Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 33 U 78/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 131/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 13/16R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Kläger ist Vorstandsvorsitzender der S. Aktiengesellschaft (AG). Diese beschäftigt sich ausweislich der Handelsregistereintragung vom 4. Juli 2005 insbesondere mit der Förderung der Altenpflege und des öffentlichen Gesundheitswesens. Dazu sollen Einrichtungen der Altenhilfe sowie der Erbringung ambulanter Pflegeleistungen betrieben werden.
Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 30. Dezember 2013 darüber, dass er vom 1. Januar 2008 an der Pflichtversicherung in der Gesetzlichen Unfallversicherung in Form einer Unternehmerversicherung unterliege. Dieses Schreiben enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung. Mit sieben Bescheiden vom 30. Dezember 2013 veranlagte die Beklagte den Kläger für "Ihre Unternehmerversicherung" im Zeitraum bis 31. Dezember 2012 und ab 1. Januar 2013 nach dem entsprechenden Gefahrtarif und erhob Beiträge für die Kalenderjahre von 2008 bis 2012.
Gegen die Bescheide erhob der Kläger am 21. Januar 2014 Widerspruch und führte aus, er sei weder als Selbständiger noch unentgeltlich im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig. Er sei auch nicht Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Er sei auf eine freiwillige Versicherung antragsberechtigt, stelle aber einen solchen Antrag nicht. Unternehmer sei er nicht, weil dies die Kapitalgesellschaft sei. Im Übrigen berufe er sich auf Verjährung.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2014 hob die Beklagte den Beitragsbescheid für das Jahr 2008 wegen Verjährung auf.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2014 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er führte aus, gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII seien Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich, im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig seien, gesetzlich versichert. Dies beziehe sich sowohl auf Unternehmer als auch Unternehmern ähnlich tätige Personen. Letzteres komme neben einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bei Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften in Betracht. Umgekehrt liege zwingend eine dieser beiden Eigenschaften vor. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Verweis auf Urt. v. 14.12.1999 – B 2 U 38/98 R) seien Vorstandsmitglieder einer AG typischerweise nicht abhängig beschäftigt. Dementsprechend könnten sich Unternehmern ähnlich tätige Personen wie Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft in den meisten Branchen gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII nur freiwillig unfallversichern. Die Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII für eine selbständige Tätigkeit in einem Unternehmen des Gesundheitsdienstes oder der Wohlfahrtspflege gehe aber vor. Dazu gehörten auch unternehmerähnliche Tätigkeiten.
Der Kläger hat am 10. Juni 2014 Klage erhoben. Zur Begründung der Klage hat er ausgeführt, der Gesetzgeber habe in § 2 SGB VII eine Typisierung zwischen Beschäftigten, Selbständigen und Personen, die in Gesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig sind, vorgenommen. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII sehe eine Pflichtversicherung nur für selbständig Tätige vor. Dazu gehörten bestimmte schutzbedürftige Personengruppen, gem. § 4 Abs. 3 SGB VII nicht aber bestimmte freiberuflich Tätige und auch nicht die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Anders als in § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII seien diese auch nicht in § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII aufgenommen. Dort gehe es allein um Unternehmer im Sinne von § 136 Abs. 3 SGB VII. Schon bei der Einführung der freiwilligen Versicherung Unternehmern ähnlich Tätiger habe der Gesetzgeber in der Begründung darauf hingewiesen, diese gesetzliche Regelung sei erforderlich, da es sich weder um Unternehmer noch Beschäftigte handele und daher bislang keine Möglichkeit zur Aufnahme in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden habe.
