S 38 KA 5170/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 5170/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 5014/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird sowohl im Hauptantrag, als auch im Hilfsantrag ab-gewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid des Beklagten vom 22.10.2015. Mit diesem Bescheid wurde die Gesamtabrechnung der Klägerin im Quartal um 20 % (9.464,87 EUR) gekürzt. Der Beklagte wandte die Prüfmethode der statistischen Durchschnittsprüfung an. Es wurde festgestellt, dass der Fallwert in Euro der Klägerin im Quartal um 110 % über dem Durchschnitt der Fachgruppe lag. Dagegen habe die Klägerin eine unterdurchschnittliche Fallzahl aufzuweisen. Sie unterschreite nämlich die Fallzahl der Fachgruppe um 43 %. Im angefochtenen Bescheid führte der Beschwerdeausschuss aus, auffällig sei der hohe Ansatz bei der Füllungstherapie mit dreiflächigen Füllungen (F 3-Füllungen + 990 %). Diese Leistungen würden im Bereich des Zahnhalses er-bracht. Es handle sich um eine nicht nachvollziehbare systematische Abrechnung von F 3-Füllungen. Auffällig sei auch der gehäufte Ansatz von Röntgenleistungen, hier Leistungen nach der Bema-Nr. Ä 925a. Minderleistungen bei der Kronenversorgung seien nicht als kompensatorische Einsparungen anzusehen. Im Übrigen seien die Leistungen bei der Klägerin im Bereich der Kronenversorgung mit 3,46 (Festzuschüsse 1.1 und 1.2 auf 100 KCH-Fälle) nur unwesentlich geringer als beim Durchschnitt der Fachgruppe in Höhe von 4,19 (Festzuschüsse 1.1 und 1.2 auf 100 KCH-Fälle). Bei Kieferbruchleistungen und PAR-Leistungen könnten ebenfalls keine kompensatorischen Einsparungen berücksichtigt werden. Der Klägerin werde im Quartal eine Restüberschreitung in Höhe von 68 % belassen. Im Verwaltungsverfahren, das Quartal betreffend, wurden von der Klägerin nach Aufforderung durch den Beklagten 12 Behandlungsfälle mit einem Abrechnungsvolumen von jeweils mehr als 700 EUR eingereicht. Hierzu führte der Beklagte nach Prüfung aus, nicht alle Sanierungsfälle seien wirtschaftlich "abgearbeitet" worden. In seiner Klagebegründung äußerte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu-nächst erhebliche Zweifel hinsichtlich der Prüfmethode der statistischen Durch-schnittsprüfung. Die "genetische" Auslegung unter Berücksichtigung der Geset-zesmaterialien ergebe nämlich, dass die statistische Durchschnittsprüfung ausgelaufen und als "minderwertiges" Prüfverfahren anzusehen sei. Deshalb habe sich der Beklagte einer anderen Prüfmethode bedienen müssen. Abgesehen davon seien die Praxisbesonderheiten nicht ausreichend gewürdigt worden. Es handle sich insbesondere um die Berücksichtigung sog. schwerer Fälle und den Umstand, dass die Fallzahl der Praxis unterdurchschnittlich sei. Aufgrund dieses Zusammentreffens wirkten sich auch schwere Fälle einschneidender aus. Die Klägerin habe deshalb auch nicht in dem Umfang wie andere Praxen die Möglichkeit gehabt, einen Ausgleich durch sog. "Verdünnerfälle" herbeizuführen. Entgegen der Auffassung des Beklagten bestehe sehr wohl ein Zusammenhang zwischen Leistungen im Bereich der Kronenversorgung und "großen" Füllungen. Denn beide Leistungsbereiche dienten der Erhaltung der Zahnsubstanz. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine Kronenversorgung im Vergleich zu einer Füllungstherapie wesentlich stärker die Substanz reduziere. In dem Zusammenhang sei auf die Behandlungsrichtlinie B III.2 und § 92 SGB V hinzuweisen. Danach solle die gesunde natürliche Zahnhartsubstanz soweit wie möglich erhalten bleiben. Durch die Füllungstherapie anstelle der Versorgung mit Kronen seien Einsparungen für die Kassen im Quartal in Höhe von 57.428,85 EUR zu erzielen gewesen. Hinzu komme, dass die Indikation zur Füllungstherapie meist nur anhand einer klinischen Untersuchung möglich sei. Zudem zählte der Prozessbevollmächtigte 60 Fälle auf, die seines Erachtens als kostenintensiv anzusehen seien (Fälle ab 305,21 EUR). Berücksichtige man diese, so führe dies zu einer Überschreitung des Gesamtfallwertes von lediglich 15 %. Im Übrigen sei es vollkommen willkürlich, ab welchem Fallwert ein schwerer Fall anzunehmen sei. Der Ausschuss hätte sich aufgrund seiner ihm obliegenden Amtsermittlungspflicht auch weitere kostenintensive Fälle ansehen müssen. Letztendlich habe der Ausschuss auch nicht dargelegt, welcher Mehraufwand von ihm anerkannt werde. In der mündlichen Verhandlung am 09.11.2016 wurde die Sach- und Rechtslage mit den anwesenden Beteiligten ausführlich besprochen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wiederholte seine schriftsätzlich aufgezeigte Auffassung. Es wurde dargelegt, dass nach Ansicht der Klägerseite die Höhe des Betrages, ab wann von einem Sanierungsfall bzw. einem schweren Fall gesprochen werden könne, von dem Beklagten rein willkürlich festgelegt werde. Außerdem erkenne der Ausschuss zwar Sanierungsfälle an, sage aber gleichzeitig, diese seien nicht wirtschaftlich "abgearbeitet" worden. Warum das so sei, sei nicht nachvollziehbar. Unklar sei auch, wie "Hartsubstanzdefekte" sonst anderweitig "abgearbeitet" werden könnten. Die Einzelfälle seien auch nicht ausreichend gesichtet worden. Was die Versorgung mit Kronen betreffe, so sei zu berücksichtigen, dass die Abrechnung von Kronen oftmals zeitversetzt erfolge. Insofern seien die Statistiken nicht aussagekräftig. Außerdem würden in diese Statistiken zum Teil Kronenversorgungen nicht mit einfließen, die von den Patienten selbst bezahlt würden. Die anwesenden Beigeladenen wiesen darauf hin, dass bei Sichtung der vorausgegangenen und nachfolgenden Abrechnungsquartale seit 2007 lediglich drei Quartale (2/2012, 3/2012 und ) signifikant "herausstechen" würden. Nur in diesen drei Quartalen seien Füllungsleistungen auch im Vergleich zu den anderen Quartalen extrem hoch. Es stelle sich die Frage, warum bei etwa gleichbleibendem Patientengut in den vorangegangenen und folgenden Quartalen wesentlich weniger Füllungsleistungen erfolgten. Außerdem handle es sich nach Aussage des Beschwerdeausschusses in vielen Fällen um Defekte am Zahnhals, die nicht mittels einer Kronenversorgung behebbar seien. Aufmerksam zu machen sei ferner, dass der Beschwerdeausschuss von einer "nicht nachvollziehbaren systematischen Abrechnung der F3-Leistungen" gesprochen habe. Es gebe auch bei ca. 100.000 Abrechnungsquartalen aller Zahnärzte keine solchen Überschreitungswerte, die an die Überschreitungswerte der drei strittigen Quartale der Klägerin hinkämen. In der Sitzung am 24.11.2015 wurden die Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Quartale 2/2012 und 3/2012 unter dem Aktenzeichen S 38 KA 5069/15 verhandelt und entschieden. Dabei wurde auch festgestellt, dass in den Quartalen 2/2012, 3/2012 und bei der Klägerin eine Ausbildungsassistentin beschäftigt war. Gegen die Entscheidungen der 38.Kammer des Sozialgerichts München vom 24.11.2015 wurde Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Das Verfahren wird dort unter dem Aktenzeichen L 12 KA 5001/16 geführt. Der Prozessbevollmächtigte stellte die Anträge aus dem Schriftsatz vom 07.01.2016. Diese lauten wie folgt: 1. Der Bescheid des Beklagten vom 22.10.2015 zum Beschluss vom 05.08.2015 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, auf den Wider-spruch der Klägerin vom 19.01.2015 die Vergütungsberichtigung in Höhe von 9.464,87 EUR vollständig aufzuheben. Hilfsweise zu 2. 2. Der Bescheid des Beklagten vom 22.10.2015 zum Beschluss vom 05.08.2015 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Wider-spruch der Klägerin vom 19.01.2015 unter Beachtung der Rechtsauffas-sung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Der Vertreter der Beigeladenen zu 1 stellte keinen Antrag. Die übrigen anwesenden Beigeladenen beantragten, die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Klageakten aus dem Verfahren S 38 KA 5069/15 und die Beklagtenakten. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sitzungsniederschrift vom 09.11.2016 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch vollumfänglich – Haupt- und Hilfsantrag- als unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist als rechtmäßig anzusehen. Bei dem Hauptantrag (I.) handelt es sich um eine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, während der hilfsweise gestellte Antrag (II.) als kombinierte Anfechtungs- und Verbescheidungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG auszulegen ist. Die Klage im Hauptantrag (I.) ist allein deshalb unbegründet, weil die Klägerin keinen singulären Anspruch auf Aufhebung der Entscheidung des Beklagten hat. Dies wäre nur der Fall bei einer gebundenen rechtswidrigen Entscheidung, was jedoch für eine Entscheidung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V, verbunden mit einem Beurteilungs- und Ermessensspielraum durch den Beklagten nicht zutrifft. Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf "Null" oder für eine willkürliche Entscheidung durch die Beklagte bestehen nicht. Abgesehen davon gilt für den Haupt(I.)- und den Hilfsantrag (II.) folgendes: Zu Unrecht beanstandet die Klägerseite, dass der Beklagte eine statistische Durchschnittsprüfung durchführte. Zutreffend ist zwar, wie die Klägerseite aus-führt, dass die statistische Durchschnittsprüfung nicht mehr als Regelprüfmethode anzusehen ist. Gleichwohl handelt es sich hierbei um eine zulässige und anerkannte Prüfmethode, die ihre Rechtsgrundlage in § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V in Verbindung mit §§ 18 Absatz 1b, 2 und 20 der Anlage 4a zum GV-Z findet. Nach § 106 Abs. 2 wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch eine sog. "Auffälligkeitsprüfung" oder durch eine sog. "Zufälligkeitsprüfung" geprüft. Die Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen haben jedoch von der in § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, über die vorgesehenen Prüfungen hinaus Prüfungen ärztlicher Leistungen nach Durchschnittswerten zu vereinbaren. Dies hat seinen Niederschlag gefunden in §§ 18 Absatz 1b, 2 und 20 der Anlage 4a zum GV-Z. Eine solche Durchschnittsprüfung ist auch nicht nach § 20 Abs. 3 der Anlage 4a zum GV-Z ausgeschlossen. Wie der Beklagte ausführte, ist eine Einzelfallprüfung angesichts der Fallzahl nicht zumutbar. Der Beklagte war deshalb, gestützt auf § 106 SGB V in Verbindung mit der Prüfvereinbarung berechtigt, eine statistische Durchschnittsprüfung durchzuführen, auch eine solche im Wege eines Vergleichs der Fallwerte. Letztere findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 7 der Anlage 4a zum GV-Z. Auch wenn die Fallzahl der Klägerin um 43 % unter dem Durchschnitt der Fachgruppe der Zahnärzte liegt, ist eine Vergleichbarkeit gegeben. Wie das Bundessozialgericht ( BSG, Urteil vom 21.03.2012, Az. B 6 KA 17/11 R) ausführt, sind die Prüfgremien nicht verpflichtet, den Gründen für die unterdurchschnittliche Fallzahl nachzugehen, soweit der Grenzwert von 20 % der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe erreicht oder überschritten wird. Ausgangspunkt der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der Prüfmethode der statisti-schen Durchschnittsprüfung ist dabei die hohe Ausgangsüberschreitung des Gesamtfallwerts (Quartal: + 110 %). Diese liegt im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses, das bereits bei einer Überschreitung von 40-60 % anzu-nehmen ist. Im Einzelnen stellte der Beklagte hohe Überschreitungen bei den Füllungsleistungen der Bema-Nr. 13c (+ 990 %) und bei Röntgenleistungen der Bema-Nr. Ä 925a fest. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Beklagte nicht bzw. nicht explizit Praxisbesonderheiten und/oder kompensatorische Einsparungen anerkannte und diese nicht auf der ersten Stufe der intellektuellen Prüfung berücksichtigte. An Praxisbesonderheiten wurden klägerseits insbesondere sog. schwere Fälle und die niedrige Fallzahl im Quartal geltend gemacht. Dass im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung schwere Fälle auch durch Herausrechnen derselben berücksichtigt werden, ist rechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden, insbesondere bei Praxen, deren Fallzahl - wie bei der Klägerin - wesentlich niedriger liegt, als bei dem Durchschnitt der Fachgruppe. Denn mit einer niedrigen Fallzahl verfügen diese Praxen, worauf der Prozessbevollmächtigte der Klägern zutreffend hinweist, nicht über eine entsprechende Anzahl von sog. "Verdünnerfällen", um schwere Fälle ausgleichen zu können. Problematisch erscheint aber, ab welchem Fallwert (-Betrag) von einem solchen schweren Fall auszugehen ist. Das Gericht möchte hier bewusst keinen bestimmten Fallwert angeben, zumal hier ein Beurteilungsspielraum der Beklagten besteht, hält jedoch die im Rundschreiben der KZVB vom 24.06.2015 (3/2015) genannten Fallwerte (über 500 EUR bzw. über 400 EUR) der Höhe nach für angemessen, um grundsätzlich einen schweren Fall annehmen zu können. Diese Fallwerte betreffen jedoch die Quartale des Jahres 2013. Zu dem strittigen Quartal gibt es jedoch keinerlei Datenmaterial. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Werte auch im vorausgehenden Jahr Gültigkeit besitzen. Es wäre mit dem Gesichtspunkt der gleichmäßigen Verwaltungsübung und dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz nicht zu vereinbaren, "schwere Fälle" aus unterschiedlichen Fallwerthöhen abzuleiten. Darauf kommt es aber letztendlich nicht an. Denn nicht allein die Höhe des Fall-wertes darf ausschlaggebend für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit sein. Sie allein spiegelt nicht wider, ob es sich um ein Patientengut handelt, das vom Durchschnitt der Fachgruppe so erheblich abweicht, dass daraus die Überschreitung zu erklären wäre. Es kann sich diesbezüglich nur um ein Aufgreifkriterium handeln. Vorauszusetzen ist des Weiteren, dass die Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit der durchgeführten Behandlungsmaßnahmen festzustellen ist. Der Beklagte hat im Quartal zwölf Fälle angefordert und diese nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid überprüft. Er hat dabei festgestellt, dass "nicht alle Sanierungsfälle wirtschaftlich abgearbeitet" wurden. Die Begründung allein für sich genommen erscheint zunächst rechtlich problematisch. Es geht nämlich nicht daraus hervor, bei welchen Sanierungsfällen und warum bei diesen eine Unwirtschaftlichkeit bestehen soll. Sie ist allerdings im Kontext mit dem Schriftsatz der Klägerin vom 23.07.2015 zu sehen, der auf die Aufforderung des Beklagten erfolgte, die Klägerin möge begründen bzw. die Praxisbesonderheiten angeben, worauf die Überschreitungen des Gesamtfallwertes zurückzuführen seien. In dem genannten Schriftsatz finden sich allerdings im Wesentlichen nur allgemeine Ausführungen zu Praxisbesonderheiten und kausal-kompensatorischen Einsparungen, so auch zum Verhältnis Füllungsleistungen und Kronenversorgung bzw. zum Verhältnis Füllungsleistungen und Extraktionen. Die aufgeführten Statistiken und Zahlen belegen nur, dass bestimmte Leistungen von der Praxis bzw. von der Fachgruppe in Ansatz gebracht wurden. Sie sind aber kein Beleg dafür, dass die Leistungen zahnmedizinisch indiziert waren und wirtschaftlich erbracht wurden. Zwar gilt im Vertragsarztrecht/Vertragszahnarztrecht grundsätzlich der Amtsermitt-lungsgrundsatz nach § 20 SGB X. Danach ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Dieser Amtsermittlungsgrundsatz gilt jedoch nicht unbegrenzt. Aus der Stellung des Vertragsarztes/Vertragszahnarztes, seiner Einbindung in das System der vertragsärztlichen Versorgung und dem Vergütungssystem erwachsen dem Vertragsarzt/Vertragszahnarzt besondere Mitwirkungspflichten, die weit über die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach § 21 Abs. 2 Satz 1 SGB X hinausgehen. Lässt sich aus der Kombination von Amtsermittlungspflicht der Behörde und den besonderen Mitwirkungspflichten des Vertragsarztes/Vertragszahnarztes die strittige Tatsache nicht beweisen, gilt der Grundsatz der objektiven Beweislast (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.06.2016, Az. L 11 KA /16 B ER). Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte, dass die zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten des Beklagten im Rahmen der Amtsermittlungspflicht dort enden, wo Tatsachenbeurteilungen relevant werden, die mit den nicht von außen erkennbaren individuellen Praxisgegebenheiten des Arztes zusammenhängen. Alle bedeutsamen Umstände des Praxisbetriebes und die Zusammensetzung des Patientengutes müssen vom Arzt umfassend vorgetragen und verifiziert werden. Der bloße Hinweis auf Praxisbesonderheiten genügt dieser Substantiierungspflicht nicht (BSG, Urteil vom 16.07.2003, B 6 KA 45/02 R; Landessozialgericht Hessen, Beschluss vom 08.08.2013, L 4 KA 29/13 B ER; SG Marburg, Urteil vom 18.11.2015, S 12 KA 275/14). Vor diesem Hintergrund kann die Begründung des Bescheides als noch mit § 35 SGB X (Begründungspflicht) vereinbar angesehen werden. Wenn jetzt im Nach-hinein im Rahmen des Klageverfahrens 60 Fälle aufgeführt werden, bei denen es sich um schwere Fälle handeln soll, so wäre es Aufgabe der Klägerin gewesen, diese Fälle im Vorverfahren zu benennen und konkret anhand von Unterlagen aufzuzeigen, warum diese einen solchen umfangreichen Sanierungsaufwand auslösten. Die Darlegungs- und Feststellungslast erstreckt sich auch darauf, ob kausal-kompensatorische Einsparungen vorliegen. Auch diesbezüglich wurde lediglich pauschal vorgetragen, es bestehe ein Zusammenhang zwischen dem hohen Ansatz von Füllungsleistungen und dem niedrigen Ansatz bei der Kronenversorgung sowie dem hohen Ansatz von Füllungsleistungen und dem niedrigen Ansatz bei Extraktionen. Derartige Zusammenhänge vermag das mit einem Zahnarzt fachkundig besetzte Gericht nicht zu erkennen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass alle anderen Zahnärzte entsprechend der Richtlinien (B III.2 i.V.m. § 92 SGB V) grundsätzlich auch großen Wert auf zahnerhaltende Maßnahmen legen. Kronenversorgung und Füllungstherapie sind daher nicht beliebig austauschbar. Insofern können "eingesparte Festzuschüsse" bei der Kronenversorgung nicht gegengerechnet werden. Für diese Sichtweise spricht im konkreten Fall auch, dass es sich meist um die Behebung von Defekten am Zahnhals handelt, die nicht zu einer Notwendigkeit der Kronenversorgung führen. Auch geht die Kammer davon aus, dass Extraktionen von Zähnen generell nur dann erfolgen, wenn eine zahnmedizinische Notwendigkeit hierfür besteht, vor allem bei Zähnen, die nicht mehr erhaltungsfähig- und würdig sind. Insofern kann auch zwischen Füllungsleistungen und Extraktionen kein Zusammenhang bestehen. Die extrem hohen Überschreitungen im Füllungsbereich (F-3 Füllungen) in den Quartalen 2/2012, 3/2012 und fallen zeitlich zusammen mit der Beschäftigung einer Ausbildungsassistentin, die offensichtlich vornehmlich im konservativen Bereich eingesetzt wurde und auf deren Tätigkeit offenbar die Vielzahl von Füllungsleistungen zurückgeht. Wie die Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung am 09.11.2016 ausführten, waren weder in den den Quartalen 2/2012, 3/2012 und 3/2012 vorausgehenden, noch nachfolgenden Quartalen annähernd solche Überschreitungswerte festzustellen, was für den oben geschilderten Zusammenhang und die vom Beklagten festgestellte systematische Abrechnung von F-3 Leistungen spricht. Die Beschäftigung einer Ausbildungsassistentin stellt auch per se keine Praxisbesonderheit dar, da sich hierdurch an dem Patientengut nichts ändert. Für die Annahme von statistischen Verzerrungen bei den Leistungen, bei denen diese hohen Überschreitungen festzustellen sind, beispielsweise dadurch, dass es sich um Leistungen handelt, die nur von wenigen Zahnärzten erbracht werden, gibt es keine Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere für die im Mittelpunkt der Überschreitung stehenden Füllungsleistungen, die regelmäßig von allen Zahnärzten erbracht werden. Letztendlich ist auch die der Klägerin belassene Restüberschreitung von 68 % im Quartal rechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Überschreitungswert liegt nach wie vor im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses. Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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