnestisch angenommenen "sofortigen psychischen Reaktion" überzeugt daher nicht. Das SG hat ferner zutreffend auf den Umstand hingewiesen, dass bei traumatischen Ereignissen psychische Beschwerden nach den medizinischen Erfahrungswerten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 142 f.) regelmäßig nach kürzerer Zeit, längstens nach wenigen Monaten, nicht aber - wie beim Kläger - mit einer Latenzzeit von über 10 Jahren auftreten. Ob die von Dr. B. erkannten psychischen Beschwerden auf das Unfallereignis zurückzuführen sind, kann jedoch letztlich offenbleiben, da jedenfalls keine MdE im messbaren Ausmaß damit verbunden ist. Psychische Störungen sind nach Art, Ausmaß und ihrem Schweregrad zu beurteilen. Maßgebend sind funktionelle Beeinträchtigungen der Konzentrationsfähigkeit, der Aufmerksamkeit und der Merkfähigkeit oder sozial-kommunikative Beeinträchtigungen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 156). Phobische Störungen werden mit einer MdE bis zu 10 v. H. bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 155 f.). Nach Dr. M. ergaben sich jedoch keine Hinweise auf das Vorliegen einer Störung der Konzentration oder der Aufmerksamkeit oder des Gedächtnisses. Auch in dem nervenärztlichen Gutachten von Dr. B. wird derartiges nicht gesehen. Der Kläger hat weiter einen nach seinen Angaben ausreichend großen Freundes- und Bekanntenkreis. Damit ist der Schweregrad seiner psychischen Erkrankung als sehr gering einzuschätzen. Er befindet sich in keinerlei Behandlung, weder in psychiatrischer noch in psychotherapeutischer oder psychologischer. Bei einem ausgeprägteren Leidensdruck wäre jedoch davon auszugehen, dass eine fachärztliche Behandlung in Anspruch genommen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, so zuletzt Urteil vom 21. April 2016 - L 6 SB 461/15). Der Therapieaufwand korreliert mit der Ausprägung der psychischen Erkrankung: je höher der Leidensdruck, desto mehr ist eine therapeutische Intervention erforderlich. Neben der fehlenden Behandlung kommt hinzu, dass der Kläger augenscheinlich auch selbst der Erkrankung keinen relevanten Beschwerdewert beimisst. Gegenüber dem Nervenarzt Dr. B. hat er sich selbst ausdrücklich als psychisch stabil und ohne Ängste bezeichnet (vgl. Bl. 15 des Gutachtens). Phobische Ängste konnte der Gutachter Dr. B. nicht eruieren. Gegenüber dem Versorgungsamt gibt der Kläger im März 2015 ebenfalls keine psychische Beschwerden - übrigens auch keine Tinnitusbeschwerden - an, obwohl er ausdrücklich nach seelischen Gesundheitsstörungen befragt wurde. Insgesamt kommt nach alledem bei derartigen geringfügigen Beeinträchtigungen eine MdE von 10 v. H., die den oberen Rahmen des Bewertungsschemas darstellt, nicht in Betracht.
Nach alledem liegt beim Kläger keine MdE messbaren Ausmaßes vor. Ein Verletztenrentenanspruch, auch als Stützrente, besteht somit seit Antragstellung im Juni 2013 nicht.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten sind Ansprüche auf Verletztenrente aus Anlass eines Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 umstritten.
Der 1949 geborene Kläger war bis 1999 Projektmanager für Tankstellenaufbau und danach in der Versicherungsbranche tätig. Als selbständiger Versicherungsmakler erlitt der Kläger am 4. September 2002 einen Arbeitsunfall, als er auf der Fahrt von seiner Wohnung in sein Büro als angeschnallter PKW-Fahrer in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde. In der Verkehrsunfallanzeige und dem Schlussvermerk der Polizei vom 14. November 2002 wurde dargestellt, dass das Fahrzeug des Klägers mit einem einbiegenden Fahrzeug zusammengestoßen sei. An beiden Fahrzeugen sei ein Totalschaden entstanden. Auf der Fahrbahn sei ein 13 Meter langer Bremsblockierstreifen des Autos des Klägers gefunden worden. Er habe in seiner polizeilichen Vernehmung vom 2. November 2002 von einer Brustprellung und schweren Syndromen der Halswirbelsäule (HWS), der Lendenwirbelsäule (LWS) und der Brustwirbelsäule (BWS).