Mit Urteil vom 18. Juni 2015 hat das Sozialgericht die Bescheide der Beklagten für die Jahre 2009 bis 2012, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2014 aufgehoben. Es hat ausgeführt, die Veranlagungsbescheide und Beitragsbescheide der Beklagten seien rechtswidrig. Der Kläger sei kein Beschäftigter oder Wie-Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB VII. Als Vorstandsmitglied sei er nicht abhängig beschäftigt. Der Dienstvertrag vom 5. April 2011 sei auf die Organstellung des Klägers als Vorstandsmitglied ausgerichtet. Der Kläger sei auch nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII pflichtversichert. Der Kläger übe als Vorstandsmitglied der AG weder eine unentgeltliche noch eine ehrenamtliche Tätigkeit im Sinne der Vorschrift aus. Er sei aber auch nicht in ihrem Sinne selbständig tätig. Selbständige Tätigkeit sei eine berufliche Tätigkeit zu Erwerbszwecken als Unternehmer im Sinne des § 136 Abs. 3 SGB VII. Seine Vergütung sei nicht unmittelbar vom Unternehmensrisiko abhängig. In seiner zutreffenden Eigenschaft als selbständig wie ein Unternehmer Tätiger unterfalle er nicht § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII. Der Systematik des § 2 SGB VII lasse sich entnehmen, dass der genannte Personenkreis nicht ohne ausdrückliche Regelung den selbständig Tätigen gleichgestellt sei. Es verhalte sich nicht anders als bei dem Verhältnis zwischen Beschäftigten und Wie-Beschäftigten, für die im § 2 Abs. 2 SGB VII ebenfalls eine besondere Vorschrift geschaffen worden sei. Der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII lasse sich die Auffassung des Gesetzgebers entnehmen, wonach der Personenkreis der wie ein Unternehmer selbständig Tätigen nur im Falle ausdrücklicher Regelungen pflichtversichert sei. Der Gesetzgeber habe im Renten-Überleitungsgesetz nur für den Bereich der Landwirtschaft die Versicherungspflicht auf diesen Personenkreis erweitert. Ein entsprechendes Vorgehen sei für den Bereich des Gesundheitswesens und der Wohlfahrtspflege zu erwarten gewesen, wenn der Gesetzgeber die Pflichtversicherung wie ein Unternehmer Tätiger gewollt hätte. § 6 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII weise mit der Ermöglichung einer freiwilligen Versicherung für den Personenkreis der wie Unternehmer selbständig Tätigen in Gesellschaften ebenfalls auf eine solche Systematik hin. Einer Herausnahme aus der Pflichtversicherung im § 4 Abs. 3 SGB VII habe es deshalb auch nicht bedurft. Im Übrigen sei der Kläger auch nicht nach § 150 Abs. 1 S. 2 SGB VII der Beklagten beitragspflichtig.
Die Kostenentscheidung ergehe nach § 193 SGG, weil der Kläger am Verfahren als Versicherter im Sinne von § 183 Abs. 1 S. 1 SGG beteiligt sei. Als Versicherter sei auch anzusehen, wer in dieser Eigenschaft in Anspruch genommen worden sei.
Gegen das ihr am 14. Oktober 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22. Oktober 2015 Berufung eingelegt. Sie führt aus, das Sozialgericht habe den Kläger zutreffend nicht als Beschäftigten angesehen. Er sei aber selbständig Tätiger im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG. Es handele sich bei Vorstandsmitgliedern von Kapitalgesellschaften insoweit nicht um eine besondere Gruppe außerhalb der selbständig Tätigen. Hätte der Gesetzgeber Wie-Selbständige aus § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ausklammern wollen, sei die Erwähnung von Unternehmern anstelle selbständig Tätiger – wie auch an anderen Stellen des SGB VII – ausreichend gewesen. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII erfasse gegenüber § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII einen umfassenderen Personenkreis. Es leuchte nicht ein, wieso daraus auf die Herausnahme des engeren Personenkreises geschlossen werde. § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII entfalte für das Gesundheitswesen und die Wohlfahrtspflege keine Bedeutung, weil der Pflichtversicherung Vorrang zukomme. Die von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII Ausgenommenen würden in § 4 Abs. 3 SGB VII abschließend aufgeführt.
Der Zweck des Tatbestandes des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII liege in einem lückenlosen Versicherungsschutz von Personen im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege. Diese Sichtweite entspreche auch der Rechtsprechung etlicher Sozialgerichte und der Kommentierung zu § 2 bei Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung.
Zu einem Vorhalt des Gerichts nimmt die Beklagte dahin Stellung, dass der Kläger auch Adressat der zu treffenden Feststellungen und der Beitragspflicht sei. § 150 SGB VII unterscheide insoweit zwischen dem Unternehmer als Betroffenem der Unternehmerhaftpflicht, die er durch seine Beitragszahlung zur gesetzlichen Unfallversicherung ablöse, und Personen, die außerhalb dieses Systems ihren eigenen Versicherungsschutz durch Beitragszahlung bewirkten. Zur Ablösung der Unternehmerhaftpflicht ergebe sich aus § 104 SGB VII, dass der Kläger allenfalls zu den Personen gehöre, die zu dem Unternehmen in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Unternehmerähnlich tätige Personen fielen auch nach der Literatur nicht darunter. Systematisch sei darauf zu verweisen, dass die unternehmerähnlich tätigen Personen in nahezu allen Branchen unter § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII fielen und danach ggf. selbst beitragspflichtig seien. Eine Ausnahme für diesen Personenkreis, soweit er unter § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII falle, sei nicht zu rechtfertigen. Der Zweck der Vorschriften über die Beitragspflicht unterscheide zwischen einem Personenkreis, der von persönlicher Abhängigkeit geprägt sei und demjenigen, der aufgrund seiner Leitungsfunktion dem Lager des Arbeitgebers zuzurechnen sei und seinen Unfallversicherungsschutz selbst tragen solle.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Juni 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Berufungsbegründung der Beklagten gehe weitgehend an seiner Klagebegründung und der Urteilsbegründung des Sozialgerichts vorbei. So betreffe zum Beispiel die zitierte Rechtsprechung von Sozialgerichten nur in zwei Fällen überhaupt Tätigkeiten in Gesellschaften. Dabei gehe es aber um Gesellschafter, denen ihre Tätigkeit im Sinne von § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII als Unternehmern unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereiche. Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft seien nicht selbständig Tätige im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII. Vielmehr handele es sich um Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig seien.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsätzen vom 7. März 2016 – die Beklagte – und 29. März 2016 – der Kläger – zugestimmt.
