L 12 AS 1027/16 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 49 AS 760/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1027/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 10.05.2016 geändert. Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab 23.02.2016 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch für sechs Monate, Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in in Form des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt und wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Beigeladene trägt von den erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen die Hälfte.

Gründe:

I.
Streitig ist die Verpflichtung der Beigeladenen, der Antragstellerin ab dem 23.02.2016 Leistungen nach dem SGB XII für längstens sechs Monate zu gewähren.

Die Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Nach eigenen Angaben reiste sie Ende 2012 nach Deutschland ein. Vom 15.07.2013 bis zum 31.12.2013 war sie zunächst als Hilfskraft beschäftigt. Nach Verlust des Arbeitsplatzes bezog sie anschließend bis zum 31.05.2014 Arbeitslosengeld I. Ab dem 01.06.2014 bis zum 31.12.2014 war sie mit einem monatlichen Einkommen von 460 Euro in Teilzeit tätig. In der Folge bezog sie erneut Arbeitslosengeld I bis zum 30.06.2016. Zuletzt bewilligte ihr der Antragsgegner Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 01.07.2015 bis zum 31.12.2015 (Bescheid vom 08.06.2015). Den Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerin lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 26.11.2015 ab. Der Arbeitnehmerstatus der Antragstellerin ende zum 31.12.2015. Sie verfüge daher über ein alleiniges Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche und sei nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin Widerspruch ein.

Am 23.02.2016 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie sei ohne Einkünfte, weswegen Eilbedürftigkeit gegeben sei. Zwar sei sie sich bewusst, dass EU-Bürger, die nur kurzfristig tätig gewesen seien, einen Anspruch auf SGB II - Leistungen nur für sechs Monate besäßen. Allerdings habe sie innerhalb einer Rahmenfrist von zwei Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen, insgesamt mehr als ein Jahr gearbeitet. Dass die Beschäftigung ununterbrochen erfolgt sein müsse, sei den einschlägigen EU-Richtlinien nicht zu entnehmen. Insofern bestünde nach wie vor ein Arbeitnehmerstatus.

Der Antragsgegner trat dem entgegen. Die gesetzlichen Regelungen ließen nur den Schluss zu, dass eine mehr als einjährige Tätigkeit bestanden haben müsse, welche nicht durch Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen gewesen sei. Ein Arbeitnehmerstatus bestünde daher vorliegend nicht mehr.

Die Beigeladene vertrat die Auffassung, dass sich für die Antragstellerin kein Leistungsanspruch aus dem SGB XII ergebe.

Das Sozialgericht hat die Beigeladene mit Beschluss vom 10.05.2016 verpflichtet, der Antragstellerin ab 23.02.2016 für längstens sechs Monate Regelleistung sowie Kosten der Unterkunft zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Die Antragstellerin sei zwar nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Allerdings ergebe sich ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII. Die Kammer folge insofern der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen vom 16.12.2015 (B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R). Auch sei ein Anordnungsgrund sowohl für den Regelbedarf als auch für die Kosten der Unterkunft gegeben. Die Kammer sei in ständiger Rechtsprechung der Auffassung, dass von dem Hilfebedürftigen nicht verlangt werden könne, seinem dauerhaft wohl wichtigsten Vertragspartner gegenüber vertragsbrüchig zu werden und so eine dauerhafte Beschädigung des Vertrauensverhältnisses in Kauf zu nehmen.

Die Beigeladene hat am 27.05.2016 gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII, da sie von diesen nach § 21 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen sei. Der gegenteiligen Rechtsprechung des BSG sei nicht zu folgen. Auch sei kein Anordnungsgrund hinsichtlich der Unterkunftskosten gegeben. Ein solcher liege im Regelfall erst bei Nachweis der Rechtshängigkeit einer Räumungsklage vor (LSG NRW Beschluss vom 22.06.2016, L 19 AS 721/16 B ER).

Die Antragstellerin hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie bemühe sich im Übrigen fortlaufend um Arbeit und habe verschiedene Probetage absolviert. Ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis habe sich bislang jedoch noch nicht ergeben.

