L 2 SO 5358/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 22 SO 4575/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 5358/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Zurechnungsregel nach § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zum Kindergeld gilt nicht für volljährige oder außerhalb der Haushaltsgemeinschaft lebende Kinder; das Kindergeld bleibt damit Einkommen des berechtigten Elternteils.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Oktober 2015 aufgehoben und der Bescheid des Beklagten vom 4. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2014 hinsichtlich Ziffer 3 aufgehoben und hinsichtlich Ziffer 2 abgeändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin die Leistungen des notwendigen Lebensunterhalts in der Einrichtung H. in der Zeit ab 10. Juni 2013 ohne Anrechnung von Kindergeld zu gewähren.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Berücksichtigung von Kindergeld als Einkommen der Klägerin bei der Gewährung von notwendigem Lebensunterhalt in einer Einrichtung.

Die Klägerin hat zwei ältere und ein gleichaltriges Geschwister. Für sie wird einem Elternteil Kindergeld von der Familienkasse in gesetzlicher Höhe - 2013 und 2014 monatlich 215 EUR - gezahlt. Bei der als Zwillingskind frühgeborenen Klägerin liegt eine wesentliche Behinderung in Form einer körperlichen und geistigen Behinderung sowie Sinnes- oder Sprachbehinderung vor (Trisomie 18, Herzfehler, Muskelschwäche, Mangelgeburt, Sauerstoffpflichtigkeit etc.; Stellungnahme des Fachbereichs Gesundheit vom 2.5.2013, Bl. 155 VA). Ihre Betreuung außerhalb einer Einrichtung ist nicht möglich. Sie wurde deshalb nach der Geburt vom Krankenhaus aus zum 10.6.2013 im Privatkinderheim H. in M. vollstationär aufgenommen. Mit Bescheid vom 27.5.2013 gewährte der Beklagte für die vollstationäre Unterbringung vorerst bis 31.8.2015 als Leistung der Eingliederungshilfe die in der Einrichtung entstehenden Aufwendungen für die Pflege, Betreuung und Beschulung, soweit diese nicht durch die Leistung zum Lebensunterhalt, über die ein gesonderter Bescheid ergangen sei, gedeckt sind. Zusätzlich wurde mit dem Bescheid eine Bekleidungspauschale und ein Barbetrag gewährt. An den Kosten dieser Maßnahme müsse sich die Klägerin mit ihrem Einkommen und Vermögen nicht beteiligen (Bl. 159 VA). Zwischenzeitlich hat der Beklagte die Eingliederungshilfeleistungen bis vorerst 31.12.2017 weitergewährt (Bescheid vom 15.1.2016, Bl. 29 LSG-Akte).

Über Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU; ohne Bekleidungspauschale und Barbetrag) für die Klägerin seit 10.6.2013 entschied der Beklagte erstmals mit Bescheid vom 4.2.2014 und lehnte die Gewährung ab, weil die Aufbringung der erforderlichen Mittel aus dem eigenen Einkommen der Klägerin in Höhe des Kindergeldes von 215 EUR und im Übrigen aus dem Einkommen der Eltern bestritten werden könne. Die dennoch in Höhe des Bedarfs gemäß § 92 Abs. 1 SGB XII (erweiterte Hilfe) an die Einrichtung überwiesenen Leistungen seien von der Klägerin in Höhe des Kindergeldes und im Übrigen von ihren Eltern dem Beklagten als Träger der Sozialhilfe zu ersetzen. Gegenüber den Eltern der Klägerin wurde der Aufwandsersatz mit Bescheid vom 5.2.2014 geltend gemacht. Auf den Widerspruch hin hob der Beklagte mit Aufhebungsbescheid vom 20.5.2014 den Bescheid vom 4.2.2014 auf und entsprach dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 5.2.2014 durch Abhilfebescheid vom 21.5.2014.

