Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 24 KR 539/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 28.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2015 sowie des Bescheides vom 04.07.2016 verurteilt, der Klägerin vier postbariatrische Wiederherstellungsoperationen (Oberschenkelstraffung beidseits, Oberarmstraffung beidseits, Bruststraffung beidseits, Gesäßstraffung) als Sachleistung zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für postbariatrische Wiederherstellungsoperationen.
Die am 00.00.1966 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert.
Unter Vorlage eines Befundberichts des Facharztes für Plastische Chirurgie Dr. E von der Chirurgischen Klinik des Evangelischen Krankenhauses M vom 10.06.2015, eines Befundberichts des Facharztes für Allgemein- und Viszeralchirurgie Dr. E1 vom 08.04.2015 und einer Fotodokumentation beantragte die Klägerin am 17.06.2015 die Kostenübernahme für ein Körperlifting bestehend aus drei Operationen: einer Ober- und Unterschenkelstraffung mit Polift, einer Abdominoplastik (Ober- und Unterbauch) und einer Mammastraffung mit evtl. Straffung der Arme.
In einem Schreiben vom 13.07.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie über den Antrag noch nicht habe entscheiden können, weil ein vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) angefordertes Gutachten noch nicht vorliege. Sobald das Ergebnis vorliege, werde man die Klägerin umgehend informieren.
In einem weiteren Schreiben vom 20.07.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie wegen verspätet eingegangener Informationen bzw. Unterlagen den MDK erst am 13.07.2015 habe beauftragen können. Sobald das Ergebnis vorliege, werde man die Klägerin umgehend informieren.
In einer Stellungnahme vom 22.07.2015 teilte Dr. M1 vom MDK mit, dass für die Abdominoplastik eine medizinische Indikation bestehe.
Mit einem Bescheid vom 28.07.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die Kosten für die Abdominoplastik übernehmen werde. An den Kosten der Brust-, Po-, Bein- und Armstraffung könne sie sich leider nicht beteiligen.
Dagegen legte die Klägerin am 05.08.2015 Widerspruch ein. Sie berief sich auf eine Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), weil die Beklagte die Entscheidungsfrist verpasst habe.
Am 01.10.2015 hat die Klägerin Klage erhoben und zuächst den Antrag gestellt, dass festgestellt werden solle, dass der Antrag der Klägerin auf Gewährung dreier postbariatrischer Wiederherstellungsoperationen vom 10.06.2015 als genehmigt gelte. Sie beruft sich insoweit auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V.
Die Beklagte meint dagegen, dass die Genehmigungsfiktion nicht greife, weil nur medizinische erforderliche und wirtschaftliche Leistungen davon umfasst würden. Das treffe auf die beantragten Leistungen nicht zu.
Mit einem Widerspruchsbescheid vom 21.12.2015 hat die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.07.2015 zurückgewiesen.
Mit einem weiteren Bescheid vom 04.07.2016 hat die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass sie die fingierte Genehmigung gemäß § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurücknehme. Die fingierte Genehmigung sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des Sachleistungsanspruchs nicht vorlägen. Das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung überwöge das private Interesse der Klägerin an der Kostenfreistellung. Die Genehmigungsfiktion gehe zum Nachteil der Solidargemeinschaft und verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Die Klägerin hat eingewendet, dass der Rücknahmebescheid vom 04.07.2016 offensichtlich rechtswidrig sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne eine Rücknahme nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen der Fiktion nicht vorgelegen hätten. Das sei hier nicht der Fall.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2015 sowie des Bescheides vom 04.07.2016 zu verurteilen, der Klägerin vier postbariatrische Wiederherstel-lungsoperationen (Oberschenkelstraffung beidseits, Oberarmstraffung beid-seits, Bruststraffung beidseits, Gesäßstraffung) als Sachleistung zu gewähren. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, dass der angefochtene der Sach- und Rechtslage entspreche und daher nicht zu beanstanden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Sach- und Streitstand nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakten und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Statthafte Klageart hinsichtlich der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist eine echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Mit dieser Klageart kann die Verurteilung zu einer Leistung begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Ein solcher Fall ist bei Eintritt der gesetzlichen Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V gegeben. Die prozessuale Situation entspricht dem Fall, dass ein erteilter Bewilligungsbescheid von der Verwaltungsbehörde nicht vollzogen wird. Auch dann ist eine echte Leistungsklage zulässig, da ein Verwaltungsakt nicht mehr zu ergehen braucht (vgl. dazu Sozialgericht [SG] Augsburg Urteil vom 03.06.2014 - S 6 KR 339/13 -; SG Nürnberg Urteil vom 27.03.2014 - S 7 KR 520/13 -; SG Dessau-Roßlau Urteil vom 18.12.2013 - S 21 KR 282/13 -, jeweils juris) ...
Statthafte Klageart hinsichtlich des Ablehnungsbescheides vom 28.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2015 ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, da diese Bescheide einen der Genehmigungsfiktion entgegenstehenden Rechtsschein setzen, der mit der Anfechtungsklage beseitigt werden kann.