Die Erstbehandlung des Klägers erfolgte ambulant durch Dr. H., H.-R.-Klinik, B ... Dieser erhob im Bereich der Halswirbelsäule Schmerzen ohne neurologische Ausfälle und einen muskulären paravertebralen Hartspann beidseits. Die röntgenologische Untersuchung der Halswirbelsäule in zwei Ebenen ergab eine Steilstellung ohne Fraktur oder Luxationszeichen. Dr. H. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen eine HWS-Distorsion. Die Erstversorgung erfolgte mittels Zervikalstütze und Schmerzmedikamenten (vgl. Durchgangsarztbericht vom 5. September "2003"). Bei einer durch Dr. H. veranlassten Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. K. gab der Kläger zum Unfallgeschehen an, ein anderer Pkw habe ihm von rechts kommend die Vorfahrt genommen. Der Zusammenstoß sei bei einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h erfolgt. Initial habe keine Bewusstlosigkeit vorgelegen. Dr. K. beschrieb den Kläger als zeitlich und örtlich orientiert, ohne gröbere Gedächtnisstörungen sowie mit ausgeglichener Stimmung und normalem Antrieb, und diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein Schleudertrauma der gesamten Wirbelsäule sowie sensible Wurzelreizerscheinungen an den Händen in Höhe C7/8 beidseits und an den Beinen im S1-Segment beidseits. Motorische Ausfälle habe er nicht objektivieren können (Befundbericht vom 9. September 2002). Nach MRT-Aufnahmen der gesamten Wirbelsäule im Oktober 2002 - kein Anhalt für eine Traumafolge im Bereich der ossären Strukturen sowie der Bandscheiben der LWS - führte Dr. H. in seinem Nachschaubericht vom 18. Oktober 2002 zusammenfassend aus, der Kläger berichte noch über Schmerzen im Bereich des Steißbeins; außerdem sei eine mäßige Hypästhesie im Bereich der rechten Ferse zu objektivieren. Sonst ließen sich wesentlichen Unfallfolgen nicht mehr nachweisen. Es sei nun definitiv Arbeitsfähigkeit ab 26. Oktober 2002 anzunehmen. Außerdem gab der Kläger gegenüber Dr. H. vermehrte Kopfschmerzen bei der PC-Arbeit an, der Heilverlauf sei aber korrekt (Auskunft vom 12. November 2002). Weiterführende ärztliche Behandlungen insbesondere auf HNO-fachärztlichem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet fanden in der Folgezeit nicht statt. Verletztengeld wurde dem Kläger vom 25. September bis 26. Oktober 2012 bezahlt. Danach arbeitete der Kläger wieder.
Im April 2003 stellte sich der Kläger erneut bei Dr. H. vor. Dieser objektivierte als Residuum der HWS-Distorsionsverletzung eine reflektorische Steilhaltung, einen paravertebralen Muskelhartspann und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule nach allen Richtungen (Bericht vom 7. April 2003). Bei der weiteren Nachuntersuchung durch Dr. H. am 29. April 2003 konnte dieser von Seiten seines Fachgebiets für die vom Kläger angegebenen Beschwerden (Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung in den Hinterkopf, des linken Unterkiefers und der linken Halsseite, unscharfes Sehen bei der Vorbeugung der Halswirbelsäule) kein objektives Korrelat feststellen (vgl. Zwischenbericht vom 29. April 2003). Auch Dr. K. konnte auf seinem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen diagnostizieren; der Kläger sei auffällig auf Schmerzen fixiert, die Stimmung gut und der Antrieb erhalten (vgl. Befundbericht vom 5. Mai 2003).
Durch Bescheid vom 26. Mai 2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus nicht in rentenberechtigendem Grade gemindert. Ein Anspruch auf Heilbehandlung wegen der Folgen des Versicherungsfalls bestehe nach dem 30. April 2003 nicht mehr. Als Unfallfolgen anerkannte die Beklagte eine "HWS-Distorsion".
Im August 2006 stellte sich der Kläger bei dem Orthopäden Dr. K. vor. Dabei klagte er über wiederkehrende Muskelverhärtungen, Blockaden, Schmerzen und Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule. Dr. K. verordnete deswegen chirotherapeutische Maßnahmen (vgl. Verlaufsbericht H-Arzt vom 24. August 2006). Außerdem begab sich der Kläger im Oktober 2010 in Behandlung des Chirurgen Dr. S. und klagte dabei über eine diskrete Übelkeit und Schmerzen im HWS-Bereich. Dr. S. konnte jedoch keine neurologischen Ausfälle objektivieren; die Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule ergab keinen Frakturnachweis. Dr. S. verordnete Schmerzmedikamente (vgl. Durchgangsarztbericht vom 29. Oktober 2010).
Am 13. Januar 2009 erlitt der Kläger einen weiteren Arbeitsunfall, indem er umknickte und sich seinen linken Fuß verletzte. Während eines diesbezüglich angestrengten Widerspruchsverfahrens gegen die Ablehnung einer Verletztenrente durch die Beklagte (Bescheid vom 13. Februar 2013) stellte der Kläger am 14. Juni 2013 bei der Beklagten den Antrag, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 Verletztenrente, gegebenenfalls als Stützrente unter Berücksichtigung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13. Januar 2009, zu gewähren. Zur Feststellung von Art und Ausmaß der Unfallfolgen ließ die Beklagte den Kläger durch den HNO-Arzt Dr. D. und den Chirurgen Dr. F. untersuchen und begutachten.
