L 10 AL 293/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 407/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 293/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29.10.2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1972 geborene Kläger hat nach eigenen Angaben eine Ausbildung als Karosseriebaufacharbeiter begonnen, aber nicht abgeschlossen. Im Anschluss daran sei er von 1991 bis 2002 als mithelfendes Familienmitglied im väterlichen Betrieb tätig gewesen. Dort seien Kfz-Reparaturen, Reifenservice, Autoverwertung, Abschleppdienst/Pannen-hilfe, Motorsportbetrieb/Motorenbau, Prototypenbau, Aufbauhersteller, Anhängerbau und die Fahrzeugsicherstellung für die Stadt B. Gegenstand der Tätigkeiten gewesen. Zwischen 2002 und 2003 sei er in der Schlosserei für Schlüssel und Schlösser in der Justizvollzugsanstalt (JVA) T. eingesetzt gewesen und habe im Anschluss daran 2003 noch eine hausmeisterliche Anstellung im Museums-U-Boot P. und am Flughafen P. gehabt. Neben dem Service habe er Kleinflugzeuge repariert. Von 2004 bis 2006 habe er selbständig einen Kfz-Handel und Service, Motorsport-Catering und die Vermietung von Kfz betrieben. Danach sei er bis 2009 mit der Firma R. selbständig gewesen. Schwerpunkte seien die Kfz-Reparatur, Reifenservice, Aufbereitung und Hausmeisterservice gewesen. Während der Inhaftierung in der JVA T. von 2009 bis 2011 sei er mit der Herstellung von Schweißkonstruktionen beschäftigt gewesen. 2012 sei er bei einer Autoverwertung angestellt sowie für eine Personalfirma im Bereich Reifenmonteur und Kfz-Kleinreparaturen tätig gewesen. Von Ende 2012 bis Mitte 2013 sei er Versandmitarbeiter bei A. gewesen und habe Ende 2013 bei einem Reifen-Service gearbeitet und Kfz-Reparaturen durchgeführt. Ab 2014 habe er aufgrund von gesundheitlichen Problemen keine Anstellung gehabt, dennoch habe er aber Kleinstaufträge im Kfz-Bereich ausgeführt.

Aufgrund seiner Arbeitslosmeldung und dem Antrag auf Alg am 02.12.2011 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 15.12.2011 zunächst vorläufig Alg ab 02.12.2011 in Höhe von 21,85 EUR für 360 Tage. Das Bemessungsentgelt in Höhe von 51,10 EUR berechnete sie dabei nach einem fiktiven Arbeitsentgelt, da in den letzten zwei Jahren vor dem 02.12.2011 ein Anspruch auf Arbeitsentgelt nur an weniger als 150 Tagen bestanden habe. Der Kläger verfüge über keine abgeschlossene Ausbildung, so dass das Alg anhand der Qualifikationsgruppe 4 berechnet worden sei. Mit Bescheid vom 28.08.2012 bewilligte die Beklagte sodann endgültig Alg in Höhe von 21,85 EUR täglich für die Zeit vom 02.12.2011 bis 31.12.2011. Nachdem der Kläger zwischenzeitlich - nach eigenen Angaben - auf 400,00-Euro-Basis bei der Autoverwertung B. und vom 25.10.2012 bis 19.11.2012 bei der Firma ARD F. GmbH (versicherungspflichtig) beschäftigt war, wurde ihm im Anschluss für die Zeit vom 20.11.2012 bis 19.10.2013 erneut Alg in Höhe von 21,85 EUR täglich bewilligt (Bewilligungsbescheid vom 11.12.2012 und Aufhebungsbescheid vom 02.01.2013). Nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung vom 19.12.2012 bis 30.06.2013 bei der Firma A. FC G. GmbH erhielt der Kläger wiederum vom 01.07.2013 bis 30.09.2013 Alg in Höhe von 21,85 EUR täglich (Bewilligungsbescheid vom 09.08.2013 und Aufhebungsbescheid vom 01.10.2013). Vom 01.10.2013 bis 31.12.2013 war der Kläger versicherungspflichtig bei der Firma R. W. beschäftigt. Die Beklagte bewilligte im Anschluss daran ab 01.01.2014 bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 01.08.2014 Alg in Höhe von 21,85 EUR (Bewilligungsbescheid vom 22.01.2014 - der wohl mit Bescheid vom 13.02.2014 nur in Bezug auf die darin enthaltene Aufrechnung wieder aufgehoben worden ist - und Bewilligungsbescheid vom 13.02.2014).

