S 2 SO 190/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 190/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 24.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2014 verurteilt, dem Kläger Leistungen der Eingliederungshilfe zur angemessenen Schulbildung in Form der Übernahme der Kosten der vom 14.04.2014 bis zum 25.04.2014 erfolgten Petö-Therapie zu gewähren. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für eine Petö-Therapie im April 2014.

Der am 00.00.2005 geborene Kläger ist schwerstbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G, aG, B und H. Ferner ist er in die Pflegestufe 1 der Pflegeversicherung eingruppiert. Er leidet in Folge einer Sauerstoffunterversorgung bei der Geburt an einer dyskinetischen Cerebralparese. Daraus resultieren ausgeprägte spastische und dyskinetische Bewegungsstörungen. Die Sprachentwicklung ist erheblich beeinträchtigt. Er spricht nur einzelne Wörter oder Laute. Er kann noch immer keine zusammenhängenden Sätze bilden. Er kommuniziert über einen Talker als Hilfsgerät.

Am 07.01.2014 beantragte der Kläger durch seine Eltern die Übernahme der Kosten einer Therapie nach Petö und legte eine Bescheinigung des Sozialpädiatrischen Zentrums Oberhausen vor, wonach die konduktive Therapie nach Petö in besonderem Maße geeignet sei, den Kläger zu fördern. Es wurde eine ganztägige Blocktherapie über drei Wochen empfohlen. Ferner fügte er einen Bescheid seiner Krankenkasse bei, wonach die Therapie von dort nicht übernommen werden könne. Ferner legte er den Kostenvoranschlag über 1.163,28 Euro vor.

Nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme des Gesundheitsamtes lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.03.2014 die Kostenübernahme ab. Im Vergleich zu einer herkömmlichen Förderung auf neurophysiologischer Basis seien durch die Petö-Therapie keine Vorteile zu erzielen. Die von der Krankenkasse übernommene Förderung sei ausreichend. Der Wechsel zu einer Therapie, für deren Erfolg es keinen wissenschaftlichen Nachweis gebe, sei schon aus diesem Grund unangemessen.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und verwies nochmals auf die zur Petö-Therapie bereits ergangene Rechtsprechung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Urteile des Bundessozialgerichts und des Sozialgerichts Düsseldorf zur Petö-Therapie seien ebenfalls dem Gesundheitsamt des Kreises I vorgelegt worden. Es verbleibe dabei, dass die Petö-Therapie nach den Richtlinien der Krankenkassen kein verordnungsfähiges Hilfsmittel sei. Vor diesem Hintergrund könne nicht nachvollzogen werden, welcher zusätzliche Nutzen hier für den Kläger entstehen könne. Der Kläger erhalte im Setting der Schule zwei Mal pro Woche Physiotherapie nach Bobath, sowie Logopädie und Ergotherapie. Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsverfahrens Bezug genommen.

Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Er verweist erneut auf die Empfehlung des Sozialpädiatrischen Zentrums P und die Urteile des Bundessozialgerichts und des SG Düsseldorf zur Petö-Therapie. Eine rein neurologische Kurzzeittherapie sei nicht ausreichend, um einen Schulbesuch im Rahmen der Inklusion positiv zu gestalten. Gerade durch die Petö-Therapie könnten schwere spastische bzw. dyskinetische Bewegungsstörungen eingeschränkt werden.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2014 zu verurteilen, ihm Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten der vom 14.04.2014 bis zum 25.04.2014 erfolgten Petö-Therapie zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt er seine bisherigen Ausführungen.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch Beiziehung der Verfahrensakten der Beklagten, sowie der Akte des Kreises I zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Nervenfacharztes H.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 24.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2014 ist rechtswidrig und der Kläger in seinen Rechten verletzt.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der streitgegenständlichen Petö-Therapie vom 14.04.2014 bis zum 25.04.2014 als Eingliederungshilfe unter dem Aspekt der angemessenen Schulbildung.

Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs.1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs.2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs.3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs.4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.

Leistungen der Eingliederungshilfe sind gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere 1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.

Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch umfasst nach § 12 Eingliederungshilfeverordnung auch 1. heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern, 2. Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen, 3. Hilfe zum Besuch einer Realschule, eines Gymnasiums, einer Fachoberschule oder einer Ausbildungsstätte, deren Ausbildungsabschluss dem einer der oben genannten Schulen gleichgestellt ist, oder, soweit im Einzelfalle der Besuch einer solchen Schule oder Ausbildungsstätte nicht zumutbar ist, sonstige Hilfe zur Vermittlung einer entsprechenden Schulbildung; die Hilfe wird nur gewährt, wenn nach den Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, dass er das Bildungsziel erreichen wird.

Hiervon ausgehend besteht der geltend gemachte Anspruch. Die Beklagte verkennt, dass die Limitierung der Rehabilitationsleistungen auf das Maß der gesetzlichen Krankenversicherung nur Leistungen unter dem Aspekt der medizinischen Rehabilitation betrifft. Wie das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 29.09.2009 zum Verfahren B 8 SO 19/08 R jedoch bereits ausgeführt hat, erfolgt die Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Reha von Leistungen zur sozialen Reha nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen. Entscheidend ist vielmehr der Leistungszweck (BSG, a.a.O. Juris-Rdnr.21).

Einer Leistungspflicht im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (soziale Rehabilitation) steht also gerade nicht entgegen, dass es sich bei der im April 2014 durchgeführten Maßnahme um die Petö-Therapie handelt, die nach der Rechtsprechung des BSG nicht zum Leistungsangebot der GKV gehört, weil die Voraussetzungen der §§ 138, 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V nicht vorliegen (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 1). Das BSG hat diese Therapie als (neues) Heilmittel iS des § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3, § 32 SGB V eingestuft, das der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) mittlerweile in die Anlage der nicht verordnungsfähigen Heilmittel zu den Heilmittelrichtlinien (§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V) aufgenommen hat (s "Bekanntmachung eines Beschlusses des GBA über eine Änderung der Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung - Heilmittel-Richtlinien" - BAnz vom 1.4.2005, S 4995). Die Klassifizierung als Heilmittel im Sinne der GKV, mit der Folge, dass eine Leistungserbringung als Heilmittel wegen § 54 Abs 1 Satz 2 SGB XII auch nicht im Rahmen der medizinischen Rehabilitation (§ 26 SGB IX) möglich ist, bedeutet indes nicht, dass eine Leistungserbringung nicht unter einer anderen Zielsetzung möglich ist. (siehe BSG B 8 SO 19/08 R vom 29.09.2009, dort Juris-Rdnr.20). Denn § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO liegt ein stärker individualisiertes Förderverständnis zu Grunde als den Leistungen zur Heilmittelversorgung der GKV, die generell der Begrenzung des § 138 SGB V unterliegen. Dieser individualisierende Ansatz zeigt sich auch in § 9 Abs 2 Satz 1 SGB XII und § 9 Abs 1 SGB IX, die es ermöglichen, den Wünschen der Leistungsberechtigten Rechnung zu tragen. Zwar enthält auch § 2a SGB V eine Regelung, wonach den besonderen Belangen Behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen ist; die Leistungsbegrenzung des § 138 SGB V kann dadurch aber nicht ausgeschaltet werden (vgl nur Plagemann in juris Praxiskommentar SGB V (juris PK-SGB V), § 2a RdNr 13 ff mwN). Insbesondere kann dadurch nicht der Leistungsrahmen der § 27 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 32 SGB V über § 11 Abs 2 SGB V erweitert werden (aA Lachwitz, Handkommentar zum SGB IX, 3. Aufl 2010, § 30 SGB IX RdNr 53 f). Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte bereits zu § 40 Abs 1 Nr 3 Bundessozialhilfegesetz aF (iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO), einer Vorgängervorschrift des § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII, hervorgehoben, dass sich der Verordnungsgeber in § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO mit der Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit im Einzelfall begnügt habe und dies mit historisch-systematischen und teleologischen Erwägungen begründet (BVerwG, Urteil vom 30.5.2002 - 5 C 36/01 -, FEVS 53, 499 ff). An diesem individuellen Prüfungsmaßstab hat sich auch mit den Neuregelungen des Rehabilitations- und Teilhaberechts nach Inkrafttreten des SGB IX nichts geändert. Nach wie vor stellt das Gesetz bei den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Besonderheiten des Einzelfalls in den Vordergrund. Nach wie vor knüpft die Möglichkeit einer Förderung auch an die (individuell zu bestimmende) "Aussicht" auf Erfolg an. (dazu BSG, a.a.O., juris-Rdnr. 22)

