L 10 R 878/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1243/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 878/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.02.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren hat.

Die am 1962 geborene Klägerin erlernte den Beruf der Zahnarzthelferin und war anschließend in ihrem Ausbildungsberuf, als Arbeiterin sowie als Arzthelferin beschäftigt. Im Jahr 2007 nahm sie eine Tätigkeit als Prägerin und Stanzerin von KFZ-Schildern auf, die sie - so ihre Angaben im Berufungsverfahren (Bl. 19-1, 21 Senatsakte) - zunächst im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses (ca. 12 bis 15 Stunden wöchentlich) und ab Januar 2014 im Umfang von 23 Stunden wöchentlich ausübte. Seit August 2015 ist die Klägerin in diesem Umfang wieder als Zahnarzthelferin beschäftigt.

Im Oktober 2013 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, woraufhin die Beklagte das Gutachten des Sozialmediziners Dr. S. veranlasste, der Vorfußarthralgien beidseits bei Senk-Spreizfußbildung (rechts mehr als links), Hallux-valgus-Bildung (rechts mehr als links) mit zusätzlichen Hammerzehenbildungen und Großzehengrundgelenksarthrose rechts, eine rezidivierende Cervicalgie (ohne Wurzelreizsymptomatik) bei leichten degenerativen Veränderungen der Halswirbelkörper 4 und 7 sowie Myogelosen im Nackenbereich, eine rezidivierenden Lumbago (derzeit freie Rumpfbeweglichkeit ohne Beschwerdebild), eine Augenhochdruckserkrankung (medikamentös angegangen, exaktes Sehvermögen bei korrigierter Presbyopie) sowie eine exogenen Allergisierung gegen Hunde- und Katzenhaare (medikamentös angegangen) diagnostizierte und die Klägerin für fähig erachtete, leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung zu ebener Erde sechs Stunden und mehr zu verrichten. Zu vermeiden seien lang anhaltende Zwangshaltungen der Wirbelsäule. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 18.11.2013 und Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 ab.

Am 13.03.2014 hat die - anwaltlich und damit rechtskundig vertretene - Klägerin dagegen beim Sozialgericht Freiburg Klage erhoben und die Gewährung einer Rente wegen - so ausdrücklich im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten (vgl. Bl. 20 SG-Akte) - voller Erwerbsminderung beantragt. Sie hat geltend gemacht, sie könne in erster Linie wegen ihren seit Jahren bestehenden psychischen Erkrankungen keine Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr verrichten.

Das Sozialgericht hat im Rahmen der Sachaufklärung das Gutachten des Dr. S. , Facharzt für Orthopädie und Chefarzt der Orthopädischen Klinik im O. O.-G. , auf Grund Untersuchung der Klägerin im Juli 2013 eingeholt. Der Sachverständige hat ein rezidivierendes Schmerzsyndrom im Bereich der HWS und LWS mit intermittierenden pseudoradikulären Schmerzen im linken Bein sowie einen Hallux valgus beidseits mit Hammerzehen D2 beidseits diagnostiziert und die Klägerin für fähig erachtet, leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung sechs Stunden und mehr zu verrichten. Zu vermeiden seien Arbeiten in dauernd vornübergebeugter Haltung, Arbeiten in Zwangshaltungen, häufiges Bücken, Arbeiten mit häufiger Blickrichtung nach oben, Halte- oder Hebetätigkeiten über Kopf, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, monotone Arbeitsabläufe, Akkord-, Fließband-, Schicht, und Nachtarbeit, hohe Anforderungen an das Konzentrationsvermögen, Arbeiten mit besonderem Stress sowie bei Kälte, Nässe, Zugluft und unter Einwirkung von Staub, Gasen und Dämpfen. Dem Gutachten ist als Anlage das für das Amtsgericht Offenburg auf Grund Untersuchung der Klägerin am 13.06.2014 durch Medizinalrat Dr. G. gefertigte amtsärztliche Gutachten zur Arbeitsfähigkeit der Klägerin beigefügt gewesen, der von einem Leistungsvermögen von drei bis sechs Stunden täglich ausgegangen ist. Das SG hat ferner das Gutachten des Prof. Dr. E. , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie im Zentrum für psychische Erkrankungen des Universitätsklinikums F. , auf Grund Untersuchung der Klägerin im August 2014 eingeholt. Der Sachverständige hat eine depressive Episode mit somatischem Syndrom diagnostiziert und die Klägerin aktuell für in der Lage erachtet, Tätigkeiten im Umfang von drei Stunden bis weniger als sechs Stunden täglich zu verrichten. Zumutbar seien leichte körperliche Arbeiten ohne dauerndes Stehen, ohne Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeiten, ohne mittelschwierige Tätigkeiten geistiger Art, vermehrten Publikumsverkehr und besondere nervliche Beanspruchung.