Der Beklagte entschied erneut über die HLU ab 10.6.2013 mit Bescheid vom 4.7.2014 und berücksichtigte nun nur noch Einkommen der Klägerin in Höhe des Kindergeldes von 215 EUR. Den Bedarf für den notwendigen und weiteren notwendigen Lebensunterhalt in der Einrichtung errechnete der Beklagte mit 608,20 EUR in der Zeit von Juni bis Dezember 2013 und seit Januar 2014 i.H.v. 613,20 EUR. Dieser Bedarf werde vom Beklagten in voller Höhe an die Einrichtung überwiesen. Der monatliche Anspruch der Klägerin betrage von Juni bis Dezember 2013 monatlich 393,20 EUR und seit Januar 2014 398,20 EUR. In Höhe ihres Einkommens, dem Kindergeld, werde die Klägerin zum Aufwandsersatz für die erbrachten Lebensunterhaltsleistungen verpflichtet. Das Kindergeld von derzeit 215 EUR sei rückwirkend ab 10.6.2013 monatlich auf das Konto des Beklagten zu überweisen. Anteilig für Juni 2013 wurden 150,50 EUR festgesetzt. Den Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern werde der Beklagte aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs (§ 94 SGB XII) selbst verfolgen. Dieser wurde mit weiterem Bescheid vom 4.7.2014 nach Abzug des Kindergeldes in Höhe von 293 EUR geltend gemacht (Bl 223, 265, 269 VA).

Gegen den Bescheid vom 4.7.2014 hat die Klägerin am 17.7.2014 Widerspruch einlegen lassen und die Auffassung vertreten, dass einerseits Aufwendungsersatz nicht rückwirkend verlangt werden könne und andererseits es überhaupt fraglich sei, ob das Kindergeld als Einkommen der Klägerin hinzugerechnet werden könne (Bl. 231 VA). Mit dem Widerspruchsbescheid vom 5.9.2014 (Bl. 251 VA) traf der Beklagte folgende Entscheidung:

1. Dem Widerspruch wird nicht entsprochen. 2. Für die Zeit ab 10.6.2013 werden Ihnen Leistungen nach dem Dritten Kapitel des 12. Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen in Höhe von monatlich 361 EUR, bzw. ab 1.1.2014 i.H.v. 366 EUR bewilligt. 3. In Höhe des von Ihnen einzusetzenden Einkommens i.H.v. 215 EUR (Kindergeld) werden gegenüber der Einrichtung Leistungen im Rahmen der sogenannten "erweiterten Hilfe" erbracht, für die von Ihnen Aufwandsersatz nach § 19 Abs. 5 SGB XII zu leisten ist. Als Aufwandsersatz wird hiermit für den Monat Juni 2013 ein Betrag i.H.v. 150,50 EUR gefordert, sowie ab 1. Juli 2013 monatlich ein Betrag i.H.v. 215 EUR.

Der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen bemesse sich nach § 27b SGB XII. Er umfasse den darin erbrachten sowie in stationären Einrichtungen zusätzlich den weiteren notwendigen Lebensunterhalt. Über den weiteren notwendigen Lebensunterhalt - Kleidung und Barbetrag - sei bereits im Bescheid vom 27.5.2013 entschieden worden. Der notwendige Lebensunterhalt entspreche den Leistungen der Grundsicherung nach § 42 SGB XII. Hierauf sei nach § 82 SGB XII Einkommen anzurechnen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII sei bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt werde. Dies sei im Falle der Klägerin ein Betrag von 215 EUR. Da der Anspruch der Klägerin auf Leistungen der Sozialhilfe um den Betrag des Kindergeldes geringer sei als die an die Einrichtung ausgezahlte Hilfe, werde von ihr in diesem Umfang ab 10.6.2013 Aufwandsersatz gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII gefordert. Für die Zeit vom 10.6.2013 bis 30.9.2014 betrage der Aufwandsersatz insgesamt 3.375,50 EUR, der geltend gemacht werde.

Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 2.10.2014 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Mit Bescheid vom 27.5.2013 habe der Beklagte zwar davon gesprochen, dass zu den Leistungen für den Lebensunterhalt bereits ein gesonderter Bescheid ergangen sei. Tatsächlich sei dieser Bescheid jedoch erst am 5.2.2014 ergangen. Damit stelle sich die Frage, ob dann Aufwandsersatz in Höhe des Kindergeldes nicht auch erst rückwirkend ab Februar 2014 geltend gemacht werden könne. Bedenken bestünden auch insoweit, als das Kindergeld der Klägerin als Einkommen zugerechnet werde, obwohl auch die Eltern der Klägerin weiterhin regelmäßig Leistungen für sie erbrächten. Weiterhin stelle sich die Frage, ob nicht eine Beschränkung auf die für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen nach § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in Betracht komme.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Urteil vom 16.10.2015 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass HLU gemäß § 19 Abs. 1 SGB XII Personen zu leisten sei, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen bestreiten könnten. Gemäß § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII sei bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt werde. Diese Vorschrift stelle eine Ausnahmeregelung zu der steuerrechtlichen Zuordnung der §§ 62, 63 EStG dar und habe ihren Hintergrund in der Zielsetzung, rechnerisch die Sozialhilfebedürftigkeit von Kindern zu vermeiden oder zu vermindern. Entsprechend dieser Regelung habe der Beklagte den auf die Klägerin nach Kopfteilen anfallenden Kindergeldbetrag als ihr Einkommen angerechnet. Der vom Klägerbevollmächtigten zitierten Kommentarliteratur, wonach die Anrechnung des Kindergeldes nur dann legitim sei, wenn das Kind in einem gemeinsamen Haushalt mit den Kindergeldberechtigten lebe, sei der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegenzuhalten. Im Gegensatz zu der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II, welche nur das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder umfasse, finde sich diese Einschränkung in § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII gerade nicht. Auch in der vorliegenden Konstellation werde der Gesetzeszweck erreicht, da durch die Anrechnung des Kindergeldes bei der Klägerin deren Sozialhilfebedürftigkeit tatsächlich verringert werde. Zu Recht habe der Beklagte den Aufwendungsersatz gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII festgesetzt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 92 Abs. 2 Satz 3 SGB XII, da schon viel dafür spräche, dass die neben den in Satz 1 genannten Maßnahmen in der Einrichtung durchgeführten anderen Leistungen überwiegen würden. Letztlich könne dies jedoch offenbleiben, da der vom Beklagten angesetzte monatliche Betrag mindestens der häuslichen Ersparnis entspreche, da bereits der regelsatzmäßige Bedarf darüber liege.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 30.11.2015 zugestellte Urteil hat dieser am 30.12.2015 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt und das Begehren auf Gewährung von HLU ohne Anrechnung des Kindergeldes unter Hinweis auf die Kommentarliteratur zu § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII weiter verfolgt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Oktober 2015 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 4. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2014 hinsichtlich Ziff. 3 aufzuheben und hinsichtlich Ziff. 2 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die Leistungen des notwendigen Lebensunterhalts in der Einrichtung H. in der Zeit ab 10. Juni 2013 ohne Anrechnung von Kindergeld zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz des Klägervertreters vom 4.10.2016 und des Beklagten vom 18.10.2016).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 SGG statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.

Berufung der Klägerin hat auch Erfolg.

Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt im Privatkinderheim H. in voller Höhe ohne Anrechnung von Kindergeld als ihr Einkommen.

Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 4.7.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.9.2014, mit dem der Beklagte der Klägerin ab 10.6.2013 für den stationären Aufenthalt im Privatkinderheim H. HLU für den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen nur in Höhe von monatlich 361 EUR, bzw. ab 1.1.2014 i.H.v. 366 EUR, nämlich unter Anrechnung von Kindergeld i.H.v. 215 EUR als Einkommen der Klägerin, gewährt hat und in dieser Höhe - für den Monat Juni anteilig 150,50 EUR - Aufwandsersatz verlangt. Dagegen geht die Klägerin zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage vor. Nicht Streitgegenstand sind die bereits mit dem nicht angefochtenen Bescheid vom 27.5.2013 bewilligten Leistungen für den weiteren notwendigen Lebensunterhalt - Bekleidungspauschale und Barbetrag - (§ 27b Abs. 2 SGB XII).