Gegenüber Dr. D. gab der Kläger an, es sei erstmals 14 Tage nach dem Unfallereignis zu einer Tinnitus-Symptomatik im Sinne eines Kopfgeräusches gekommen. Dr. D. erhob in seinem Gutachten vom 4. März 2014 ein beidseits normales Hörvermögen und führte zusammenfassend aus, nach den Angaben des Klägers gehe von der Ohrgeräuschempfindung keine wesentliche Beeinträchtigung aus. Eine Sekundärsymptomatik mit Einfluss auf das Stimmungsbild, die Konzentration oder die Schlafsituation habe der Kläger nicht angegeben. Er habe auch über keine ärztliche Konsultation im Zusammenhang mit der Ohrgeräuschsymptomatik gesprochen. Weiter gebe es nach Aktenlage keinen Anhaltspunkt für eine entsprechende ärztliche Behandlung. Hinweise auf eine periphervestibuläre Beeinträchtigung habe er nicht objektivieren können, ebenso wenig Anhaltspunkte für eine neurale oder retrocochleäre Störung. Insgesamt bestünde lediglich eine gering ausgeprägte Tinnitus-Symptomatik. Ein ursächlicher Zusammenhang dieses Tinnitus mit dem Arbeitsunfallereignis bestehe nicht. Bei Distorsionen der Halswirbelsäule seien Symptome am Hörorgan entweder sofort nach dem Unfallereignis vorhanden oder begännen mit einem Intervall von lediglich wenigen Stunden. Eine erst Tage später oder - wie vom Kläger angegeben - erst nach zwei Wochen zu beobachtende Ohrgeräuschsymptomatik sei in keinem Fall ursächlich auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen. Verzögerte Beschwerdeanteile könnten zwar durch eine verzögerte Ödembildung im Gewebe oder einer Einblutung möglich sein; solche krankhaften Folgen träten jedoch spätestens nach wenigen Stunden in Erscheinung. Auf seinem Fachgebiet bestehe keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).
Dr. F. erhob in seinem Gutachten vom 4. März 2014 beginnende degenerative Veränderungen an der unteren Halswirbelsäule ohne Gefügestörung. Auf seinem Fachgebiet bestünden keine Unfallfolgen mehr. Die vom Kläger angegebenen Kopfschmerzen und Zervikobrachialgien seien bei seiner Untersuchung und Begutachtung nicht zu objektivieren gewesen. Die unfallbedingte MdE bewerte er seit dem 27. Oktober 2002 bis zum 3. April 2003 mit weniger als 10 vom Hundert (v. H.) und ab dem 1. April 2003 bis auf Weiteres mit 0 v. H. An dieser Einschätzung hielt Dr. F. nach Übersendung des Gutachtens von Dr. D. fest (Stellungnahme vom 4. Mai 2014).
Daraufhin lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente für den Arbeitsunfall vom 4. September 2002 ab, da aus dem Versicherungsfall keine verbleibenden Gesundheitsschäden resultieren würden und eine rentenberechtigende MdE nicht vorliege (Bescheid vom 23. April 2014).
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2014 zurück. Sie verwies darauf, dass Funktion und bildgebende Darstellung der HWS unauffällig gewesen seien. Die degenerativen Veränderungen würden nicht im Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen. Die Gelenksbänder hätten keine Schädigungen gezeigt. Die Funktion der HWS sei frei gewesen. Weiter seien die Tinnitus-Beschwerden erst aktuell geltend gemacht worden. Vorher seien keine derartigen Beschwerden dokumentiert. Jedenfalls würden die Beschwerden auf HNO-ärztlichem Gebiet nicht zu einer nachweisbaren MdE führen.
Deswegen hat der Kläger am 25.09.2014 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben.
Auf Antrag des Klägers gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) haben im Auftrag des SG der Orthopäde Dr. St., der Psychiater und Facharzt für Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin Dr. B. sowie der HNO-Arzt Dr. M. medizinische Sachverständigengutachten erstattet.
Dr. St. hat in seinem Gutachten vom 18. März 2015 als Unfallfolge einen Zustand nach Distorsion der Hals- und Brustwirbelsäule mit vorübergehendem Wurzelreizsyndrom C7/8 beidseits diagnostiziert. Unfallunabhängig leide der Kläger an wiederkehrenden Zervicocephalgien und -brachialgien beidseits bei degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule in Form einer Osteochondrose C5/6 und Spondylose der unteren Halswirbelsäule, wiederkehrenden Rückenschmerzen bei Osteochondrose im Bereich Th8 bis Th10 und einem Impingementsyndrom der rechten Schulter bei fortgeschrittener Schultereckgelenksarthrose mit subacromialen Osteophyten. Eine unfallbedingte MdE bestehe nicht.
