Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 KR 1899/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 03.09.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2015 verpflichtet, für die Zeit von Juli 2015 bis Juli 2016 dem Kläger Kosten in Höhe von 455,90 Euro für die Anschaffung von Kapseln mit dem Wirkstoff EGCG zu erstatten und den Kläger ab August 2016 zeitlich unbegrenzt mit Kapseln mit dem Wirkstoff EGCG im verordneten Umfang (3 x täglich 300 mg EGCG) im Rahmen der Sachleistungspflicht zu versorgen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der im Jahre 1939 geborene Kläger leidet seit 2011 unter Herzrhythmusstörungen ver-bunden mit Atemnot und Wassereinlagerung in der Lunge aufgrund einer senilen TTR-Amyloidose (ATTR) des Herzens.
Er ist seit dem 01.07.2006 als Rentner versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten.
Mit Schreiben vom 12.07.2015 (Eingang am 14.07.2015) beantragte der Kläger die Kos-tenübernahme für die Gabe von Grüntee-Extrakt, da dieses Mittel den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen würde. In einigen Fällen sei sogar der Rückgang der Einlagerung von Amyloid im Herzmuskel beschrieben worden.
Der behandelnde Dr. D. beruft sich im Attest vom 10.07.2015 auf das Amyloidosezentrum der Universität B-Stadt, wonach die Gabe von hochdosiertem Epigallocatechingallat (EGCG), welches im grünen Tee enthalten sei, empfohlen werde. Dementsprechend habe er die Einnahme von Grünteekapseln von Sunday natura 96 % mit einem EGCG- Anteil von 400 mg zweimal täglich empfohlen.
Der Kläger reichte Rechnungen vom 13.07.2015, 07.08.2015, 06.09.2015 und 27.10.2015 von jeweils 33,80 EUR, 33,80 EUR, 57,70 EUR sowie 57,70 EUR ein, wobei bezüglich des höheren Rechnungsbetrags jeweils ein Vorteilspack mit zwei Gläsern à 53,80 EUR bestellt wurde.
Die Beklagte holte die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversiche-rung (MDK) Bayern ein (Eingang bei der Beklagten am 03.09.2015). Dieser führte aus, dass das für die ATTR verantwortliche Protein fast ausschließlich von der Leber produziert werde. Eine wirksame Behandlung sei die Lebertransplantation. Es könne auch eine kombinierte Herz-Leber-Transplantation erwogen werden. Die fünfjährige Überlebensrate betrage weniger als 50 %.
Kontrollierte wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von EGCG würde nicht vorliegen. EGCG sei als nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Das angefragte Arzneimittel gelte nicht als Therapiestandard der ATTR (Berufung auf § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V). Das Präparat werde auch nicht in der Anla-ge I als zugelassene Ausnahme zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach Abs. 1 S. 2 aufgeführt. Die Kostenübernahme könne nicht empfohlen werden.
Mit Bescheid vom 03.09.2015 wurde die Kostenübernahme abgelehnt. Die Krankenkassen dürften ihren Versicherten nur Heilmittelmethoden zur Verfügung stellen, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen sei und die von einem speziellen Bundesausschuss eine offizielle Zulassung erhalten hätten. Die beantragte Leistung gehörte nicht hierzu.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 13.09.2015 Widerspruch ein. Er beruft sich insbeson-dere auf § 2 Abs. 1a SGB V und darauf, dass ein Medikament von 30 EUR monatlich sehr viel kostengünstiger sei als eine Lebertransplantation, die ca. 250.000 EUR an Kosten verursachen würde.
Daraufhin wurde seitens der Beklagten ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK Bayern datierend auf den 27.10.2015 eingeholt. Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1a SGB V lägen nicht vor. Ausführliche kardiologische Befundberichte mit Angaben zu möglichen Funktionseinschränkungen des Herzens seien nicht vorgelegt worden. Befundberichte oder genetische Testungen, die eine ATTR belegen würden, lägen nicht vor. Die vom Versicherten geltend gemachten Forschungsergebnisse seien bislang nicht publiziert. Eine medizinische Evidenz für die Wirksamkeit des beantragten Präparats in der Dosierung 2x40 mg läge nicht vor. Es könne nicht bestätigt werden, dass die hier geltend gemachte Herzerkrankung das Stadium einer lebensbedrohlichen Situation erreicht habe. Auch liege mit der Lebertransplantation ein allgemein anerkannter medizinischer Standard zur Verfü-gung. Diese werde als andere Maßnahme empfohlen.
Mit Schreiben vom 03.11.2015 verweist der Kläger auf den beiliegenden Entlassungsbericht des Klinikums A-Stadt vom 21.09.2015. Hier wird eine schwere Linksventrikel-Hypertonie sowie eine diastolische Compliancestörung Grad III befundet.