Der Bescheid vom 04.07.2016, mit dem die fingierte Genehmigung zurückgenommen wurde, kann ebenfalls mit der Anfechtungsklage gerichtlich überprüft werden. Dieser Bescheid ist analog § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Gemäß dieser Norm wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Rücknahmebescheid vom 04.07.2016 ersetzt hier zwar nicht den mit der Klage auch angefochtenen Ablehnungsbescheid, sondern hebt die Ge-nehmigungsfiktion mit Wirkung für die Zukunft auf, so dass eine unmittelbare Anwendung von § 96 Abs. 1 SGG nicht in Betracht kommt. Eine analoge Anwendung ist jedoch ge-rechtfertigt. Der Sinn und Zweck der Vorschrift besteht darin, eine schnelle, erschöpfende Entscheidung über das gesamte Streitverhältnis in einem Verfahren zu ermöglichen und zu verhindern, dass das Gericht gezwungen wäre, über einen nicht mehr aktuellen Zustand zu entscheiden. Zudem soll durch die Einbeziehung in das anhängige Klageverfahren auch die Gefahr divergierender Entscheidungen vermieden werden. Würde man den angefochtenen Rücknahmebescheid vom 04.07.2016 bei der Entscheidung in diesem Klageverfahren unberücksichtigt lassen, könnte es zu einer Fallkonstellation kommen, in der der hier er-hobenen Klage stattgegeben wird und die Beklagte zur Leistungsgewährung verurteilt wird, während in einem weiteren Prozess über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Genehmigungsfiktion der Beklagten Recht gegeben wird. In diesem Fall stünden sich zwei sich widersprechende Entscheidungen gegenüber. Dies ist vom Gesetzgeber nicht gewollt. Zwar ist § 96 Abs. 1 SGG bei der hier erhobenen echten Leistungsklage grundsätzlich nicht anwendbar. Denn Voraussetzung für § 96 Abs. 1 SGG ist, dass ein Verwaltungsakt Gegenstand des anhängigen gerichtlichen Verfahrens ist. Eine analoge Anwendung des § 96 SGG ist in der vorliegenden Fallgestaltung aber gerechtfertigt, da es beim Klagegegenstand der hier erhobenen Leistungsklage gerade um die Herleitung eines Anspruchs aus einer Genehmigungsfiktion und damit aus einem fingierten Verwaltungsakt geht. Streitgegenstand ist damit ein Recht aus einem fingierten Verwaltungsakt, der nach Klageerhebung durch die Beklagte mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wurde. Genau eine solche Fallkonstellation will § 96 Abs. 1 SGG aber seinem oben dargestellten Sinn und Zweck nach erfassen.
Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 28.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung mit vier postbariatrischen Wiederherstellungsoperationen (Oberschenkelstraffung beidseits, Oberarmstraffung beidseits, Bruststraffung beidseits und Gesäßstraffung) aufgrund einer gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetretenen Genehmigungsfiktion.
Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 ( ...) nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsbe-rechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen (Satz 9).
Die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion nach dieser Vorschrift sind erfüllt.
Die Klägerin ist Leistungsberechtigte im Sinne der Regelung. Sie hat auch einen inhaltlich bestimmten Antrag gestellt (vgl. zu diesen Anforderungen BSG Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, juris). Aus dem Befundbericht des Facharztes für Plastische Chirurgie Dr. E von der Chirurgischen Klinik des Evangelischen Krankenhauses M vom 10.06.2015 konnte die Beklagte das Begehren der Klägerin eindeutig ableiten.
Die Versicherte muss nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.) die Leistung für erforderlich halten und die Leistung darf nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen. Das ist hier der Fall. Die beantragten Wiederherstellungsoperationen unterfallen ihrer Art nach dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin kann auch aufgrund der fachlichen Befürwortung ihres Antrags durch Dr. E und Dr. E1 die Behandlung für geeignet und erforderlich halten. Der Gedanke an einen Rechtsmissbrauch liegt jedenfalls fern.
Die Beklagte hat die hier einschlägige Drei-Wochen-Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht eingehalten und der Klägerin die Gründe hierfür nicht vor Ablauf der Frist und damit rechtzeitig mitgeteilt. Maßgeblich ist hier die Drei- und nicht die Fünf-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V, weil ein Hinweis der Beklagten an die Klägerin, dass der MDK eingeschaltet wurde (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V) innerhalb der Drei-Wochen-Frist nicht erfolgte. Die Schreiben vom 13.07.2015 und 20.07.2015 sind außerhalb dieser Frist versandt worden. Die Drei-Wochen-Frist ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.), der sich die Kammer anschließt, immer dann maßgebend, wenn die Krankenkasse den Leistungsberechtigten nicht über die (tatsächlich erfolgte) Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme unterrichtet. Für dieses Ergebnis sprechen die ge-setzgeberischen Ziele der Beschleunigung und der Transparenz. Die Gesetzesmaterialien heben hervor, dass den Leistungsberechtigten durch die Unterrichtung Klarheit darüber verschafft werden soll, ob die Drei- oder die Fünf-Wochen-Frist gilt (BT-Drucks. 17/10488, S. 32).
Die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V beginnt nach § 26 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch am auf den Antragseingang folgenden Tag - hier am 18.06.2015 - und endet mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingangs entspricht, hier am 08.07.2015. Die Entscheidung der Beklagten über den Antrag der Klägerin erfolgte dagegen erst am 28.07.2015 und damit außerhalb der Frist.
Eine den Eintritt der Genehmigungsfiktion verhindernde schriftliche Mitteilung nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V erfolgte nicht fristgerecht. Die beiden Schreiben vom 13.07.2015 und 20.07.2015 wurden außerhalb der Drei-Wochen-Frist versendet.
Ein Ausschluss der Genehmigung nach § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V kommt auch nicht in Betracht, weil hier keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation im Streit steht, sondern eine Leistung zur Krankenbehandlung.
Durch die Genehmigungsfiktion gilt die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen. Fingierte Verwaltungsakte haben die gleichen Rechtswirkungen wie tatsächlich erlassene Verwaltungsakte (Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: EL I/2014, § 13 Rn. 58l). Durch die Fiktion der Genehmigung ist die Leistungsberechtigung der Klägerin wirksam verfügt und die Beklagte mit allen Einwendungen ausgeschlossen.