Gegenüber Dr. B. hat der Kläger über ein Ohrenpfeifen seit dem Arbeitsunfallereignis sowie über Panikattacken mit Schwitzen und Kopfschmerzen geklagt. Außerdem sei er schreckhaft, wenn er von rechts jemanden kommen sehe oder auch nur einen Schatten aus dieser Richtung wahrnehme. Eine nervenärztliche oder psychotherapeutische Behandlung habe er zu keinem Zeitpunkt in Anspruch genommen. Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 28. April 2015 unter anderem ausgeführt, der Kläger weise als Restsymptomatik des Unfalls immer noch ein Erschrecken auf, wenn von rechts eine vermeintliche Gefahr auf ihn zukomme. Die dann auftretenden starken Ängste und Kopfschmerzen hielten jeweils nur kurze Zeit an. Eine Agoraphobie, eine Panikstörung oder eine spezifische Phobie bestehe jedoch nicht. Im Hinblick auf die Schmerzqualität befinde sich der Kläger im Bereich der bewusstseinsnahen Aggravation bzw. es bestehe eine Überzeichnung der Schmerzqualitäten. Dr. B. hat als Unfallfolgen eine phobische Befürchtung mit Spannungskopfschmerzen als psychovegetatives posttraumatisches Erschrecken bei vermeintlichen Gefahren diagnostiziert. Unfallunabhängig leide der Kläger an einer anhaltenden affektiven Störung durch psychosoziale Belastungsfaktoren bei hysterischer Persönlichkeitsbildung. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, er habe psychopathologisch geringe psychomentale Einbußen durch psychosoziale Belastungsfaktoren bei hysterischer Persönlichkeit objektiviert. Durch das Unfallereignis sei es zu einer sofortigen psychischen Reaktion gekommen. Eine posttraumatische Belastungsstörung könne er jedoch im Vollbeweis nicht diagnostizieren, da bereits das A2-Kriterium mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen als Initialreaktion nur teilweise festzustellen gewesen sei. Psychosoziale Belastungsstörungen bestünden zunächst in einer histrionischen Persönlichkeitsstruktur, mehreren Scheidungen sowie dem Verlust zweier Wohnhäuser in der Folgezeit. Da der Kläger bei der Verdrängung und Verleugnung der Krisen in den Partnerschaften nicht mit einer depressiven oder ängstlichen Störung reagiert habe, sei die Persönlichkeitsanlage zum Zeitpunkt des Unfallereignisses kompensiert gewesen. Eine Begehrenshaltung oder Wunschvorstellung im Sinne sekundärer Motive sei auszuschließen, da der Kläger nach dem Unfall private Entschädigungen erstritten habe. Das Unfallereignis vom 4. September 2002 sei deshalb rechtlich wesentlich für die Auslösung der phobischen Störung und der psychovegetativen Spannungskopfschmerzen. Die phobische Störung mit leicht- bis mittelgradiger körperlich-funktioneller Einschränkung bedinge eine MdE von 10 v. H. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und kommunikative Beeinträchtigungen bestünden nicht.
Gegenüber Dr. M. hat der Kläger anamnestisch angegeben, er habe seit dem Unfallereignis bei Kopfbewegungen Drehschwindel und einen beidseitigen Tinnitus. Dr. M. hat in seinem Gutachten vom 3. Juni 2015 tonaudiometrisch ein annäherndes Normalvermögen rechts und links eine nur geringfügige Hochtonschwerhörigkeit erhoben. Die Vestibularisprüfung habe keinen Anhalt für einen peripher-vestibulären Schwindel ergeben. Dr. M. hat einen beidseitigen Tinnitus diagnostiziert, wobei er angefügt hat, dass es kein objektives Verfahren gebe, mit dem sich eine solche Gesundheitsstörung messen ließe. Der Tinnitus sei Folge des Arbeitsunfalls. Entgegen Dr. D. müssten Tinnitusbeschwerden nicht zwingend sofort nach einem Unfallereignis auftreten. Im Fall des Klägers erscheine als einzig möglicher Schädigungsmechanismus die funktionelle Kopfgelenksstörung infolge der HWS-Distorsion bei dem Auffahrunfall mit hoher Geschwindigkeit. Angesichts der von ihm gemessenen Hörschwelle verursache der Tinnitus jedoch keine messbare MdE. Es hätten sich keine Behandlungsversuche finden lassen und auch keine Belege für eine nennenswerte psychische Belastung. Die geklagten Schwindelbeschwerden hätten sich nicht objektivieren lassen, so dass hierfür auch keine MdE in Betracht komme.
