L 4 KR 1164/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 279/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1164/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. März 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung sinngemäß die Feststellung, die Antragsgegnerin sei zur Speicherung seiner personenbezogenen Daten nicht berechtigt.

Seine ursprüngliche Klage, festzustellen, nicht mehr freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerin zu sein, sowie festzustellen, dass die Antragsgegnerin spätestens seit dem Jahr 2012 im Rahmen der informationellen Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gegen Vorschriften des Datenschutzes verstoße, hatte das Sozialgericht Reutlingen (SG) bereits mit Gerichtsbescheid vom 10. März 2015 (S 11 KR 882/14) abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 17. Juli 2015 (L 4 KR 1203/15) zurück. Zur Begründung führte es aus, der Antragsteller sei auch seit 1. Januar 2013 weiterhin (freiwillig versichertes) Mitglied der Antragsgegnerin. Daher sei die Antragsgegnerin auch berechtigt, Sozialdaten des Antragstellers für die Zwecke der Krankenversicherung zu erheben und zu speichern (§ 284 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]). Dies umfasse auch die Erhebung der Sozialdaten im Rahmen der Abrechnung mit den Leistungserbringern (§ 284 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB V), zu denen insbesondere die Vertragsärzte gehörten. Soweit die Antragsgegnerin berechtigt sei, Sozialdaten des Antragstellers zu erheben und zu speichern, sei das Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung (hierzu z.B. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209/83 u.a. - juris) nicht verletzt. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 17. Juli 2015 hatte das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 9. September 2015 als unzulässig verworfen (B 12 KR 84/15 B).

Unter dem 28. Januar 2016 wandte sich der Antragsteller erneut an das SG. Er führte aus, er stelle "Eilantrag zur sofortigen Umsetzung zur Aufhebung von der bisherigen el. (wohl elektronischen) Speicherung von den von der (Antragsgegnerin) verwendeten personenbezogenen Metadaten, im Besonderen Anschriftsdaten". Insoweit sei die Antragsgegnerin untätig geblieben. Er erhebe "z.B. eine Untätigkeitsklage". Er wende sich damit direkt an das SG, da die Antragsgegnerin sich weigere, Anträge und schriftliche Widersprüche anzunehmen. Die Antragsgegnerin solle ihn in Ruhe lassen. Deshalb solle das SG einen "Ruhebescheid" erlassen. Er begehre die Übersendung einer vollstreckbaren Ausfertigung (wohl des Urteils des LSG).

Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen und führte aus, der Antragsteller sei im Januar 2016 im Kundencenter mit der Forderung an sie herangetreten, das Urteil des LSG vom 17. Juli 2015 (L 4 KR 1203/15) anzuerkennen. Hintergrund sei gewesen, dass er gegen die Entscheidung des BSG, die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu verwerfen (B 12 KR 84/15 B), "Widerspruch" habe einlegen wollen. Nachdem der Leiter des Kundencenters das Begehren des Antragstellers nicht erfüllt habe, habe er sich an das SG gewandt. Der Antragsteller beschäftige sämtliche Behörden und Gerichtsbarkeiten mit einem Anliegen, welches nicht umsetzbar sei. Es werde angeregt, "die Klage abzuweisen" und künftig keine Rechtsverfahren in diesem Zusammenhang mehr anzunehmen.

Mit Beschluss vom 8. März 2016 lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Zur Begründung führte es aus, ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag bestehe nicht, nachdem ein Leistungs- oder Feststellungsantrag, über den die Antragsgegnerin entschieden habe, nicht vorliege. Der Antragsteller habe sich an das SG gewandt. Eine Erstentscheidung der Antragsgegnerin sei nicht erfolgt. Es lägen weder ein Anordnungsanspruch noch ein -grund vor. Hinsichtlich der begehrten Feststellung, nicht mehr freiwilliges Mitglied der Antragsgegnerin zu sein und hinsichtlich des geltend gemachten Verstoßes gegen Vorschriften des Datenschutzes im Rahmen der informationellen Selbstbestimmung lägen die rechtskräftigen Entscheidungen des SG (S 11 KR 882/14), des LSG (L 4 KR 1203/15) und des BSG (B 12 KR 84/15) vor. Insbesondere sei ein Verstoß gegen Vorschriften des Datenschutzes nicht festgestellt worden. Der Antragsteller wiederhole sein Begehren, über das bereits durch die genannten Entscheidungen entschieden worden sei. Diese Entscheidungen stünden auch einem Leistungsanspruch auf Aufhebung der Speicherung von Daten entgegen. Soweit der Antragsteller eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des LSG begehre, gäbe es hierfür keine Grundlage. Im Urteil des LSG sei die Berufung zurückgewiesen worden.

Gegen den am 10. März 2016 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 21. März 2016 (sinngemäß) Beschwerde eingelegt. Er stelle den "Überprüfungsantrag", "welche(r) die optimale Möglichkeit wäre, die (Antragsgegnerin) in den Zustand der el. (wohl elektronischen) Datenspeicherung zu versetzen, welche nicht de(m) der heute vernetzten Welt, sondern derjenigen, aus welcher auch das BVG-Urteil kommt" entstamme. "So und nicht anders sollte die Antragstellung zur Umsetzung eines vollstreckbaren Urteils inhaltlich sinngemäß lauten". Weiterhin bestehe die "Verpflichtung zur Datenlöschung".