Die teilweise in der Rechtsprechung vertretene Ansicht, wonach die Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nur bei einer Leistung greifen kann, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.05.2014 - L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR155/14 B -; SG Dortmund Beschlüsse vom 16.07.2014 - S 40 KR 742/14 ER - und 31.01.2014 - S 28 KR 1/14 ER -; SG Würzburg Urteil vom 15.01.2015 - S 11 KR 100/14 -, jeweils juris), wird von der Kammer in Anlehnung an die Entscheidung des BSG vom 08.03.2016 (a.a.O.) und Entscheidungen anderer Gerichte (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER -; LSG Saarland Urteil vom 17.06.2015 - L 2 KR 180/14 -; SG Nürnberg Urteil vom 30.04.2015 - S 7 KR 496/14 -; SG Mannheim Urteile vom 27.03.2015 - S 9 KR 3123/14 - und 03.06.2014 - S 9 KR 3174/13 -; SG Koblenz Urteil vom 23.03.2015 - S 13 KR 977/14 -; SG Heilbronn Urteil vom 10.03.2015 - S 11 KR 2425/14 -; SG Düsseldorf Urteil vom 02.03.2015 - S 9 KR 903/14 -; SG Lüneburg Urteil vom 17.02.2015 - S 16 KR 96/14 -; SG Gelsenkirchen Urteile vom 05.02.2015 - S 17 KR 524/14 -, 29.01.2015 - S 17 KR 479/14 - und 02.10.2014 - S 11 KR 180/14 -; SG Marburg Urteil vom 15.01.2015 - S 6 KR 160/13 -; SG Karlsruhe Urteil vom 15.12.2014 - S 5 KR 2284/14 -; SG Augsburg Urteile vom 27.11.2014 - S 12 KR 183/14 - und 12.11.2014 - S 12 KR 3/14 -; SG Osnabrück Urteile vom 06.11.2014 - S 13 KR 164/14 und S 13 KR 189/14 -; SG Dessau-Roßlau Urteil vom 18.12.2013 - S 21 KR 282/13 -, jeweils juris) nicht geteilt.
Das BSG führt in dem o.g. Urteil vom 08.03.2016 (a.a.O.) aus, dass die Genehmigungsfiktion zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch begründe, dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspreche. Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermögliche auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage seien, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren. Für diese Auslegung spreche schließlich der Sanktionscharakter der Norm. Dieser überzeugenden Auslegung schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung an.
Für diese Auslegung spricht bereits der klare Wortlaut des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V. Der Wortlaut der Norm knüpft die Genehmigungsfiktion ausschließlich daran, dass innerhalb der Frist keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes für die verzögerte Bearbeitung erfolgt. Eine Einschränkung dahingehend, dass sich diese Genehmigungsfiktion nur auf solche Leistungen bezieht, die grundsätzlich zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören und die medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirt-schaftlich sind, enthält die Vorschrift semantisch und grammatikalisch eindeutig nicht. Dass dies kein "Redaktionsversehen" des Gesetzgebers gewesen sein kann, ergibt sich bereits daraus, dass dieser vielfach mit Genehmigungsfiktionen arbeitet. Diese sind weder dem Sozialrecht im Allgemeinen (vgl. § 88 Abs. 5 Satz 2 SGB IX, § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX, § 6 Abs. 3 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 17 Abs. 2 Satz 2 Elftes Buch Sozialge-setzbuch [SGB XI], § 18b Abs. 3 Satz 2 SGB XI) noch dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung im Speziellen (vgl. § 32 Abs. 1a Satz 3 Halbsatz 2 SGB V, § 110 Abs. 2 Satz 5 SGB V, § 116b Abs. 2 Satz 4 SGB V) fremd. Für diese Auslegung spricht auch die Legaldefinition, die der Gesetzgeber in § 42a Verwaltungsverfahrensgesetz getroffen hat. Danach gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festge-legten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Auch hier unterstellt das Gesetz, dass von der Behörde ein bestimmter Verwaltungsakt erlassen worden wäre ("fiktiver Verwaltungsakt"). Die Versicherte kann den Eintritt der Genehmigungsfiktion dann zum Anlass nehmen, entweder von der Krankenkasse die Leistung zu verlangen oder sich gemäß § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V die Leistung selbst zu beschaffen (vgl. SG Nürnberg Urteil vom 30.04.2015 - S 7 KR 496/14 -, juris Rn. 33).
Diese grammatikalische Auslegung wird durch eine systematische, historische und teleologische Auslegung bestätigt: Zwar hatte der Gesetzgeber zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen vorgesehen, wie es sich aus dem Entwurf des Patientenrechtegesetz ergibt (BR-Drucks. 312/12, S. 46, siehe auch BT-Drucks. 17/10488, S. 32). Nachdem durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags im November 2012 mit dem Satz 6 eine Genehmigungsfiktion der Leistung bei Nichteinhaltung der Fristen neben der in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen worden war (BT-Drucks. 17/11710, S. 30), um es der Versicherten zu erleichtern, sich die ihr zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, wurden Satz 6 und Satz 7 - ohne weitere den klaren Wortlaut einschränkende Erläuterungen - in der Gesetzesänderung aufgenommen. Beide Sätze stehen ihrem Wortlaut nach gleichberechtigt nebeneinander. Wäre der Geltungsbereich des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V lediglich auf einen Kostenerstattungsanspruch beschränkt, käme der Norm kein eigener Regelungsgehalt zu. Zudem schlösse eine solche Auslegung - wie das BSG zu Recht ausführt - mittellose Ver-sicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V aus (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER-; juris Rn. 7 m.w.N.).
