L 7 AY 730/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AY 4247/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 730/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Ansprüche der Klägerin auf höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), insbesondere auf Analogleistungen im Rahmen eines Verfahrens zur Überprüfung bestandskräftiger Verwaltungsakte für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2007.

Die 1982 in P. (K.) geborene ledige Klägerin, s. Staatsangehörigkeit, reiste im März 2001 in die Bundesrepublik Deutschland ein, nachdem ihre Eltern und ihre damals vier jüngeren Geschwister bereits im Juni 1999 in das Bundesgebiet gelangt waren. In der streitbefangenen Zeit war der Aufenthalt der Klägerin zunächst nur geduldet (§ 60a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)); im Oktober 2007 wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt.

Nach ihrer Einreise lebte die Klägerin zusammen mit ihren Eltern und ihren Geschwistern in verschiedenen Wohnheimen in F., und zwar zunächst im Staatlichen Übergangswohnheim in den H. (monatliche Gebühr für die Unterbringung ab Januar 2005 140,00 Euro, ab Oktober 2005 71,87 Euro), ab Juni 2006 im Wohnheim I. S. (monatliche Gebühr ab Juni 2006 103,13 Euro, ab Februar 2007 106,25 Euro); zum 1. Januar 2011 erfolgte ein Umzug in die K. Vom 2. April bis 18. Mai 2007 war die Klägerin bei der Fa. B. B. S. G. G. als Reinigungskraft geringfügig beschäftigt (Nettoverdienst im April 2007 199,75 Euro, im Mai 2007 178,94 Euro); vom 22. Mai bis Juli 2007 bestand außerdem eine Beschäftigung bei der Fa. G. e.K. Dienstleistungen (Nettoverdienst im Mai 2007 209,10 Euro, im Juni 2007 399,41 Euro, im Juli 2007 199,35 Euro).

Von der Beklagten bezog die Klägerin ab 26. März 2001 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (einschließlich einmaliger Beihilfen und Krankenhilfe), und zwar zuletzt vom 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2007 (u.a. Bescheide vom 21. März 2005, 12. Oktober 2005, 13. Juni 2006, 26. Februar 2007 und 26. Juni 2007), wobei das im Jahr 2007 zeitweise erzielte Arbeitsentgelt zur Anrechnung kam. Auf Grund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin stellte die Beklagte die Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 24. Oktober 2007 ab dem 1. November 2007 ein. Nachfolgend erzielte die Klägerin bis 16. Dezember 2008 eigenes Erwerbseinkommen. Ab 17. Dezember 2008 bezog sie zeitweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 23. Oktober 2009 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Überprüfung früherer Leistungsbewilligungen nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), weil § 2 AsylbLG nicht richtig angewendet worden sei; zugleich beantragte sie die Auskehrung der gesetzlichen Zinsen gemäß § 44 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I). Eine Nachfrage bei der Ausländerbehörde ergab, dass die Klägerin ihre Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst habe (dortige Auskünfte vom 6. September 2010 und 22. März 2011). Mit Bescheid vom 7. April 2011 lehnte die Beklagte den Antrag nach § 44 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 SGB X auf Rücknahme der im Leistungszeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2007 ergangenen Bescheide sowie die rückwirkende Leistungserbringung im genannten Zeitraum ab, weil es an der erforderlichen Bedarfslage fehle; die Klägerin habe ihren Lebensunterhalt in der Zeit vom 1. November 2007 bis 16. Dezember 2008 aus eigenem Einkommen bestreiten können. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2011 (dem klägerischen Prozessbevollmächtigten zugegangen am 5. Juli 2011) zurückgewiesen.

