L 7 R 5349/15 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 4322/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 5349/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. November 2015 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft, weil die Beschwerdeausschlussgründe des § 172 Abs. 3 SGG, insbesondere Nr. 2 a.a.O., nicht eingreifen; das Sozialgericht Karlsruhe hat die Ablehnung der Prozesskostenhilfe (PKH) nicht auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers, sondern auf die fehlende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung gestützt. Die sonach zulässige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat für die Rechtsverfolgung im Klageverfahren S 2 R 4322/14 keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung des von ihm benannten Rechtsanwalts.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält PKH, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Senats unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG) BVerfGE 81, 347, 357). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Verfahrens als offen zu bezeichnen ist. Dies gilt namentlich dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfrage abhängt und auch angesichts der gesetzlichen Regelung nicht eindeutig beantwortet werden kann (vgl. BVerfG NJW 1997, 2102; NJW 2004, 1789; NVwZ 2006, 1156; Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-1500 § 62 Nr. 9) oder eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch Beweisaufnahme, ernsthaft in Betracht kommt (vgl. BVerfG NZS 2002, 420; info also 2006, 279). Freilich darf die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung in das summarische Verfahren der PKH zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze bietet die Rechtsverfolgung des Klägers keine Aussicht auf Erfolg. Deshalb kommt es auf die weiteren Bewilligungsvoraussetzungen (Bedürftigkeit (§ 115 ZPO); Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung (§ 121 Abs. 2 ZPO)) nicht mehr an. Dem Erfolg des im Klageverfahren vom Kläger verfolgten Begehrens auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dürfte beim gegenwärtigen Erkenntnisstand der Ausschlusstatbestand des § 12 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) entgegenstehen; danach werden Leistungen zur Teilhabe nicht für Versicherte erbracht, die sich in Untersuchungshaft oder im Vollzug einer Freiheitsstrafe oder freiheitentziehenden Maßregel der Besserung oder Sicherung befinden oder einstweilig nach § 126a Abs. 1 der Strafprozessordnung untergebracht sind. Der vorgenannte Ausschlusstatbestand begründet - wie die weiteren Leistungsausschlussgründe des § 12 Abs. 1 SGB VI - ein allgemeines Leistungshindernis; hieraus folgt, dass der Rentenversicherungsträger unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen keine Leistungen erbringen darf und insoweit generell unzuständig ist (BSG SozR 3-3240 § 14 Nr. 18 (Rdnr. 16)). Der vorbezeichnete Ausschlussgrund ist in jeder Lage des Verfahrens zu beachten. Denn erst die Entscheidung, "wie" die Rehabilitationsleistungen zu erbringen sind (vgl. hierzu etwa § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), steht im pflichtgemäßen Ermessen des Rentenversicherungsträgers, während die Entscheidung der Frage, "ob" einem Versicherten Rehabilitationsleistungen zu gewähren sind, anhand der §§ 10 und 11 SGB VI (persönliche und versicherungsrechtliche Voraussetzungen) sowie des § 12 SGB VI (kein gesetzlicher Leistungsausschlussgrund) zu beurteilen ist (vgl. BSGE 85, 298 = SozR 3-2600 § 10 Nr. 2; BSGE 110, 1 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 17 (jeweils Rdnr. 25)). Die Leistungsvoraussetzungen unterliegen mithin der vollen richterlichen Kontrolle (BSG SozR 4-5765 § 7 Nr. 1 (Rdnr. 11)).

Der Leistungsausschlussgrund nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB VI (vgl. hierzu auch Hess. LSG, Beschlüsse vom 6. Januar 2011 - L 5 R 486/10 B ER - und vom 9. Juni 2011 - L 5 R 170/11 B ER - (beide juris); LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Dezember 2011 - L 4 R 5461/10 -(https://sozialgerichtsbarkeit.de)) erscheint nach den vorliegend bekannten Umständen gegeben, denn ausweislich der von den Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 23. Juni 2015 vorgelegten Haftbescheinigung der Justizvollzugsanstalt B. (Außenstelle K.) vom 29. Mai 2015 befindet sich der Kläger seit 13. Januar 2015 bis voraussichtlich 29. Januar 2019 in Strafhaft. Die Vorschrift soll nach ihrem Zweck klare Verhältnisse in der Beurteilung der Rechtslage mit Bezug auf die Rehabilitation inhaftierter Personen schaffen (vgl. Bundestags-Drucksache 11/4124 S. 154 (zu § 12)), nachdem nach der Vorgängervorschrift des § 1236 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch von einer konkurrierenden Zuständigkeit mit den dort genannten Stellen ausgegangen worden war (vgl. etwa BSGE 46, 286, 289 = SozR 2200 § 1236 Nr. 10). Die Krankenbehandlung Strafgefangener einschließlich medizinischer und ergänzender Leistungen zur Rehabilitation war indes auch schon vor Inkrafttreten des SGB VI Aufgabe der Landesjustizverwaltungen (vgl. § 58 des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 1976) in der Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477); ferner § 33 Abs. 1 des Gesetzbuchs über den Strafvollzug in Baden-Württemberg - Buch 3 (JVollzGB III) vom 10. November 2009 (GBl. S. 545)).