Die Unterlagen wurden erneut dem MDK Bayern zur Prüfung vorgelegt. Gem. der Stel-lungnahme vom 11.11.2015 würden die eingereichten Unterlagen keine neuen medizinischen Erkenntnisse ergeben. Den Einlassungen des Gutachtens vom 27.10.2015 sei wei-terhin in vollem Umfang zuzustimmen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2015 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Versicherte müsse zunächst einen Antrag auf Bewilligung der von ihm gewünschten Sachleistung an die Krankenkasse richten. Erst wenn die Krankenkasse seinen Antrag rechtswidrig abgelehnt und sich der Versicherte deshalb gezwungen sehe, die Leistung selbst zu beschaffen, wandle sich sein Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstat-tungsanspruch um. Dasselbe gelte, wenn ein Notfall vorliege, der es dem Versicherten unmöglich mache, den mit der Antragstellung beginnenden regelmäßigen Beschaffungsweg zu beschreiten. Beides läge nicht vor.
Ein Kostenerstattungsanspruch trete an die Stelle des Anspruchs auf eine Sachleistung und bestehe nur, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehören würde, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Naturalleistungen zu erbrin-gen sind (Verweis auf BSG, Urteil vom 14.12.2006).
Die Fachgutachter des MDK hätten dargelegt, dass die geltend gemachte Herzerkrankung das Stadium einer lebensbedrohlichen Situation nicht erreicht habe. Darüber hinaus könne nicht festgestellt werden, dass ein allgemein anerkannter medizinischer Standard nicht zur Verfügung stehen würde. Die Lebertransplantation würde einen solchen Standard darstellen. Auch sei nicht bestätigt worden, dass die Gabe des begehrten Medikaments eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf habe.
Der Kläger erhob hiergegen am 29.12.2015 Klage zum Sozialgericht München. Er führte aus, dass im Juni 2010 bei ihm Vorhofflimmern festgestellt worden sei. Er habe sich bis heute fünf Ablationen und 21 Kardioversionen (zuletzt am 21.12.2015) unterziehen müssen. Alle bisherigen Versuche, das Herz im Sinus-Rhythmus zu stabilisieren, seien erfolg-los geblieben. Eine Myocardbiopsie habe den Verdacht auf eine ATTR bestätigt, eine wei-tere subtypische Untersuchung differenzierte diese als senile ATTR aus. Die behandelnden Kardiologen Dr. D. und Dr. E. würden übereinstimmend davon ausgehen, dass die ATTR lebensbedrohlich sei und würden die Behandlung mit EGCG empfehlen. Forschungen im Amyloidose- Zentrum des Universitätsklinikums B-Stadt hätten die Wirkung von Grüntee auf die Krankheit in mehreren randomisierten Studien bestätigt.
Der Kläger geht von einer Wartezeit für eine Spenderleber von fünf Jahren aus. Er hält die Argumentation des MDK Bayern für zynisch, da dieser wissen würde, dass er das Warten auf das Spenderorgan nicht überleben würde.
Der Kläger legte eine ärztliche Verordnung vom 01.03.2016 vor über EGCG 300 mg (1-1-1). Demgemäß erfolgte die gleiche Verordnung jeweils am 11.07.2015, 06.08.2015, 06.09.2015, 27.10.2015 und 01.02.2016. Weiterhin wurde eine Rechnung in Höhe von 57,70 EUR mit Rechnungsdatum 01.02.2016 eingereicht.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung der Befunde der behandelnden Ärzte des Klägers sowie durch Ladung des Sachverständigen Prof. Dr. B. (Stellv. Chefarzt GRN-Klinik E-Stadt, Oberarzt der Inneren Medizin III (Kardiologie, Angiologie und Pneumologie) des Universitätsklinikums B-Stadt, Habilitation zum Thema "Kardiale Amyloidose – Risikostratifizierung und innovative Therapieansätze") zur mündlichen Verhand-lung. Der Kläger erklärte sein Einverständnis, dass der Sachverständige Einblick in seine medizinischen Unterlagen und in die Gerichts- und Verwaltungsakte erhält.
Der Sachverständige machte zu den unten genannten Beweisfragen folgende Ausführungen:
1. Liegt beim Kläger mit der TTR-Amyloidose (ATTR) eine lebensbedrohliche Krankheit vor? "Es liegt beim Kläger eine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Die ATTR ist stetig progredient. Über die Zeit droht der Herzstillstand. Die abstrakte 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei etwa 50 %.
Beim Kläger liegt eine Wanddickenzunahme von 15-22 mm vor (normal 11 mm). Dies bedeutet eine deutliche Verdickung von +100 %.
Die maximale Herzwanddicke liegt bei ca. 20-25 mm, danach erfolgt erfahrunsgemäß eine Leistungsminderung (systolische Funktion). Beim Kläger liegt nach der Akte noch eine gute Pumpfunktion bei eingeschränkter diastolischer Füllung vor."
2. Wie häufig kommt die ATTR in Deutschland vor? Würden Sie diese Erkrankung als sehr selten einstufen? "Zur senilen ATTR liegen keine Prävalenzdaten vor. Ich schätze, dass ca. 1 % der über 80-jährigen die Krankheit haben könnte. Es könnte sein, dass die Krankheit häufiger wird, da besser diagnostiziert. Selten ist eine Krankheit medizinisch bei unter 5/10.000. Dies ist bei der senilen ATTR derzeit gegeben.