Deswegen hat die Klägerin am 5. August 2011 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgebracht, das Bundessozialgericht (BSG) habe in seiner Entscheidung vom 29. September 2009 (B 8 SO 16/08 R) in eindeutiger Weise dazu Stellung genommen, dass es sich beim Regelsatz insgesamt um eine pauschalierte Leistung handele, die nicht an der "Existenzschwäche" des Sozialhilfeanspruchs teilnehme. Es sei schlechthin unbillig, wenn die Sozialhilfeträger wegen zwischenzeitlichen Bedarfswegfalls die Zahlung zu Unrecht vorenthaltener Leistungen verweigern dürften; dem stehe das Gebot der materiellen Gerechtigkeit entgegen, das seine Umsetzung insbesondere in der Vorschrift des § 44 SGB X gefunden habe. Ein Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" könne keine "parallel-gesetzliche bzw. übergesetzliche Bedeutung" haben. Es bedeute zudem einen eklatanten Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) und den dortigen Justizgewährleistungsanspruch, wenn die Verwaltung und die Gerichte "in eigener Interpretationsmacht" darüber bestimmen könnten, "wem und in welcher Leistungsart" die Anwendung des § 44 SGB X erlaubt sein solle. In seiner Entscheidung vom 9. Februar 2010 zu den für verfassungswidrig erkannten sozialhilferechtlichen Regelsätzen habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zwar entschieden, dass der Gesetzgeber von einer rückwirkenden Neuregelung habe absehen können, weil eine evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht feststellbar sei. Die im Rahmen des Asylkompromisses festgelegten Sätze des AsylbLG seien jedoch - bei schon im Jahr 1993 erfolgter willkürlicher Kürzung um 20 % der sozialhilferechtlichen Regelsätze und der seither unterbliebenen Anpassungen - evident unzureichend zur Sicherung des Existenzminimums. Die Kritik an der Höhe der Leistungssätze im AsylbLG sei mittlerweile durch das BVerfG in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2012 bestätigt worden. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Gerichtsbescheid vom 7. Januar 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar könne auch im Asylbewerberleistungsrecht über § 44 SGB X eine nachträgliche Korrektur rechtswidriger Leistungsbewilligungen erfolgen. Ein Anspruch hierauf bestehe nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung indessen nur, wenn die Bedürftigkeit fortbestehe, also nicht temporär oder auf Dauer entfallen sei. Die Klägerin sei jedoch in der Zeit von November 2007 bis mindestens November 2008 nicht hilfebedürftig im Sinne des AsylbLG, des SGB II oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) gewesen.

Gegen diesen ihrem Bevollmächtigten am 20. Januar 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 19. Februar 2015 beim SG eingegangene Berufung der Klägerin. Sie ist bei ihrer Argumentation verblieben; die einschlägige Vorschrift des § 44 SGB X sehe "Besonderheiten des jeweiligen Leistungsrechts" nicht vor. Nach wie vor sei sie der Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG und des Senats mit dem positiven und gesetzten Recht nicht übereinstimme. Zwischen Widerspruchsverfahren und einem Anspruch nach § 44 SGB X werde nach dieser Rechtsprechung nicht sachgerecht unterschieden. Die Anwendung des überholten Aktualitätsgrundsatzes verstoße gegen Art. 1, 19 Abs. 4 sowie den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Ergänzend hat die Klägerin in der Berufungsbegründungsschrift vom 15. Juni 2015 noch vorgebracht, sie habe im Zeitraum vom 1. November 2007 bis 16. Dezember 2008 ihren Lebensunterhalt aus eigenem Erwerbseinkommen bestritten, um im Anschluss daran Arbeitslosengeld II zu beziehen. Sie könne im Übrigen nunmehr wieder selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Januar 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2011 zu verurteilen, ihr unter teilweiser Rücknahme entgegenstehender früherer Verwaltungsakte für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2007 höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu zahlen und den Nachzahlungsbetrag gemäß § 44 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch zu verzinsen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend und hat insoweit auf die Rechtsprechung des BSG und des Senats verwiesen.

Der Senat hat die Klägerin mit Verfügung vom 2. März 2015 auf die Rechtsprechung des BSG hingewiesen sowie ferner mit Verfügung vom 26. Juni 2015 aufgefordert, Nachweise zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen, beginnend ab dem 1. Januar 2005 bis heute, einzureichen; dem ist die Klägerin nicht nachgekommen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bde.), die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsbeschränkungen des § 144 Abs. 1 SGG nicht eingreifen. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin vermag mit ihrem zulässigerweise im Wege der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 3 (Rdnr. 10)) verfolgten Begehren auf höhere Leistungen unter teilweiser Rücknahme bindend gewordener Verwaltungsakte in der streitbefangenen Zeit nicht durchzudringen.

Gegenstand des Verfahrens (§ 95 SGG) ist der Bescheid vom 7. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2011, mit dem die Beklagte die (teilweise) Rücknahme bestandskräftiger Bewilligungsentscheidungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2007 abgelehnt hat.

