Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 12 KR 222/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 355/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 90/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: Beschwerde (-)
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit steht ein Anspruch auf eine Mammareduktionsplastik (MRP, operative Brustverkleinerung).
Die bei der Beklagten krankenversicherte 1960 geborene Klägerin leidet an einem chronischen wiederkehrenden Schmerzsyndrom im Bereich Schulter/Nacken beidseits sowie im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule, einer zunehmenden Verschleißerkrankung im Bereich der unteren Hals-, unteren und mittleren Brust- sowie unteren Lendenwirbelsäule, deutlichen muskulären Dysbalancen und schmerzhafter Verkürzung der Schulter-, Nacken- und Schulterblattmuskulatur beidseits sowie der Rücken- und Hüftmuskulatur, insbesondere des tiefen Hüftbeugers beidseits, einer Mammahypertrophie, chronischen wiederkehrenden Muskelansatzschmerzen im Bereich beider Hüften und im Bereich der Schultergelenke, einer beginnenden Retropatellararthrose und Verschleißerkrankung des inneren Meniskus, Adipositas, Zustand nach Impingementsyndrom (Einengung) bei beginnender Schultereckgelenkarthrose der linken Schulter sowie drohender Schmerzverarbeitungsstörung bei zunehmendem Verbrauch von Schmerzmedikamenten.
Die Klägerin beantragte unter Einreichung eines Attestes der Fachärztin für Allgemeinmedizin K vom 10. April 2012 die Kostenübernahme für eine operative Brustreduktion. Die Fachärztin für Gynäkologie T diagnostizierte unter dem 27. März 2012 Leidensdruck unter großen Brüsten mit Rückenbeschwerden als Folge. Nach Einholung einer Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes vom 19. April 2012 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. April 2012 den Antrag ab. Der Eingriff sei medizinisch nicht indiziert, sondern solle aus ästhetischen Gründen erfolgen.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Seit Längerem habe sie ständig Schmerzen im Rücken, Schulter- und Halswirbelbereich. Ihre Brüste seien in den letzten Jahren größer geworden. Sie habe 24 Stunden täglich Schmerzen und Haltungsschäden. Durch das Tragen des BHs seien Einschnürungen an den Schultern entstanden. Sie mache jeden Tag zehn bis 15 Minuten Sport für Rücken und Schulter- und Halswirbel. Ergänzend reichte sie u. a. ein Attest des Dr. B am H Klinikum vom 13. Juni 2012 ein.
Die Fachärztin für Chirurgie und Sozialmedizin W des Sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten untersuchte die Klägerin am 16. August 2012. In ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 13. September 2012 kam sie zu dem Ergebnis, bei der Mammahypertrophie beidseits handele es sich nicht um eine Krankheit. Der Zustand sei ohne entstellende Wirkung und ohne wesentliche Funktionseinschränkungen. Die geklagten Schmerzen in den Schultern seien ursächlich auf Verschleißerscheinungen zurückzuführen. Diese seien einer anderen Behandlung zugänglich als einer Mammareduktionsplastik. Bemerkenswert sei, dass die Klägerin trotz der schweren Brüste deutlich weniger Beschwerden habe, wenn sie auf einen BH verzichte.
Die Beklagte wies daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2012 den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 15. Oktober 2012 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhoben.
Das SG hat Befundberichte eingeholt und die Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie S mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Die Gutachterin untersuchte die Klägerin am 24. März 2014. In ihrem Gutachten vom 6. April 2014 gelangte sie zu dem Ergebnis, dass die bisherige ambulante Behandlung der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet nicht als ausgeschöpft bezeichnet werden könne. Es sei davon auszugehen, dass unter Einleitung einer regelmäßigen krankengymnastischen Übungsbehandlung, der Durchführung täglicher Übungen in der Häuslichkeit, der Verordnung eines Tens- oder Muskelstimulationsgerätes oder Verordnung von Reha Sport eine Besserung des Beschwerdebildes zu erreichen sei. Gegebenenfalls sei auch die Vorstellung bei einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie für das Erlernen von Verhaltensweisen zum positiven Umgang mit den subjektiv als zu groß empfundenen Brüsten sinnvoll. Eine medizinische Indikation zur Brustverkleinerung bestehe nicht.
Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, die Schmerzen an ihren Schultern seien mittlerweile so schlimm, dass sie in unregelmäßigen Abständen Kortisonspritzen erhalte. Sie mache dreimal in der Woche für zehn Minuten sportliche Übungen. Auf ihrem großen Grundstück sei sie ständig in Bewegung. Die Gutachterin hat ihr Gutachten durch die Stellungnahme vom 30. Juni 2014 ergänzt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11. Juli 2014 (Zustellung: 19. August 2014) abgewiesen. Der Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) setze voraus, dass die Voraussetzungen des § 27 SGB V vorlägen. Die setze wiederum das Bestehen einer Krankheit voraus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) sei Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge habe. Hier ergebe sich eine Krankheit nicht bereits aus der Brustgröße. Eine organische Störung liege insoweit nicht vor. Die jeweilige Brustgröße stelle keine körperliche Abnormalität dar. Die Sachverständige habe ausgeführt, dass die Mammahypertrophie der Klägerin zu einer Neigung nach vorn übergebeugter Körperhaltung führe, die durch regelmäßige krankengymnastische Übungen kompensiert werden könne. Die bisherige ambulante Behandlung der Klägerin auf orthopädischem Gebiet sei nicht ausgeschöpft. Soweit die Klägerin an Schulter- bzw. Wirbelsäulenfunktionsbeeinträchtigungen leide, könne dies durch orthopädische, ggf. chirurgische Maßnahmen unmittelbar behandelt werden.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 19. September 2014. Das Urteil sei auf ein mangelhaftes Sachverständigengutachten gestützt. Der Sachverhalt sei noch nicht umfassend ermittelt. Die Beantwortung der Frage, ob alle Möglichkeiten der ambulanten Behandlung ausgeschöpft worden seien, sei nicht nachvollziehbar. Die Schulter- bzw. Wirbelsäulenfunktionsbeeinträchtigungen hätten ihre primäre Ursache in ihren übergroßen Brüsten. Die Aussage der Sachverständigen, eine Verbesserung der Beschwerden im Bereich der Schulter-Nackenregion sei aus orthopädischer Sicht durch eine Verkleinerungsoperation der Brüste nicht zu erwarten, stehe im Widerspruch zu der medizinischen Einschätzung der behandelnden Haus- und Fachärzte. Der Senat hat den Dipl. Med. F mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Dieser untersuchte die Klägerin am 19. August 2015. In seinem Sachverständigengutachten vom 4. November 2015 hat er ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Schwächung der Gesundheit mit zunehmendem Verschleiß der Wirbelsäule in allen drei Abschnitten vor. Es bestehe die Gefahr, dass Wirbelsäulenoperationen notwendig sein könnten. Es bestehe eine ausgeprägte Mammahyperplasie, welche schon zu körperlichen Funktionseinschränkungen geführt habe. Es bestehe die Gefahr des Schmerzmedikamentenmissbrauches. Die ambulanten physiotherapeutischen und schmerzmedikamentösen Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Eine Brustverkleinerungsoperation sei dringend erforderlich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 11. Juli 2014 sowie den Bescheid vom 25. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine operative Brustreduktion (Mammareduktionsplastik) zu übernehmen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat das Gutachten F ihrem Sozialmedizinischen Dienst zur Stellungnahme vorgelegt. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 18. Dezember 2015 – durch die Fachärztin für Chirurgie und Sozialmedizin L und den Leitenden Medizinaldirektor A - ausgeführt, die Diagnose Mammahypertrophie werde nur aufgrund der anamnestischen Angaben und der angegebenen BH Größe gestellt. Der Befund Körpergewicht 90 kg und eine vermehrte Bauchdeckenadipositas spreche nicht für, sondern gegen eine ausgeprägte und zunehmende Brustvergrößerung. Auch die Angabe der BH Größen-Veränderung von 95 D auf 100 D spreche nicht für eine zunehmende Brustvergrößerung, sondern eine zunehmende Vergrößerung des Bauch- und Unterbrustumfangs. Es liege vielmehr bei steigendem Körpergewicht eine gleichbleibende Brustgröße vor. Ein übermäßiger Verschleiß der Wirbelsäule und der Schultern aufgrund der großen Brust seien nach wie vor aus den erhobenen Befunden und der bildgebenden Diagnostik nicht zu erkennen. Die Diagnose einer ausgeprägten Mammahyperplasie sei nicht richtig. Die Klägerin habe eine große, allenfalls gering vergrößerte Brust. Eine Reduktion der Brustgröße als Voraussetzung für eine Behandlung der Verschleißleiden der Wirbelsäule schieße weit über das Ziel hinaus. Die Klägerin sei adipös. Ihr Körpergewicht vergrößere sich ständig. Es sei dringend eine Gewichtsreduktion zu empfehlen.
Auf die im Verwaltungsvorgang und in der Gerichtsakte enthaltenen ärztlichen Befundberichte und Gutachten wird ergänzend verwiesen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten lag zur Verhandlung vor und war Gegenstand der Erörterung.
Entscheidungsgründe:
Es konnte entschieden werden, obgleich in der mündlichen Verhandlung für die Beklagte niemand erschienen ist. Die Beteiligten sind nach § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darauf hingewiesen worden, dass im Falle des Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden kann.
Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Auf dessen zutreffende Ausführungen wird zunächst nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Leistungen müssen nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Nach jetzigem Sachstand ist eine operative Brustkorrektur bei der Klägerin medizinisch nicht erforderlich und damit nicht notwendig.
Die Mammahypertrophie selbst stellt keine behandlungsbedürftige Krankheit dar, wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat. Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger Körperzustand. Eine Regelwidrigkeit ist gegeben, wenn der Körperzustand vom Leitbild eines gesunden Menschen abweicht. Bei der Klägerin gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass allein die Größe der Brüste eine Funktionseinschränkung zur Folge hat oder dass sie dadurch entstellt ist. Eine Entstellung besteht (nur), wenn der Versicherte objektiv an einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit leidet, dass die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet ist (BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R). Eine psychische Erkrankung aufgrund der Mammahypertrophie liegt auch nach eigenem Vorbringen der Klägerin nicht vor, vielmehr (nur) im Hinblick auf orthopädische Beschwerden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße besteht. Selbst wenn dieser Zusammenhang unterstellt wird, ist zu beachten, dass die Operation hier nur mittelbar der Bekämpfung der auf orthopädischem Gebiet liegenden Krankheit diente. Zwar können grundsätzlich auch derartige Krankenbehandlungsmaßnahmen notwendig im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V sein, wenn sie gezielt der Krankheitsbekämpfung dienten (BSG, BSGE 85, 56, 59; BSGE 90, 289). Eine solche mittelbare Behandlung bedarf jedoch der besonderen Rechtfertigung, in welcher eine Abwägung zwischen dem voraussichtlichen medizinischen Nutzen und dem möglichen gesundheitlichen Schaden erfolgen muss. Wird in funktionell intaktes Organ eingegriffen, sind besonders schwere Anforderungen zu stellen, wobei Art und Schwere der Erkrankung, das Risiko und der eventuelle Nutzen der Therapie gegeneinander abzuwägen sind (BSGE 90, 289). Für den Fall der MRP führt dies nach ständiger Rechtsprechung des Senats dazu, dass zunächst sämtliche Behandlungsalternativen ausgeschöpft sein müssen (vgl. Urteil vom 14. Januar 2011 – L 1 KR 197/08 – juris-Rdnr. 30, 14). Ein chirurgischer Eingriff darf nur die letzte denkbare Maßnahme sein. Denn durch eine Brustverkleinerungsoperation wird im Grunde in ein gesundes Organ eingegriffen. Da hierbei das Risiko der Narkose und auch das Ergebnis der Operation zu berücksichtigen sind, stellt eine chirurgische Behandlung im Bereich der Brust nur die "ultima ratio" dar (ebenso z. B. LSG Thüringen, Urteil vom 29. Oktober 2013 – L 6 KR 158/11 – juris Rdnr. 25 mit Bezugnahme auf LSG Baden Württemberg, Urteil vom 20. April 2004 – L 11 KR 1886/03). Hiervon kann hier bereits auf Grund der unstreitigen Adipositas der Klägerin nicht ausgegangen werden. Ergänzend kann zur Nichtausschöpfung der ambulanten Möglichkeiten auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen werden. Die Klägerin gibt selbst einerseits durch ihre Bevollmächtigten an, wöchentlich (nur) dreimal 10 Minuten sportliche Übungen durchzuführen. Dem Sachverständigen F muss sie gegenüber geäußert haben, ein tägliches Übungsprogramm von 15 Minuten zu absolvieren. Regelmäßige physiotherapeutische Behandlungen der Verschleißerkrankungen der Wirbelsäule und des Schultergürtels finden aber nicht statt. Auch der Sachverständige F führt zwar aus, die Bauchmuskulatur der Klägerin sei nur leicht abgeschwächt und damit besser entwickelt als im Regelfall seiner adipösen Rückenpatienten. Auch er diagnostiziert allerdings eine verkürzte Muskulatur im Schulter-, Nacken-, Hüft- und Rückenbereich. Auch ist der Versuch einer Linderung der Beschwerden durch eine Gewichtsreduktion bislang nicht erfolgt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Im Streit steht ein Anspruch auf eine Mammareduktionsplastik (MRP, operative Brustverkleinerung).
Die bei der Beklagten krankenversicherte 1960 geborene Klägerin leidet an einem chronischen wiederkehrenden Schmerzsyndrom im Bereich Schulter/Nacken beidseits sowie im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule, einer zunehmenden Verschleißerkrankung im Bereich der unteren Hals-, unteren und mittleren Brust- sowie unteren Lendenwirbelsäule, deutlichen muskulären Dysbalancen und schmerzhafter Verkürzung der Schulter-, Nacken- und Schulterblattmuskulatur beidseits sowie der Rücken- und Hüftmuskulatur, insbesondere des tiefen Hüftbeugers beidseits, einer Mammahypertrophie, chronischen wiederkehrenden Muskelansatzschmerzen im Bereich beider Hüften und im Bereich der Schultergelenke, einer beginnenden Retropatellararthrose und Verschleißerkrankung des inneren Meniskus, Adipositas, Zustand nach Impingementsyndrom (Einengung) bei beginnender Schultereckgelenkarthrose der linken Schulter sowie drohender Schmerzverarbeitungsstörung bei zunehmendem Verbrauch von Schmerzmedikamenten.
Die Klägerin beantragte unter Einreichung eines Attestes der Fachärztin für Allgemeinmedizin K vom 10. April 2012 die Kostenübernahme für eine operative Brustreduktion. Die Fachärztin für Gynäkologie T diagnostizierte unter dem 27. März 2012 Leidensdruck unter großen Brüsten mit Rückenbeschwerden als Folge. Nach Einholung einer Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes vom 19. April 2012 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. April 2012 den Antrag ab. Der Eingriff sei medizinisch nicht indiziert, sondern solle aus ästhetischen Gründen erfolgen.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Seit Längerem habe sie ständig Schmerzen im Rücken, Schulter- und Halswirbelbereich. Ihre Brüste seien in den letzten Jahren größer geworden. Sie habe 24 Stunden täglich Schmerzen und Haltungsschäden. Durch das Tragen des BHs seien Einschnürungen an den Schultern entstanden. Sie mache jeden Tag zehn bis 15 Minuten Sport für Rücken und Schulter- und Halswirbel. Ergänzend reichte sie u. a. ein Attest des Dr. B am H Klinikum vom 13. Juni 2012 ein.