Auf die mündliche Verhandlung, in der die weiterhin rechtskundig vertretene Klägerin wiederum die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt hat, hat das Sozialgericht die Beklagte mit Urteil vom 11.02.2015 unter Aufhebung des Bescheids vom 18.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.02.2014 verurteilt, der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.01.2015 bis 30.09.2015 zu gewähren. Hierbei ist das Sozialgericht, ausgehend von einem am 13.06.2014 (Untersuchung Dr. G. ) eingetretenen Versicherungsfall, von einem unter sechsstündigen Leistungsvermögen ausgegangen, wobei im Sinne der Auffassung des Prof. Dr. E. mit einer Besserung des Gesundheitszustandes innerhalb eines Jahres zu rechnen und deshalb die Rente zu befristen sei.

Am 09.03.2015 hat die Beklagte dagegen Berufung eingelegt. Sie hält das Gutachten des Prof. Dr. E. nicht für überzeugend. Der Sachverständige habe die subjektiven Angaben der Klägerin übernommen, ohne diese einer Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung zu unterziehen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.02.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin, die gegen das ihr am 25.02.2015 zugestellte Urteil am 25.03.2015 Berufung eingelegt hat, beantragt sinngemäß,

ihr ab Antragstellung unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie halte zwar nicht mehr an ihrem ursprünglichen Antrag auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung fest, jedoch stehe ihr - wie vom Sozialgericht zutreffend entschieden - Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu, allerdings nicht erst ab 01.01.2015 und auch nicht zeitlich begrenzt.

Der Senat hat das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. eingeholt. Der Sachverständige hat für den Zeitpunkt seiner Untersuchung (April 2016) das Vorliegen einer psychischen Störung von Krankheitswert verneint, als Diagnose dementsprechend eine depressive Episode, gegenwärtig remittiert, angeführt und die Klägerin für in der Lage erachtet, einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit zumindest sechs Stunden täglich nachzugehen, wobei nach abgeklungenen psychischen Störungen auch längerfristig Akkord- und Fließbandarbeiten vermieden werden sollten. Die Leistungseinschätzung des Prof. Dr. E. hat er nicht für nachvollziehbar erachtet, nachdem der Sachverständige ein nicht behandeltes Störungsbild beschrieben habe. Denn auch eine unbehandelte mittelgradige depressive Episode - wie sie erst ab Mitte 2014 angenommen werden könne - sei grundsätzlich in einem überschaubaren Zeitraum von sechs Monaten durch die Inanspruchnahme der zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten zu bessern und zu stabilisieren.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthaften Berufungen der Beklagten und der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, sind zulässig.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet, während die Berufung der Klägerin keinen Erfolg hat.

Der Berufung der Beklagten ist bereits aus prozessualen Gründen stattzugeben. Das SG hätte die Beklagte nicht unter (teilweiser) Aufhebung des Bescheids vom 18.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2014 zur Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit verurteilen dürfen. Denn mit diesem Ausspruch hat das Sozialgericht gegen § 123 SGG verstoßen. Hierauf hat der Senat die Beteiligten schriftlich hingewiesen.

Gegenstand des Klageverfahrens ist der Bescheid vom 18.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2014 gewesen, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ablehnte, allerdings nur insoweit, als dies eine Rente wegen voller Erwerbsminderung betraf. Zwar hat die - rechtskundig vertretene - Klägerin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13.03.2014 umfassend "Klage" gegen den Bescheid vom 18.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.02.2014 erhoben. Jedoch hat sie ihr Begehren nachfolgend mit dem weiteren Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 02.06.2014, mit dem sie auch die Klage begründet hat, näher konkretisiert und durch den ausdrücklich gestellten Antrag auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung beschränkt. Damit ist Gegenstand des Klageverfahren nur ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gewesen.

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Nach dieser Vorschrift, die Ausdruck der Dispositionsmaxime ist, darf das Gericht Rechtsschutz nur insoweit gewähren, als der Kläger es beantragt. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung hat die Klägerin im Klageverfahren aber nicht beantragt, sondern ausschließlich - wie dargelegt - Rente wegen voller Erwerbsminderung. Dem entsprechend ist das angefochtene Urteil schon wegen dieses Verstoßes gegen § 123 SGG aufzuheben.

Entgegen der Behauptung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin beinhaltet die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und entsprechend - so sinngemäß ihr Vorbringen - beinhaltet ein Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht auch einen Antrag auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Vielmehr handelt es sich um unterschiedliche Rentenarten und damit unterschiedliche mögliche Streitgegenstände.