Die Beklagte hat darauf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. M. vom 15. August 2015 vorgelegt, wonach das Gutachten von Dr. B. inkonsistent sei. Es sei unklar, wie der Gutachter die Störung mit phobischen Befürchtungen mit Spannungskopfschmerz als psychovegetatives posttraumatisches Erschrecken von der weiteren von ihm festgestellten Störung durch psychosoziale Belastungsfaktoren abgrenze. Es bestehe der Eindruck, dass sich diese Störungen überlappten. Der Ausschluss von möglichen sekundären Motiven (Begehrenshaltung) stehe im Missverhältnis zur durchgeführten Testpsychologie, konkret der Schmerzsimulationsskala. Als deutliche Inkonsistenz sei ferner das fehlende Aufsuchen von ärztlicher Behandlung zu werten. Das vom Gutachter beschriebene Störungsbild lasse sich zwar als milde Phobie interpretieren, stelle aber eher keinen krankhaften Zustand dar. Warum der Spannungskopfschmerz nicht ebenfalls durch die affektive Störung durch psychosoziale Belastungsfaktoren zu erklären sei, sei unklar.
Mit Urteil vom 16. Oktober 2015, zugestellt dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 21. Oktober 2015, hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Erwerbsfähigkeit sei wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 nicht gemindert, und hat sich dabei auf die Gutachten der Dres. D., F. und St. gestützt. Der Kläger habe sich bei dem Unfallereignis allein eine folgenlos ausgeheilte HWS-Distorsion ohne Residuen zugezogen. Das Tinnitusleiden sei nicht Folge des streitgegenständlichen Arbeitsunfalls. Der Kläger habe solche Beschwerden weder zeitnah nach dem Arbeitsunfall gegenüber seinen behandelnden Ärzten angegeben, noch sei seit September 2002 wegen Tinnitusbeschwerden eine HNO- oder neurologisch-psychiatrische Facharztbehandlung nachgewiesen. Typisch für ein traumatisches Tinnitusleiden sei außerdem dessen Ansiedlung im tief- bis mittelfrequenten Bereich. Die Ohrgeräusche des Klägers seien dagegen im Hochtonbereich zu lokalisieren. Schließlich lasse sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Tinnitus und einem Unfalltrauma nur dann wahrscheinlich machen, wenn gleichzeitig eine unfallbedingte messbare Hörstörung vorliege. Dagegen lasse sich ein Tinnitus als alleiniges Symptom eines Unfallereignisses nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit darstellen. Eine messbare Beeinträchtigung des Hörvermögens bestehe nicht. Schließlich seien auch die von Dr. B. diagnostizierten Gesundheitsstörungen auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet, namentlich eine phobische Störung und sonstige psycho-vegetative Störungen, nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Arbeitsunfallereignis zurückführbar. Gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs spreche bereits der Umstand, dass seit September 2002 keine neurologisch-psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung wegen der phobischen Befürchtung mit Spannungskopfschmerzen stattgefunden habe. Auch habe der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis gegenüber den behandelnden Ärzten solche Ängste oder Befürchtungen nicht angegeben. Vor diesem Hintergrund gehe Dr. B. schon zu Unrecht davon aus, dass es durch das Unfallereignis zu einer sofortigen psychischen Reaktion gekommen sei. Weiter bestünden erhebliche psychosoziale Belastungsfaktoren, die bereits im Zeitpunkt des Unfallereignisses vorgelegen hätten. Überdies habe der Kläger gegenüber Dr. B. den Unfallhergang und -ablauf deutlich dramatischer dargestellt, als sich dies nach dem Inhalt der aktenkundigen Ermittlungsakte des Polizeireviers B. ergeben habe. Weiter sei der Kläger - entgegen seinen Angaben gegenüber den Gutachtern - initial nicht bewusstlos gewesen. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass Symptome psychischer Störungen nach traumatischen Ereignissen wie eine akute Belastungsreaktion, eine Anpassungsstörung, eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Angststörung und Phobie mit einer Latenzzeit von wenigen Stunden bis allenfalls sechs Monate nach dem Trauma erstmals auftreten würden. Ein - wie hier - symptomfreies Intervall von mehr als 10 Jahren sei deshalb schon wegen des Zeitablaufs nicht geeignet, einen ursächlichen Zusammenhang wahrscheinlich zu machen.
Am 19. November 2015 hat der Kläger beim SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er führt u.a. an, dass wegen der Verdrängung der lang zurückliegenden Unfallerlebnisse seine Darstellungen darüber abweichend gewesen seien. Der schwere Verkehrsunfall sei auch keine Bagatelle gewesen. Er habe sich immer fortlaufend nach dem Unfall in Behandlung befunden, nicht allerdings in psychiatrischer (vgl. zu Letzterem: Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 20. Oktober 2016). Seine psychischen Störungen, die auf den Unfall zurückzuführen seien, seien ihm bislang nicht so klar gewesen.
