Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 25 AS 609/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zu den Mitwirkungspflichten des § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB I gehört auch die Vorlage von noch zu beschaffenden Beweismitteln.
2. Wer seine Mitwirkungspflichten erfüllt, führt kein fremdes Geschäft im Sinne von § 677 BGB.
3. Die Entscheidung, dem Antragsteller die Kosten nicht zu ersetzen, die durch eine überhöhte Abrechnung eines Arztes für eine durch den Leistungsträger angeforderte Bescheinigung entstanden sind, verstößt nicht gegen § 65a SGB I.
2. Wer seine Mitwirkungspflichten erfüllt, führt kein fremdes Geschäft im Sinne von § 677 BGB.
3. Die Entscheidung, dem Antragsteller die Kosten nicht zu ersetzen, die durch eine überhöhte Abrechnung eines Arztes für eine durch den Leistungsträger angeforderte Bescheinigung entstanden sind, verstößt nicht gegen § 65a SGB I.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für ein ärztliches Attest in voller Höhe.
Am 28. Oktober 2013 stellte der Kläger einen Antrag auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II wegen Laktoseintoleranz. Dazu legte er einen Laktose-Intoleranztest des Universitätsklinikums A-Stadt vom 17. September 2010 vor.
Am 1. November 2013 reichte der Kläger ein Formular MEB (Anlage zur Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwändige Ernährung) mit der durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. ausgefüllten Bescheinigung bei dem Beklagten ein, legte eine Quittung über 10 EUR über die Bezahlung der Kosten des Attests vor und beantragte die Übernahme der Kosten für das ärztliche Attest.
Mit Bescheid vom 11. März 2014 erstattete der Beklagte die Kosten in Höhe von 5,36 EUR. Bei der Höhe der Erstattung habe man sich an Nr. 70 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) orientiert und den 2,3fachen Satz zugrunde gelegt.
Den Widerspruch des Klägers vom 8. April 2014 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2014 als unbegründet zurück.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 11. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2014 zu verurteilen, ihm weitere 4,64 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen. Das Gericht hat mit den Beteiligten am 13. Juli 2016 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf das Protokoll wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben, § 124 Abs. 2 SGG.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Zahlung über die bereits geleisteten 5,36 EUR hinaus. Die Ablehnung dieses Anspruchs mit dem Bescheid vom 11. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2014 ist rechtmäßig.
Die Voraussetzungen von § 65a Abs. 1 SGB I liegen nicht vor. Nach dieser Norm kann, wer einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach den §§ 61 oder 62 nachkommt, auf Antrag Ersatz seiner notwendigen Auslagen und seines Verdienstausfalls in angemessenem Umfang erhalten. Bei einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach § 61 sollen Aufwendungen nur in Härtefällen ersetzt werden. Es kann dahinstehen bleiben, ob die Anlage MEB (Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung) des Beklagten ein Verlangen darstellt, jedenfalls beschränkt sich dieses Verlangen auf die ärztliche Beantwortung von Fragen in Form einer Bescheinigung und setzt weder zwingend ein persönliches Erscheinen (§ 61 SGB I) noch eine ärztliche Untersuchungsmaßnahme (§ 62 SGB I) voraus. Der Beklagte hat nicht, wie es für § 62 SGB I erforderlich wäre, die Durchführung einer Untersuchung bei einem bestimmten Arzt zur Klärung einer bestimmten Fragestellung verlangt, sondern begnügt sich mit der Beantwortung von Fragen durch einen durch den Kläger bestimmten Arzt, ohne dass es dem Beklagten darauf ankommt, ob zur Beantwortung der Fragen eine Untersuchung durchgeführt wird oder nicht.
Eine analoge Anwendung von § 65a SGB I wird zu Recht einhellig abgelehnt (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Mai 2010 – L 11 AS 291/10 NZB –, Rn. 10, juris; LSG Berlin-Brandenburg vom 19. September 2007 – L 15 B 192/07 SO PKH – Rn. 4, juris; Sichert in: Hauck/Noftz, SGB, 11/15, § 65a SGB I, Rn. 3). Eine unbewusste Regelungslücke ist angesichts des eindeutigen Wortlauts und des Willens des Gesetzesgebers (BT-Drs. 8/2034, S. 42 f) nicht erkennbar.