Die senile ATTR wird derzeit nicht systematisch behandelt. Es gibt kein zugelassenes Medikament. Die Lebertransplantation ist nicht geeignet, da kein mutiertes Eiweiß (Transthyretin) vorliegt. Patienten mit Herzbeteiligung sind wegen der OP-Risiken ausgeschlossen. Auch das Alter des Kl. spricht dagegen. Die genauen Auslöseprozesse für die senile ATTR sind nicht bekannt oder warum nur das Herz befallen ist.
Tafamidis ist keine Option, dieses Medikament ist nur für die hereditäre Form zugelassen. Ggf. kommen zur senilen ATTR genauere Daten (in ca. 2 Jahren)."
3. Handelt es sich bei EGCG um ein Funktionsmedikament im Sinne von Bl. 29 der Akte zum einstweiligen Rechtsschutz (S 12 KR 1843/15 ER)? Entspricht die Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse? Gibt es hierzu (ggf. randomisierte) wissenschaftliche Studien? "Das EGCG ist ein Funktionsmedikament im Sinne von dem Einfluss auf physiologische Prozesse. Denn es ist nach Studienlage geeignet, dass es die Bildung von Amyloid hemmt und Fibrillen spalten kann.
Es gibt keine randomisierten Studien, nur eine Verlaufsbeobachtung. Eine Placebokontrolle ist wegen der Freiverfüglichkeit des Präparats fast ausgeschlossen.
EGCG ist in den USA auch als möglicher Wirkstoff in der medizinischen Forschung im Gespräch. Es gibt derzeit keine zugelassene Behandlung, die kausal die senile ATTR verhindern würde."
4. Ist die Gabe von EGCG geeignet, den Verlauf der ATTR positiv zu beeinflussen? "Die Gabe von EGCG ist möglicherweise geeignet, den Verlauf positiv zu beeinflussen. Dies lässt sich aus den Verlaufskontrollen ableiten, auch wenn diese nicht den höchsten Stand der wissenschaftlichen Evidenz abbilden. Die Studien zeigen eine durchschnittliche Reduktion der Herzmasse in einem Jahr um 10 %."
5. Falls Frage 4 bejaht wird: War die Einnahme von EGCG aus ihrer Sicht unaufschiebbar (war sie im Juli 2015 so dringlich, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand), d.h. musste der Kläger das Medikament bereits vor Ablehnung durch die Krankenkasse im September 2015 bereits im Juli 2015 (Zeitpunkt der Empfehlung durch den behandelnden Kardiologen) einnehmen, um den Verlauf der Krankheit frühzeitig zu beeinflussen? "Aus medizinischer Sicht ist es richtig, EGCG so früh als möglich zu geben. Man könnte natürlich auch argumentieren, dass es aufgrund der niedrigen Progressionsgeschwindigkeit auf einige Wochen nicht ankommt."
6. Ist die Leber- (und Herz-)transplantation eine erfolgsversprechende Alternativbehandlung zur Gabe von EGCG? siehe oben
7. Falls Frage 6 bejaht wird: Wie schätzen Sie den zeitlichen Horizont ein, bis wann der Kläger mit einer Spenderleber und ggf. einem Spenderherzen rechnen darf? Wie hoch ist in etwa die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger die Wartezeit bis zur Lebertransplantation überlebt? (-)
8. Welche Risiken bestehen bei einer Lebertransplantation, welche bei der Gabe des begehrten Medikaments? (-)
9. Wie fortgeschritten ist die Krankheit beim Kläger und welche Organe sind befallen? Kann die Amyloidose des Klägers noch durch eine Lebertransplantation beherrscht werden? siehe oben
10. Haben Sie Kenntnis darüber, dass sich der GBA mit der Zulassung von EGCG für die Behandlung der Amyloidose befasst? "Ich habe keine Kenntnis, dass sich der GBA mit der Zulassung befasst. Dafür ist die Datenlage auch zu dünn."
11. Ist aus wissenschaftlicher Sicht angeraten, dass sich der GBA mit der Behandlung der Amyloidose mit EGCG befasst? "Erst wenn randomisierte Studien da sind, ist dies sinnvoll."
12. Frage des Klägers: Wird die Dosiserhöhung auf 900 mg pro Tag derzeit empfohlen? "Es ist richtig, dass die Dosierung derzeit von ursprünglich 550 mg Tagesdosis auf 800-1200 mg erhöht wird in den Empfehlungen."
13. Frage des Beklagtenvertreters: Gibt es derzeit ein Studienprogramm in B-Stadt, an dem der Kläger teilnehmen kann? Ist die Universität B-Stadt die einzige Forschungseinrichtung, die sich mit der Amyloidose befasst? Kann der Bedarf an EGCG auch mit Teetrinken gedeckt werden? "Bezüglich der Wirkung von EGCG auf die senile ATTR gibt es derzeit keine Studie in B-Stadt. Dies scheitert an den Kosten (300.000 EUR nötig) und an der Freiverfügbarkeit des Präparats.
Ich bin meines Wissens der einzige in Deutschland, der hierzu forscht.
Man könnte theoretisch die Wirkmenge von ca. 900 mg EGCG auch mit dem Trinken von 3 Liter grünem Tee am Tag aufnehmen. Dies ist beim Kläger medizinisch aber nicht indiziert, da Herzkranke auf ihren Wasserhaushalt stark achten müssen, um Wassereinlagerungen zu vermeiden. Koffein ist nicht direkt schädlich, wird aber unterschiedlich vertragen."