Die Fachärztin für Chirurgie und Sozialmedizin W des Sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten untersuchte die Klägerin am 16. August 2012. In ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 13. September 2012 kam sie zu dem Ergebnis, bei der Mammahypertrophie beidseits handele es sich nicht um eine Krankheit. Der Zustand sei ohne entstellende Wirkung und ohne wesentliche Funktionseinschränkungen. Die geklagten Schmerzen in den Schultern seien ursächlich auf Verschleißerscheinungen zurückzuführen. Diese seien einer anderen Behandlung zugänglich als einer Mammareduktionsplastik. Bemerkenswert sei, dass die Klägerin trotz der schweren Brüste deutlich weniger Beschwerden habe, wenn sie auf einen BH verzichte.
Die Beklagte wies daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2012 den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 15. Oktober 2012 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhoben.
Das SG hat Befundberichte eingeholt und die Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie S mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Die Gutachterin untersuchte die Klägerin am 24. März 2014. In ihrem Gutachten vom 6. April 2014 gelangte sie zu dem Ergebnis, dass die bisherige ambulante Behandlung der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet nicht als ausgeschöpft bezeichnet werden könne. Es sei davon auszugehen, dass unter Einleitung einer regelmäßigen krankengymnastischen Übungsbehandlung, der Durchführung täglicher Übungen in der Häuslichkeit, der Verordnung eines Tens- oder Muskelstimulationsgerätes oder Verordnung von Reha Sport eine Besserung des Beschwerdebildes zu erreichen sei. Gegebenenfalls sei auch die Vorstellung bei einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie für das Erlernen von Verhaltensweisen zum positiven Umgang mit den subjektiv als zu groß empfundenen Brüsten sinnvoll. Eine medizinische Indikation zur Brustverkleinerung bestehe nicht.
Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, die Schmerzen an ihren Schultern seien mittlerweile so schlimm, dass sie in unregelmäßigen Abständen Kortisonspritzen erhalte. Sie mache dreimal in der Woche für zehn Minuten sportliche Übungen. Auf ihrem großen Grundstück sei sie ständig in Bewegung. Die Gutachterin hat ihr Gutachten durch die Stellungnahme vom 30. Juni 2014 ergänzt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11. Juli 2014 (Zustellung: 19. August 2014) abgewiesen. Der Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) setze voraus, dass die Voraussetzungen des § 27 SGB V vorlägen. Die setze wiederum das Bestehen einer Krankheit voraus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) sei Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge habe. Hier ergebe sich eine Krankheit nicht bereits aus der Brustgröße. Eine organische Störung liege insoweit nicht vor. Die jeweilige Brustgröße stelle keine körperliche Abnormalität dar. Die Sachverständige habe ausgeführt, dass die Mammahypertrophie der Klägerin zu einer Neigung nach vorn übergebeugter Körperhaltung führe, die durch regelmäßige krankengymnastische Übungen kompensiert werden könne. Die bisherige ambulante Behandlung der Klägerin auf orthopädischem Gebiet sei nicht ausgeschöpft. Soweit die Klägerin an Schulter- bzw. Wirbelsäulenfunktionsbeeinträchtigungen leide, könne dies durch orthopädische, ggf. chirurgische Maßnahmen unmittelbar behandelt werden.