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch aus dem Beschluss des GBA nicht ableiten, dass die Petö-Therapie generell ungeeignet wäre, die Schulfähigkeit eines an Zerebralparese leidenden Kindes zu verbessern. Denn dem Beschluss liegt gerade - abgesehen davon, dass er von den engeren Zielen der GKV ausgeht - kein individueller Maßstab zu Grunde; das Verfahren des GBA dient vielmehr nicht nur der Feststellung des "allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse" (vgl § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) , sondern auch der Wirtschaftlichkeit des § 12 SGB V aus Gründen der Einheitlichkeit (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 21 S 115; s auch Koch in juris PK-SGB V, § 138 RdNr 17 f mwN). (dazu BSG, a.a.O. juris-Rdnr.23).

Zusammengefasst bestimmt die gesetzliche Krankenversicherung ihren Leistungskatalog also nach einer allgemeinen, typisierenden Beurteilung gleichsam durch eine generalisierende Betrachtung der Bevölkerung, während die Eingliederungshilfe schwerbehinderter Menschen auf eine ganz individuelle Betrachtung des einzelnen Menschen abstellt. Die Krankenversicherung schaut kurz gesagt, was im allgemeinen und zwar unter dem Aspekt der Gesundheit geeignet ist, während im Rahmen der sozialen Eingliederungshilfe zu prüfen ist, ob die Maßnahme im ganz konkreten Einzelfall zur Erreichung des Zwecks der sozialen Eingliederung geeignet ist. Dabei tritt auch das Kriterium der Wirtschaftlichkeit stärker, weil nicht auf eine Versicherungsgemeinschaft begrenzt, die ausschließlich den Gesundheitsaspekt im engeren Sinne betrachtet, in den Hintergrund. Prüfmaßstab des § 12 Nr.2 EingliederungshilfeVO ist dabei, dass die Maßnahme den Schulbesuch ermöglicht oder auch nur erleichtert.

Zur Überzeugung der Kammer ist die Petö-Therapie hier geeignet, den Schulbesuch des Klägers im Rahmen der integrativen Beschulung im konkreten Einzelfall zu erleichtern. Die Petö-Therapie ist eine kombinierte neuropädiatrisch-pädagogische Therapie unter anderem für zerebralgeschädigte Kinder, deren Ziel darin besteht, die betroffenen Personen in allen wichtigen Bereichen des Alltags von fremder Hilfe oder von Hilfsmitteln weitgehend unabhängig zu machen. Die konduktive Pädagogik ist ein ganzheitlich orientiertes komplexes Behandlungssystem, das auf ritualisierte Abläufe, Wiederholungen, dadurch intensiven Übungseffekt setzt. Zur Anwendung kommen spezielle Möbel und Hilfsmittel. Die Überzeugung der Kammer resultiert aus den vorliegenden medizinischen Befunden und insbesondere dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen H, der dieses in der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2016 auch noch einmal anschaulich erläutert hat.

Soweit der Beklagte die Eignung des Sachverständigen generell in Frage gestellt hat, weil er die Berufbezeichnung "Psychiater" und nicht "Neurologe" führt, konnte in der mündlichen Verhandlung geklärt werden, dass er ausgebildeter Nervenfacharzt ist und seine Berufsbezeichnung der mehrfachen, allgemeinen Veränderung der Facharztbezeichnungen in der Vergangenheit geschuldet ist. Das Gericht hat verifiziert, dass die Bezeichnung "Facharzt für Neurologie und Psychiatrie" im Zeitraum von 1988 bis 1992 abgeschafft worden war. Das Gericht hat daher keine Zweifel an der fachlichen Eignung des Sachverständigen, dessen Qualifikation dem Gericht auch aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist.