Anders als der Bewilligungsbescheid vom 27.5.2013 für die Leistungen der Eingliederungshilfe enthält der angefochtene Bescheid vom 4.7.2014 über HLU keine zeitliche Befristung, es handelt sich damit um einen Dauerverwaltungsakt.

Auch wenn zwischen den Beteiligten ausschließlich die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen der Klägerin (§ 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII) im Streit ist, handelt es sich dabei nicht um einen abtrennbaren Streitgegenstand, sondern nur um nicht gesondert anfechtbare Berechnungselemente der geltend gemachten höheren Leistung (BSG, Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R - juris Rn. 8 und 25; BSG, Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 23/06 R –, juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 26.8.2008 – B 8/9b SO 16/07 R –, juris Rn. 13). Bei der Entscheidung hierüber sind grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen über Grund und Höhe der Leistungen für die HLU zu prüfen.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf höhere Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen und ohne Geltendmachung eines Aufwandsersatzes nach § 19 Abs. 5 SGB XII sind die §§ 19 Abs. 1, 27b Abs. 1 SGB XII. Nach § 19 Abs. 1 SGB XII ist Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen bestreiten können. Der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen umfasst den darin erbrachten notwendigen Lebensunterhalt. Der notwendige Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen entspricht dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung nach § 42 Nr. 1, 2 und 4 SGB XII (§ 27b Abs. 1 SGB XII). Ausgehend davon wird festgestellt, dass der Beklagte den Bedarf der Klägerin im Jahr 2013 mit monatlich 576 EUR und ab 1.1.2014 mit 581 EUR (zusammengesetzt aus maßgeblicher Regelbedarf § 42 Nr. 1 SGB XII i.H.v. 224 EUR bzw. 229 EUR ab 1.1.2014 und durchschnittliche angemessene tatsächliche Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushalts § 42 Nr. 4 SGB XII in Höhe von 352 EUR - vgl. Widerspruchsbescheid vom 5.9.2014) zutreffend ermittelt und in der Folgezeit bis heute die danach gewährten Leistungen der HLU auch den geänderten Verhältnissen durch Erhöhung des Regelbedarfs auf zuletzt 237 EUR und Heimpauschale 425 EUR (Berechnungsbogen 12/2016, Bl. 32 LSG-Akte) zutreffend angepasst hat. Die minderjährige, schwerstbehinderte und heimpflegebedürftige Klägerin ist nicht in der Lage, diesen Bedarf aus ihrem Einkommen oder Vermögen auch nur teilweise zu decken. Ihr stehen die danach zu gewährenden Leistungen des notwendigen Lebensunterhalts in einer Einrichtung in voller Höhe zu.

Zu Unrecht berücksichtigt der Beklagte bei der Klägerin anspruchsmindernd das Kindergeld in Höhe von 215 EUR monatlich als deren Einkommen. Der Beklagte stützt die Anrechnung auf § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Danach ist bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 34, benötigt wird. Die vorgeschriebene Zurechnung erfolgt bei bis zu zwei minderjährigen Kindern in der jeweils zu zahlenden Höhe bei jedem von ihnen. Wird jedoch aufgrund eines Zählkinds oder weiterer im Haushalt lebender Kinder für das dritte und die weiteren Kinder höheres Kindergeld gezahlt, so ist der Gesamtkindergeldbetrag durch die Anzahl der Kinder zu teilen und der Kopfanteil jedem Kind zuzurechnen. Grund hierfür ist, dass die höheren Kindergeldbeträge in kinderreichen Familien nicht eine individuelle Mehrbelastung durch das dritte und jedes weitere Kind widerspiegeln, sondern der Gesamtbelastung Rechnung tragen (Geiger in LPK-SGB XII, 10. Aufl. § 82 Rn. 68 m.w.Nw.). Insofern ist bereits die Höhe der Kindergeldanrechnung durch den Beklagten zu beanstanden. Ein Elternteil erhielt zwar für die Klägerin (4. Kind) monatlich 215 EUR Kindergeld ausgezahlt. Der Gesamtkindergeldbetrag betrug aber 773 EUR und damit der auf die Klägerin entfallende Kopfanteil nur 193,25 EUR. Darüber hinaus ist die Anrechnung von Kindergeld bereits aus diesem Grund rechtswidrig.