Die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind seit dem 01.01.2001 (Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl. I, 1827) in § 43 SGB VI als Rente wegen voller Erwerbsminderung (Abs. 2), als Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Abs. 1) und in § 240 SGB VI als Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit für vor dem 02.01.1961 Geborene geregelt. Daneben regelt § 45 SGB VI eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für Bergleute. Vereinfacht dargestellt setzt volle Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden voraus, bei teilweiser Erwerbsminderung muss es auf unter sechs Stunden (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) abgesunken sein. Teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit erfordert nach § 240 Abs. 2 SGB VI ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen für den bisherigen Beruf sowie jede sozial zumutbare andere berufliche Tätigkeit (so genannter Berufsschutz). Bei mindestens sechsstündigem Leistungsvermögen liegt - von Fällen besonderer qualitativer Einschränkungen abgesehen - keine Erwerbsminderung vor (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die in § 43 SGB VI geregelten Ansprüche sind im Verhältnis zueinander somit unterschiedliche Versicherungsfälle, verschiedene Arten von Rechten (BSG, Beschluss vom 16.03.2006, B 4 RA 24/05 B in SozR 4-1500 § 160a Nr. 13; zum früheren Recht vgl. BSG, Urteil vom 29.03.1994, 13 RJ 35/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45 ) auf Grund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen und damit im Rechtsstreit auch unterschiedliche Streitgegenstände (ausführlich hierzu Lambert, Die Systematik der Renten wegen Erwerbsminderung und die Folgen für eine sachgerechte Antragstellung im sozialgerichtlichen Verfahren, SGb 2007, 394 ff.).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist das im Klageverfahren mit dem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 02.06.2014 und damit rechtskundig formulierte Begehren der Klägerin nur so zu verstehen gewesen, dass Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt wird. Aus der Begründung hierzu, wonach das Leistungsvermögen der Klägerin als auf weniger als sechs Stunden abgesunken behauptet wird, ergibt sich nichts anderes. Denn die Rechtsprechung nimmt über die so genannte konkrete Betrachtungsweise (Großer Senat des BSG, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei unter sechsstündigem Leistungsvermögen regelmäßig eine Verschlossenheit des (Teilzeit)Arbeitsmarktes an und bejaht das Vorliegen voller Erwerbsminderung.

Ein möglicher Irrtum der Klägerin über die dargestellte rechtliche Situation (verschiedene Ansprüche und damit unterschiedliche Streitgegenstände) ändert an der tatsächlich erklärten Beschränkung des Streitgegenstandes nichts. Denn ein solcher Irrtum, der im Rahmen der Auslegung des prozessualen Begehrens berücksichtigt werden könnte, ist aus dem Schriftsatz vom 02.06.2014 nicht erkennbar gewesen. Gleiches gilt in Bezug auf die zum damaligen Zeitpunkt von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit. Auch dieser Umstand ist aus der Klagebegründung nicht erkennbar gewesen. Damit bedarf es keiner Erörterung, unter welchen Umständen aus der - bei rechtlicher Betrachtung - fehlenden Sinnhaftigkeit eines Antrages auf eine irrtümliche Fassung des gestellten Antrages geschlossen werden kann.

Soweit die Klägerin vorträgt, auch das Sozialgericht habe den Antrag in ihrem Sinne verstanden, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Klägerin hat ihren Antrag bereits vor der mündlichen Verhandlung und ohne Einfluss des Gerichts auf das Begehren auf Rente wegen voller Erwerbsminderung eingeschränkt. Damit scheidet ein Verfahrensfehler des Sozialgerichts im Zusammenhang mit Hinweisen auf eine sachdienliche Antragstellung (§ 106 Abs. 1 SGG) aus. Es kann auch offen bleiben, ob das Sozialgericht demselben - damals, im Zeitpunkt der Antragstellung allerdings nicht erkennbaren, sich erst im Berufungsverfahren herausstellenden - rechtlichen Irrtum der Prozessbevollmächtigten unterlegen ist. Denn bei richtiger Rechtsanwendung einerseits und Auslegung des klägerischen Antrages nach dem objektiven Empfängerhorizont andererseits ist der Wortlaut des gestellten Antrages unter Verwendung der inhaltlich gesetzlich definierten Begriffe (Rente wegen voller Erwerbsminderung) eindeutig und lässt bei einem vernünftigen Betrachter keine Zweifel aufkommen, dass genau dies von der rechtskundigen Prozessbevollmächtigten auch gemeint gewesen ist.

