L 11 KR 1708/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 2390/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1708/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.04.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer stationären Vorsorgemaßnahme.

Die 1952 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und bezieht seit 2002 auf Dauer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie beantragte am 05.06.2013 bei der Beklagten eine stationäre Vorsorgemaßnahmen. Der Hausarzt der Klägerin Dr. P., gab in seinem Gutachten zur Beantragung einer stationären Vorsorgemaßnahme vom 22.05.2013 folgende vorsorgerelevanten Diagnosen jeweils bestehend seit Jahren an: Spondylarthrose der HWS/BWS/LWS, Spinalkanalstenose, COPD/Asthma bronchiale, Psoriasis vulgaris, arterielle Hypertonie, Polyallergie. Dr. P. teilte mit, dass der Verlauf in den letzten zwölf Monaten allmählich progredient sei. Es bestünden Schwierigkeiten bei Fortbewegung, Selbstversorgung und körperlicher Beweglichkeit. Ein geeignetes ambulantes Vorsorgeangebot in Wohnortnähe sei nicht vorhanden. Eine vorübergehende Herausnahme aus dem sozialen Umfeld sei nötig. Die physische und psychische Belastbarkeit für ambulante Maßnahmen seien nicht ausreichend. Die wohnortnah möglichen Antrags relevanten ambulanten Behandlungen seien ausgeschöpft.

Die Beklagte veranlasste eine sozialmedizinische Stellungnahme des MDK Bayern. Dr. Sch. vom MDK Bayern hielt anstelle der beantragten Maßnahme eine gezielte ambulante Kranken-oder Rehabilitationsbehandlung am Wohnort im Sinne von Heilmitteln (Krankengymnastik, Atemtherapie), fachärztlicher Behandlung (Pulmologe, Orthopäde, Dermatologe) und Rehabilitationssport/Funktionstraining für ausreichend.

Mit Bescheid vom 27.06.2013 lehnte die Beklagte den Antrag unter Verweis auf das Gutachten des MDK ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Dr. P. vertrat die Auffassung, dass die ambulanten Heilmaßnahmen ausgeschöpft seien, fachärztliche Behandlungen regelmäßig erfolgten und starke Krankheitssymptome bestünden.

Der MDK Bayern kam in einer weiteren Stellungnahme vom 13.08.2013 zu dem Ergebnis, dass die Prüfung der vorgelegten Unterlagen die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung im Rahmen einer Vorsorgemaßnahme erkennen lasse. Die wohnortnahen Behandlungsmöglichkeiten seien als nicht mehr ausreichend sowie als ausgeschöpft anzusehen. Die Inanspruchnahme von kurortspezifischen Behandlungsmaßnahmen sei bei dem hier vorliegenden komplexen Krankheitsbild nachvollziehbar erforderlich. Eine stationäre Vorsorgemaßnahme hielt der Gutachter nicht für erforderlich.

Mit Bescheid vom 26.09.2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie eine ambulante Vorsorgemaßnahme einem anerkannten Kurort genehmigen könne und sich an den sonstigen Kosten (Unterkunft, Verpflegung, Kurtaxe und Fahrkosten) mit einem Betrag von kalendertäglich 13 EUR für die Dauer von bis zu 21 Tagen beteiligen werde. Die Kostenübernahme einer stationären Vorsorgemaßnahme sei nicht möglich. Die Klägerin hielt den Widerspruch aufrecht. Der Orthopäde Dr. Schm. und der Hausarzt Dr. E. befürworteten ein stationäres Heilverfahren.

Der MDK Bayern erstellte am 19.02.2014 ein sozialmedizinisches Gutachten. Darin führte er aus, dem Antragsformular zur stationären Vorsorgemaßnahme könne entnommen werden, dass bei den Tätigkeiten/Aktivitäten des täglichen Lebens zwar Schwierigkeiten, jedoch keine Einschränkungen, die Fremdhilfe erforderlich lassen würden, oder gar Fähigkeitsverluste entnommen werden könnten. Eine Pflegebedürftigkeit liege nicht vor. Insofern bleibe festzustellen, dass Maßnahmen am Wohnort ausgeschöpft seien. Die Erkrankung könne durch eine ambulante Vorsorgemaßnahme in einem Kurort bei Behandlung durch einen freipraktizierenden Badearzt unter Anwendung der örtlichen Kurmittel ausreichend therapiert werden. Im Vordergrund stehe die Lungenerkrankung unter Mitbehandlung der Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2014 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Durchführung einer ambulanten Vorsorgeleistung sei ausreichend und zweckmäßig.

Hiergegen hat die Klägerin am 16.04.2014 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Das SG hat Dr. P. befragt und den Internisten und Pulmologen Dr. M. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dr. P. hat ausgeführt, dass seit Jahren eine kontinuierliche Behandlung mit ca 2-3 Konsultationen pro Monat erfolge. Bezüglich der Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom, eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit im Alltag sowie chronischer Schmerzmittelbedarf. Die bronchiale Erkrankung zeige eine Progredienz mit wiederkehrenden Exazerbrationen in immer kürzeren Abständen. Ambulante Maßnahmen würden nicht mehr ausreichen. Ein Ortswechsel und vor allem die Behandlungen einem Ort mit Reizklima sei erforderlich. Die Alltagsmobilität sei erheblich eingeschränkt, so dass nur eine stationäre Maßnahme entsprechende Erfolgsaussichten haben könne.