Der Leistungsanspruch der Klägerin vermindert sich auch nicht durch eine Anrechnung von 193,25 EUR monatlich. Die Klägerin verfügt auch in dieser Höhe nicht über Einkommen, das sie für ihren notwendigen Lebensunterhalt in der Einrichtung zur Bedarfsdeckung einsetzen kann (§ 19 Abs. 1 SGB XII).

Die Berücksichtigung scheidet zunächst nicht nach § 83 Abs. 1 SGB XII aus. Danach werden Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur soweit als Einkommen berücksichtigt, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Das Kindergeld ist jedoch keine zweckbestimmte Leistung für das Kind, sondern als anzurechnendes Einkommen zu betrachten (Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, § 82, Rn. 40).

Eine Anrechnung bei der Klägerin kommt nur in Betracht, wenn das Kindergeld als ihr Einkommen und nicht das ihrer Eltern zu betrachten ist. Grundsätzlich ist Kindergeld sozialhilferechtlich Einkommen dessen, an den es als Leistungs- oder Abzweigungsberechtigten ausgezahlt wird (BSG SozR 4-3500 § 41 Nr 1 Rn. 15; BSG, Urteile vom 8.2.2007 - B 9b SO 6/06 R - Rn. 20 und - B 9b SO 6/05 R - Rn. 20 sowie - B 9b SO 5/05 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R - Rn. 22; BVerwG Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr. 38 S 27; BVerwG, Urteil vom 28.4.2005 - 5 C 28/04 -, NJW 2005, 2873 f). Davon gehen nicht zuletzt auch inzident die von diesem Grundsatz abweichenden ausdrücklichen Zuordnungsregelungen des § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII - jetzt § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII - (vgl. BSG, Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R - juris Rn. 22) und des § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II aus (vgl. dazu BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 3 Rn. 25 und SozR 4-4200 § 20 Nr 3 Rn. 33 f). Auszahlungsempfänger ist vorliegend ein Elternteil der Klägerin.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist davon abweichend das Kindergeld nicht der Klägerin als Einkommen nach § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zuzuordnen. Nach dem Wortlaut, wonach bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen ist, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt wird, könnte zwar zunächst davon ausgegangen werden. Die Vorschrift ist jedoch auf den Fall, dass ein minderjähriges Kind außerhalb des Haushalts dauerhaft stationär in einer Einrichtung und damit nicht in der Einstandsgemeinschaft lebt, nicht anwendbar. Mit der Regelung des § 82 Abs. 1 Satz 3 (zuvor Satz 2) SGB XII hat der Gesetzgeber die notwendige Klärung der im BSHG strittigen Rechtsfrage getroffen, bei welchem Mitglied einer Einsatzgemeinschaft das Kindergeld als Einkommen zu berücksichtigen ist (Lücking in Hauck/Noftz SGB XII, § 82 Rn. 39). Die Zurechnung des Kindergeldes beim minderjährigen Kind, das typischerweise mit den Eltern in einem gemeinsam wirtschaftenden Familienhaushalt lebt - und deshalb die Vermutung gilt, dass ihnen das Kindergeld bis zur Höhe ihres tatsächlichen Bedarfs zugewendet wird (Hauck/Noftz aaO. Rn. 42) - , hat zum Ziel, die Sozialhilfebedürftigkeit möglichst vieler Kinder zu beseitigen (so Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 5.9.2003, BT-Drucks 15/1514 S. 65 (dort zu § 77 SGB XII)). Die Neuregelung ist auf die besondere Bedarfslage von minderjährigen Kindern zugeschnitten, denen gegenüber die Eltern uneingeschränkt unterhaltsverpflichtet sind (vgl. zur erweiterten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern § 1603 Abs. 2 BGB ); das Kindergeld soll insoweit die ausgefallene Unterhaltsleistung der Eltern ersetzen und den sozialhilferechtlichen Bedarf des Kindes decken helfen (Lücking in Hauck/Noftz, aaO, § 82 Rn. 25). Dies ist vor dem Hintergrund des § 31 Satz 2 EStG von Bedeutung, wonach das Kindergeld - neben der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes (vgl. § 31 Satz 1 EStG) - auch der Förderung der Familie zu dienen bestimmt ist; ohne die gesetzliche Klarstellung blieben Zweifel an einer Zuordnung allein beim Kindesbedarf (BSG, Urteil vom 8.2.2007 – B 9b SO 5/06 R –, juris Rn. 19).