Aus § 64 Abs. 1 S. 1 SGB X folgt ebenfalls kein Anspruch des Klägers. Er regelt allein die Kostenfreiheit des Verfahrens vor den Behörden nach diesem Gesetzbuch. Hier macht aber nicht der Beklagte Kosten bei dem Kläger geltend. Zu der Übernahme von Kosten der Antragsteller im Antragsverfahren verhält sich diese Norm nicht. Auch § 64 Abs. 2 S. 1 SGB X betrifft die vorliegende Konstellation nicht.
Weitere Regelungen zum Ersatz von Aufwendungen eines Antragstellers im Rahmen der Amtsermittlungspflicht gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 SGB X i.V.m. § 60 Abs. 1 SGB I enthält das Gesetz nicht. Aus der Existenz des § 65a SGB I ergibt sich vielmehr im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber jedenfalls bei den Mitwirkungspflichten des § 60 SGB I pauschalierend davon ausgegangen ist, dass diese keine unzumutbaren Aufwendungen verursachen, und er deshalb keinen Aufwendungsersatz angeordnet hat (vgl. Kampe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 65a SGB I, Rn. 13).
Der geltend gemachte Aufwendungsersatz ist auch nicht nach den Grundsätzen der Vorschriften über den Auftrag oder eine Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 677 ff BGB begründet. Diese sind im öffentlichen Recht entsprechend anzuwenden (BSG vom 12. Januar 2010 – B 2 U 28/08 R – Rn. 24, juris mit weiteren Nachweisen). Gemäß § 677 BGB kann, wer ein Geschäft für einen anderen besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein, wie ein Beauftragter (§ 670 BGB) Ersatz seiner Aufwendungen verlangen.
Ein Auftrag lag hier nicht vor. Zum einen lässt sich aus der Verwaltungsakte nicht entnehmen, ob der Kläger auf die Verwendung des Formulars hingewiesen wurde oder ob er dieses von sich aus genutzt hat, zum anderen stellen behördliche Anordnungen an Privatpersonen ohnehin keine Aufträge im Sinne von § 670 BGB dar (Martinek in: Staudinger, BGB, § 662, Rn. 50; Jauernig, BGB, 16. Auflage 2015, § 670, Rn. 6).
Es ist grundsätzlich anerkannt, dass Aufwendungen der Beteiligten im Rahmen der Amtsermittlung nach § 21 Abs. 2 SGB X ein Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag sein können (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt vom 18. April 2013 – L 5 AS 66/08 – Rn. 41 ff, juris).
Hier fehlt es aber bereits an einem fremden Geschäft. Ausschlaggebend für die Frage, ob der Kläger mit der Einholung der Bescheinigung auf dem Formular des Beklagten ein Geschäft des Beklagten besorgt hat, ist, ob der Kläger dazu selbst nach § 60 SGB I verpflichtet war oder ob er nur an der Amtsermittlung des Beklagten nach § 21 Abs. 2 SGB X mitgewirkt hat.
Die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung fällt grundsätzlich unter die Mitwirkungspflichten des Klägers und ist damit ein eigenes Geschäft des Klägers. Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, 1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen, 2. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, und 3. Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. In Betracht kommt hier nur die Nr. 3 in der Variante der Vorlage von Beweisurkunden. Der Kläger erteilt hier nämlich nicht bloße Auskünfte über Tatsachen, sondern legt eine ärztlich ausgestellte Bescheinigung vor. Diese stellt ein Beweismittel dar. Grundsätzlich bezieht sich § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB I nicht nur auf bereits vorhandene Beweismittel, sondern auch auf solche, die erst noch beschafft werden müssen (BSG vom 26. Mai 1983 – 10 RKg 13/82 – Rn. 9, juris; Sichert in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 12/10, § 60 SGB I, Rn. 44; Seewald in: Kassler Kommentar, SGB I, § 60 Rn. 30; a.A.: Lilge in: Lilge, SGB I, 4. Aufl. 2016, § 60, Rn. 42 "nur im Einzelfall"; zweifelnd: LSG Berlin-Brandenburg vom 22. Januar 2014 – L 6 R 926/08 – Rn. 45, juris; in einem vergleichbaren Fall von Amtsermittlung ausgehend: SG Braunschweig vom 13. Januar 2016 – S 17 AS 3111/12 – Rn. 19 ff, juris). Darauf deutet nicht nur der Wortlaut hin, sondern auch die Gesetzesbegründung nennt zu beschaffende Beweismittel ausdrücklich (BT-Drs. 7/868, S. 33).