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 19. September 2014. Das Urteil sei auf ein mangelhaftes Sachverständigengutachten gestützt. Der Sachverhalt sei noch nicht umfassend ermittelt. Die Beantwortung der Frage, ob alle Möglichkeiten der ambulanten Behandlung ausgeschöpft worden seien, sei nicht nachvollziehbar. Die Schulter- bzw. Wirbelsäulenfunktionsbeeinträchtigungen hätten ihre primäre Ursache in ihren übergroßen Brüsten. Die Aussage der Sachverständigen, eine Verbesserung der Beschwerden im Bereich der Schulter-Nackenregion sei aus orthopädischer Sicht durch eine Verkleinerungsoperation der Brüste nicht zu erwarten, stehe im Widerspruch zu der medizinischen Einschätzung der behandelnden Haus- und Fachärzte. Der Senat hat den Dipl. Med. F mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Dieser untersuchte die Klägerin am 19. August 2015. In seinem Sachverständigengutachten vom 4. November 2015 hat er ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Schwächung der Gesundheit mit zunehmendem Verschleiß der Wirbelsäule in allen drei Abschnitten vor. Es bestehe die Gefahr, dass Wirbelsäulenoperationen notwendig sein könnten. Es bestehe eine ausgeprägte Mammahyperplasie, welche schon zu körperlichen Funktionseinschränkungen geführt habe. Es bestehe die Gefahr des Schmerzmedikamentenmissbrauches. Die ambulanten physiotherapeutischen und schmerzmedikamentösen Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Eine Brustverkleinerungsoperation sei dringend erforderlich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 11. Juli 2014 sowie den Bescheid vom 25. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine operative Brustreduktion (Mammareduktionsplastik) zu übernehmen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat das Gutachten F ihrem Sozialmedizinischen Dienst zur Stellungnahme vorgelegt. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 18. Dezember 2015 – durch die Fachärztin für Chirurgie und Sozialmedizin L und den Leitenden Medizinaldirektor A - ausgeführt, die Diagnose Mammahypertrophie werde nur aufgrund der anamnestischen Angaben und der angegebenen BH Größe gestellt. Der Befund Körpergewicht 90 kg und eine vermehrte Bauchdeckenadipositas spreche nicht für, sondern gegen eine ausgeprägte und zunehmende Brustvergrößerung. Auch die Angabe der BH Größen-Veränderung von 95 D auf 100 D spreche nicht für eine zunehmende Brustvergrößerung, sondern eine zunehmende Vergrößerung des Bauch- und Unterbrustumfangs. Es liege vielmehr bei steigendem Körpergewicht eine gleichbleibende Brustgröße vor. Ein übermäßiger Verschleiß der Wirbelsäule und der Schultern aufgrund der großen Brust seien nach wie vor aus den erhobenen Befunden und der bildgebenden Diagnostik nicht zu erkennen. Die Diagnose einer ausgeprägten Mammahyperplasie sei nicht richtig. Die Klägerin habe eine große, allenfalls gering vergrößerte Brust. Eine Reduktion der Brustgröße als Voraussetzung für eine Behandlung der Verschleißleiden der Wirbelsäule schieße weit über das Ziel hinaus. Die Klägerin sei adipös. Ihr Körpergewicht vergrößere sich ständig. Es sei dringend eine Gewichtsreduktion zu empfehlen.
Auf die im Verwaltungsvorgang und in der Gerichtsakte enthaltenen ärztlichen Befundberichte und Gutachten wird ergänzend verwiesen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten lag zur Verhandlung vor und war Gegenstand der Erörterung.
Entscheidungsgründe:
Es konnte entschieden werden, obgleich in der mündlichen Verhandlung für die Beklagte niemand erschienen ist. Die Beteiligten sind nach § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darauf hingewiesen worden, dass im Falle des Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden kann.
Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Auf dessen zutreffende Ausführungen wird zunächst nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Leistungen müssen nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Nach jetzigem Sachstand ist eine operative Brustkorrektur bei der Klägerin medizinisch nicht erforderlich und damit nicht notwendig.