Nur auf diese Weise kann der Wunsch des Gesetzgebers, generalpräventiv die Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens zu verbessern, umgesetzt werden. Dieses Ziel würde ins Leere laufen, könnte die Genehmigungsfiktion durch eine (außerhalb der Frist erfolgende) nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraussetzungen wieder erlöschen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER -; SG Heilbronn Urteil vom 10.03.2015 - S 11 KR 2425/14 -; SG Gelsenkirchen Urteil vom 29.01.2015 - S 17 KR 479/14 -; SG Augsburg Urteil vom 27.11.2014 - S 12 KR 183/14 -; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.05.2014 - L 16 KR 154/14 B ER -, jeweils juris). Zudem hätte bei einer solchen Auslegung eine Versicherte ungeachtet eines Verstoßes der Krankenkasse gegen die in § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V normierte Hinweispflicht keine Gewissheit, dass die beantragte Leistung von der Krankenkasse bezahlt oder zumindest die Kosten hierfür erstattet werden. Dies kann nicht Sinn und Zweck des Patientenrechtegesetzes gewesen sein, welches gerade darauf abzielt, die Rechte des Patienten zu stärken. Im Übrigen hatte und hat es die Beklagte selbst in der Hand, die in § 13 Abs. 3a SGB V festgelegten Fristen einzuhalten, und, wenn sie dies nicht schafft, die Versicherte unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich hierüber zu informieren.
Die sprachliche Gestaltung von § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V steht der oben dargestellten Auslegung nicht entgegen. Soweit das Gesetz darin den Begriff des "Leistungsberechtigten" und der "erforderlichen" Leistung verwendet, erlaubt es nach Auffassung der Kammer nicht, den Kostenerstattungsanspruch (und die Wirkungen der vorgeschalteten Geneh-migungsfiktion) an die materielle Leistungsberechtigung der Klägerin zu knüpfen bzw. nur auf solche Leistungen zu beschränken, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Kran-kenversicherung rechnen (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER -, juris). Denn ein solches Vorgehen würde zwangsläufig dazu führen, dass § 13 Abs. 3a SGB V entgegen der besonderen Zielsetzung des Patientenrechtegesetzes weitgehend "leerlaufen" würde.
Nach alledem hat die Klägerin einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit vier postbariatrischen Wiederherstellungsoperationen, ohne dass es auf die medizinischen Voraussetzungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1, 27 ff., 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V ankäme.
Der Bescheid vom 04.07.2016, mit dem die Genehmigungsfiktion aufgehoben wurde, ist rechtswidrig und war daher auch aufzuheben. Die Krankenkasse kann sich grundsätzlich von den Rechtsfolgen der fingierten Genehmigung über den Weg einer Rücknahme bzw. Aufhebung des Verwaltungsakts gemäß §§ 45, 48 SGB X lösen. Einschlägig ist hier § 45 Abs. 1 SGB V. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist, vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X.
Das BSG (vgl. Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.) stellt bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides nach § 45 Abs. 1 SGB X zu Recht nicht auf die Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs ab, sondern auf die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V. Gemessen daran ist eine Aufhebung auch mit Wirkung für die Zukunft durch die Beklagte nach § 45 SGB X gar nicht möglich, da die Genehmigungsfiktion keinen rechts-widrigen Verwaltungsakt im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X darstellt. Die Voraussetzungen der Fiktion liegen - wie bereits ausgeführt - vor.
Folgt man vorliegend der Auffassung der Beklagten, wonach bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der fingierten Genehmigung auf den Inhalt des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs abzustellen ist, ist eine Aufhebung nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 SGB X ebenfalls nicht rechtmäßig, da gerade wegen der in § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V angeordneten Genehmigungsfiktion auch eines Naturalleistungsanspruchs die Vertrauensschutzabwägung im Rahmen des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X zugunsten der Versicherten ausfallen muss (so auch SG München Urteil vom 16.06.2016 - S 7 KR 409/15 -, juris). Die Kammer konnte offen lassen, ob von einer Rechtswidrigkeit des fingierten Bewilligungsbescheides auszugehen war. Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf aber jedenfalls ein rechtswidriger begüns-tigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Vorliegend liegt zwar kein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vor, wonach sich der Begünstigte unter den genannten Voraussetzungen nicht auf Vertrauen berufen kann. Auch hat die Klägerin noch keine Vermögensdisposition getroffen, da sie sich die Leistung noch nicht selbst beschafft hat und Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V geltend macht, so dass auch eine der Regelvoraussetzungen für schutzwürdiges Vertrauen nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X nicht erfüllt ist. Gleichwohl ist vorliegend das Vertrauen der Klägerin in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse auch in der vorliegenden Fallgestaltung bei noch fehlender Selbstbeschaffung der Leistung schutzwürdig. Der Gesetzgeber hat vorliegend mit der Schaffung der Vorschrift des § 13 Abs. 3a SGB V den Naturalleistungsanspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V und den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V gleichwertig nebeneinander gestellt. Eben dieser Wille des Gesetzgebers, der der Versicherten bei Erfüllen der Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V nicht nur einen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen gleichberechtigt daneben stehenden Naturalleistungsanspruch zur Seite stellen wollte, muss aus Sicht des Gerichts im Rahmen der Vertrauensschutzabwägung des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X, die weder Ermessen noch Beurteilungsermächtigung darstellt, sondern als gesetzlich vorgegebene Gewichtung gerichtlich voll überprüfbar ist, dazu führen, dem Interesse der Versicherten am Bestand der rechtmäßig zustande gekommenen Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ein höheres Gewicht zukommen zu lassen als dem fiskalischen Interesse der Solidargemeinschaft (vgl. SG München, a.a.O.). Die Besonderheit gegenüber einer "regulären", von der Beklagten tatsächlich ausgesprochenen Bewilligung der entsprechenden Leistung liegt hier gerade darin, dass der Gesetzgeber nach Ablauf der Fristen des § 13 Abs. 3a SGB V Rechtsklarheit zugunsten der Versicherten schaffen wollte und zwar auch zugunsten derjenigen Versicherten, die sich die Leistung mangels finanzieller Mittel gerade nicht selbst beschaffen kann. Dieser gesetzgeberische Wille würde unterlaufen und ad absurdum geführt, wenn die Krankenkasse nach Fristablauf und trotz Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V die fingierte Genehmigung allein mit der Begründung, die genehmigten Leistungen seien nicht medizinisch erforderlich bzw. erfüllten nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, in allen Fällen, in denen die Leistung noch nicht von der Versicherten selbst beschafft wurde, mit Wirkung für die Zukunft wieder aufheben könnte (SG München, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für postbariatrische Wiederherstellungsoperationen.