Der Antragsgegner hält die angefochtene Entscheidung, soweit das Sozialgericht darin Leistungen nach dem SGB II abgelehnt hat, für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

Das Sozialgericht hat die Beigeladene zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen in Form des Regelbedarfs nach dem SGB XII zu erbringen. Für diese Leistungen ist sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund gegeben. Hinsichtlich des Anspruchs auf Kosten für Unterkunft und Heizung gilt dies allerdings nicht. Insofern fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R und Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, jeweils juris).

Die mit einer einstweiligen Anordnung auf die Durchführung einer Maßnahme in der Regel zugleich verbundene Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache erfordert darüber hinaus erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes, da der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtsuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Vorverlagerung der Entscheidung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen soll. Erforderlich ist mithin das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht. Eine solche besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist nur zu bejahen, wenn dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG Beschluss vom 16.05.1995, 1 BvR 1087/91).

Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für Anfechtungs- und (wie hier) für Vornahmesachen dürfen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (vgl. BVerfG Beschlüsse vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, SGb 2015, 175, m.w.N. und vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, BVerfGK 20, 196). Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 16c), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt. Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (BVerfG Beschluss vom 13.04.2010, 1 BvR 216/07, BVerfGE 126, 1 (27 f.), m.w.N.; vgl. zur Prüfungsdichte bei rechtlichen Fragen: BVerfG Beschluss vom 27.05.1998, 2 BvR 378/98, NVwZ-RR 1999, 217). Dabei ist eine weitergehende tatsächliche und rechtliche Prüfung des im Hauptsacheverfahrens geltend gemachten Anspruchs aus verfassungsrechtlichen Gründen dann erforderlich, wenn dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Grundrechte droht, die durch eine nachträgliche Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG Beschluss vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, a.a.O.). Ist einem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. In diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen.

Nach diesen Maßgaben besteht nach summarischer Prüfung der Rechtslage kein Anspruch gegenüber dem Antragsgegner auf Leistungen nach dem SGB II (siehe nachfolgend unter 1.), aber ein solcher gegenüber der Beigeladenen auf Leistungen nach dem SGB XII (siehe nachfolgend unter 2.). Insoweit hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Für die geltend gemachten Kosten der Unterkunft und Heizung fehlt es jedoch an einer ausreichenden Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes (siehe nachfolgend unter 3.).

1)
Die Antragstellerin hat nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen Prüfungsdichte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Sie erfüllt zwar die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht, sie ist mangels vorhandenen Einkommens und Vermögens hilfebedürftig und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 3 und 4 SGB II. Sie ist auch erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 SGB II, da insofern genügt, wenn ihr eine Beschäftigung hätte erlaubt werden können (vgl. BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R). Auch hält sie sich mehr als drei Monate im Bundesgebiet auf (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II). Einem Leistungsanspruch der Antragstellerin steht aber § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entgegen. Danach sind Ausländer und Ausländerinnen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsanspruch ausgenommen. Nach der Rechtsprechung des BSG erfordert die Anwendbarkeit der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II eine Prüfung des Grundes bzw. der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum (weiterhin) bestehende materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht nach den - im Wege eines Günstigkeitsvergleichs - anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes (§ 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU; vgl. BSG Urteile vom 03.12.2015, B 4 AS 59/13 und vom 30.1.2013, B 4 AS 54/12 R m.w.N.). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein mögliches anderes (im Falle des § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU im Ermessenswege zu erteilendes) bzw. bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" i. S. von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 59/13 R).