Bei der Entscheidung haben die Akten der Beklagten betreffend die Versicherung der Vorstandsmitglieder der AG – Az. S 457082 L 00 (3 Bände) – vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Die Veranlagungs- und Beitragsbescheide der Beklagten vom 30. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2014 beschweren den Kläger schon deshalb im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil es jedenfalls an einer Grundlage fehlt, den Kläger selbst in einer "Unternehmerversicherung" in Anspruch zu nehmen.
Der Senat folgt dem Sozialgericht in der Auslegung, wonach die Beklagte die Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers nicht schon mit dem formlosen Schreiben vom 30. Dezember 2013 über das Bestehen einer Versicherungspflicht festgestellt, sondern sie (nur) mit den Bescheiden vom gleichen Tag verbindlich geregelt hat. Dies folgt zum Einen daraus, dass allein das Schreiben zur Versicherungspflicht keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, während dies bei den Bescheiden vom gleichen Tag durchgehend der Fall ist. Zum Anderen besteht für den Erlass einer Feststellung mangels Grundlage keine Rechtspflicht, weil § 136 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII – G. v. 7.8.1996, BGBl. I S. 1254) nur eine Zuständigkeits- (und Einbeziehungs-) feststellung gegenüber Unternehmern vorsieht. Dazu gehört der Kläger nach § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII nicht, weil er nicht unmittelbar am Unternehmensergebnis teilhat. Hingegen enthalten (schon) die Veranlagungsbescheide verbindlich feststellende Aussagen über die Zugehörigkeit zu einer Unternehmerversicherung im Sinne eines Verwaltungsakts.
Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür liegen nicht vor, weil der Kläger kein Unternehmer ist. Für ihn gilt bei einer nur in Betracht kommenden Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII vielmehr § 150 Abs. 1 S. 1 SGB VII, wonach die Versicherung über den Unternehmer – hier die AG – zu erfolgen hat. Auch die Voraussetzungen zum Erlass eines Beitragsbescheides sind nach § 168 Abs. 1 SGB VII nicht erfüllt. Denn danach ist ein Beitragsbescheid an den Beitragspflichtigen zu richten. Eine (eigene) Beitragspflicht des Klägers in der Rolle als Vorstandsmitglied ist nicht geregelt.
Der Kläger ist nicht selbst Unternehmer im Sinne von § 150 Abs. 1 S. 2 SGB VII. Zwar geht der Senat in Übereinstimmung mit der Beklagten davon aus, dass der Kläger die Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der AG selbständig ausübt. Das SGB VII enthält insoweit nicht einen eigenen Begriff, sondern folgt der allgemeinen, überkommenen Abgrenzung abhängiger und selbständiger Beschäftigung in einem Gegensatzpaar, wie sie etwa § 7 Abs. 1 S. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV – schon in der Ursprungsfassung d. G. v. 23.12.1976, BGBl. I S. 3845) zu Grunde liegt (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.1999 – B 2 U 38/98 R – Juris, Rdnr. 16, 24). Die Vorschriftenstruktur der Gesetzlichen Unfallversicherung lässt allgemein erkennen, dass Vorstandsmitglieder jedenfalls nicht als Beschäftigte versicherungspflichtig sein sollen (BSG, a.a.O., Nr. 26 ff.). Unternehmer ist der Kläger aber nicht, weil dazu nach § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII nur diejenigen gehören, denen das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Diese Eigenschaft erfüllt die AG, nicht aber der Kläger als deren Vorstandsmitglied.