Der Antragsteller beantragt (sachgerecht gefasst),

den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. März 2016 aufzuheben und die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zur Löschung seiner Sozialdaten zu verpflichten.

Die Antragsgegnerin beantragt (sachgerecht gefasst),

die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

Sie deute die vom Antragsteller eingereichte Beschwerde dahingehend, dass es sein Wunsch sei, seine gespeicherten Daten zu löschen bzw. zu anonymisieren. Sozialdaten seien nach § 84 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig sei. Sie seien auch zu löschen, wenn ihre Kenntnis für die verantwortlich Stelle zur rechtmäßigen Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich sei und kein Grund zur Annahme bestehe, dass durch die Löschung schutzwürdige Interessen des Antragstellers beeinträchtigt seien. Eine Löschung der Sozialdaten dürfe trotzdem nicht erfolgen, sofern Rechtsvorschriften entgegenstünden. Nach dem Ende der vorgeschriebenen Aufbewahrungsdauer könnten die Sozialdaten nur gelöscht werden, sofern durch die Löschung keine schutzwürdigen Interessen des Antragstellers beeinträchtigt würden. Durch die Löschung der Versicherungszeiten könnten dem Antragsteller erhebliche Nachteile entstehen, so dass in dessen wohlverstandenen Interesse die Daten nicht zu löschen seien. Entsprechendes Vorgehen sei in einer formellen Dienstanweisung geregelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

1. Die gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft (§ 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der Antragsteller kann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht begehren, die Antragsgegnerin zur Löschung seiner Sozialdaten zu verpflichten.

2. Die Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Es besteht bereits kein Rechtschutzbedürfnis des Antragstellers (dazu unter a). Ferner liegt weder ein Anordnungsgrund (dazu unter b) aa) noch ein Anordnungsanspruch (dazu unter b) bb) vor.

a) Ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers besteht nicht, da - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - ein Leistungsantrag, über den die Antragsgegnerin entschieden hat, nicht vorliegt.

b) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren ([BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – juris, Rn. 64; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – juris, Rn. 9).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – L 7 SO 5672/06 ER-B – juris, Rn. 2). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris, Rn. 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris, Rn. 4).

aa) Die begehrte einstweilige Anordnung ist nicht zu erlassen, weil kein Anordnungsgrund gegeben ist.

Ein Anordnungsgrund liegt nur dann vor, wenn der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist; d. h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Hessisches LSG, Beschluss vom 21. März 2006 – L 9 AS 124/05 ER – juris, Rn. 35). Eilbedürftigkeit besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – juris, Rn. 23; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Februar 2014 – L 2 AS 252/14 B ER – juris, Rn. 27). Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorwegnehmenden Eilentscheidung kann in aller Regel nur bejaht werden, wenn dem Antragsteller schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. August 2006 – L 13 AS 2759/06 ER-B – juris, Rn. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – L 13 AS 4113/06 ER-B – juris, Rn. 4). Die begehrten Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Löschung seiner Sozialdaten ist nicht notwendig, um schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen abzuwenden. Solche Beeinträchtigungen hat der Antragsteller nicht ansatzweise dargelegt.

Die Regelungsanordnung dient zur Abwendung wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind. Einen Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigungen in der Vergangenheit herbeizuführen ist deshalb grundsätzlich nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes. Eine Ausnahme ist bei einer begehrten Regelungsanordnung nur dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 31. Juli 2014 - L 4 P 2852/14 ER-B -, m.w.N. nicht veröffentlicht). Anhaltspunkte für das Vorliegen der genannten Ausnahme sind nicht ersichtlich. Nicht wiedergutzumachende Rechtsverletzungen oder ein sonstiger irreparabler Schaden entstehen dem Antragsteller durch den Verweis auf ein gegebenenfalls durchzuführendes Hauptsacheverfahren nicht.

bb) Letztlich ist auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Denn der Senat hatte - nachdem das BSG mit Beschluss vom 9. September 2015 die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision im Senatsurteil vom 17. Juli 2015 (L 4 KR 1203/15) als unzulässig verworfen hatte (B 12 KR 84/15 B) - rechtskräftig die freiwillige Mitgliedschaft des Antragstellers bei der Antragsgegnerin über den 31. Dezember 2012 hinaus festgestellt und zudem ausgeführt, die Antragsgegnerin sei auch berechtigt, Sozialdaten des Antragstellers für die Zwecke der Krankenversicherung zu erheben und zu speichern (§ 284 SGB V). Dies umfasse auch die Erhebung der Sozialdaten im Rahmen der Abrechnung mit den Leistungserbringern (§ 284 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB V), zu denen insbesondere die Vertragsärzte gehörten. Soweit die Antragsgegnerin berechtigt sei, Sozialdaten des Antragstellers zu erheben und zu speichern, sei das Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung (hierzu z.B. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209/83 u.a. - juris) nicht verletzt. Diesen Anspruch macht der Antragsteller nunmehr erneut geltend. Über diesen Anspruch ist jedoch rechtskräftig entschieden, so dass eine erneute Prüfung nicht zu erfolgen hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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