Die am 00.00.1966 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert.
Unter Vorlage eines Befundberichts des Facharztes für Plastische Chirurgie Dr. E von der Chirurgischen Klinik des Evangelischen Krankenhauses M vom 10.06.2015, eines Befundberichts des Facharztes für Allgemein- und Viszeralchirurgie Dr. E1 vom 08.04.2015 und einer Fotodokumentation beantragte die Klägerin am 17.06.2015 die Kostenübernahme für ein Körperlifting bestehend aus drei Operationen: einer Ober- und Unterschenkelstraffung mit Polift, einer Abdominoplastik (Ober- und Unterbauch) und einer Mammastraffung mit evtl. Straffung der Arme.
In einem Schreiben vom 13.07.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie über den Antrag noch nicht habe entscheiden können, weil ein vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) angefordertes Gutachten noch nicht vorliege. Sobald das Ergebnis vorliege, werde man die Klägerin umgehend informieren.
In einem weiteren Schreiben vom 20.07.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie wegen verspätet eingegangener Informationen bzw. Unterlagen den MDK erst am 13.07.2015 habe beauftragen können. Sobald das Ergebnis vorliege, werde man die Klägerin umgehend informieren.
In einer Stellungnahme vom 22.07.2015 teilte Dr. M1 vom MDK mit, dass für die Abdominoplastik eine medizinische Indikation bestehe.
Mit einem Bescheid vom 28.07.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die Kosten für die Abdominoplastik übernehmen werde. An den Kosten der Brust-, Po-, Bein- und Armstraffung könne sie sich leider nicht beteiligen.
Dagegen legte die Klägerin am 05.08.2015 Widerspruch ein. Sie berief sich auf eine Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), weil die Beklagte die Entscheidungsfrist verpasst habe.
Am 01.10.2015 hat die Klägerin Klage erhoben und zuächst den Antrag gestellt, dass festgestellt werden solle, dass der Antrag der Klägerin auf Gewährung dreier postbariatrischer Wiederherstellungsoperationen vom 10.06.2015 als genehmigt gelte. Sie beruft sich insoweit auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V.
Die Beklagte meint dagegen, dass die Genehmigungsfiktion nicht greife, weil nur medizinische erforderliche und wirtschaftliche Leistungen davon umfasst würden. Das treffe auf die beantragten Leistungen nicht zu.
Mit einem Widerspruchsbescheid vom 21.12.2015 hat die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.07.2015 zurückgewiesen.
Mit einem weiteren Bescheid vom 04.07.2016 hat die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass sie die fingierte Genehmigung gemäß § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurücknehme. Die fingierte Genehmigung sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des Sachleistungsanspruchs nicht vorlägen. Das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung überwöge das private Interesse der Klägerin an der Kostenfreistellung. Die Genehmigungsfiktion gehe zum Nachteil der Solidargemeinschaft und verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Die Klägerin hat eingewendet, dass der Rücknahmebescheid vom 04.07.2016 offensichtlich rechtswidrig sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne eine Rücknahme nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen der Fiktion nicht vorgelegen hätten. Das sei hier nicht der Fall.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2015 sowie des Bescheides vom 04.07.2016 zu verurteilen, der Klägerin vier postbariatrische Wiederherstel-lungsoperationen (Oberschenkelstraffung beidseits, Oberarmstraffung beid-seits, Bruststraffung beidseits, Gesäßstraffung) als Sachleistung zu gewähren. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, dass der angefochtene der Sach- und Rechtslage entspreche und daher nicht zu beanstanden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Sach- und Streitstand nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakten und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Statthafte Klageart hinsichtlich der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist eine echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Mit dieser Klageart kann die Verurteilung zu einer Leistung begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Ein solcher Fall ist bei Eintritt der gesetzlichen Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V gegeben. Die prozessuale Situation entspricht dem Fall, dass ein erteilter Bewilligungsbescheid von der Verwaltungsbehörde nicht vollzogen wird. Auch dann ist eine echte Leistungsklage zulässig, da ein Verwaltungsakt nicht mehr zu ergehen braucht (vgl. dazu Sozialgericht [SG] Augsburg Urteil vom 03.06.2014 - S 6 KR 339/13 -; SG Nürnberg Urteil vom 27.03.2014 - S 7 KR 520/13 -; SG Dessau-Roßlau Urteil vom 18.12.2013 - S 21 KR 282/13 -, jeweils juris) ...
Statthafte Klageart hinsichtlich des Ablehnungsbescheides vom 28.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2015 ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, da diese Bescheide einen der Genehmigungsfiktion entgegenstehenden Rechtsschein setzen, der mit der Anfechtungsklage beseitigt werden kann.