Die Vorschrift ist auch nicht analog im Hinblick auf die weiteren in § 150 Abs. 2 S. 2 SGB VII benannten Versichertengruppen auf den Kläger anzuwenden (anderer Auffassung Höller in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, § 150 Rn. 15 ohne Unterscheidung zwischen den pflicht- und freiwillig versicherten selbständig Tätigen in Handelsgesellschaften; üblicherweise wird die Personengruppe der Selbständigen in § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ohne Problematisierung hinsichtlich des Unternehmerbegriffs unterschiedslos den Unternehmern nach § 150 Abs. 2 S. 2 SGB VII zugeordnet; so Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 150 Rn. 6, Brinkmann in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 150 Rn. 7, Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 150 Nr. 7; alle jeweils ohne Festlegung hinsichtlich der ebenfalls Organe von Kapitalgesellschaften betreffenden Personengruppe des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c SGB VII, deutlicher Ricke in KassKomm, § 150 Rn. 4, Ebsen in Brandenburg, SGB VII, 2009, § 104 Rn. 19, der für die gleich formulierten Voraussetzungen des § 104 SGB VII die ebenfalls Organe von Kapitalgesellschaften betreffende Personengruppe des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c SGB VII als Unternehmer ansieht). Soweit hier unter Verweis auf § 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII die ggf. kraft Satzung pflichtversicherten Unternehmer nebst Ehegatten bzw. Lebenspartnern angesprochen sind, lässt sich daraus für den Kläger, der nicht Unternehmer ist, nichts herleiten. Aus der Erwähnung der Ehegatten und Lebenspartner als – wohl – selbst beitragspflichtig folgt schon deshalb kein Schluss auf eine eigene Beitragstragung anderer Personen in der gesetzlichen Pflichtversicherung, weil derselbe Personenkreis in der gesetzlichen Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a SGB VII gerade keiner Ausnahmeregelung von § 150 Abs. 1 S. 1 SGB VII unterliegt.
Eine Regelungslücke im Sinne einer übersehenen eigenen Beitragspflicht lässt sich auch nicht aus § 150 Abs. 1 S. 2 SGB VII i.V.m. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII (i.d.F. d. G. v. 9.12.2004, BGBl. I S. 3299) herleiten. Die Möglichkeit einer unterschiedlichen Behandlung der Beitragsschuld bei einer freiwilligen Versicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII und einer Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII versteht sich insofern von selbst, als die Beitragsschuld eines Unternehmers nicht von einem freien Entschluss seines Organwalters zur Eingehung einer Versicherung abhängen kann, während dieser einer Pflichtversicherung wegen der unternehmensnützlichen Tätigkeit ausnahmslos und ohne eigenen Willensentschluss unterworfen wird.
Eine Gesetzeslücke hinsichtlich einer eigenen Pflicht zur Beitragstragung von Organwaltern einer Körperschaft lässt sich aber auch nicht aus dem Gedanken der Ablösung der Unternehmerhaftpflicht herleiten. § 104 Abs. 1 SGB VII entpflichtet die Unternehmer in gewissem Umfang von allen Ansprüchen auf Ersatz des Personenschadens gegenüber "Versicherten", die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Damit entspricht der Umfang im Wortlaut genau der Beschreibung des Personenkreises, für den Unternehmer Beiträge nach § 150 Abs. 1 S. 1 SGB VII abzuführen haben. Insofern führt eine Auslegung beider Vorschriften, wonach der Organwalter einer Kapitalgesellschaft, der in ihr wie ein Unternehmer selbständig tätig ist (vgl. die Formulierung in § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c SGB VII), damit für diese Gesellschaft als den Unternehmer im Sinne von § 136 Abs. 3 SGB VII tätig ist, zu keinem Widerspruch.
Es gibt auch keinen Grund, weshalb der Unternehmer von der Haftung für Körperschäden, die ein Organwalter erleidet, nicht gegen eigene Beitragszahlung freigestellt werden dürfte. Wird insoweit – wie die Beklagte ausführlich begründet – eine Unfallpflichtversicherung vom Gesetzgeber für erforderlich gehalten, handelt es sich typischerweise um die gleiche Gefahrenlage wie im Falle der vom selben Unternehmer Beschäftigten. Ein vor dem Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII bestehender Ausschluss zivilrechtlicher Haftung eines Unternehmers bei Schäden des für ihn tätigen Organwalters ist gesetzlich nicht geregelt; dieser haftet nach allgemeinen Regeln vertraglicher und deliktischer Haftung. Insofern hängen die soziale Rechtfertigung einer Unfallpflichtversicherung für Organwalter von Kapitalgesellschaften und eine Haftungsfreistellung der jeweiligen Unternehmer ebenso zusammen wie bei Beschäftigten.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG und folgt hier dem Obsiegen des Klägers. Dieser hat als Versicherter im Sinne von § 183 S. 1 SGG am Verfahren teilgenommen, weil er allein in dieser Eigenschaft von der Beklagten in Anspruch genommen worden ist und ein wirksamer Verwaltungsakt darüber Gegenstand des Verfahrens war. Dass er darin als Unternehmer bezeichnet war, ändert nichts daran, dass er auch aus Sicht der Beklagten nur für seine eigene Versicherung in Anspruch genommen worden ist und werden kann (vgl. zu der hier nicht betroffenen, insgesamt weiten Auslegung des Begriffs des Versicherten noch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 22.4.2014 – L 6 U 69/11 – Juris, Rn. 15 ff.).