Die angeforderte Bescheinigung war auch für den Leistungsbezug relevant. Es lag zwar bereits eine Bescheinigung der Erkrankung vor, eine ärztliche Bestätigung der einzuhaltenden Diätform fehlte aber noch.
Für die Vorlage von noch zu beschaffenden Beweismitteln ergeben sich allerdings Grenzen aus § 65 Abs. 1 SGB I. Nach dieser Vorschrift besteht eine Mitwirkungspflicht nicht, soweit 1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder 2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder 3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. In Betracht kommen hier die Nrn. 1 und 3.
Es ist nicht so, dass im Bereich des SGB II die kostenverursachende Beschaffung von Beweismitteln grundsätzlich nicht zulässig ist (so wohl Berlit, Wirtschaftliche Hilfebedürftigkeit im SGB II in der neueren Rechtsprechung, NZS 2009, 537, 538 und Sichert in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 12/10, § 60 SGB I, Rn. 44 für zu beschaffende Kontoauszüge). So lange die grundsätzlich geringere finanzielle Leistungsfähigkeit von Grundsicherungsleistungsempfängern berücksichtigt wird, gibt es keinen Grund dafür, diese generell von Kosten für Mitwirkungspflichten freizustellen. Vielmehr kommt es auch hier auf das konkrete Verhältnis zur angestrebten Sozialleistung an. Angesichts eines je nach Auffassung in Betracht kommenden monatlichen Mehrbedarfes bei Laktoseintoleranz im unteren bis mittleren zweistelligen Bereich ist der Einsatz von 4,64 EUR für Leistungen für sechs Monate nicht als unangemessen zu bezeichnen. Hinzu kommt, dass Kosten für die Antragsteller nach der Vorgabe der Bundesagentur für Arbeit nur dann anfallen, wenn Ärzte für ihre Bescheinigung mehr als in Nr. 70 GOÄ vorgesehen verlangen. Die Bundesagentur für Arbeit konnte also davon ausgehen, dass bei einem pauschalen Ersatz von 5,36 EUR regelmäßig keine weiteren Kosten für die Antragsteller entstehen würden. Es ist nicht unangemessen, den Antragstellern die geringen darüber hinausgehenden Kosten aufzubürden, zumal auch nur diese es in der Hand haben, gegenüber ihrem Arzt die Einhaltung der GOÄ zu verlangen.
Die Voraussetzungen von § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I liegen ebenfalls nicht vor. Der Beklagte hätte zwar die notwendigen Angaben auch durch Einholung eines Befundberichts nach § 21 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i.V.m. § 100 Abs. 1 SGB X erlangen können, doch wäre dafür mindestens derselbe, wenn nicht wegen der Notwendigkeit der vorherigen Anforderung einer Schweigepflichtentbindungserklärung sogar ein höherer Aufwand erforderlich gewesen.
Es kann hier dahinstehen, ob sich aus den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 21 SGB II (Rn. 21.27) ein Anspruch des Klägers ergibt. Aus internen Regelungen kann sich ein Anspruch nur bei Ermessensentscheidungen ergeben, wenn aus diesen eine Selbstbindung der Verwaltung folgt (vgl. BSG vom 7. Juli 2011 B 14 KG 2/09 R – Rn. 11, juris). Dieses Ermessen könnte hier bei der Auswahl des Beklagten, nach Einholung der Zustimmung des Klägers selbst mittels Befundberichten zu ermitteln oder dem Kläger die Einholung der Bescheinigung aufzugeben, auszuüben sein. Jedenfalls aber ginge ein solcher Anspruch, wenn er denn bestehen sollte, nicht über die bereits gewährten 5,36 EUR hinaus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung war nach den §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Frage, ob die Weisung der Bundesagentur für Arbeit zur Begrenzung der übernahmefähigen Aufwendungen und die damit verbundene Vorgehensweise zur Einholung einer ärztlichen Bescheinigung durch das dafür vorgesehene Formular rechtswidrig (so wohl SG Braunschweig vom 13. Januar 2016 – S 17 AS 3111/12 Rn. 19 ff, juris) oder – wie hier vertreten – rechtmäßig ist, grundsätzliche Bedeutung hat.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für ein ärztliches Attest in voller Höhe.