Die in der Vergangenheit strittige Frage, wem das Kindergeld zuzurechnen ist, wenn der Hilfeanspruch für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu prüfen ist, wurde dadurch für minderjährige Kinder geklärt (Lippert in Mergler/Zink, SGB XII Stand Mai 2009 Rn. 29).

Die Zurechnungsregel gilt daher nicht (bereits nach dem Wortlaut) für volljährige oder (hier einschlägig) außerhalb der Haushaltsgemeinschaft lebende Kinder; es bleibt damit Einkommen des Berechtigten (Lippert in Mergler/Zink, SGB XII Stand Mai 2009 Rn. 30; Geiger in LPK-SGB XII § 82 Rn. 71; vgl. auch BFH, Beschluss vom 5.6.2014 - VI R 14/12 - , juris Rn. 35 zu einem Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers auf nachträglich festgesetztes Kindergeld bei vorheriger Leistung von HLU an das Kind). § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist damit im Wege der teleologischen Reduktion als Zurechnungsregel zu verstehen, die nur dann Anwendung findet, wenn das minderjährige Kind und der Kindergeldberechtigte eine Einstandsgemeinschaft bilden, vergleichbar § 11 Abs.1 Satz 3 SGB II, wo die Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft allerdings ausdrücklich erwähnt ist. Dies macht auch insofern Sinn, als § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII lediglich die Zurechnung und damit die normative Verteilung erzielten Einkommens betrifft, ohne die Einkommensqualität oder den Zufluss des Kindergeldes selbst regeln zu wollen. Dabei ging es dem Gesetzgeber nicht um eine dem grundsicherungsrechtlichen Faktizitätsgedanken zuwiderlaufende fiktive Berücksichtigung tatsächlich nicht vorhandenen Einkommens. Hintergrund ist vielmehr die Vermutung, dass das den Eltern zufließende Kindergeld in einer familiären Gemeinschaft, die ihren Gesamtbedarf aus Einkommen und Vermögen nicht vollständig decken kann und deshalb - im familiären Sinne - eine Notgemeinschaft bildet, tatsächlich auch den Kindern zur Deckung ihres Bedarfs zu Gute kommt (BSG, Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R -, juris Rn. 20 zu § 11 SGB II). Da die Klägerin im Heim und nicht bei ihren Eltern lebt, verbleibt es damit beim Kindergeld als Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils.

Als eigenes Einkommen wird dem Kind das Kindergeld in dem Fall nur angerechnet, soweit es ihm vom bezugsberechtigten Elternteil durch einen gesonderten, zweckorientierten Zuwendungsakt tatsächlich und zeitnah weitergegeben wird (BSG Urteil vom 11.12.2007 B 8/9b SO 23/06 R), was vorliegend jedoch nicht der Fall ist. Das Kindergeld stand und steht der Klägerin damit auch nicht als "bereites Mittel" zur Verfügung. Das Kindergeld ist daher nicht bei der Klägerin anspruchsmindernd als Einkommen zu berücksichtigen. Damit wird auch der Aufwandsersatz nach § 19 Abs. 5 SGB XII zu Unrecht gefordert.

Ob das Kindergeld dann ggf. bei dem nach § 94 SGB XII übergeleiteten Unterhaltsanspruch erhöhend bei den Eltern zu berücksichtigen ist, war hier nicht zu entscheiden.

Die Berufung der Klägerin hatte daher Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die vorliegende Rechtsfrage zur Auslegung des § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII für minderjährige, nicht im Haushalt des Kindergeldberechtigten lebende Kinder bisher nicht geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
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