Das Gericht hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil es die aufgeworfene Frage der Adressatenstellung der wie ein Unternehmer tätigen Personen im Hinblick auf abweichende Rechtsauffassungen in der Literatur für klärungsbedürftig hält.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Kläger ist Vorstandsvorsitzender der S. Aktiengesellschaft (AG). Diese beschäftigt sich ausweislich der Handelsregistereintragung vom 4. Juli 2005 insbesondere mit der Förderung der Altenpflege und des öffentlichen Gesundheitswesens. Dazu sollen Einrichtungen der Altenhilfe sowie der Erbringung ambulanter Pflegeleistungen betrieben werden.
Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 30. Dezember 2013 darüber, dass er vom 1. Januar 2008 an der Pflichtversicherung in der Gesetzlichen Unfallversicherung in Form einer Unternehmerversicherung unterliege. Dieses Schreiben enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung. Mit sieben Bescheiden vom 30. Dezember 2013 veranlagte die Beklagte den Kläger für "Ihre Unternehmerversicherung" im Zeitraum bis 31. Dezember 2012 und ab 1. Januar 2013 nach dem entsprechenden Gefahrtarif und erhob Beiträge für die Kalenderjahre von 2008 bis 2012.
Gegen die Bescheide erhob der Kläger am 21. Januar 2014 Widerspruch und führte aus, er sei weder als Selbständiger noch unentgeltlich im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig. Er sei auch nicht Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Er sei auf eine freiwillige Versicherung antragsberechtigt, stelle aber einen solchen Antrag nicht. Unternehmer sei er nicht, weil dies die Kapitalgesellschaft sei. Im Übrigen berufe er sich auf Verjährung.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2014 hob die Beklagte den Beitragsbescheid für das Jahr 2008 wegen Verjährung auf.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2014 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er führte aus, gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII seien Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich, im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig seien, gesetzlich versichert. Dies beziehe sich sowohl auf Unternehmer als auch Unternehmern ähnlich tätige Personen. Letzteres komme neben einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bei Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften in Betracht. Umgekehrt liege zwingend eine dieser beiden Eigenschaften vor. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Verweis auf Urt. v. 14.12.1999 – B 2 U 38/98 R) seien Vorstandsmitglieder einer AG typischerweise nicht abhängig beschäftigt. Dementsprechend könnten sich Unternehmern ähnlich tätige Personen wie Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft in den meisten Branchen gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII nur freiwillig unfallversichern. Die Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII für eine selbständige Tätigkeit in einem Unternehmen des Gesundheitsdienstes oder der Wohlfahrtspflege gehe aber vor. Dazu gehörten auch unternehmerähnliche Tätigkeiten.
Der Kläger hat am 10. Juni 2014 Klage erhoben. Zur Begründung der Klage hat er ausgeführt, der Gesetzgeber habe in § 2 SGB VII eine Typisierung zwischen Beschäftigten, Selbständigen und Personen, die in Gesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig sind, vorgenommen. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII sehe eine Pflichtversicherung nur für selbständig Tätige vor. Dazu gehörten bestimmte schutzbedürftige Personengruppen, gem. § 4 Abs. 3 SGB VII nicht aber bestimmte freiberuflich Tätige und auch nicht die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Anders als in § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII seien diese auch nicht in § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII aufgenommen. Dort gehe es allein um Unternehmer im Sinne von § 136 Abs. 3 SGB VII. Schon bei der Einführung der freiwilligen Versicherung Unternehmern ähnlich Tätiger habe der Gesetzgeber in der Begründung darauf hingewiesen, diese gesetzliche Regelung sei erforderlich, da es sich weder um Unternehmer noch Beschäftigte handele und daher bislang keine Möglichkeit zur Aufnahme in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden habe.