Mit Schreiben vom 12.06.2014 beantragte der Kläger unter anderem die Überprüfung der Bewilligung des Alg. Dieses sei von Anfang an zu niedrig bemessen gewesen. Ausgehend von einem Bruttolohn eines Schlossers müsse das Alg 1.111,80 EUR monatlich betragen. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 08.07.2014 ab. Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, es seien auch Mehrkosten für seine Laktoseintoleranz in Höhe von 119,00 EUR monatlich nicht berücksichtigt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Bemessung des Alg habe nach Qualifikationsgruppe 4 erfolgen müssen, da der Kläger keine abgeschlossene Ausbildung habe. Die Vermittlungsbemühungen würden sich auf Tätigkeiten als "Helfer Lagerwirtschaft, Transport" erstrecken. Besondere Aufwendungen wegen der Laktoseintoleranz könnten im Rahmen von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht berücksichtigt werden.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Für die Bemessung seines Alg sei der Bruttolohn eines Schlossers von 3.011,00 EUR zugrunde zu legen. Aufgrund seiner Berufserfahrungen sei ihm die Facharbeiterqualifikation zuzuerkennen. Mit Urteil vom 29.10.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei weder von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen habe, noch habe sie das Recht unrichtig abgewandt. Dem Grunde nach habe sie einen Anspruch auf Alg ab 02.12.2011 zuerkannt und dabei auch die Höhe zutreffend ermittelt. Im zweijährigen Bemessungszeitraum vom 30.11.2009 bis 01.12.2011 habe dem Kläger kein Anspruch auf Arbeitsentgelt von mindestens 150 Tagen zugestanden. Damit sei als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Dieses richte sich nach der Qualifikationsgruppe 4, die der beruflichen Qualifikation des Klägers entspreche, die für die Beschäftigung erforderlich sei, auf die die Beklagte die Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken habe. Nach einer vorzunehmenden Prognose seien dies Tätigkeiten, die der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen seien. Es handele sich dabei um Beschäftigungen, die keine Ausbildung erfordern würden. Der Kläger habe keine abgeschlossene Ausbildung. Auch das individuelle Leistungsprofil des Klägers und dessen Erwerbsbiographie rechtfertigten jedenfalls keine Einstufung in Qualifikationsgruppe 3. Während seiner Haftzeit habe er keinen Berufsabschluss erworben, wenngleich er in der Schlosserei tätig gewesen sei. Im Übrigen lasse sich auch aus den nach dem 02.12.2012 ausgeübten Tätigkeiten nichts anderes herleiten. Für diese sei ein förmlicher Berufsabschluss nicht erforderlich gewesen, da der Kläger unter anderem als Montagehelfer, Versandmitarbeiter und Reifenmonteur beschäftigt gewesen sei. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Bezugsgröße ergebe sich damit ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 51,10 EUR. Es stehe mit der Verfassung in Einklang, wenn der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung eine fiktive Bemessung anhand pauschalierender Regelungen mit einem an die Bezugsgröße der Sozialversicherung gekoppelten Entgelt ohne Rücksicht auf eventuell vor dem Bemessungsrahmen liegende Arbeitsentgelte abstelle.

Der Kläger hat dagegen Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Richterin am SG sei befangen gewesen und habe ignoriert, dass sich die Beklagte ständig zu seinen Ungunsten verrechnet habe. Er sei nach "ALG I Ost" berechnet worden, obwohl er in A-Stadt lebe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29.10.2015 und den Bescheid vom 08.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2014 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger unter Abänderung der Bescheide vom 28.08.2012, 20.11.2012, 09.08.2013, 22.01.2014 und 13.02.2014 Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung der Qualifikationsgruppe 3 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Entgegen der Darlegungen des Klägers sei die Berechnung des Alg nach einem täglichen Arbeitsentgelt West in Höhe von 51,10 EUR erfolgt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann die Berufung vorliegend nach erfolgter Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückweisen, da kein Fall des § 105 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorliegt und er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGG).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 08.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte zur Abänderung ihrer Bescheide vom 28.08.2012, 18.12.2012, 09.08.2013, 22.01.2014 und 13.02.2014 verpflichtet wird. Ihm steht kein höherer Anspruch auf Alg zu, als ihn die Beklagte mit 21,85 EUR täglich bemessen hat.