Der Kläger legte dem Gericht weitere zwei Rechnungen vom 05.03.2016 über 107,60 EUR sowie vom 16.07.2016 über 83,70 EUR vor.
Er beantragt sachdienlich gefasst: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 03.09.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2015 verpflichtet, für die Zeit von Juli 2015 bis Juli 2016 dem Kläger Kosten in Höhe von 455,90 Euro für die Anschaffung von Kapseln mit dem Wirkstoff EGCG zu erstatten und den Kläger ab August 2016 zeitlich unbegrenzt mit Kapseln mit dem Wirkstoff EGCG im verordneten Umfang (3 x täglich 300 mg EGCG) zu versorgen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagtenvertreter führt aus, dass er zu medizinischen Fragen keine Aussage treffen könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 03.09.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2015 verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Therapie der senilen ATTR mit EGCG.
Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V - haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Hierbei umfasst die Krankenbehandlung nach Maßgabe des S. 2 Nr. 1 die ärztliche Behandlung, mithin die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früher-kennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist (§ 28 Abs. 1 S. 1 SGB V).
Diese Leistungen müssen nach dem unter § 12 Abs. 1 SGB V statuierten Wirtschaftlichkeitsgebot ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Aus dem Sachleistungsprinzips nach § 2 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V folgt, dass die Krankenkassen den Versicherten die im dritten Kapitel ge-nannten Leistungen unter Beachtung dieses Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stellen, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zuzurechnen sind. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen, wobei Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemei-nen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizini-schen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V oder das neunte Buch Sozialgesetzbuch nichts abweichendes vorsehen. Eine Kostenerstattung ist damit grundsätzlich nicht vorge-sehen.
EGCG ist als Nahrungsmittelergänzungspräparat im freien Verkauf erhältlich. Die Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung ist demgemäß grundsätzlich gem. § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V ausgeschlossen. Auch liegt hinsichtlich EGCG keine zugelassene Ausnahme vom gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 31 Abs. 1 S. 2 SGB V vor.
Dennoch ist ein Kostenübernahme- bzw. -erstattungsanspruch ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, wenn die fehlende Verordnungsfähigkeit auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruht (vgl. BSG, 28.03.2000, B 1 KR 11/98, juris). Ein Systemversagen ist dann gegeben, wenn die Einleitung oder Durchführung des Verfahrens willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert wurde. Auch bei einem Systemversagen muss jedoch die Wirksamkeit des Präparats durch entsprechende wissenschaftliche Nachweise (statistisch) belegt sein. Diese Kriterien sind hier nicht erfüllt. Hinweise auf ein Systemversagen bestehen nach den überzeugenden Aussagen des Sachverständigen Prof. B. nicht. Derzeit liegen noch keine randomisierten Studien zur Behandlung der senilen ATTR mit EGCG vor, so dass eine Befassung des GBA mit EGCG als Wirkstoff gegen die senile ATTR derzeit wissenschaftlich noch nicht angezeigt ist.
Der Versicherte hatte jedoch einen Anspruch auf Übernahme der Kosten nach den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Entscheidung vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98) entwi-ckelten, und mittlerweile in § 2 Abs. 1a SGB V normierten Anforderungen an das Leis-tungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung bei einer lebensbedrohlichen oder re-gelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung (vgl. Verordnungsfähigkeit von nicht zugelassenen Arzneimitteln mit nicht nachgewiesener Wirksamkeit LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 10.05.2016, L 6 KR 87/12 S 3 KR, Leitsatz 2 und Rn. 37, juris). Nach § 2 Abs. 1a SGB V hat der Versi-cherte einen Anspruch auf Übernahme der Kosten unter folgenden Voraussetzungen: • Es muss eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegen. • Für diese Erkrankung darf eine eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehen. • Durch die Behandlung muss eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen.
Zu 1) Nach den Feststellungen der Kammer liegt beim Versicherten eine lebensbedrohliche Er-krankung vor. Der Kläger leidet an der senilen ATTR, die stetig progredient ist. Über die Zeit droht der Herzstillstand. Die abstrakte 5-Jahres-Überlebensrate liegt gem. den über-zeugenden und schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. B. bei etwa 50 %. Dem entspricht der Entlassungsbericht des Klinikums A-Stadt vom 21.09.2015. Hier wird eine schwere Linksventrikel-Hypertonie sowie eine diastolische Compliancestörung Grad III befundet.
Eine arterielle Hypertonie Grad III beinhaltet aber schwere Organschäden mit manifesten kardiovaskulären Folgeerkrankungen: Angina pectoris, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, neu-rologische Symptome (TIA, Schlaganfall), periphere Verschlusskrankheit, Aortendissekti-on, Fundus Hypertonicus III und IV, Niereninsuffizienz (Quelle: Wikipedia), so dass bereits daraus die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung abzuschätzen ist. Es ist für die erken-nende Kammer nicht verständlich, dass der MDK Bayern im Hinblick auf seine erste gut-achterliche Stellungnahme vom 27.10.2015 seiner Amtsermittlungsverpflicht nicht nach-gekommen ist und keine Befundberichte angefordert, vielmehr "ins Blaue" hinein behauptet hat, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung nicht vorliegen würde. Noch unverständlicher ist dann die Stellungnahme vom 11.11.2015, wonach der MDK Bayern unter Ansehung des Berichts des Klinikums A-Stadt apodiktisch ohne Begründung behauptete, dass sich aus den eingereichten Unterlagen keine neuen medizinischen Erkenntnisse ergeben würden. Es drängt sich der Kammer der Eindruck auf, dass sich der MDK Bayern mit der spezifischen Situation des Klägers nicht auseinandersetzen wollte.