Der Sachverständige hat sich eindeutig mit den erhobenen medizinischen Befunden, mit den aktenkundigen Befunden und dem Vorbringen der Beteiligten auseinandergesetzt. Die Ausführungen des Sachverständigen lassen Unrichtigkeiten, Widersprüche oder Fehlschlüsse nicht erkennen. Der Sachverständige hat deutlich herausgearbeitet, dass die Petö-Therapie für den konkreten Kläger und insbesondere unter dem Aspekt, die Regelschule besuchen zu können, Verbesserungen bringt.

Er beschreibt in seinem Gutachten vom 23.05.2016, dass die Rumpf- und Kopfkontrolle des Klägers verbessert worden sei. Der Kläger könne mit weniger Hilfe sitzen. Auch das Sitzen im Schneidersitz sei verbessert. Er könne im Sitzen infolge der Petö-Therapie den Kopf viel besser heben. Der Kläger sei durch die konduktive Therapie nach Petö in seinen motorischen Fähigkeiten bedeutend weitergekommen. Die Petö-Therapie sei bei dem Kläger signifikant im Vorsprung. Eine verbesserte Motorik beim Sitzen, Gehen und Stehen wirke sich natürlich auf die Sozial- und Kontaktfähigkeit sowie das Selbstbewusstsein positiv aus, wovon wiederum die Konzentration, die Ausdauer und die kognitiven Fähigkeiten überhaupt profitierten. Die Petö-Therapie, die blockweise zweimal im Jahr durchgeführt werde, stelle eine wichtige Ergänzung der Basistherapie aus Ergotherapie und Krankengymnatik dar. Der Kläger werde zwar bereits in einer Integrationsklasse beschult, werde aber von besseren motorischen Fähigkeiten und auch einem zumindest schrittweise zu erwartenden besseren motorischen sprachlichen Ausdrucksvermögen in der Klassengemeinschaft erheblich profitieren können. Durch eine bessere Körperhaltung und bessere motorische Fähigkeiten könne er sich auch immer besser in der Klassengemeinschaft behaupten und für die anderen zu einem akzeptierten Mitglied der Klasse werden. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens Bezug genommen.

Der Sachverständige hat entgegen der Auffassung des Beklagten auch eine hinreichende Anamnese durchgeführt. Der Beklagte verkennt, dass die Befragung der erziehungsberechtigten Mutter bereits Teil der eigentlichen Anamnese und nicht etwa Fremdanamnese ist. Der im Zeitpunkt der Untersuchung zehnjährige Junge kann sich selbstredend nicht ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten differenziert zu seiner komplexen Behinderung äußern. Diese zu schildern, ist ureigenste Aufgabe und Recht der Erziehungsberechtigten als Fürsprecher ihres Kindes.

Desweiteren bedarf nicht jede anamnestische Erhebung eines weitergehenden Strengbeweises. Die Anamnese ist vielmehr Teil der Beweiserhebung. Zur Problematik der Abgrenzung bloßen Parteivortrags zu verwertbaren, anamnestischen Angaben im Wege des medizinischen Sachverständigen verweist das Gericht auf seine Entscheidung S 2 SB 1174/12 vom 30.09.2014.

Auch war die Entscheidung des Sachverständigen, eine sorgfältige Anamnese durch Befragung der Mutter durchzuführen und den Jungen lediglich indirekt durch Beobachtung zu explorieren, wie er dem komplexen Gespräch zwischen Mutter und Sachverständigem aufmerksam folgt und wie er sich dabei verhält, zutreffend und völlig sachgerecht. Denn gerade bei Kindern ist stets die Frage der Verhältnismäßigkeit einer körperlichen Untersuchung durch einen fremden, dem Kind gänzlich unbekannten Sachverständigen zu beachten. Die körperlichen Funktionseinschränkungen des Kindes sind hier bereits aus den in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen hinreichend bekannt.

Gemessen an dem Ziel, die Schulfähigkeit zu verbessern, ist die Therapie mit Kosten von ca. 1.200,00 Euro im Halbjahr gemessen an Beträgen, die sonst im Bereich der Eingliederungshilfe auflaufen, sogar als eher kostengünstig zu bezeichnen. Sie ist unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit jedenfalls weit davon entfernt, als gänzlich unverhältnismäßig teuer ausgeschlossen zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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