Der Bescheid vom 04.07.2016, mit dem die fingierte Genehmigung zurückgenommen wurde, kann ebenfalls mit der Anfechtungsklage gerichtlich überprüft werden. Dieser Bescheid ist analog § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Gemäß dieser Norm wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Rücknahmebescheid vom 04.07.2016 ersetzt hier zwar nicht den mit der Klage auch angefochtenen Ablehnungsbescheid, sondern hebt die Ge-nehmigungsfiktion mit Wirkung für die Zukunft auf, so dass eine unmittelbare Anwendung von § 96 Abs. 1 SGG nicht in Betracht kommt. Eine analoge Anwendung ist jedoch ge-rechtfertigt. Der Sinn und Zweck der Vorschrift besteht darin, eine schnelle, erschöpfende Entscheidung über das gesamte Streitverhältnis in einem Verfahren zu ermöglichen und zu verhindern, dass das Gericht gezwungen wäre, über einen nicht mehr aktuellen Zustand zu entscheiden. Zudem soll durch die Einbeziehung in das anhängige Klageverfahren auch die Gefahr divergierender Entscheidungen vermieden werden. Würde man den angefochtenen Rücknahmebescheid vom 04.07.2016 bei der Entscheidung in diesem Klageverfahren unberücksichtigt lassen, könnte es zu einer Fallkonstellation kommen, in der der hier er-hobenen Klage stattgegeben wird und die Beklagte zur Leistungsgewährung verurteilt wird, während in einem weiteren Prozess über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Genehmigungsfiktion der Beklagten Recht gegeben wird. In diesem Fall stünden sich zwei sich widersprechende Entscheidungen gegenüber. Dies ist vom Gesetzgeber nicht gewollt. Zwar ist § 96 Abs. 1 SGG bei der hier erhobenen echten Leistungsklage grundsätzlich nicht anwendbar. Denn Voraussetzung für § 96 Abs. 1 SGG ist, dass ein Verwaltungsakt Gegenstand des anhängigen gerichtlichen Verfahrens ist. Eine analoge Anwendung des § 96 SGG ist in der vorliegenden Fallgestaltung aber gerechtfertigt, da es beim Klagegegenstand der hier erhobenen Leistungsklage gerade um die Herleitung eines Anspruchs aus einer Genehmigungsfiktion und damit aus einem fingierten Verwaltungsakt geht. Streitgegenstand ist damit ein Recht aus einem fingierten Verwaltungsakt, der nach Klageerhebung durch die Beklagte mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wurde. Genau eine solche Fallkonstellation will § 96 Abs. 1 SGG aber seinem oben dargestellten Sinn und Zweck nach erfassen.
Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 28.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung mit vier postbariatrischen Wiederherstellungsoperationen (Oberschenkelstraffung beidseits, Oberarmstraffung beidseits, Bruststraffung beidseits und Gesäßstraffung) aufgrund einer gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetretenen Genehmigungsfiktion.
Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 ( ...) nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsbe-rechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen (Satz 9).
Die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion nach dieser Vorschrift sind erfüllt.
Die Klägerin ist Leistungsberechtigte im Sinne der Regelung. Sie hat auch einen inhaltlich bestimmten Antrag gestellt (vgl. zu diesen Anforderungen BSG Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -, juris). Aus dem Befundbericht des Facharztes für Plastische Chirurgie Dr. E von der Chirurgischen Klinik des Evangelischen Krankenhauses M vom 10.06.2015 konnte die Beklagte das Begehren der Klägerin eindeutig ableiten.
Die Versicherte muss nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.) die Leistung für erforderlich halten und die Leistung darf nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen. Das ist hier der Fall. Die beantragten Wiederherstellungsoperationen unterfallen ihrer Art nach dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin kann auch aufgrund der fachlichen Befürwortung ihres Antrags durch Dr. E und Dr. E1 die Behandlung für geeignet und erforderlich halten. Der Gedanke an einen Rechtsmissbrauch liegt jedenfalls fern.
Die Beklagte hat die hier einschlägige Drei-Wochen-Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht eingehalten und der Klägerin die Gründe hierfür nicht vor Ablauf der Frist und damit rechtzeitig mitgeteilt. Maßgeblich ist hier die Drei- und nicht die Fünf-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V, weil ein Hinweis der Beklagten an die Klägerin, dass der MDK eingeschaltet wurde (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V) innerhalb der Drei-Wochen-Frist nicht erfolgte. Die Schreiben vom 13.07.2015 und 20.07.2015 sind außerhalb dieser Frist versandt worden. Die Drei-Wochen-Frist ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.), der sich die Kammer anschließt, immer dann maßgebend, wenn die Krankenkasse den Leistungsberechtigten nicht über die (tatsächlich erfolgte) Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme unterrichtet. Für dieses Ergebnis sprechen die ge-setzgeberischen Ziele der Beschleunigung und der Transparenz. Die Gesetzesmaterialien heben hervor, dass den Leistungsberechtigten durch die Unterrichtung Klarheit darüber verschafft werden soll, ob die Drei- oder die Fünf-Wochen-Frist gilt (BT-Drucks. 17/10488, S. 32).
Die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V beginnt nach § 26 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch am auf den Antragseingang folgenden Tag - hier am 18.06.2015 - und endet mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingangs entspricht, hier am 08.07.2015. Die Entscheidung der Beklagten über den Antrag der Klägerin erfolgte dagegen erst am 28.07.2015 und damit außerhalb der Frist.
Eine den Eintritt der Genehmigungsfiktion verhindernde schriftliche Mitteilung nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V erfolgte nicht fristgerecht. Die beiden Schreiben vom 13.07.2015 und 20.07.2015 wurden außerhalb der Drei-Wochen-Frist versendet.
Ein Ausschluss der Genehmigung nach § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V kommt auch nicht in Betracht, weil hier keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation im Streit steht, sondern eine Leistung zur Krankenbehandlung.
Durch die Genehmigungsfiktion gilt die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen. Fingierte Verwaltungsakte haben die gleichen Rechtswirkungen wie tatsächlich erlassene Verwaltungsakte (Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: EL I/2014, § 13 Rn. 58l). Durch die Fiktion der Genehmigung ist die Leistungsberechtigung der Klägerin wirksam verfügt und die Beklagte mit allen Einwendungen ausgeschlossen.