Zu 2) Gemäß den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. B. gibt es für die Therapie der senilen ATTR keine Standardtherapie. Insbesondere ist die Lebertransplantation – unabhängig von der vom MDK Bayern nicht beantworteten Frage nach der zeit-nahen Verfügbarkeit eines geeigneten Spenderorgans - aus zweierlei Gründen keine Behandlungsoption: Beim Kläger liegt nicht die hereditäre ATTR vor, d.h. seine Leber produziert kein abnormes Transthyretin (vgl. hierzu https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Transthyretin-TTR-Amyloidose.117167.0.html). Dementsprechend ist die Lebertransplantation komplett sinnlos, da die Degenerierung des Transporteiweisses außerhalb der Leber stattfindet und diese nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bisher nicht verstanden ist. Zudem ist die Lebertransplantation für einen so schwer herzkranken Patienten wie den Kläger keine Option. Wenigstens letzteres Ausschlusskriterium hätte dem MDK Bayern auffallen müssen. Insoweit ist auf die oben genannte Kritik am Vorgehen des MDK Bayern zu verweisen.
Zu 3) Nach der Überzeugung der Kammer liegt auch eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vor. Der Sachverständige Prof. B. führte hierzu zwar aus, dass aufgrund der wenigen vorliegenden Studien, die auch nicht randomisiert sind, eine belastbare positive Aussage bezüglich des Heilungsverlauf nicht möglich ist. Allerdings belegen die Verlaufskontrollen, dass durchschnittlich eine Reduktion der Herzmasse in einem Jahr um 10 % erreicht werden konnte, da das EGCG wissenschaftlich erwiesen imstande ist, die Bildung von neuem Plaque zu hemmen und vorhandenes Plaque aufzulösen. Die klinische Erfahrung des Universitätsklinikums B-Stadt als einziges medizinisches Spitzenzentrum, das sich mit den kardiologischen Auswirkungen der ATTR beschäftigt, durfte nach Ansicht der Kammer bei der Beurteilung der Frage, ob eine ausreichende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gegeben ist, vom behandelnden Arzt berücksichtigt werden.
Es handelt sich mithin bei der Behandlung mit EGCG um einen Heilversuch, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf erwar-ten lässt. Gem. den überzeugenden Ausführungen von Prof. K. ist die Einnahme von 3x 300 mg EGCG pro Tag therapeutisch indiziert und demgemäß von der Beklagten im Rahmen des Sachleistungsprinzips bereitzustellen.
Da demgemäß die Ablehnung der Behandlung der senilen ATTR mit EGCG rechtswidrig war, ergibt sich der Erstattungsanspruch des Klägers mit Wirkung ab Bekanntgabe des Bescheids vom 03.09.2015 aus § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V. Jedoch war auch schon die Behandlung ab Juli 2015 bis September 2015 zu erstatten (EGCG-Abrechnungen in Höhe von 91,50 EUR). Insoweit ergibt sich der Erstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB V. Eine Leistung ist unaufschiebbar im Sinne dieser Regelung, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand. Nach zutreffender Auffassung kommt es allein auf medizinische Gründe an (Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 41). Es lag im Juli 2015 ein Notfall vor. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass es medizinisch angeraten ist, mit der EGCG-Behandlung so früh wie möglich zu beginnen. Da der Kläger nicht absehen konnte, wie lange er auf die Entscheidung der Beklagten warten muss, war ihm angesichts der vorliegenden gravierenden Gesundheitsbeeinträchtigungen (vgl. oben) ein Zuwarten nicht zuzumuten.
Auch der Arztvorbehalt wurde beachtet, da jeweils ärztliche Verordnungen vorlagen. Formelle Anforderungen an die Verordnung bestehen nicht. Weil es gerade um in Durchbrechung des Naturalleistungssystems beschaffte Leistungen geht, ist die Verwendung eines Rezeptformulars der gesetzlichen Krankenversicherung selbstverständlich nicht erforder-lich. Das BSG lässt es – am Schutzzweck des Arztvorbehalts orientiert – genügen, wenn der Arzt durch sein Handeln die eigene Verantwortung für die durchgeführte Therapie hin-reichend deutlich zum Ausdruck bringt und dieser Vorgang nicht intern bleibt (Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 38). Das mit dem An-trag vom 12.07.2015 eingereichte Attest von Dr. D. datierend auf den 10.07.2015 (Bl. 18 der Verwaltungsakte) sowie die Verordnungen von Dr. D. genügen diesem Erfordernis.