Das SG hat ausführlich und zutreffend erläutert, dass für die Bemessung des Alg für den Kläger auf ein tägliches Bemessungsentgelt von 51,10 EUR abzustellen ist. Insofern ist es insbesondere zutreffend, dass die Bemessung nach der Qualifikationsgruppe 4 gemäß § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB III a.F. bzw. § 152 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB III n. F. zu erfolgen hat. Der Senat sieht insofern von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgt den Ausführungen des SG (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auszuführen, dass das Alg richtig berechnet worden ist. Für das ab dem 02.12.2011 zu zahlende Alg erfolgte die fiktive Bemessung nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III a.F. bzw. § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III n.F. unter Zugrundelegung eines Arbeitsentgelts in Höhe von 1/600 der Bezugsgröße. Die Bezugsgröße im Sinne des § 18 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) betrug im Jahr 2011 jährlich 30.660,00 EUR (vgl. § 2 Abs. 1 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2011 vom 03.12.2010 - BGBl. I 1761). 1/600 hiervon ergibt das Bemessungsentgelt von 51,10 EUR. Hierbei erfolgte keine Berechnung des Alg unter Zugrundelegung der Bezugsgröße (Ost) im Sinne des § 18 Abs. 2 SGB IV, da die entsprechende Bezugsgröße 2011 jährlich nur 26.880,00 EUR betragen und sich demzufolge lediglich ein Bemessungsentgelt von 44,80 EUR ergeben hätte. Für das Leistungsentgelt nach § 133 Abs. 1 SGB III a.F. bzw. § 153 Abs. 1 SGB III n.F. ist vom Bemessungsentgelt die Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 % des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag in Abzug zu bringen. Dies hat die Beklagte unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse I und der Lohnsteuertabelle für das Jahr 2011 berücksichtigt und insofern zutreffend ein tägliches Leistungsentgelt in Höhe von 36,42 EUR ermittelt. Da der Kläger kinderlos ist, beträgt das Alg nach § 129 Nr. 2 SGB III a.F. bzw. § 149 Nr. 2 SGB III n.F. 60 % des Leistungsentgelts, so dass der tägliche Zahlbetrag in Höhe von 21,85 EUR von der Beklagten zutreffend ermittelt wurde. Da ein individueller Bedarf - anders als ggf. bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) - im Hinblick auf einen Mehrbedarf wegen einer Laktoseintoleranz für die Leistungsbemessung des Alg unerheblich ist, ergibt sich diesbezüglich kein höherer Leistungsbetrag.

Auch für die nach dem Bescheid vom 28.08.2012 erfolgten weiteren Bewilligungsentscheidungen war dieser Leistungssatz maßgeblich. Der Kläger hat durch die versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse vom 25.10.2012 bis 19.11.2012, 19.12.2012 bis 30.06.2013 und vom 01.10.2013 bis 31.12.2013 mangels Erfüllung einer weiteren Anwartschaft keinen neuen Anspruch auf Alg erworben. In der Zeit ab dem 02.12.2011 war der Kläger nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis von mindestens 12 Monaten gestanden (§ 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Die Rahmenfrist reichte insofern nicht in die der Alg-Bewilligung ab dem 02.12.2011 zugrundeliegende Rahmenfrist vom 02.12.2009 bis 01.12.2011 hinein (§ 143 Abs. 2 SGB III). Insofern konnte der Kläger alleine einen zum 02.12.2011 erworbenen und noch nicht verbrauchten Restanspruch geltend machen, der sich an der ursprünglichen Höhe des Alg bemisst.

Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte damit zu Ungunsten des Klägers verrechnet haben könnte, ergeben sich nicht. Soweit der Kläger auch einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin am SG in seiner Berufung gestellt hat, hat der Senat hierüber mangels Zuständigkeit nicht zu entscheiden. Im Hinblick darauf, dass der Befangenheitsantrag erst nach Erlass des Urteils des SG gestellt worden ist, ergibt sich im Hinblick auf die Entscheidung unter Mitwirkung der Richterin am SG, gegen die der Antrag gestellt wurde, kein Verfahrensfehler.

Die Berufung war damit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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