In seinem im März 2015 beim Versorgungsamt gestellten Erstantrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung hatte der Kläger als Gesundheitsstörungen HWS- und Schulterbeschwerden wegen eines Wegeunfalls, eine Ruptur von Bändern im linken oberen Sprunggelenk und Belastungsharninkontinenz angegeben. Von Beschwerden auf Grund von Ohrgeräuschen oder einer phobischen Störung hatte er dort hingegen nicht berichtet. Mit Bescheid vom 10. September 2015 stellte das Landratsamt Raststatt einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 wegen Funktionsbehinderung im linken Sprunggelenk fest. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen u.a. in Form eines HWS-Syndroms hätten nicht nachgewiesen werden können.
Im parallel geführten Berufungsverfahren des Klägers gegen die Beklagte wegen des weiteren Arbeitsunfalls vom 13. Januar 2009 (Az. L 6 U 5131/14; Vorinstanz: SG Karlsruhe, Az. S 1 U 3295/13) hat der Senat von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Dr. B. vom 15. April 2016 eingeholt. Darin wird anamnestisch u.a. berichtet, dass der Kläger psychische Beschwerden spontan nicht angegeben habe. Auf Nachfrage habe er sich als psychisch stabil fühlend ohne depressive Verstimmungen und Ängste beschrieben. Er lebe mit seiner Frau aus vierter Ehe und seinem Stiefsohn zusammen in einer Wohnung. Die Beziehung zu beiden sei sehr gut. Er lese viel, gehe täglich mit seinem Hund spazieren, helfe im Haushalt mit und habe einen ausreichend großen Freundes- und Bekanntenkreis. Bei der Befunderhebung hat der Gutachter angegeben, dass der Kläger Fingerreiben beidseitig gehört habe. Seine Stimmung sei ausgeglichen gewesen, die affektive Schwingungsfähigkeit normal. Phobische Ängste oder Zwänge seien nicht eruierbar gewesen. Tinnitusbeschwerden hat er gegenüber dem Gutachter nicht erwähnt.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, die Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 bedingten eine MdE von 10 v.H. Gegebenenfalls seien die Sachverständigen Dr. B. und Dr. M. mündlich zu hören.
Der Kläger beantragt zuletzt in der mündlichen Verhandlung,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Oktober 2015 und den Bescheid vom 23. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm als Folge des Arbeitsunfalls vom 4. September 2002 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10. v. H. als Stützrente zu gewähren und für die Dauer der Wohlverhaltensphase auf das vom Insolvenzverwalter des Insolvenzverfahrens des Amtsgerichts Baden-Baden, Az.: 11 IN 369/14 geführte Treuhandkonto zu überweisen, soweit die Ansprüche pfändbar sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie führt an, dass sich der Kläger zwar nach dem Unfall in ärztlicher Behandlung befunden habe, nicht jedoch in psychiatrischer oder psychotherapeutischer. Die Beschwerden insoweit seien auch erst mit deutlicher Verspätung nach dem Unfallereignis beklagt worden.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten über das parallele Verfahren L 6 U 5131/14 sowie der Prozessakten aus erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist form- und nach § 151 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 SGG fristgerecht eingelegt worden und im Übrigen statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23. April 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 28. August 2014 sind nicht zu beanstanden.
Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif; die Gutachter Dr. B. und Dr. M. waren nicht zur Erläuterung ihrer Gutachten mündlich anzuhören. Das Gericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 7d, 7e m. w. N.). Welche Erkenntnisse eine mündliche Vernehmung der Gutachter über die bereits vorliegenden schriftlichen Äußerungen hinaus hätte erbringen sollen, hat der Kläger ebenso wenig dargelegt, wie welche Fragen noch offen geblieben sind. Der Senat lehnt daher den Beweisantrag ab, weil Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch darauf gewährt, das Fragerecht gegenüber Sachverständigen in jedem Fall mündlich auszuüben (vgl. BVerfG vom 29. Mai 2013 - 1 BvR 1522/12, juris; vgl. auch BVerfG vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 - NJW 2012, 1346, juris m. w. N.). Es ist auch nicht erkennbar, dass eine mündliche Befragung einen über die Wiederholung schriftlicher Äußerungen hinausreichenden Mehrwert hätte (so zuletzt BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2013 - B 13 R 198/13 B -, juris, Rz. 23). Auch wenn vom Kläger nicht verlangt werden kann, die Fragen im Einzelnen vorzuformulieren, so muss er doch deutlich machen, inwieweit noch Aufklärungsbedarf besteht (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 25. August 2016 – L 6 VG 3508/12 –, juris, Rz. 48). Dieser ist nicht ansatzweise zu erkennen. Allein der Umstand, dass das SG den Gutachten nicht gefolgt ist, begründet einen solchen jedenfalls nicht. Die Überzeugungskraft der Gutachten konnte der Senat auch in ihrer schriftlichen Fassung beurteilen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag auf persönliche Anhörung vom rechtskundig vertretenen Kläger nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten wurde und damit als erledigt angesehen werden kann (vgl. hierzu: BSG, Beschluss vom 10. März 2016 – B 13 R 93/15 B -, juris, Rz. 8).