Die Antragstellerin fällt grundsätzlich in den Anwendungsbereich des FreizügG/EU, denn sie ist bulgarische Staatsangehörige und damit Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union. Als solche ist sie freizügigkeitsberechtigt unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist freizügigkeitsberechtigt, wer sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhält. Dieser Status bleibt bei unfreiwilliger durch die Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit unberührt, soweit die Tätigkeit mehr als ein Jahr andauerte, § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU. Dauerte die Beschäftigung weniger als ein Jahr bleibt die Freizügigkeitsberechtigung für die Dauer von sechs Monaten unberührt, § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU. Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung im vorgenannten Sinne sind bei der Antragstellerin nicht erfüllt. Im streitigen Zeitraum war sie nicht Arbeitnehmerin im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Die von der Antragstellerin angegebenen Probetage bzw. wenige Tage andauernde Probezeit belegen in diesem Zusammenhang allein ihre Bereitschaft zur Arbeitsuche. Ein Arbeitsverhältnis, das für sie den Status einer Arbeitnehmerin begründet, sieht der Senat hierin jedoch nicht (vgl. zur Frage der Arbeitnehmereigenschaft Senatsbeschluss vom 07.10.2016, L 12 AS 965/16 B ER, m.w.N.). Auch dauerte der ursprüngliche Arbeitnehmerstatus trotz bescheinigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nicht über den 31.12.2015 hinaus an. Zwar war die Antragstellerin vom 15.07.2013 bis zum 31.12.2013 und erneut vom 01.06.2014 bis zum 31.12.2014 als Arbeitnehmerin beschäftigt. In der Summe liegen damit Beschäftigungen von knapp mehr als 12 Monaten vor. Die Beschäftigungen werden aber durch eine fünfmonatige Arbeitslosigkeit unterbrochen. Ob es sich bei der Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU um eine durchgehende handeln muss oder ob mehrere Beschäftigungen aneinandergereiht oder auch mit Unterbrechungen aufaddiert werden können, ist als umstritten anzusehen (Addition mit Unterbrechungen bejahend: SG Düsseldorf Urteil vom 31.03.2016, S 18 AS 4381/15, anhängig B 4 AS 17/16 R; durchgehende Tätigkeit: OVG NRW Beschluss vom 22.05.2015, 12 B 312/15; vgl. zum Meinungsstand auch: Leopold in Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB II, 4. Auflage 2015, § 7 Rn. 99.12). Nachdem auch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften (AVV) zum FreizügG/EU vom 03.02.2016 von einer einjährigen durchgängigen Beschäftigung sprechen (vgl. Nr. 2.3.1.2 zu § 2 - Recht auf Einreise und Aufenthalt), hat der Senat zumindest in der vorliegenden Konstellation mit einer mehrmonatigen Unterbrechung aufgrund von Arbeitslosigkeit zwischen den Beschäftigungsverhältnissen erhebliche Zweifel daran, dass die Fortwirkung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU bei der Antragstellerin gegeben ist. Insofern brauchte der Senat auch nicht zu entscheiden, ob dem Erfordernis einer durchgehenden Tätigkeit mit einer ununterbrochenen Aneinanderreihung von Beschäftigungen genügt ist (so wohl: Bay. LSG Beschluss vom 20.06.2016, L 16 AS 284/16 B ER). Anhaltspunkte für eine anderweitige Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU (insbesondere nach § 4 FreizügG/EU) oder ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sind nicht ersichtlich.

Insofern spricht viel dafür, dass sich die Antragstellerin allein zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland aufhält und demgemäß für sie der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift. Dieser Leistungsausschluss ist mit unionsrechtlichen Vorschriften vereinbar und verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht (vgl. BSG Urteile vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R m.w.N. und vom 20.01.2016, B 14 AS 35/15 R m.w.N.). Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) steht dem Leistungsausschluss der Antragstellerin ebenfalls nicht entgegen. Die Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens (vgl. BSG Urteil vom 16.12.2015, B 4 AS 15/14 R).

Damit scheidet nach summarischer Prüfung ein Anspruch gegen den Antragsgegner als SGB-II-Träger aus.

2)
Für die Antragstellerin kann sich jedoch ein Anspruch gegen die Beigeladene auf Gewährung von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII ergeben.

Die Antragstellerin ist hilfebedürftig i.S.v. § 19 Abs. 1 i. V. m. § 27 SGB XII. Sie verfügt über kein Einkommen oder Vermögen zur Bestreitung des Lebensunterhalts.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist der Leistungsanspruch der Antragstellerin auch nicht nach § 23 SGB XII ausgeschlossen. Zwar besteht nach § 23 Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGB XII kein Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII, jedoch steht ihr ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt als Ermessensleistung nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII zu (vgl. BSG Urteile vom 03.12.2015, B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 43/15 R; vom 16.12.2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R; vom 20.01.2016, B 14 AS 15/15 R und B 14 AS 35/15 R; vom 17.02.2016, B 4 AS 24/14 R und vom 17.03.2016, B 4 AS 32/15 R). Anhaltspunkte für eine Einreise zur Erlangung von Sozialhilfe im Sinne des Ausschlussgrundes nach § 23 Abs. 3 S. 1 1. Alt. SGB XII (vgl. hierzu BSG Urteile vom 03.12.2015, B AS 44/15 R und vom 20.01.2016, B 14 AS 35/15 R) sind nicht ersichtlich.