Mit Urteil vom 18. Juni 2015 hat das Sozialgericht die Bescheide der Beklagten für die Jahre 2009 bis 2012, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2014 aufgehoben. Es hat ausgeführt, die Veranlagungsbescheide und Beitragsbescheide der Beklagten seien rechtswidrig. Der Kläger sei kein Beschäftigter oder Wie-Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB VII. Als Vorstandsmitglied sei er nicht abhängig beschäftigt. Der Dienstvertrag vom 5. April 2011 sei auf die Organstellung des Klägers als Vorstandsmitglied ausgerichtet. Der Kläger sei auch nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII pflichtversichert. Der Kläger übe als Vorstandsmitglied der AG weder eine unentgeltliche noch eine ehrenamtliche Tätigkeit im Sinne der Vorschrift aus. Er sei aber auch nicht in ihrem Sinne selbständig tätig. Selbständige Tätigkeit sei eine berufliche Tätigkeit zu Erwerbszwecken als Unternehmer im Sinne des § 136 Abs. 3 SGB VII. Seine Vergütung sei nicht unmittelbar vom Unternehmensrisiko abhängig. In seiner zutreffenden Eigenschaft als selbständig wie ein Unternehmer Tätiger unterfalle er nicht § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII. Der Systematik des § 2 SGB VII lasse sich entnehmen, dass der genannte Personenkreis nicht ohne ausdrückliche Regelung den selbständig Tätigen gleichgestellt sei. Es verhalte sich nicht anders als bei dem Verhältnis zwischen Beschäftigten und Wie-Beschäftigten, für die im § 2 Abs. 2 SGB VII ebenfalls eine besondere Vorschrift geschaffen worden sei. Der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII lasse sich die Auffassung des Gesetzgebers entnehmen, wonach der Personenkreis der wie ein Unternehmer selbständig Tätigen nur im Falle ausdrücklicher Regelungen pflichtversichert sei. Der Gesetzgeber habe im Renten-Überleitungsgesetz nur für den Bereich der Landwirtschaft die Versicherungspflicht auf diesen Personenkreis erweitert. Ein entsprechendes Vorgehen sei für den Bereich des Gesundheitswesens und der Wohlfahrtspflege zu erwarten gewesen, wenn der Gesetzgeber die Pflichtversicherung wie ein Unternehmer Tätiger gewollt hätte. § 6 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII weise mit der Ermöglichung einer freiwilligen Versicherung für den Personenkreis der wie Unternehmer selbständig Tätigen in Gesellschaften ebenfalls auf eine solche Systematik hin. Einer Herausnahme aus der Pflichtversicherung im § 4 Abs. 3 SGB VII habe es deshalb auch nicht bedurft. Im Übrigen sei der Kläger auch nicht nach § 150 Abs. 1 S. 2 SGB VII der Beklagten beitragspflichtig.
Die Kostenentscheidung ergehe nach § 193 SGG, weil der Kläger am Verfahren als Versicherter im Sinne von § 183 Abs. 1 S. 1 SGG beteiligt sei. Als Versicherter sei auch anzusehen, wer in dieser Eigenschaft in Anspruch genommen worden sei.
Gegen das ihr am 14. Oktober 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22. Oktober 2015 Berufung eingelegt. Sie führt aus, das Sozialgericht habe den Kläger zutreffend nicht als Beschäftigten angesehen. Er sei aber selbständig Tätiger im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG. Es handele sich bei Vorstandsmitgliedern von Kapitalgesellschaften insoweit nicht um eine besondere Gruppe außerhalb der selbständig Tätigen. Hätte der Gesetzgeber Wie-Selbständige aus § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ausklammern wollen, sei die Erwähnung von Unternehmern anstelle selbständig Tätiger – wie auch an anderen Stellen des SGB VII – ausreichend gewesen. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII erfasse gegenüber § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII einen umfassenderen Personenkreis. Es leuchte nicht ein, wieso daraus auf die Herausnahme des engeren Personenkreises geschlossen werde. § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII entfalte für das Gesundheitswesen und die Wohlfahrtspflege keine Bedeutung, weil der Pflichtversicherung Vorrang zukomme. Die von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII Ausgenommenen würden in § 4 Abs. 3 SGB VII abschließend aufgeführt.
Der Zweck des Tatbestandes des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII liege in einem lückenlosen Versicherungsschutz von Personen im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege. Diese Sichtweite entspreche auch der Rechtsprechung etlicher Sozialgerichte und der Kommentierung zu § 2 bei Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung.
Zu einem Vorhalt des Gerichts nimmt die Beklagte dahin Stellung, dass der Kläger auch Adressat der zu treffenden Feststellungen und der Beitragspflicht sei. § 150 SGB VII unterscheide insoweit zwischen dem Unternehmer als Betroffenem der Unternehmerhaftpflicht, die er durch seine Beitragszahlung zur gesetzlichen Unfallversicherung ablöse, und Personen, die außerhalb dieses Systems ihren eigenen Versicherungsschutz durch Beitragszahlung bewirkten. Zur Ablösung der Unternehmerhaftpflicht ergebe sich aus § 104 SGB VII, dass der Kläger allenfalls zu den Personen gehöre, die zu dem Unternehmen in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Unternehmerähnlich tätige Personen fielen auch nach der Literatur nicht darunter. Systematisch sei darauf zu verweisen, dass die unternehmerähnlich tätigen Personen in nahezu allen Branchen unter § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII fielen und danach ggf. selbst beitragspflichtig seien. Eine Ausnahme für diesen Personenkreis, soweit er unter § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII falle, sei nicht zu rechtfertigen. Der Zweck der Vorschriften über die Beitragspflicht unterscheide zwischen einem Personenkreis, der von persönlicher Abhängigkeit geprägt sei und demjenigen, der aufgrund seiner Leitungsfunktion dem Lager des Arbeitgebers zuzurechnen sei und seinen Unfallversicherungsschutz selbst tragen solle.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Juni 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Berufungsbegründung der Beklagten gehe weitgehend an seiner Klagebegründung und der Urteilsbegründung des Sozialgerichts vorbei. So betreffe zum Beispiel die zitierte Rechtsprechung von Sozialgerichten nur in zwei Fällen überhaupt Tätigkeiten in Gesellschaften. Dabei gehe es aber um Gesellschafter, denen ihre Tätigkeit im Sinne von § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII als Unternehmern unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereiche. Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft seien nicht selbständig Tätige im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII. Vielmehr handele es sich um Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig seien.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsätzen vom 7. März 2016 – die Beklagte – und 29. März 2016 – der Kläger – zugestimmt.