Am 28. Oktober 2013 stellte der Kläger einen Antrag auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II wegen Laktoseintoleranz. Dazu legte er einen Laktose-Intoleranztest des Universitätsklinikums A-Stadt vom 17. September 2010 vor.
Am 1. November 2013 reichte der Kläger ein Formular MEB (Anlage zur Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwändige Ernährung) mit der durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. ausgefüllten Bescheinigung bei dem Beklagten ein, legte eine Quittung über 10 EUR über die Bezahlung der Kosten des Attests vor und beantragte die Übernahme der Kosten für das ärztliche Attest.
Mit Bescheid vom 11. März 2014 erstattete der Beklagte die Kosten in Höhe von 5,36 EUR. Bei der Höhe der Erstattung habe man sich an Nr. 70 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) orientiert und den 2,3fachen Satz zugrunde gelegt.
Den Widerspruch des Klägers vom 8. April 2014 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2014 als unbegründet zurück.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 11. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2014 zu verurteilen, ihm weitere 4,64 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen. Das Gericht hat mit den Beteiligten am 13. Juli 2016 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf das Protokoll wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben, § 124 Abs. 2 SGG.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Zahlung über die bereits geleisteten 5,36 EUR hinaus. Die Ablehnung dieses Anspruchs mit dem Bescheid vom 11. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2014 ist rechtmäßig.
Die Voraussetzungen von § 65a Abs. 1 SGB I liegen nicht vor. Nach dieser Norm kann, wer einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach den §§ 61 oder 62 nachkommt, auf Antrag Ersatz seiner notwendigen Auslagen und seines Verdienstausfalls in angemessenem Umfang erhalten. Bei einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach § 61 sollen Aufwendungen nur in Härtefällen ersetzt werden. Es kann dahinstehen bleiben, ob die Anlage MEB (Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung) des Beklagten ein Verlangen darstellt, jedenfalls beschränkt sich dieses Verlangen auf die ärztliche Beantwortung von Fragen in Form einer Bescheinigung und setzt weder zwingend ein persönliches Erscheinen (§ 61 SGB I) noch eine ärztliche Untersuchungsmaßnahme (§ 62 SGB I) voraus. Der Beklagte hat nicht, wie es für § 62 SGB I erforderlich wäre, die Durchführung einer Untersuchung bei einem bestimmten Arzt zur Klärung einer bestimmten Fragestellung verlangt, sondern begnügt sich mit der Beantwortung von Fragen durch einen durch den Kläger bestimmten Arzt, ohne dass es dem Beklagten darauf ankommt, ob zur Beantwortung der Fragen eine Untersuchung durchgeführt wird oder nicht.
Eine analoge Anwendung von § 65a SGB I wird zu Recht einhellig abgelehnt (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Mai 2010 – L 11 AS 291/10 NZB –, Rn. 10, juris; LSG Berlin-Brandenburg vom 19. September 2007 – L 15 B 192/07 SO PKH – Rn. 4, juris; Sichert in: Hauck/Noftz, SGB, 11/15, § 65a SGB I, Rn. 3). Eine unbewusste Regelungslücke ist angesichts des eindeutigen Wortlauts und des Willens des Gesetzesgebers (BT-Drs. 8/2034, S. 42 f) nicht erkennbar.
Aus § 64 Abs. 1 S. 1 SGB X folgt ebenfalls kein Anspruch des Klägers. Er regelt allein die Kostenfreiheit des Verfahrens vor den Behörden nach diesem Gesetzbuch. Hier macht aber nicht der Beklagte Kosten bei dem Kläger geltend. Zu der Übernahme von Kosten der Antragsteller im Antragsverfahren verhält sich diese Norm nicht. Auch § 64 Abs. 2 S. 1 SGB X betrifft die vorliegende Konstellation nicht.
Weitere Regelungen zum Ersatz von Aufwendungen eines Antragstellers im Rahmen der Amtsermittlungspflicht gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 SGB X i.V.m. § 60 Abs. 1 SGB I enthält das Gesetz nicht. Aus der Existenz des § 65a SGB I ergibt sich vielmehr im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber jedenfalls bei den Mitwirkungspflichten des § 60 SGB I pauschalierend davon ausgegangen ist, dass diese keine unzumutbaren Aufwendungen verursachen, und er deshalb keinen Aufwendungsersatz angeordnet hat (vgl. Kampe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 65a SGB I, Rn. 13).
Der geltend gemachte Aufwendungsersatz ist auch nicht nach den Grundsätzen der Vorschriften über den Auftrag oder eine Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 677 ff BGB begründet. Diese sind im öffentlichen Recht entsprechend anzuwenden (BSG vom 12. Januar 2010 – B 2 U 28/08 R – Rn. 24, juris mit weiteren Nachweisen). Gemäß § 677 BGB kann, wer ein Geschäft für einen anderen besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein, wie ein Beauftragter (§ 670 BGB) Ersatz seiner Aufwendungen verlangen.
Ein Auftrag lag hier nicht vor. Zum einen lässt sich aus der Verwaltungsakte nicht entnehmen, ob der Kläger auf die Verwendung des Formulars hingewiesen wurde oder ob er dieses von sich aus genutzt hat, zum anderen stellen behördliche Anordnungen an Privatpersonen ohnehin keine Aufträge im Sinne von § 670 BGB dar (Martinek in: Staudinger, BGB, § 662, Rn. 50; Jauernig, BGB, 16. Auflage 2015, § 670, Rn. 6).
Es ist grundsätzlich anerkannt, dass Aufwendungen der Beteiligten im Rahmen der Amtsermittlung nach § 21 Abs. 2 SGB X ein Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag sein können (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt vom 18. April 2013 – L 5 AS 66/08 – Rn. 41 ff, juris).
Hier fehlt es aber bereits an einem fremden Geschäft. Ausschlaggebend für die Frage, ob der Kläger mit der Einholung der Bescheinigung auf dem Formular des Beklagten ein Geschäft des Beklagten besorgt hat, ist, ob der Kläger dazu selbst nach § 60 SGB I verpflichtet war oder ob er nur an der Amtsermittlung des Beklagten nach § 21 Abs. 2 SGB X mitgewirkt hat.
Die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung fällt grundsätzlich unter die Mitwirkungspflichten des Klägers und ist damit ein eigenes Geschäft des Klägers. Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, 1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen, 2. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, und 3. Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. In Betracht kommt hier nur die Nr. 3 in der Variante der Vorlage von Beweisurkunden. Der Kläger erteilt hier nämlich nicht bloße Auskünfte über Tatsachen, sondern legt eine ärztlich ausgestellte Bescheinigung vor. Diese stellt ein Beweismittel dar. Grundsätzlich bezieht sich § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB I nicht nur auf bereits vorhandene Beweismittel, sondern auch auf solche, die erst noch beschafft werden müssen (BSG vom 26. Mai 1983 – 10 RKg 13/82 – Rn. 9, juris; Sichert in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 12/10, § 60 SGB I, Rn. 44; Seewald in: Kassler Kommentar, SGB I, § 60 Rn. 30; a.A.: Lilge in: Lilge, SGB I, 4. Aufl. 2016, § 60, Rn. 42 "nur im Einzelfall"; zweifelnd: LSG Berlin-Brandenburg vom 22. Januar 2014 – L 6 R 926/08 – Rn. 45, juris; in einem vergleichbaren Fall von Amtsermittlung ausgehend: SG Braunschweig vom 13. Januar 2016 – S 17 AS 3111/12 – Rn. 19 ff, juris). Darauf deutet nicht nur der Wortlaut hin, sondern auch die Gesetzesbegründung nennt zu beschaffende Beweismittel ausdrücklich (BT-Drs. 7/868, S. 33).
Die angeforderte Bescheinigung war auch für den Leistungsbezug relevant. Es lag zwar bereits eine Bescheinigung der Erkrankung vor, eine ärztliche Bestätigung der einzuhaltenden Diätform fehlte aber noch.
Für die Vorlage von noch zu beschaffenden Beweismitteln ergeben sich allerdings Grenzen aus § 65 Abs. 1 SGB I. Nach dieser Vorschrift besteht eine Mitwirkungspflicht nicht, soweit 1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder 2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder 3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. In Betracht kommen hier die Nrn. 1 und 3.
Es ist nicht so, dass im Bereich des SGB II die kostenverursachende Beschaffung von Beweismitteln grundsätzlich nicht zulässig ist (so wohl Berlit, Wirtschaftliche Hilfebedürftigkeit im SGB II in der neueren Rechtsprechung, NZS 2009, 537, 538 und Sichert in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 12/10, § 60 SGB I, Rn. 44 für zu beschaffende Kontoauszüge). So lange die grundsätzlich geringere finanzielle Leistungsfähigkeit von Grundsicherungsleistungsempfängern berücksichtigt wird, gibt es keinen Grund dafür, diese generell von Kosten für Mitwirkungspflichten freizustellen. Vielmehr kommt es auch hier auf das konkrete Verhältnis zur angestrebten Sozialleistung an. Angesichts eines je nach Auffassung in Betracht kommenden monatlichen Mehrbedarfes bei Laktoseintoleranz im unteren bis mittleren zweistelligen Bereich ist der Einsatz von 4,64 EUR für Leistungen für sechs Monate nicht als unangemessen zu bezeichnen. Hinzu kommt, dass Kosten für die Antragsteller nach der Vorgabe der Bundesagentur für Arbeit nur dann anfallen, wenn Ärzte für ihre Bescheinigung mehr als in Nr. 70 GOÄ vorgesehen verlangen. Die Bundesagentur für Arbeit konnte also davon ausgehen, dass bei einem pauschalen Ersatz von 5,36 EUR regelmäßig keine weiteren Kosten für die Antragsteller entstehen würden. Es ist nicht unangemessen, den Antragstellern die geringen darüber hinausgehenden Kosten aufzubürden, zumal auch nur diese es in der Hand haben, gegenüber ihrem Arzt die Einhaltung der GOÄ zu verlangen.
Die Voraussetzungen von § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I liegen ebenfalls nicht vor. Der Beklagte hätte zwar die notwendigen Angaben auch durch Einholung eines Befundberichts nach § 21 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i.V.m. § 100 Abs. 1 SGB X erlangen können, doch wäre dafür mindestens derselbe, wenn nicht wegen der Notwendigkeit der vorherigen Anforderung einer Schweigepflichtentbindungserklärung sogar ein höherer Aufwand erforderlich gewesen.
Es kann hier dahinstehen, ob sich aus den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 21 SGB II (Rn. 21.27) ein Anspruch des Klägers ergibt. Aus internen Regelungen kann sich ein Anspruch nur bei Ermessensentscheidungen ergeben, wenn aus diesen eine Selbstbindung der Verwaltung folgt (vgl. BSG vom 7. Juli 2011 B 14 KG 2/09 R – Rn. 11, juris). Dieses Ermessen könnte hier bei der Auswahl des Beklagten, nach Einholung der Zustimmung des Klägers selbst mittels Befundberichten zu ermitteln oder dem Kläger die Einholung der Bescheinigung aufzugeben, auszuüben sein. Jedenfalls aber ginge ein solcher Anspruch, wenn er denn bestehen sollte, nicht über die bereits gewährten 5,36 EUR hinaus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung war nach den §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Frage, ob die Weisung der Bundesagentur für Arbeit zur Begrenzung der übernahmefähigen Aufwendungen und die damit verbundene Vorgehensweise zur Einholung einer ärztlichen Bescheinigung durch das dafür vorgesehene Formular rechtswidrig (so wohl SG Braunschweig vom 13. Januar 2016 – S 17 AS 3111/12 Rn. 19 ff, juris) oder – wie hier vertreten – rechtmäßig ist, grundsätzliche Bedeutung hat.
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