Die Beklagte ist richtige Klagegegnerin. Sie war für die Entscheidung über den Überprüfungsantrag der Klägerin nach § 44 Abs. 3 SGB X i.V.m. §§ 10, 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG (i.d.F. des Gesetzes vom 5. August 1997 - (BGBl. I S. 1130)), § 1 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes - FlüAG - (i.d.F. des Gesetzes vom 11. März 2004 (GBl. S. 99)), § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 4 FlüAG sowie § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Landesverwaltungsgesetzes Baden-Württemberg -LVG - (i.d.F. des Gesetzes vom 14. Oktober 2008 (GBl. S. 313); bis 31. Dezember 2008: § 13 Abs. 1 Nr. 2 LVG i.d.F. des Gesetzes vom 3. Februar 2005 (GBl. S. 159)) örtlich und sachlich zuständig. Zwar endete mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin (§ 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.d.F. des Gesetzes vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970)) die Zuständigkeit der Beklagten im Sinne des § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG (vgl. dazu Scheider in GK-AsylbLG, § 10a Rdnr. 31 (Stand: April 2014)), weil jene ab dem genannten Datum nicht mehr Leistungsberechtigte im Sinne des § 1 Abs. 1 AsylbLG (i.d.F. der Gesetze vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), vom 14. März 2005 (BGBl. I S. 721) und vom 19. August 2007; vgl. dazu BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 10 (jeweils Rdnr. 27); Senatsurteil vom 18. Juli 2013 - L 7 AY 1259/11 - (juris)) war und sich mangels landesrechtlicher Regelungen aus § 70 SGB II kein Leistungsausschluss ergeben hatte (vgl. hierzu Hohm in GK-AsylbLG § 1 Rdnrn. 65 f. (Stand: Juli 2015); Schmidt in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 70 Rdnrn. 1, 3). Das ändert jedoch nichts an der Zuständigkeit der Beklagten zur Entscheidung über den gestellten Überprüfungsantrag, denn dies richtet sich nach allgemeinen Regeln (vgl. hierzu BSG SozR 4-1300 § 44 Nr. 5 (Rdnr. 10); Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage, § 44 Rdnr. 37; Senatsurteil vom 23. April 2015 - L 7 AY 2403/12 -). Die Beklagte, die für die Leistungserbringung nach dem AsylbLG an die Klägerin in der streitbefangenen Zeit örtlich und sachlich zuständig war, ist dies mithin auch für den nach § 44 SGB X gestellten Antrag geblieben.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind im Ergebnis nicht zu beanstanden; die Klägerin hat für die streitbefangene Zeit keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG, die sie im Zugunstenverfahren in erster Linie über § 2 AsylbLG erstrebt. In der umstrittenen Zeit unterfiel die Klägerin zwar als nach § 60a AufenthG geduldete Ausländerin dem AsylbLG (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 4 a.a.O.). Dennoch kommt eine teilweise Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Bewilligungsentscheidungen über die Bestimmung des § 44 SGB X, die gemäß § 9 Abs. 3 AsylblG auch im Asylbewerberleistungsrecht Anwendung findet (ständige Rechtsprechung seit BSG SozR 4-3520 § 9 Nr. 1), vorliegend nicht in Betracht. Zwar ist die den § 44 Abs. 4 SGB X modifizierende Regelung in § 9 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG (i.d.F. des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722)) ebenso wenig heranziehbar wie § 116a SGB XII (in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453)), weil die Klägerin ihren Überprüfungsantrag bereits am 23. Oktober 2009 gestellt hat (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2013 - B 7 AY 3/12 R - (juris Rdnr. 15); ferner BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 8 SO 24/14 R - (juris)). Indessen sind in jedem Fall die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG für den Bereich des Asylbewerberleistungsrechts aufgestellten Kriterien für die Rücknahme bestandskräftiger Verwaltungsakte nach § 44 SGB X, denen der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt (vgl. nur Senatsurteil vom 21. Juli 2011 - L 7 AY 879/11 - (juris)), nicht erfüllt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG SozR 4-1300 § 44 Nr. 22; SozR 4-3520 § 3 Nr. 3; BSG, Urteil vom 26. Juni 2013 - B 7 AY 3/12 R - (juris); für den Bereich des Sozialhilferechts nach dem SGB XII ferner BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr. 20; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 a.a.O.) ist für einen Anspruch auf rückwirkende Erbringung von Leistungen nach dem AsylbLG im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens allein die Rechtswidrigkeit bestandskräftig gewordener Leistungsbewilligungen (oder Leistungsablehnungen) nicht ausreichend. Vielmehr ist unter Beachtung des § 44 Abs. 4 SGB X ("nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs", hier zu lesen: das AsylbLG) den Besonderheiten des jeweiligen Leistungsrechts Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, dass die Leistungen nach dem AsylbLG ebenso wie die Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dienen und deshalb für zurückliegende Zeiten lediglich dann zu erbringen sind, wenn die Leistungen ihren Zweck noch erfüllen können. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Bedürftigkeit fortbesteht, also nicht temporär oder auf Dauer entfallen ist, wobei - bei zu erbringenden Monatsleistungen (wie nach dem SGB II, dem SGB XII oder dem AsylbLG) - ein Entfallen für einen Monat genügt. An dieser Rechtsprechung hat das BSG auch in den auf die Senatsurteile vom 27. Februar, 30. April und 6. November 2014 sowie 26. Februar und 23. April 2015 ergangenen Nichtzulassungsbeschwerdeentscheidungen festgehalten (vgl. etwa die die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in den Senatsurteilen vom 27. Februar 2014 - L 7 AY 3418/12 -, vom 6. November 2014 - L 7 AY 3517/12 - und vom 23. April 2015 - L 7 AY 2403/12 - als unzulässig verwerfenden Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - B 7 AY 5/14 B -, 23. März 2015 - B 7 AY 17/14 B - und 27. Oktober 2015 - B 7 AY 3/15 B -).