An dieser Situation ändert auch das im Berufungsverfahren von der Klägerin formulierte Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer nichts.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist zwar nunmehr und angesichts der Erklärung, am Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht mehr festzuhalten (Schriftsatz vom 25.03.2015), nur noch ein solcher Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Damit hat die Klägerin ihr prozessuales Begehren von einem Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung umgestellt. Die somit vorliegende Klageänderung (§ 99 SGG) ist zulässig, nachdem sich die Beklagte auf das (geänderte) prozessuale Begehren schriftsätzlich eingelassen hat (§ 99 Abs. 2 SGG). Allerdings ist die geänderte Klage unzulässig. Denn soweit die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ablehnte, sind die Bescheide bestandskräftig geworden. Mit der Beschränkung des prozessualen Begehrens im Klageverfahren auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ist die von der Beklagten im Bescheid vom 18.11.2013 auch verfügte Ablehnung eines Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bestandskräftig geworden (§ 177 SGG). Auch hierauf hat der Senat die Beteiligten schriftlich hingewiesen. Damit ist die nunmehr vorliegende Klage - weil die einmonatige Klagefrist (vgl. § 87 SGG) längst abgelaufen ist - unzulässig.

Nur ergänzend weist der Senat daher darauf hin, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Klägerin in der Sache mit ihrem Begehren auf Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung hätte erfolgreich sein können, schon gar nicht auf Dauer. Denn bei der Klägerin liegt kein derartiges rentenrelevant eingeschränktes Leistungsvermögen vor. Vielmehr ist die Klägerin in der Lage, leichte berufliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (wechselnde Körperhaltung, ohne Akkord- und Fließbandarbeiten, ohne Arbeiten in dauernd vornüber gebeugter Haltung, ohne Arbeiten in Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, ohne Arbeiten mit häufiger Blickrichtung nach oben, ohne Halte- oder Hebetätigkeiten über Kopf, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne monotone Arbeitsabläufe, ohne Schicht- und Nachtarbeit, ohne hohe Anforderungen an das Konzentrationsvermögen, ohne Arbeiten bei Kälte, Nässe, Zugluft und unter Einwirkung von Staub, Gasen und Dämpfen) sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Von Seiten des orthopädischen Fachgebietes steht dies auf der Grundlage der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. fest, die auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen werden. Denn auch die Klägerin selbst misst den von orthopädischer Seite bestehenden Gesundheitsstörungen im Hinblick auf die geltend gemachte rentenrelevante Leistungsminderung keine entscheidungserhebliche Bedeutung bei. Soweit sich die Klägerin durch die von psychiatrischer Seite bestehenden Gesundheitsstörungen in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sieht, lässt sich eine rentenrelevante Leistungsminderung ebenfalls nicht begründen. Soweit das Sozialgericht, gestützt auf die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. E. und des Amtsarztes Dr. G. , die Auffassung vertreten hat, dass die Klägerin im Zeitraum von Juni 2014 bis September 2015 teilweise erwerbsgemindert gewesen sei, weil sie seinerzeit lediglich über ein Leistungsvermögen von weniger als sechs Stunden täglich verfügt habe, hält dies einer Überprüfung nicht stand. Denn selbst bei Annahme eines drei bis unter sechsstündigen Leistungsvermögens im Jahre 2014 - so Prof. Dr. E. - ließe sich hieraus kein Rentenanspruch herleiten. Insoweit hat die Beklagte im Berufungsverfahren vielmehr zutreffend darauf hingewiesen, dass auch ein auf weniger als sechs Stunden abgesunkenes Leistungsvermögen keine rentenrelevante Leistungsminderung darstellt, wenn die psychischen Störungen durch eine adäquate und zumutbare Behandlung voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten behandelbar sind. Denn eine durch eine psychische Störung bedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit muss voraussichtlich auf längere Dauer, d.h. für länger als sechs Monate vorliegen. Denn seelisch bedingte Störungen scheiden für die Begründung einer Erwerbsminderung aus, die der Betroffene bei der ihm zuzumutenden Willensanspannung aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Mithilfe (BSG, Urteil vom 21.10.1969, 11 RA 219/66 in SozR Nr. 76 zu § 1246 RVO) sogleich oder innerhalb eines halben Jahres überwinden kann (BSG, Urteil vom 01.07.1964, 11/1 RA 158/61 in SozR Nr. 39 zu § 1246 RVO), wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (BSG a.a.O.). Hierzu hat der Sachverständige Dr. S. überzeugend dargelegt, dass bei dem von Prof. Dr. E. zu Grunde gelegten Störungsbild einer mittelgradigen depressiven Episode angesichts der früher bei ihr dokumentierten leichten Störungen grundsätzlich von einer Behandelbarkeit ausgegangen werden kann und diese depressive Episode in einem überschaubaren Zeitraum von sechs Monaten durch die Inanspruchnahme der zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten so zu bessern und zu stabilisieren gewesen ist, dass die Ausübung einer leichten beruflichen Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich wieder möglich gewesen wäre. Aus dem im Wesentlichen unbehandelten Krankheitsbild hätte sich demnach kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung herleiten lassen, nicht zeitlich befristet und im Sinne des Berufungsbegehrens der Klägerin erst Recht nicht auf Dauer.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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