Mit der Klage begehrt der Kläger zuletzt nur noch eine Verletztenrentengewährung. Andere Gesuche, insbesondere die Feststellung von Unfallfolgen, verlangt der Kläger nicht mehr (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung).
Die Klage auf Gewährung von Verletztenrente ist als Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig, jedoch nicht - auch nicht im Sinne einer Stützrente - begründet. Eine messbare MdE ist aufgrund des vom Beklagten als Arbeitsunfall anerkannten Unfalls vom 4. September 2002 nicht verblieben.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer MdE wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamt-gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, juris, Rz. 12): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum heraus-gearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Weiter müssen der Gesundheitsschaden und insbesondere der Funktionsverlust, aus dem sich die MdE ableitet, durch den Versicherungsfall rechtlich wesentlich verursacht worden sein. Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Er-folg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 &8722; B 2 U 27/04 R -, juris, Rz. 16). Für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand ist die Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte sei so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat anhand des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, juris, Rz. 25 ff.).
Hiervon ausgehend bedingen die verbliebenen Folgen des Arbeitsunfalles vom 4. September 2002 keine messbare MdE.
Auf orthopädisch/unfallchirurgischem Gebiet hat sich der Kläger durch den Wegeunfall eine folgenlos ausgeheilte HWS-Distorsion zugezogen, wie es bereits im ersten Durchgangsarztbericht vom 5. September "2003" (gemeint wohl: 2002) diagnostiziert worden war. Auch in dem in der Folge erstellten MRT der HWS vom 9. Oktober 2002 wurden ein unauffälliger Befund erhoben und eine Rückenmarksläsion mit Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Dementsprechend wurden vom behandelnden Arzt Dr. H. bereits in seinem Nachschaubericht vom 18. Oktober 2002 wesentliche Unfallfolgen als nicht mehr nachweisbar angesehen und die Arbeitsunfähigkeit in der Folge als beendet angesehen. Nicht zuletzt das HWS-MRT vom 8. Januar 2014 hat keinen Nachweis einer stattgehabten Fraktur, einer Bandverletzung oder einer Rückenmarksläsion erbracht. Der Senat schließt sich insofern dem Verwaltungsgutachten von Dr. F., hier im Wege des Urkundenbeweises verwertet, und dem gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. St. an, die beide bleibende Schäden auf ihrem Fachgebiet aufgrund des Unfalls im September 2002 verneinten und keine MdE bestätigen konnten. Der Kläger erhebt diesbezüglich in der Berufungsinstanz auch keine Einwände mehr.
Auf HNO-ärztlichem Bereich sind ebenfalls keine Unfallfolgen zur Überzeugung des Senats gelangt, die zu einer messbaren MdE führen würden. Der Senat lässt es dahinstehen, ob bei dem Kläger ein Tinnitus besteht und ob dieser ggfs. auf den hier streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen ist, wie es das SG verneint hat. Jedenfalls führen die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen, wie sie sich in diesem Verfahren darstellen, nicht zu einer MdE. Dies ergibt sich übereinstimmend aus den HNO-ärztlichen Gutachten von Dr. D. und Dr. M ... Der Kläger hatte seit dem deutlich über 10 Jahre zurückliegenden Unfall bezüglich seines angegebenen Tinnitus keinerlei Behandlungsversuche unternommen, was gegen einen stärkere Beeinträchtigung und höheren Leidensdruck spricht. Dem entspricht, dass Dr. D. von einer gering ausgeprägten Tinnitussymptomatik ausgeht. Der Tinnitus ist psychologisch gut kompensiert, so dass er in der ausführlichen psychologisch-psychiatrischen Anamnese von Dr. B. nur am Rande Erwähnung findet. Gegenüber dem nervenärztlichen Gutachter Dr. Berg im parallelen Rechtsstreit werden diesbezüglich sogar überhaupt keine Beschwerden erwähnt. Eine - anderenfalls zu erwartende - Sekundärsymptomatik mit Einfluss auf das Stimmungsbild, auf die Konzentration oder die Schlafsituation ist ebenfalls nicht ersichtlich. Da schließlich die Hörschwelle beim Kläger gegeben ist (vgl. Gutachten Dr. M.), entfällt mangels relevanter Beeinträchtigungen eine MdE für den Tinnitus. Die vom Kläger geklagten Schwindelbeschwerden konnten von beiden HNO-Gutachtern nicht objektiviert werden. Ein Schwindel durch funktionelle Kopfgelenkstörungen würde in der Regel seinen Niederschlag in den entsprechenden Provokationsnystagmen finden. Bei der Beobachtung der Augenbewegungen waren solche in den gutachterlichen Untersuchungen des Klägers jedoch nicht sichtbar.