Der Anspruch des Klägers ergibt sich überdies aus der fiktiven Genehmigung nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V, die mit Ablauf der Dreiwochenfrist von § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V ein-getreten ist. Die fiktive Genehmigung umfasst sowohl den Erstattungsanspruch als auch den Sachleistungsanspruch (vgl. SG Augsburg, Urteil vom 29. September 2016 – S 6 KR 148/16 –, Rn. 29, juris; a.A. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 07. September 2016 – L 20 KR 597/15 –, Rn. 28 ff. mit Zulassung der Revision).
Die Frist von drei Wochen ist maßgeblich, weil die Beklagte den Kläger nicht über die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme unterrichtete (vgl. zur Pflicht § 13 Abs. 3a S. 2 SGB V). Auch eine Mitteilung nach § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V erfolgte nicht. Ohne diese gebotene Information kann der Leistungsberechtigte nach Ablauf von drei Wochen an-nehmen, dass sein Antrag als genehmigt gilt (a. A. Rieker, NZS 2015, 294, 296). Die Frist begann am Mittwoch, 15.07.2015 (§ 26 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X iVm § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Der Antrag des Klägers ging am 14.07.2015 der Beklagten zu. Die Frist endete am Dienstag, den 04.08.2015 (§ 26 Abs. 1 SGB X - iVm § 188 Abs 2 BGB). Die Beklagte entschied erst später, mit Bescheid vom 03.09.2015, über den Antrag des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 25/15 R –, SozR 4-2500 § 13 Nr. 33, Rn. 28).
Eine Genehmigung qua Fiktion kommt vorliegend auch in Betracht. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen (BSG, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 25/15 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 26). Das BSG geht hierbei von einem sujektiv-objektiven Maßstab aus. Dieser ist nach Auffassung der Kammer so zu interpretieren, dass solche Leistungen von der Genehmigungsfiktion umfasst sind, die ein verständiger Versicherter subjektiv als vom Leistungskatalog umfasst ansehen darf.
Die Versorgung mit EGCG steht zwar offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV, da es sich bei dem Präparat um ein Nahrungsergänzungspräparat handelt und diese und auch over-the-counter-Präparate nicht vom Leistungskatalog der GKV umfasst sind (noch weitergehender LSG Baden-Württemberg, 13.09.16, L 4 KR 320/16: Begrenzung auf den Leistungskatalog). Dennoch durfte ein verständiger Versicherter die Versorgung mit EGCG bei seniler ATTR als von der Leistungspflicht der GKV umfasst ansehen. Die Genehmigungsfiktion umfasst nicht nur Ansprüche nach § 2 Abs. 1 SGB V i.V.m. dem dritten Kapitel SGB V (§§ 11 ff. SGB V), sondern gerade auch Ansprüche aus § 2 Abs. 1a SGB V. Denn bei besonders schweren Erkrankungen, die zu einer Bedrohung des Lebens führen, muss das Beschleunigungsgebot, welches in § 13 Abs. 3a SGB V normiert ist, erst recht greifen. Der Kläger wurde von seinem behandelnden Arzt darüber aufgeklärt, dass er an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidet und es hierfür keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung gibt. Es würden aber gewisse Behandlungserfolge mit EGCG dokumentiert sein. Vor diesem Hintergrund durfte der Kläger mit der Leistung der Beklagten rechnen.
Für die Beklagte war es auch erkennbar, dass ein Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V gel-tend gemacht werden soll. Dies ergibt sich zweifelsohne aus den Ausführungen von Dr. D. in seinem Attest vom 10.07.2015.
Nach allem war der Klage stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der im Jahre 1939 geborene Kläger leidet seit 2011 unter Herzrhythmusstörungen ver-bunden mit Atemnot und Wassereinlagerung in der Lunge aufgrund einer senilen TTR-Amyloidose (ATTR) des Herzens.
Er ist seit dem 01.07.2006 als Rentner versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten.
Mit Schreiben vom 12.07.2015 (Eingang am 14.07.2015) beantragte der Kläger die Kos-tenübernahme für die Gabe von Grüntee-Extrakt, da dieses Mittel den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen würde. In einigen Fällen sei sogar der Rückgang der Einlagerung von Amyloid im Herzmuskel beschrieben worden.
Der behandelnde Dr. D. beruft sich im Attest vom 10.07.2015 auf das Amyloidosezentrum der Universität B-Stadt, wonach die Gabe von hochdosiertem Epigallocatechingallat (EGCG), welches im grünen Tee enthalten sei, empfohlen werde. Dementsprechend habe er die Einnahme von Grünteekapseln von Sunday natura 96 % mit einem EGCG- Anteil von 400 mg zweimal täglich empfohlen.
Der Kläger reichte Rechnungen vom 13.07.2015, 07.08.2015, 06.09.2015 und 27.10.2015 von jeweils 33,80 EUR, 33,80 EUR, 57,70 EUR sowie 57,70 EUR ein, wobei bezüglich des höheren Rechnungsbetrags jeweils ein Vorteilspack mit zwei Gläsern à 53,80 EUR bestellt wurde.
Die Beklagte holte die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversiche-rung (MDK) Bayern ein (Eingang bei der Beklagten am 03.09.2015). Dieser führte aus, dass das für die ATTR verantwortliche Protein fast ausschließlich von der Leber produziert werde. Eine wirksame Behandlung sei die Lebertransplantation. Es könne auch eine kombinierte Herz-Leber-Transplantation erwogen werden. Die fünfjährige Überlebensrate betrage weniger als 50 %.
Kontrollierte wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von EGCG würde nicht vorliegen. EGCG sei als nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Das angefragte Arzneimittel gelte nicht als Therapiestandard der ATTR (Berufung auf § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V). Das Präparat werde auch nicht in der Anla-ge I als zugelassene Ausnahme zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach Abs. 1 S. 2 aufgeführt. Die Kostenübernahme könne nicht empfohlen werden.
Mit Bescheid vom 03.09.2015 wurde die Kostenübernahme abgelehnt. Die Krankenkassen dürften ihren Versicherten nur Heilmittelmethoden zur Verfügung stellen, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen sei und die von einem speziellen Bundesausschuss eine offizielle Zulassung erhalten hätten. Die beantragte Leistung gehörte nicht hierzu.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 13.09.2015 Widerspruch ein. Er beruft sich insbeson-dere auf § 2 Abs. 1a SGB V und darauf, dass ein Medikament von 30 EUR monatlich sehr viel kostengünstiger sei als eine Lebertransplantation, die ca. 250.000 EUR an Kosten verursachen würde.
Daraufhin wurde seitens der Beklagten ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK Bayern datierend auf den 27.10.2015 eingeholt. Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1a SGB V lägen nicht vor. Ausführliche kardiologische Befundberichte mit Angaben zu möglichen Funktionseinschränkungen des Herzens seien nicht vorgelegt worden. Befundberichte oder genetische Testungen, die eine ATTR belegen würden, lägen nicht vor. Die vom Versicherten geltend gemachten Forschungsergebnisse seien bislang nicht publiziert. Eine medizinische Evidenz für die Wirksamkeit des beantragten Präparats in der Dosierung 2x40 mg läge nicht vor. Es könne nicht bestätigt werden, dass die hier geltend gemachte Herzerkrankung das Stadium einer lebensbedrohlichen Situation erreicht habe. Auch liege mit der Lebertransplantation ein allgemein anerkannter medizinischer Standard zur Verfü-gung. Diese werde als andere Maßnahme empfohlen.
Mit Schreiben vom 03.11.2015 verweist der Kläger auf den beiliegenden Entlassungsbericht des Klinikums A-Stadt vom 21.09.2015. Hier wird eine schwere Linksventrikel-Hypertonie sowie eine diastolische Compliancestörung Grad III befundet.
Die Unterlagen wurden erneut dem MDK Bayern zur Prüfung vorgelegt. Gem. der Stel-lungnahme vom 11.11.2015 würden die eingereichten Unterlagen keine neuen medizinischen Erkenntnisse ergeben. Den Einlassungen des Gutachtens vom 27.10.2015 sei wei-terhin in vollem Umfang zuzustimmen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2015 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Versicherte müsse zunächst einen Antrag auf Bewilligung der von ihm gewünschten Sachleistung an die Krankenkasse richten. Erst wenn die Krankenkasse seinen Antrag rechtswidrig abgelehnt und sich der Versicherte deshalb gezwungen sehe, die Leistung selbst zu beschaffen, wandle sich sein Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstat-tungsanspruch um. Dasselbe gelte, wenn ein Notfall vorliege, der es dem Versicherten unmöglich mache, den mit der Antragstellung beginnenden regelmäßigen Beschaffungsweg zu beschreiten. Beides läge nicht vor.
Ein Kostenerstattungsanspruch trete an die Stelle des Anspruchs auf eine Sachleistung und bestehe nur, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehören würde, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Naturalleistungen zu erbrin-gen sind (Verweis auf BSG, Urteil vom 14.12.2006).
Die Fachgutachter des MDK hätten dargelegt, dass die geltend gemachte Herzerkrankung das Stadium einer lebensbedrohlichen Situation nicht erreicht habe. Darüber hinaus könne nicht festgestellt werden, dass ein allgemein anerkannter medizinischer Standard nicht zur Verfügung stehen würde. Die Lebertransplantation würde einen solchen Standard darstellen. Auch sei nicht bestätigt worden, dass die Gabe des begehrten Medikaments eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf habe.
Der Kläger erhob hiergegen am 29.12.2015 Klage zum Sozialgericht München. Er führte aus, dass im Juni 2010 bei ihm Vorhofflimmern festgestellt worden sei. Er habe sich bis heute fünf Ablationen und 21 Kardioversionen (zuletzt am 21.12.2015) unterziehen müssen. Alle bisherigen Versuche, das Herz im Sinus-Rhythmus zu stabilisieren, seien erfolg-los geblieben. Eine Myocardbiopsie habe den Verdacht auf eine ATTR bestätigt, eine wei-tere subtypische Untersuchung differenzierte diese als senile ATTR aus. Die behandelnden Kardiologen Dr. D. und Dr. E. würden übereinstimmend davon ausgehen, dass die ATTR lebensbedrohlich sei und würden die Behandlung mit EGCG empfehlen. Forschungen im Amyloidose- Zentrum des Universitätsklinikums B-Stadt hätten die Wirkung von Grüntee auf die Krankheit in mehreren randomisierten Studien bestätigt.