Das Ermessen der Beigeladenen ist im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes der Antragstellerin von mehr als 6 Monaten auf Null reduziert (vgl. BSG Urteile vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R und vom 20.01.2016, B 14 AS 35/15 R). Im Hinblick auf die Dauer ihres Aufenthalts von mehr als zwei Jahren und wegen fehlender Anhaltspunkte für die Einleitung oder auch nur Vorbereitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hat die Antragstellerin einen bereits verfestigten Aufenthalt (vgl. hierzu BSG Urteile vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R und vom 20.01.2016, B 14 AS 35/14 R). Gesichtspunkte, die trotz Vorliegens eines verfestigten Aufenthalts gegen eine Ermessensreduzierung auf Null sprechen könnten, fehlen.

Dem Anspruch nach § 23 SGB XII steht auch nicht § 21 SGB XII entgegen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Nach dem unter Ziffer 1 dargestellten vorläufigen Ergebnis war die Antragstellerin im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfiel. Nach der Rechtsprechung des BSG führt dies dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen (vgl. BSG Urteile vom 03.12.2015, B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 43/15 R; vom 16.12.2015, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R; vom 20.01.2016, B 14 AS 15/15 R und B 14 AS 35/15 R; vom 17.02.2016, B 4 AS 24/14 R und vom 17.03.2016, B 4 AS 32/15 R). Unter Zugrundelegung der vorstehend darstellten Rechtsprechung des BSG ergibt sich somit nach summarischer Prüfung ein Leistungsanspruch der Antragstellerin aus dem SGB XII.

An seiner den vorgenannten Ausführungen entgegenstehenden Rechtsprechung (Senatsbeschluss vom 07.03.2016, L 12 SO 79/16 B ER) hält der Senat angesichts der zwischenzeitlich als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG (s. zuletzt BSG Beschluss vom 03.11.2016, B 14 AS 158/16 B, Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG NRW vom 11.04.2016, L 19 AS 555/15, als unzulässig), die in Abstimmung mit dem für Sozialhilfe zuständigen 8. Senat des BSG ergangen ist, nicht mehr fest.

Neben dem Anordnungsanspruch ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, denn die Antragstellerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass ihr aufgrund ihrer wirtschaftlichen Notlage das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar ist. Das Sozialgericht hat daher die Beigeladene zu Recht verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen nach dem SGB XII in Form des Regelbedarfs zu gewähren.

3)
Die Verpflichtung der Beigeladenen auf Gewährung von Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung erfolgte hingegen zu Unrecht, da die Antragstellerin einen Anordnungsgrund hierfür nicht glaubhaft gemacht hat.

Ein solcher kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich erst in Betracht, wenn Wohnungslosigkeit unmittelbar droht (Senatsbeschluss vom 17.02.2015, L 12 AS 47/15 B ER; LSG NRW Beschluss vom 06.07.2015, L 19 AS 931/15 B ER). Ein Anordnungsgrund ist damit im Regelfall erst bei Nachweis der Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst wenn - wie hier - eine fristlose Kündigung des Vermieters vorliegt, reicht dies für die Bejahung der Eilbedürftigkeit regelmäßig nicht aus (LSG NRW Beschluss vom 22.06.2016, L 19 AS 721/16 B ER). Der gegenteiligen Auffassung, wonach an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes in Bezug auf Kosten der Unterkunft und Heizung geringere Anforderungen zu stellen seien (so wohl: LSG NRW Beschluss vom 04.05.2015, L 7 AS 139/15 B ER), folgt der Senat nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 11.09.2015, L 12 AS 1494/15 B ER; ebenso: LSG NRW Beschlüsse vom 22.06.2016, L 19 AS 721/16 B ER, vom 06.07.2015, L 19 AS 931/15 B ER, und vom 25.05.2016, L 9 SO 210/16 B ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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