Schließlich haben auch die von Dr. B. diagnostizierten Gesundheitsstörungen auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet, namentlich eine phobische Störung und sonstige psycho-vegetative Störungen, zur Überzeugung des Senats keine MdE zur Folge. Letztlich kann dabei dahinstehen, ob diese Störung überhaupt mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Arbeitsunfallereignis zurückführbar sind. Gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs spricht bereits - wie das SG zutreffend anführt - der Umstand, dass seit September 2002 keinerlei neurologisch-psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung wegen der von Dr. B. als Unfallfolgen diagnostizierten phobischen Befürchtung mit Spannungskopfschmerzen als psychovegetatives Erschrecken bei vermeintlichen Gefahren durchgeführt wurde und bis jetzt nicht durchgeführt wird. Im näheren zeitlichen Zusammenhang zum Unfallereignis wurden durch den Kläger auch keine derartigen Beschwerden gegenüber seinen behandelnden Ärzten, insbesondere dem Nervenarzt Dr. K., der ihn im September 2002 und Mai 2003 gesehen hatte, angegeben. Das Vorliegen einer von Dr. B. allein anamnestisch angenommenen "sofortigen psychischen Reaktion" überzeugt daher nicht. Das SG hat ferner zutreffend auf den Umstand hingewiesen, dass bei traumatischen Ereignissen psychische Beschwerden nach den medizinischen Erfahrungswerten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 142 f.) regelmäßig nach kürzerer Zeit, längstens nach wenigen Monaten, nicht aber - wie beim Kläger - mit einer Latenzzeit von über 10 Jahren auftreten. Ob die von Dr. B. erkannten psychischen Beschwerden auf das Unfallereignis zurückzuführen sind, kann jedoch letztlich offenbleiben, da jedenfalls keine MdE im messbaren Ausmaß damit verbunden ist. Psychische Störungen sind nach Art, Ausmaß und ihrem Schweregrad zu beurteilen. Maßgebend sind funktionelle Beeinträchtigungen der Konzentrationsfähigkeit, der Aufmerksamkeit und der Merkfähigkeit oder sozial-kommunikative Beeinträchtigungen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 156). Phobische Störungen werden mit einer MdE bis zu 10 v. H. bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 155 f.). Nach Dr. M. ergaben sich jedoch keine Hinweise auf das Vorliegen einer Störung der Konzentration oder der Aufmerksamkeit oder des Gedächtnisses. Auch in dem nervenärztlichen Gutachten von Dr. B. wird derartiges nicht gesehen. Der Kläger hat weiter einen nach seinen Angaben ausreichend großen Freundes- und Bekanntenkreis. Damit ist der Schweregrad seiner psychischen Erkrankung als sehr gering einzuschätzen. Er befindet sich in keinerlei Behandlung, weder in psychiatrischer noch in psychotherapeutischer oder psychologischer. Bei einem ausgeprägteren Leidensdruck wäre jedoch davon auszugehen, dass eine fachärztliche Behandlung in Anspruch genommen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, so zuletzt Urteil vom 21. April 2016 - L 6 SB 461/15). Der Therapieaufwand korreliert mit der Ausprägung der psychischen Erkrankung: je höher der Leidensdruck, desto mehr ist eine therapeutische Intervention erforderlich. Neben der fehlenden Behandlung kommt hinzu, dass der Kläger augenscheinlich auch selbst der Erkrankung keinen relevanten Beschwerdewert beimisst. Gegenüber dem Nervenarzt Dr. B. hat er sich selbst ausdrücklich als psychisch stabil und ohne Ängste bezeichnet (vgl. Bl. 15 des Gutachtens). Phobische Ängste konnte der Gutachter Dr. B. nicht eruieren. Gegenüber dem Versorgungsamt gibt der Kläger im März 2015 ebenfalls keine psychische Beschwerden - übrigens auch keine Tinnitusbeschwerden - an, obwohl er ausdrücklich nach seelischen Gesundheitsstörungen befragt wurde. Insgesamt kommt nach alledem bei derartigen geringfügigen Beeinträchtigungen eine MdE von 10 v. H., die den oberen Rahmen des Bewertungsschemas darstellt, nicht in Betracht.
Nach alledem liegt beim Kläger keine MdE messbaren Ausmaßes vor. Ein Verletztenrentenanspruch, auch als Stützrente, besteht somit seit Antragstellung im Juni 2013 nicht.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved