L 5 KR 4086/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 1548/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 4086/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 15.09.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Versorgung mit Implantaten.

Bei der 1953 geborenen Klägerin, Mitglied der Beklagten, liegt eine Unterkieferatrophie vor; Ober- und Unterkiefer sind zahnlos.

Mit Schreiben vom 05.11.2014 beantragte die Klägerin die Versorgung mit 2 Unterkieferimplantaten. Die Unterkieferprothese liege nur auf und habe keinerlei Halt. Sie habe sämtliche Kleber ausprobiert; keiner habe für ausreichenden Halt gesorgt. Die Unterkieferprothese sei auch zweimal gebrochen. Sie könne nicht richtig essen, weil die Prothese ständig wackele und sich unter ihr Essensreste ansammelten. Bei unverhofftem Husten oder Niesen falle die Prothese aus dem Mund.

Die Klägerin legte den Kostenvoranschlag des Dr. Dr. B. (Praxis und Praxisklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am D. M.) vom 29.10.2014 über voraussichtliche Kosten von 3.890,14 EUR (zzgl. Laborkosten nach fiktiver Rechnung i.H.v. 1.375,22 EUR) vor. Darin ist ausgeführt, bei der Klägerin liege ein hochatropher Unterkiefer vor. Vorgesehen sei die Insertion von 2 Astra-Osseo-Speed-Implantaten regio 033 und 043 zur Aufnahme von Kugelkopfankern zur Verbesserung des Prothesenhalts. Durch die knochenprotektive Wirkung von Implantaten werde einer fortschreitenden lokalen Alveolarfortsatzatrophie entgegengewirkt. Bei gestörten Seitenzahn- bzw. Kieferabstützungen OK/UK könne durch implantatgestützten Zahnersatz eine Kiefergelenküberlastung vermieden werden. Weitere Gründe für die geplante Einbringung von Implantaten ergäben sich aus den Diagnosen. Die Implantatversorgung sei allerdings keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung und müsse von der Klägerin selbst bezahlt werden.

Mit Bescheid vom 10.11.2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Versorgung mit Implantaten sei gemäß § 28 Abs. 2 Satz 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) grundsätzlich keine Kassenleistung. Eine Ausnahmeindikation (nach Maßgabe der zahnärztlichen Behandlungs-Richtlinien, BehandlRL-ZÄ) liege nicht vor; die bei größerem Zahnverlust als natürliche Folge auftretende Kieferatrophie gehöre dazu nicht. Das gelte auch dann, wenn sich der Kiefer so weit zurückgebildet habe, dass ein ausreichendes Lager für eine Zahnprothese nicht mehr vorhanden sei.

Am 18.11.2014 erhob die Klägerin Widerspruch. Die Beklagte befragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK).

Im MDK-Gutachten (nach Aktenlage) vom 04.05.2015 führte Dr. Sch. aus, bei der Klägerin liege wegen des atrophierten Unterkiefers eine Ausnahmeindikation nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V nicht vor, auch wenn die vorgesehenen Maßnahmen medizinisch nachvollziehbar seien. Nach Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) bestehe bei atrophiertem Kiefer die Möglichkeit der konventionellen Versorgung.

Mit Schreiben vom 07.05.2015 teilte die Beklagte der Klägerin das Ergebnis der MDK-Begutachtung mit; eine Beteiligung an den Kosten der Implantatversorgung sei danach nicht möglich.

In einer E-Mail vom 26.05.2015 führte der (behandelnde) Zahnarzt M. aus, bei der Klägerin lägen erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen vor. Der Ansicht des Dr. Dr. B., wonach wegen des atrophierten Unterkieferknochens rein prothetisch keine Verbesserung des Prothesenhalts zu erzielen sei, werde zugestimmt. Ein zufriedenstellendes Ergebnis könne weder durch Neuanfertigung einer Prothese (ohne Implantate) noch durch Unterfütterung der vorhandenen Prothese erreicht werden. Die Prothese finde wegen der Struktur des Unterkiefers überhaupt keinen Halt. Die Klägerin könne nicht kauen, ihre Gesundheit und Lebensqualität seien dadurch erheblich eingeschränkt. Ein fester Sitz der Prothese sei nur durch Einsatz von mindestens 2 Implantaten mit entsprechenden Kugelkopfankern oder Teleskopen möglich. Nach seiner Auffassung sei damit eine Ausnahmeindikation erfüllt, da eine konventionelle Versorgung ohne Implantate nicht möglich sei.

Am 27.05.2015 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG); zur Begründung bezog sie sich auf die E-Mail des Zahnarztes M. vom 26.05.2015. Sie könne ohne implantatgestützte Prothese nicht richtig essen; sie sei außerdem fast blind.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2015 zurück. Am 03.07.2015 teilte die Klägerin dem SG mit, die Klage richte sich (auch) gegen den (mittlerweile ergangenen) Widerspruchsbescheid.

Mit Gerichtsbescheid vom 15.09.2015 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klage sei nach Ergehen des Widerspruchsbescheids als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig, aber nicht begründet. Die begehrte Implantatversorgung sei keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V gehörten implantologische Leistungen nicht zu der von der Kasse zu zahlenden zahnärztlichen Versorgung, es sei denn, es lägen seltene, vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V (BehandlRL-ZÄ) festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkassen diese Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbrächten. Gemäß Teil B VII Nr. 2 BehandlRL-ZÄ lägen besonders schwere Fälle (i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V) vor

a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache - in Tumoroperationen, - in Entzündungen des Kiefers, - in Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder Keratozysten), - in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, - in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder - in Unfällen hätten, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z. B. Spastiken).

Die bei der Klägerin vorliegende Unterkieferatrophie bei zahnlosem Ober- und Unterkiefer gehöre nicht zu den vom GBA (vorstehend abschließend) aufgeführten Ausnahmeindikationen, auch wenn sie zu ernsten Einschränkungen der Lebensqualität führe. Die in der Praxis außerordentlich häufig auftretende allmähliche Atrophie des zahnlosen Kieferknochens werde als natürlicher Vorgang bei jedem Zahnverlust eingestuft, so dass von vornherein eine außergewöhnliche Situation nicht vorliege. Eine deswegen durchzuführende Implantatversorgung sei keine Kassenleistung (vgl. auch Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.05.2009, - L 16 KR 51/09 -, in juris). Die Stellungnahme des Zahnarztes M. könne nichts daran ändern, dass die von der Klägerin begehrte Implantatversorgung kraft der genannten Regelungen nicht zum Leistungskatalog der Krankenkassen gehöre.

Gegen den ihr am 19.09.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23.09.2015 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und bekräftigt ihr bisheriges Vorbringen. Mit der vorhandenen Zahnprothese könne sie nicht richtig essen und es komme wegen Essensresten mitunter sogar zu einer kleinen Entzündung. Sie könne als Empfängerin von Grundsicherungsleistungen eine Implantatversorgung als privatärztliche Leistung nicht finanzieren.

Die Klägerin beantragt sachdienlich gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 15.09.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2015 zu verurteilen, ihr eine Implantatversorgung nach Maßgabe des Antrags vom 05.11.2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist bei Kosten der Implantatversorgung von über 5.000,00 EUR überschritten. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und daher auch im Übrigen gemäß § 151 SGG zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin eine Versorgung mit Implantaten zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch, weil diese Leistung nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört.

Das SG hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften der geltend gemachte Leistungsanspruch zu beurteilen ist, und weshalb die Klägerin danach eine Implantatversorgung nicht beanspruchen kann. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend sei angemerkt:

Die Gewährung von Krankenversicherungsleistungen steht nicht im Belieben der Krankenkasse oder der Gerichte. Maßgeblich sind die einschlägigen Rechtsvorschriften des SGB V und (ergänzend) der Richtlinien des GBA. Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V gehören implantologische Leistungen aber grundsätzlich nicht zum Leistungskatalog der Krankenkassen. Daran ändert auch eine (durchaus nachvollziehbare) medizinische Indikation für implantatgestützten Zahnersatz nichts. Das Gesetz und die einschlägigen Richtlinien des GBA (Teil B VII Nr. 2 BehandlRL-ZÄ) verlangen vielmehr das Vorliegen einer konkreten, eng begrenzten Ausnahmeindikation. Diese sind vom GBA in der genannten Richtlinie abschließend festgelegt worden. Sie dürfen weder erweiternd ausgelegt noch erweiternd angewandt werden (vgl. auch Senatsurteil vom 07.08.2013, - L 5 KR 3240/11 -, nicht veröffentlicht, auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2013, - L 11 KR 4956/11 -, in juris m.w.N. auf die Rspr. des BSG). Eine Ausnahmeindikation liegt, wie das SG in seinem Gerichtsbescheid (ebenso MDK-Gutachten des Dr. Sch. vom 04.05.2015) zutreffend näher dargelegt hat, bei der Klägerin nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 19.06.2001, - B 1 KR 23/00 R -, auch Urteil vom 19.06.2001, - &61506; 1 KR 4/00 R -, beide in juris) stellen bestehende Kieferatrophien im Übrigen schon deshalb keine außergewöhnlichen, für eine Ausnahmeindikation sprechenden Umstände dar, weil sie bei jedem größeren Zahnverlust auftreten, also in der Praxis außerordentlich häufig sind. Die Nichteinbeziehung der Kieferatrophien in den Katalog der Ausnahmeindikationen verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht (BSG, Urteil vom 19.06.2001, - B 1 KR 4/00 R -; auch Urteil vom 02.09.2014, - B 1 KR 12/13 R -, beide in juris). Ein Leistungsanspruch nach Maßgabe des § 2 Abs. 1a SGB V (grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs) kommt nicht in Betracht (BSG, Urteil vom 02.09.2014, - B 1 KR 12/13 R -, in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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