Die teilweise in der Rechtsprechung vertretene Ansicht, wonach die Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nur bei einer Leistung greifen kann, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.05.2014 - L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR155/14 B -; SG Dortmund Beschlüsse vom 16.07.2014 - S 40 KR 742/14 ER - und 31.01.2014 - S 28 KR 1/14 ER -; SG Würzburg Urteil vom 15.01.2015 - S 11 KR 100/14 -, jeweils juris), wird von der Kammer in Anlehnung an die Entscheidung des BSG vom 08.03.2016 (a.a.O.) und Entscheidungen anderer Gerichte (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER -; LSG Saarland Urteil vom 17.06.2015 - L 2 KR 180/14 -; SG Nürnberg Urteil vom 30.04.2015 - S 7 KR 496/14 -; SG Mannheim Urteile vom 27.03.2015 - S 9 KR 3123/14 - und 03.06.2014 - S 9 KR 3174/13 -; SG Koblenz Urteil vom 23.03.2015 - S 13 KR 977/14 -; SG Heilbronn Urteil vom 10.03.2015 - S 11 KR 2425/14 -; SG Düsseldorf Urteil vom 02.03.2015 - S 9 KR 903/14 -; SG Lüneburg Urteil vom 17.02.2015 - S 16 KR 96/14 -; SG Gelsenkirchen Urteile vom 05.02.2015 - S 17 KR 524/14 -, 29.01.2015 - S 17 KR 479/14 - und 02.10.2014 - S 11 KR 180/14 -; SG Marburg Urteil vom 15.01.2015 - S 6 KR 160/13 -; SG Karlsruhe Urteil vom 15.12.2014 - S 5 KR 2284/14 -; SG Augsburg Urteile vom 27.11.2014 - S 12 KR 183/14 - und 12.11.2014 - S 12 KR 3/14 -; SG Osnabrück Urteile vom 06.11.2014 - S 13 KR 164/14 und S 13 KR 189/14 -; SG Dessau-Roßlau Urteil vom 18.12.2013 - S 21 KR 282/13 -, jeweils juris) nicht geteilt.
Das BSG führt in dem o.g. Urteil vom 08.03.2016 (a.a.O.) aus, dass die Genehmigungsfiktion zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch begründe, dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspreche. Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermögliche auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage seien, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren. Für diese Auslegung spreche schließlich der Sanktionscharakter der Norm. Dieser überzeugenden Auslegung schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung an.
Für diese Auslegung spricht bereits der klare Wortlaut des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V. Der Wortlaut der Norm knüpft die Genehmigungsfiktion ausschließlich daran, dass innerhalb der Frist keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes für die verzögerte Bearbeitung erfolgt. Eine Einschränkung dahingehend, dass sich diese Genehmigungsfiktion nur auf solche Leistungen bezieht, die grundsätzlich zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören und die medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirt-schaftlich sind, enthält die Vorschrift semantisch und grammatikalisch eindeutig nicht. Dass dies kein "Redaktionsversehen" des Gesetzgebers gewesen sein kann, ergibt sich bereits daraus, dass dieser vielfach mit Genehmigungsfiktionen arbeitet. Diese sind weder dem Sozialrecht im Allgemeinen (vgl. § 88 Abs. 5 Satz 2 SGB IX, § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX, § 6 Abs. 3 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 17 Abs. 2 Satz 2 Elftes Buch Sozialge-setzbuch [SGB XI], § 18b Abs. 3 Satz 2 SGB XI) noch dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung im Speziellen (vgl. § 32 Abs. 1a Satz 3 Halbsatz 2 SGB V, § 110 Abs. 2 Satz 5 SGB V, § 116b Abs. 2 Satz 4 SGB V) fremd. Für diese Auslegung spricht auch die Legaldefinition, die der Gesetzgeber in § 42a Verwaltungsverfahrensgesetz getroffen hat. Danach gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festge-legten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Auch hier unterstellt das Gesetz, dass von der Behörde ein bestimmter Verwaltungsakt erlassen worden wäre ("fiktiver Verwaltungsakt"). Die Versicherte kann den Eintritt der Genehmigungsfiktion dann zum Anlass nehmen, entweder von der Krankenkasse die Leistung zu verlangen oder sich gemäß § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V die Leistung selbst zu beschaffen (vgl. SG Nürnberg Urteil vom 30.04.2015 - S 7 KR 496/14 -, juris Rn. 33).
Diese grammatikalische Auslegung wird durch eine systematische, historische und teleologische Auslegung bestätigt: Zwar hatte der Gesetzgeber zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen vorgesehen, wie es sich aus dem Entwurf des Patientenrechtegesetz ergibt (BR-Drucks. 312/12, S. 46, siehe auch BT-Drucks. 17/10488, S. 32). Nachdem durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags im November 2012 mit dem Satz 6 eine Genehmigungsfiktion der Leistung bei Nichteinhaltung der Fristen neben der in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen worden war (BT-Drucks. 17/11710, S. 30), um es der Versicherten zu erleichtern, sich die ihr zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, wurden Satz 6 und Satz 7 - ohne weitere den klaren Wortlaut einschränkende Erläuterungen - in der Gesetzesänderung aufgenommen. Beide Sätze stehen ihrem Wortlaut nach gleichberechtigt nebeneinander. Wäre der Geltungsbereich des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V lediglich auf einen Kostenerstattungsanspruch beschränkt, käme der Norm kein eigener Regelungsgehalt zu. Zudem schlösse eine solche Auslegung - wie das BSG zu Recht ausführt - mittellose Ver-sicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V aus (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER-; juris Rn. 7 m.w.N.).
Nur auf diese Weise kann der Wunsch des Gesetzgebers, generalpräventiv die Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens zu verbessern, umgesetzt werden. Dieses Ziel würde ins Leere laufen, könnte die Genehmigungsfiktion durch eine (außerhalb der Frist erfolgende) nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraussetzungen wieder erlöschen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER -; SG Heilbronn Urteil vom 10.03.2015 - S 11 KR 2425/14 -; SG Gelsenkirchen Urteil vom 29.01.2015 - S 17 KR 479/14 -; SG Augsburg Urteil vom 27.11.2014 - S 12 KR 183/14 -; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.05.2014 - L 16 KR 154/14 B ER -, jeweils juris). Zudem hätte bei einer solchen Auslegung eine Versicherte ungeachtet eines Verstoßes der Krankenkasse gegen die in § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V normierte Hinweispflicht keine Gewissheit, dass die beantragte Leistung von der Krankenkasse bezahlt oder zumindest die Kosten hierfür erstattet werden. Dies kann nicht Sinn und Zweck des Patientenrechtegesetzes gewesen sein, welches gerade darauf abzielt, die Rechte des Patienten zu stärken. Im Übrigen hatte und hat es die Beklagte selbst in der Hand, die in § 13 Abs. 3a SGB V festgelegten Fristen einzuhalten, und, wenn sie dies nicht schafft, die Versicherte unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich hierüber zu informieren.