Die Mammahypertrophie selbst stellt keine behandlungsbedürftige Krankheit dar, wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat. Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger Körperzustand. Eine Regelwidrigkeit ist gegeben, wenn der Körperzustand vom Leitbild eines gesunden Menschen abweicht. Bei der Klägerin gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass allein die Größe der Brüste eine Funktionseinschränkung zur Folge hat oder dass sie dadurch entstellt ist. Eine Entstellung besteht (nur), wenn der Versicherte objektiv an einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit leidet, dass die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet ist (BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R). Eine psychische Erkrankung aufgrund der Mammahypertrophie liegt auch nach eigenem Vorbringen der Klägerin nicht vor, vielmehr (nur) im Hinblick auf orthopädische Beschwerden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße besteht. Selbst wenn dieser Zusammenhang unterstellt wird, ist zu beachten, dass die Operation hier nur mittelbar der Bekämpfung der auf orthopädischem Gebiet liegenden Krankheit diente. Zwar können grundsätzlich auch derartige Krankenbehandlungsmaßnahmen notwendig im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V sein, wenn sie gezielt der Krankheitsbekämpfung dienten (BSG, BSGE 85, 56, 59; BSGE 90, 289). Eine solche mittelbare Behandlung bedarf jedoch der besonderen Rechtfertigung, in welcher eine Abwägung zwischen dem voraussichtlichen medizinischen Nutzen und dem möglichen gesundheitlichen Schaden erfolgen muss. Wird in funktionell intaktes Organ eingegriffen, sind besonders schwere Anforderungen zu stellen, wobei Art und Schwere der Erkrankung, das Risiko und der eventuelle Nutzen der Therapie gegeneinander abzuwägen sind (BSGE 90, 289). Für den Fall der MRP führt dies nach ständiger Rechtsprechung des Senats dazu, dass zunächst sämtliche Behandlungsalternativen ausgeschöpft sein müssen (vgl. Urteil vom 14. Januar 2011 – L 1 KR 197/08 – juris-Rdnr. 30, 14). Ein chirurgischer Eingriff darf nur die letzte denkbare Maßnahme sein. Denn durch eine Brustverkleinerungsoperation wird im Grunde in ein gesundes Organ eingegriffen. Da hierbei das Risiko der Narkose und auch das Ergebnis der Operation zu berücksichtigen sind, stellt eine chirurgische Behandlung im Bereich der Brust nur die "ultima ratio" dar (ebenso z. B. LSG Thüringen, Urteil vom 29. Oktober 2013 – L 6 KR 158/11 – juris Rdnr. 25 mit Bezugnahme auf LSG Baden Württemberg, Urteil vom 20. April 2004 – L 11 KR 1886/03). Hiervon kann hier bereits auf Grund der unstreitigen Adipositas der Klägerin nicht ausgegangen werden. Ergänzend kann zur Nichtausschöpfung der ambulanten Möglichkeiten auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen werden. Die Klägerin gibt selbst einerseits durch ihre Bevollmächtigten an, wöchentlich (nur) dreimal 10 Minuten sportliche Übungen durchzuführen. Dem Sachverständigen F muss sie gegenüber geäußert haben, ein tägliches Übungsprogramm von 15 Minuten zu absolvieren. Regelmäßige physiotherapeutische Behandlungen der Verschleißerkrankungen der Wirbelsäule und des Schultergürtels finden aber nicht statt. Auch der Sachverständige F führt zwar aus, die Bauchmuskulatur der Klägerin sei nur leicht abgeschwächt und damit besser entwickelt als im Regelfall seiner adipösen Rückenpatienten. Auch er diagnostiziert allerdings eine verkürzte Muskulatur im Schulter-, Nacken-, Hüft- und Rückenbereich. Auch ist der Versuch einer Linderung der Beschwerden durch eine Gewichtsreduktion bislang nicht erfolgt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
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