Bei der Entscheidung haben die Akten der Beklagten betreffend die Versicherung der Vorstandsmitglieder der AG – Az. S 457082 L 00 (3 Bände) – vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Die Veranlagungs- und Beitragsbescheide der Beklagten vom 30. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2014 beschweren den Kläger schon deshalb im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil es jedenfalls an einer Grundlage fehlt, den Kläger selbst in einer "Unternehmerversicherung" in Anspruch zu nehmen.
Der Senat folgt dem Sozialgericht in der Auslegung, wonach die Beklagte die Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers nicht schon mit dem formlosen Schreiben vom 30. Dezember 2013 über das Bestehen einer Versicherungspflicht festgestellt, sondern sie (nur) mit den Bescheiden vom gleichen Tag verbindlich geregelt hat. Dies folgt zum Einen daraus, dass allein das Schreiben zur Versicherungspflicht keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, während dies bei den Bescheiden vom gleichen Tag durchgehend der Fall ist. Zum Anderen besteht für den Erlass einer Feststellung mangels Grundlage keine Rechtspflicht, weil § 136 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII – G. v. 7.8.1996, BGBl. I S. 1254) nur eine Zuständigkeits- (und Einbeziehungs-) feststellung gegenüber Unternehmern vorsieht. Dazu gehört der Kläger nach § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII nicht, weil er nicht unmittelbar am Unternehmensergebnis teilhat. Hingegen enthalten (schon) die Veranlagungsbescheide verbindlich feststellende Aussagen über die Zugehörigkeit zu einer Unternehmerversicherung im Sinne eines Verwaltungsakts.
Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür liegen nicht vor, weil der Kläger kein Unternehmer ist. Für ihn gilt bei einer nur in Betracht kommenden Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII vielmehr § 150 Abs. 1 S. 1 SGB VII, wonach die Versicherung über den Unternehmer – hier die AG – zu erfolgen hat. Auch die Voraussetzungen zum Erlass eines Beitragsbescheides sind nach § 168 Abs. 1 SGB VII nicht erfüllt. Denn danach ist ein Beitragsbescheid an den Beitragspflichtigen zu richten. Eine (eigene) Beitragspflicht des Klägers in der Rolle als Vorstandsmitglied ist nicht geregelt.
Der Kläger ist nicht selbst Unternehmer im Sinne von § 150 Abs. 1 S. 2 SGB VII. Zwar geht der Senat in Übereinstimmung mit der Beklagten davon aus, dass der Kläger die Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der AG selbständig ausübt. Das SGB VII enthält insoweit nicht einen eigenen Begriff, sondern folgt der allgemeinen, überkommenen Abgrenzung abhängiger und selbständiger Beschäftigung in einem Gegensatzpaar, wie sie etwa § 7 Abs. 1 S. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV – schon in der Ursprungsfassung d. G. v. 23.12.1976, BGBl. I S. 3845) zu Grunde liegt (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.1999 – B 2 U 38/98 R – Juris, Rdnr. 16, 24). Die Vorschriftenstruktur der Gesetzlichen Unfallversicherung lässt allgemein erkennen, dass Vorstandsmitglieder jedenfalls nicht als Beschäftigte versicherungspflichtig sein sollen (BSG, a.a.O., Nr. 26 ff.). Unternehmer ist der Kläger aber nicht, weil dazu nach § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII nur diejenigen gehören, denen das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Diese Eigenschaft erfüllt die AG, nicht aber der Kläger als deren Vorstandsmitglied.