Dr. M. hat die Klägerin am 14.07.2015 persönlich untersucht. Der Allgemeinbefund und der orientierende neurologische Untersuchungsbefund sind unauffällig gewesen. Aus der Lungenfunktionsprüfung hat sich eine leichte obstruktive Ventilationsstörung bei leichter Lungenblähung ergeben. Der Gutachter hat ausgeführt, bei der Klägerin hätten keine wesentlichen Gesundheitsstörungen festgestellt werden können, die eine Tätigkeit als Büroangestellte (Großhandelskauffrau) verhindern könnten. Die angegebenen Beschwerden seien auch nicht in dem Maße geschildert worden, dass eine wesentliche Gesundheitsstörung vorliege. Eine wesentliche Asthmaneigung könne derzeit unter inhalativer Therapie nicht nachgewiesen werden. Bei der Untersuchung hätten keine erheblichen Gesundheitseinschränkungen festgestellt werden können, die einer intensivierten aktuelle Behandlung bedürften. Hinsichtlich der Rückenschmerzen würden von der Klägerin am Heimatort erhebliche Anstrengungen unternommen (Fitnessstudio dreimal pro Woche, einmal pro Woche Schwimmen). Es sei nicht zu erwarten, dass im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme eine wesentliche Besserung zu erwarten sei. Atembeschwerden und Hauterscheinungen seien von untergeordnetem Charakter. Die Atemwegserkrankung bedürfe sicherlich keiner intensiven Therapie, insbesondere nicht an Orten mit Reizklima. Die Notwendigkeit einer Entlastung durch Herausnahme aus dem sozialen Umfeld sei nicht nachvollziehbar. Laut den eigenen Angaben der Klägerin sei sie in der Lage, mehrmals in der Woche anderen Menschen zu helfen. Dem MDK sei zuzustimmen, dass die Erkrankung durch eine ambulante Vorsorgemaßnahme an einem Kurort bei Behandlung durch einen freipraktizierenden Badearzt unter Anwendung der örtlichen Kurmittel ausreichend therapiert werden könnte. Die Klägerin ist zur Untersuchung 20 Minuten selbst mit dem Auto gefahren.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.04.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe fest, dass bei der Klägerin eine ambulante Vorsorgeleistungen einem anerkannten Kurort notwendig, aber auch ausreichend sei. Dies ergebe sich aus den gutachterlichen Ausführungen des Dr. M ... Es mangle der Klägerin, die nach ihren Angaben gegenüber dem Gutachter dreimal pro Woche ins Fitnessstudio und einmal pro Woche zum Schwimmen gehe, den Haushalt versorge und sich mit Freunden treffe nicht an der notwendigen Mobilität zur Durchführung einer stationären Vorsorgeleistung am Kurort. Darüber hinaus seien Einschränkungen, die eine ständige ärztliche Präsenz oder sonstige spezifische Leistungen einer stationären Einrichtung erfordern würden, nicht nachgewiesen.

Gegen den, dem Klägerbevollmächtigten am 15.04.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 03.05.2016 Berufung eingelegt. Er hat einen radiologischen Befundbericht von Dr. Schm. vom 20.09.2016 übersandt, in dem dieser eine durchgehende spinale Enge im gesamten LWS-Abschnitt beschrieben hat.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass angesichts der Schwere der festgestellten Krankheiten mit den erheblichen Einschränkungen im täglichen Leben ambulante Vorsorgeleistungen nicht ausreichten, um eine Verschlimmerung der Krankheit zu vermeiden. Sie stützt sich insbesondere auf die Aussagen von Dr. P.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.04.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 27.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine stationäre Vorsorgemaßnahme zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter hat den Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 14.07.2016 darauf hingewiesen, dass die gerichtlichen Ermittlungen abgeschlossen seien und die Berufung auf der Grundlage der Feststellungen des Gerichtgutachters Dr. M. sowie der eigenen Angaben der Klägerin zu ihren Aktivitäten keine Aussicht auf Erfolg habe. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.03.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer stationären Vorsorgemaßnahme.

Der Senat sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs 2 SGG).

Nur ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, sprechen schon die eigenen Angaben der Klägerin bei der Begutachtung zu ihren Aktivitäten und der Umstand, dass sie selbst mit dem Auto zum Gutachter gefahren ist, dafür, dass eine ambulante Vorsorgeleistung in einem anerkannten Kurort ausreichend ist. Eine solche hat die Beklagte bereits angeboten. An der notwendigen Mobilität zur Durchführung einer ambulanten Vorsorgeleistung fehlt es der Klägerin nicht. Eine ständige ärztliche Präsenz oder sonstige spezifische Leistungen einer stationären Einrichtung erscheinen auch dem Senat nicht notwendig. Hieran ändert auch der im Berufungsverfahren vorgelegte Befundbericht des Radiologen Dr. Schm. nichts. Zum einen ist für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung nicht der radiologische Befund, sondern die Funktionseinschränkungen maßgeblich. Zum anderen lässt sich aus der dort beschriebenen durchgehenden spinalen Enge im gesamten LWS-Abschnitt nach Ansicht des Senats nicht zwingend auf eine zwingende stationäre Vorsorgemaßnahme schließen.

Der Beurteilung medizinischer Sachverhalte durch gerichtliche Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Denn es ist insbesondere auch die Aufgabe des Sachverständigen, die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach zu überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Bei Stellungnahmen von behandelnden Ärzten ist demgegenüber das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis zu berücksichtigen.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Dr. M. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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