Die sprachliche Gestaltung von § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V steht der oben dargestellten Auslegung nicht entgegen. Soweit das Gesetz darin den Begriff des "Leistungsberechtigten" und der "erforderlichen" Leistung verwendet, erlaubt es nach Auffassung der Kammer nicht, den Kostenerstattungsanspruch (und die Wirkungen der vorgeschalteten Geneh-migungsfiktion) an die materielle Leistungsberechtigung der Klägerin zu knüpfen bzw. nur auf solche Leistungen zu beschränken, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Kran-kenversicherung rechnen (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER -, juris). Denn ein solches Vorgehen würde zwangsläufig dazu führen, dass § 13 Abs. 3a SGB V entgegen der besonderen Zielsetzung des Patientenrechtegesetzes weitgehend "leerlaufen" würde.
Nach alledem hat die Klägerin einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit vier postbariatrischen Wiederherstellungsoperationen, ohne dass es auf die medizinischen Voraussetzungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1, 27 ff., 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V ankäme.
Der Bescheid vom 04.07.2016, mit dem die Genehmigungsfiktion aufgehoben wurde, ist rechtswidrig und war daher auch aufzuheben. Die Krankenkasse kann sich grundsätzlich von den Rechtsfolgen der fingierten Genehmigung über den Weg einer Rücknahme bzw. Aufhebung des Verwaltungsakts gemäß §§ 45, 48 SGB X lösen. Einschlägig ist hier § 45 Abs. 1 SGB V. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist, vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X.
Das BSG (vgl. Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.) stellt bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides nach § 45 Abs. 1 SGB X zu Recht nicht auf die Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs ab, sondern auf die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V. Gemessen daran ist eine Aufhebung auch mit Wirkung für die Zukunft durch die Beklagte nach § 45 SGB X gar nicht möglich, da die Genehmigungsfiktion keinen rechts-widrigen Verwaltungsakt im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X darstellt. Die Voraussetzungen der Fiktion liegen - wie bereits ausgeführt - vor.
Folgt man vorliegend der Auffassung der Beklagten, wonach bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der fingierten Genehmigung auf den Inhalt des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs abzustellen ist, ist eine Aufhebung nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 SGB X ebenfalls nicht rechtmäßig, da gerade wegen der in § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V angeordneten Genehmigungsfiktion auch eines Naturalleistungsanspruchs die Vertrauensschutzabwägung im Rahmen des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X zugunsten der Versicherten ausfallen muss (so auch SG München Urteil vom 16.06.2016 - S 7 KR 409/15 -, juris). Die Kammer konnte offen lassen, ob von einer Rechtswidrigkeit des fingierten Bewilligungsbescheides auszugehen war. Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf aber jedenfalls ein rechtswidriger begüns-tigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Vorliegend liegt zwar kein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vor, wonach sich der Begünstigte unter den genannten Voraussetzungen nicht auf Vertrauen berufen kann. Auch hat die Klägerin noch keine Vermögensdisposition getroffen, da sie sich die Leistung noch nicht selbst beschafft hat und Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V geltend macht, so dass auch eine der Regelvoraussetzungen für schutzwürdiges Vertrauen nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X nicht erfüllt ist. Gleichwohl ist vorliegend das Vertrauen der Klägerin in Abwägung mit dem öffentlichen Interesse auch in der vorliegenden Fallgestaltung bei noch fehlender Selbstbeschaffung der Leistung schutzwürdig. Der Gesetzgeber hat vorliegend mit der Schaffung der Vorschrift des § 13 Abs. 3a SGB V den Naturalleistungsanspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V und den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V gleichwertig nebeneinander gestellt. Eben dieser Wille des Gesetzgebers, der der Versicherten bei Erfüllen der Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V nicht nur einen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen gleichberechtigt daneben stehenden Naturalleistungsanspruch zur Seite stellen wollte, muss aus Sicht des Gerichts im Rahmen der Vertrauensschutzabwägung des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X, die weder Ermessen noch Beurteilungsermächtigung darstellt, sondern als gesetzlich vorgegebene Gewichtung gerichtlich voll überprüfbar ist, dazu führen, dem Interesse der Versicherten am Bestand der rechtmäßig zustande gekommenen Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ein höheres Gewicht zukommen zu lassen als dem fiskalischen Interesse der Solidargemeinschaft (vgl. SG München, a.a.O.). Die Besonderheit gegenüber einer "regulären", von der Beklagten tatsächlich ausgesprochenen Bewilligung der entsprechenden Leistung liegt hier gerade darin, dass der Gesetzgeber nach Ablauf der Fristen des § 13 Abs. 3a SGB V Rechtsklarheit zugunsten der Versicherten schaffen wollte und zwar auch zugunsten derjenigen Versicherten, die sich die Leistung mangels finanzieller Mittel gerade nicht selbst beschaffen kann. Dieser gesetzgeberische Wille würde unterlaufen und ad absurdum geführt, wenn die Krankenkasse nach Fristablauf und trotz Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V die fingierte Genehmigung allein mit der Begründung, die genehmigten Leistungen seien nicht medizinisch erforderlich bzw. erfüllten nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, in allen Fällen, in denen die Leistung noch nicht von der Versicherten selbst beschafft wurde, mit Wirkung für die Zukunft wieder aufheben könnte (SG München, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
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