Die Vorschrift ist auch nicht analog im Hinblick auf die weiteren in § 150 Abs. 2 S. 2 SGB VII benannten Versichertengruppen auf den Kläger anzuwenden (anderer Auffassung Höller in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, § 150 Rn. 15 ohne Unterscheidung zwischen den pflicht- und freiwillig versicherten selbständig Tätigen in Handelsgesellschaften; üblicherweise wird die Personengruppe der Selbständigen in § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ohne Problematisierung hinsichtlich des Unternehmerbegriffs unterschiedslos den Unternehmern nach § 150 Abs. 2 S. 2 SGB VII zugeordnet; so Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 150 Rn. 6, Brinkmann in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 150 Rn. 7, Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 150 Nr. 7; alle jeweils ohne Festlegung hinsichtlich der ebenfalls Organe von Kapitalgesellschaften betreffenden Personengruppe des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c SGB VII, deutlicher Ricke in KassKomm, § 150 Rn. 4, Ebsen in Brandenburg, SGB VII, 2009, § 104 Rn. 19, der für die gleich formulierten Voraussetzungen des § 104 SGB VII die ebenfalls Organe von Kapitalgesellschaften betreffende Personengruppe des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c SGB VII als Unternehmer ansieht). Soweit hier unter Verweis auf § 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII die ggf. kraft Satzung pflichtversicherten Unternehmer nebst Ehegatten bzw. Lebenspartnern angesprochen sind, lässt sich daraus für den Kläger, der nicht Unternehmer ist, nichts herleiten. Aus der Erwähnung der Ehegatten und Lebenspartner als – wohl – selbst beitragspflichtig folgt schon deshalb kein Schluss auf eine eigene Beitragstragung anderer Personen in der gesetzlichen Pflichtversicherung, weil derselbe Personenkreis in der gesetzlichen Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a SGB VII gerade keiner Ausnahmeregelung von § 150 Abs. 1 S. 1 SGB VII unterliegt.
Eine Regelungslücke im Sinne einer übersehenen eigenen Beitragspflicht lässt sich auch nicht aus § 150 Abs. 1 S. 2 SGB VII i.V.m. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII (i.d.F. d. G. v. 9.12.2004, BGBl. I S. 3299) herleiten. Die Möglichkeit einer unterschiedlichen Behandlung der Beitragsschuld bei einer freiwilligen Versicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII und einer Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII versteht sich insofern von selbst, als die Beitragsschuld eines Unternehmers nicht von einem freien Entschluss seines Organwalters zur Eingehung einer Versicherung abhängen kann, während dieser einer Pflichtversicherung wegen der unternehmensnützlichen Tätigkeit ausnahmslos und ohne eigenen Willensentschluss unterworfen wird.
Eine Gesetzeslücke hinsichtlich einer eigenen Pflicht zur Beitragstragung von Organwaltern einer Körperschaft lässt sich aber auch nicht aus dem Gedanken der Ablösung der Unternehmerhaftpflicht herleiten. § 104 Abs. 1 SGB VII entpflichtet die Unternehmer in gewissem Umfang von allen Ansprüchen auf Ersatz des Personenschadens gegenüber "Versicherten", die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Damit entspricht der Umfang im Wortlaut genau der Beschreibung des Personenkreises, für den Unternehmer Beiträge nach § 150 Abs. 1 S. 1 SGB VII abzuführen haben. Insofern führt eine Auslegung beider Vorschriften, wonach der Organwalter einer Kapitalgesellschaft, der in ihr wie ein Unternehmer selbständig tätig ist (vgl. die Formulierung in § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c SGB VII), damit für diese Gesellschaft als den Unternehmer im Sinne von § 136 Abs. 3 SGB VII tätig ist, zu keinem Widerspruch.
Es gibt auch keinen Grund, weshalb der Unternehmer von der Haftung für Körperschäden, die ein Organwalter erleidet, nicht gegen eigene Beitragszahlung freigestellt werden dürfte. Wird insoweit – wie die Beklagte ausführlich begründet – eine Unfallpflichtversicherung vom Gesetzgeber für erforderlich gehalten, handelt es sich typischerweise um die gleiche Gefahrenlage wie im Falle der vom selben Unternehmer Beschäftigten. Ein vor dem Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII bestehender Ausschluss zivilrechtlicher Haftung eines Unternehmers bei Schäden des für ihn tätigen Organwalters ist gesetzlich nicht geregelt; dieser haftet nach allgemeinen Regeln vertraglicher und deliktischer Haftung. Insofern hängen die soziale Rechtfertigung einer Unfallpflichtversicherung für Organwalter von Kapitalgesellschaften und eine Haftungsfreistellung der jeweiligen Unternehmer ebenso zusammen wie bei Beschäftigten.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG und folgt hier dem Obsiegen des Klägers. Dieser hat als Versicherter im Sinne von § 183 S. 1 SGG am Verfahren teilgenommen, weil er allein in dieser Eigenschaft von der Beklagten in Anspruch genommen worden ist und ein wirksamer Verwaltungsakt darüber Gegenstand des Verfahrens war. Dass er darin als Unternehmer bezeichnet war, ändert nichts daran, dass er auch aus Sicht der Beklagten nur für seine eigene Versicherung in Anspruch genommen worden ist und werden kann (vgl. zu der hier nicht betroffenen, insgesamt weiten Auslegung des Begriffs des Versicherten noch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 22.4.2014 – L 6 U 69/11 – Juris, Rn. 15 ff.).
Das Gericht hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil es die aufgeworfene Frage der Adressatenstellung der wie ein Unternehmer tätigen Personen im Hinblick auf abweichende Rechtsauffassungen in der Literatur für klärungsbedürftig hält.
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