Das vorstehend aufgezeigte Normverständnis des BSG ist im Übrigen vom BVerfG nicht beanstandet worden (vgl. Nichtannahmebeschluss vom 7. Februar 2012 - 1 BvR 1263/11 - (juris)). Auch sonst sind Verfassungsverstöße nicht zu besorgen; insbesondere ist Art. 19 Abs. 4 GG nicht verletzt (vgl. nur BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 3 (Rdnrn. 15)). Ebenso wenig kann der ergänzend vorgetragenen Auffassung der Klägerin, eine rückwirkende Korrektur müsse jedenfalls auf Grund der verfassungswidrig zu niedrig bestimmten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erfolgen, nicht gefolgt werden. Insbesondere kann dies nicht aus dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 (BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2) abgeleitet werden; auch darauf hat das BSG bereits hingewiesen (vgl. BSG a.a.O. (Rdnr. 16)). Im genannten Urteil hat das BVerfG sogar ausdrücklich eine Rückwirkung der von ihm selbst geschaffenen Übergangsregelung für höhere Geldleistungen in Form von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG auf Leistungszeiträume ab dem 1. Januar 2011 begrenzt; die von der Klägerin begehrte Leistung betrifft jedoch ausschließlich den davor liegenden Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2007. Zudem hat das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass eine Anwendung des § 44 SGB X in Bezug auf die Unvereinbarkeit der gesetzlichen Vorschriften über die Höhe der Grundleistungen mit dem GG bis Ende Juli 2012 ausgeschlossen und damit verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Die von der Klägerin vorrangig geltend gemachten Analogleistungen, die nach den Vorschriften des SGB XII erbracht werden und regelmäßig höher sind als die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, werden von der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 ohnehin nicht berührt.

Vorliegend lässt sich eine durchgehende Bedürftigkeit der Klägerin, die im Übrigen die objektive Beweislast für diese Tatsache trägt (vgl. etwa BSG SozR 4-4200 § 9 Nr. 6 (Rdnr. 19)), was erst Recht im Verfahren nach § 44 SGB X gilt (vgl. hierzu BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44), nicht feststellen. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat selbst eingeräumt, dass sie vom 1. November 2007 bis 16. Dezember 2008 ihren Lebensunterhalt aus eigenem Erwerbseinkommen bestreiten konnte und dies - nach dem zeitweiligen Bezug von Leistungen nach dem SGB II (ab dem 17. Dezember 2008) - auch in der Folgezeit der Fall war (vgl. die Berufungsbegründungsschrift vom 15. Juni 2015). Nachweise über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse hat die Klägerin auf die Senatsverfügungen vom 2. März und 26. Juni 2015 nicht vorgelegt. Der Senat vermochte sich nach allem nicht davon zu überzeugen, dass die Klägerin jedenfalls seit November 2007 durchgehend bedürftig war.

Sonach sind von Seiten der Beklagten Leistungen rückwirkend nicht zu erbringen; damit besteht kein Anspruch auf teilweise Rücknahme bestandskräftig gewordener Verwaltungsakte nach § 44 Abs. 1 SGB X (vgl. BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr. 20 a.a.O. (jeweils Rdnr. 22)), und zwar selbst dann nicht, wenn diese - wie von der Klägerin behauptet - jedenfalls teilweise rechtswidrig gewesen sein sollten.

Mangels Vorliegens eines Nachzahlungsanspruchs bedarf es keines weiteren Eingehens auf den auf § 44 SGB I gestützten Zinsanspruch (vgl. hierzu im Übrigen BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 2/12 R - (juris Rdnr. 31)).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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