Mithin können Rehabilitationsleistungen unter Beachtung des § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI nur gewährt werden, wenn der Strafvollzug oder die Untersuchungshaft ausgesetzt oder unterbrochen ist (Kater in Kasseler Kommentar, SGB VI, § 12 Rdnr. 16 (Stand: Oktober 2014)). Anhaltspunkte, dass beim Kläger die Strafhaft ausgesetzt oder unterbrochen werden könnte, etwa nach § 57 des Strafgesetzbuchs (StGB) oder § 35 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), ergeben sich indessen derzeit nicht; solches hat der Kläger auch nicht vorgetragen. Er verbüßt eine Freiheitsstrafe von weit mehr als zwei Jahren. Dafür, dass der Kläger eine konkrete Aussicht hätte, von der Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des zuständigen Gerichts bei einem (hier erst künftigen) Strafrest von lediglich noch zwei Jahren (§ 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG; vgl. hierzu etwa Oberlandesgericht (OLG) München, Beschluss vom 4. Juni 2008 - 4 VAs 7/08, 4 VAs 007/08 -; OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 15. April 2013 - 3 VAs 11/13 - (beide juris)) eine Zurückstellung der Strafvollstreckung zu Therapiezecken zu erlangen, fehlen ernsthafte Hinweise. Die Zurückstellung der Vollstreckung einer früheren Freiheitstrafe nach § 35 BtMG hat der Kläger in der letzten Rehabilitationsmaßnahme als Chance offensichtlich nicht genutzt (vgl. den Entlassungsbericht der Reha-Einrichtung J. vom 1. August 2014 mit vorzeitiger Entlassung aus disziplinarischen Gründen). Ein Anhalt für eine Aussetzung des Strafrestes besteht gleichfalls nicht; ohnehin ist die Strafaussetzung zur Bewährung bei einer zeitigen Freiheitsstrafe (bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen) regelmäßig erst nach Verbüßen von zwei Drittel der verhängten Strafe möglich (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB; zum Ausnahmefall der Ankündigung einer Strafaussetzung vgl. Schleswig-Holst. OLG, Beschluss vom 23. Oktober 2012 - 2 Ws 424 - 425/12 u.a. - (juris)).

Deshalb kommt es im Rahmen der vorliegend gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung nicht mehr wesentlich darauf an, ob beim Kläger überhaupt die weiteren Voraussetzungen für eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation, insbesondere die persönlichen Voraussetzungen erfüllt wären und insoweit die erforderliche Erfolgsprognose gegeben ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Hierzu reicht freilich eine bloß entfernt liegende Möglichkeit regelmäßig nicht aus; erforderlich ist vielmehr, dass der Erfolg der Leistung wahrscheinlich ist (BSGE 53, 100, 105 = SozR 2200 § 1276 Nr. 6). Selbst wenn hinsichtlich der Erfolgsaussichten bei Drogenabhängigen keine übertriebenen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BSG SozR 2200 § 184a Nr. 5), so muss bei der zum Zeitpunkt der Einleitung der Leistung anstellenden Prognose aber jedenfalls die Folgerung gerechtfertigt sein, dass eine Chance besteht, das Rehabilitationsziel zu erreichen (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 1992 - 13 RJ 27/91 - (juris); ferner BSG, Urteil vom 30. Oktober 1985 - 4a RJ 9/84 - (juris); Kater in Kasseler Kommentar, a.a.O., § 10 Rdnr. 14 (Stand: Juni 2015)). Eine positive Erfolgsprognose dürfte deshalb regelmäßig zu verneinen sein, wenn der Versicherte wiederholt nicht mitgewirkt bzw. die Teilnahme an der Rehabilitationsleistung abgebrochen hat (Hess. LSG, Beschluss vom 6. Januar 2011 a.a.O. (Rdnr. 24); ferner LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Dezember 2011 a.a.O.). Zieht man die Erfahrungen aus der Vergangenheit heran, in der sämtliche durchgeführten Rehabilitationsleistungen vorzeitig endeten (so die Maßnahmen in der Reha-Einrichtung F. S. in S. vom 4. August bis 1. Dezember 2004 sowie in der Rehaklinik-F. in G. vom 2. Juli bis 2. September 2013: jeweils vorzeitiger Abbruch ohne ärztliches Einverständnis; die Maßnahmen in der Rehaklinik-F. vom 15. Januar bis 30. Juni 2008 mit anschließender Adaption in der Tagesklinik in K. vom 30. Juni bis 7. Juli 2008 sowie in der Reha-Einrichtung J. in M. vom 18. Juni bis 28. Juli 2014: jeweils disziplinarische Entlassung), so erscheint eine positive Erfolgsprognose beim Kläger mehr als zweifelhaft. Eine positive Prognose für das Gelingen eines suchtmittelfreien Lebens ist im Übrigen schon im Entlassungsbericht der Reha-Einrichtung J. vom 1. August 2014, also kurz vor der neuerlichen Antragstellung vom 11. August 2014, nicht mehr gesehen worden.

Auf die fehlende Erfolgsaussicht hat die Beklagte den daraufhin ergangenen, im Klageverfahren angefochtenen Bescheid vom 27. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. November 2014 auch gestützt. Die Rüge des Klägers, die Beklagte habe nicht zeitnah über seinen Antrag entschieden, entbehrt mithin jeder Grundlage.

Die vom Kläger ohne nähere Begründung geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Bestimmung des § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI vermag der Senat schon in Anbetracht der obigen Ausführungen nicht nachzuvollziehen. Der Zweck des § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI, Doppelleistungen zu vermeiden, dürfte jedenfalls nicht zu einer einschränkenden Auslegung des § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingen (vgl. BSG SozR 2200 § 216 Nr. 6; BSGE 61, 61, 66 = SozR 2200 § 216 Nr. 9 (beide jeweils zu § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO)).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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