Der Kläger geht von einer Wartezeit für eine Spenderleber von fünf Jahren aus. Er hält die Argumentation des MDK Bayern für zynisch, da dieser wissen würde, dass er das Warten auf das Spenderorgan nicht überleben würde.
Der Kläger legte eine ärztliche Verordnung vom 01.03.2016 vor über EGCG 300 mg (1-1-1). Demgemäß erfolgte die gleiche Verordnung jeweils am 11.07.2015, 06.08.2015, 06.09.2015, 27.10.2015 und 01.02.2016. Weiterhin wurde eine Rechnung in Höhe von 57,70 EUR mit Rechnungsdatum 01.02.2016 eingereicht.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung der Befunde der behandelnden Ärzte des Klägers sowie durch Ladung des Sachverständigen Prof. Dr. B. (Stellv. Chefarzt GRN-Klinik E-Stadt, Oberarzt der Inneren Medizin III (Kardiologie, Angiologie und Pneumologie) des Universitätsklinikums B-Stadt, Habilitation zum Thema "Kardiale Amyloidose – Risikostratifizierung und innovative Therapieansätze") zur mündlichen Verhand-lung. Der Kläger erklärte sein Einverständnis, dass der Sachverständige Einblick in seine medizinischen Unterlagen und in die Gerichts- und Verwaltungsakte erhält.
Der Sachverständige machte zu den unten genannten Beweisfragen folgende Ausführungen:
1. Liegt beim Kläger mit der TTR-Amyloidose (ATTR) eine lebensbedrohliche Krankheit vor? "Es liegt beim Kläger eine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Die ATTR ist stetig progredient. Über die Zeit droht der Herzstillstand. Die abstrakte 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei etwa 50 %.
Beim Kläger liegt eine Wanddickenzunahme von 15-22 mm vor (normal 11 mm). Dies bedeutet eine deutliche Verdickung von +100 %.
Die maximale Herzwanddicke liegt bei ca. 20-25 mm, danach erfolgt erfahrunsgemäß eine Leistungsminderung (systolische Funktion). Beim Kläger liegt nach der Akte noch eine gute Pumpfunktion bei eingeschränkter diastolischer Füllung vor."
2. Wie häufig kommt die ATTR in Deutschland vor? Würden Sie diese Erkrankung als sehr selten einstufen? "Zur senilen ATTR liegen keine Prävalenzdaten vor. Ich schätze, dass ca. 1 % der über 80-jährigen die Krankheit haben könnte. Es könnte sein, dass die Krankheit häufiger wird, da besser diagnostiziert. Selten ist eine Krankheit medizinisch bei unter 5/10.000. Dies ist bei der senilen ATTR derzeit gegeben.
Die senile ATTR wird derzeit nicht systematisch behandelt. Es gibt kein zugelassenes Medikament. Die Lebertransplantation ist nicht geeignet, da kein mutiertes Eiweiß (Transthyretin) vorliegt. Patienten mit Herzbeteiligung sind wegen der OP-Risiken ausgeschlossen. Auch das Alter des Kl. spricht dagegen. Die genauen Auslöseprozesse für die senile ATTR sind nicht bekannt oder warum nur das Herz befallen ist.
Tafamidis ist keine Option, dieses Medikament ist nur für die hereditäre Form zugelassen. Ggf. kommen zur senilen ATTR genauere Daten (in ca. 2 Jahren)."
3. Handelt es sich bei EGCG um ein Funktionsmedikament im Sinne von Bl. 29 der Akte zum einstweiligen Rechtsschutz (S 12 KR 1843/15 ER)? Entspricht die Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse? Gibt es hierzu (ggf. randomisierte) wissenschaftliche Studien? "Das EGCG ist ein Funktionsmedikament im Sinne von dem Einfluss auf physiologische Prozesse. Denn es ist nach Studienlage geeignet, dass es die Bildung von Amyloid hemmt und Fibrillen spalten kann.
Es gibt keine randomisierten Studien, nur eine Verlaufsbeobachtung. Eine Placebokontrolle ist wegen der Freiverfüglichkeit des Präparats fast ausgeschlossen.
EGCG ist in den USA auch als möglicher Wirkstoff in der medizinischen Forschung im Gespräch. Es gibt derzeit keine zugelassene Behandlung, die kausal die senile ATTR verhindern würde."
4. Ist die Gabe von EGCG geeignet, den Verlauf der ATTR positiv zu beeinflussen? "Die Gabe von EGCG ist möglicherweise geeignet, den Verlauf positiv zu beeinflussen. Dies lässt sich aus den Verlaufskontrollen ableiten, auch wenn diese nicht den höchsten Stand der wissenschaftlichen Evidenz abbilden. Die Studien zeigen eine durchschnittliche Reduktion der Herzmasse in einem Jahr um 10 %."
5. Falls Frage 4 bejaht wird: War die Einnahme von EGCG aus ihrer Sicht unaufschiebbar (war sie im Juli 2015 so dringlich, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand), d.h. musste der Kläger das Medikament bereits vor Ablehnung durch die Krankenkasse im September 2015 bereits im Juli 2015 (Zeitpunkt der Empfehlung durch den behandelnden Kardiologen) einnehmen, um den Verlauf der Krankheit frühzeitig zu beeinflussen? "Aus medizinischer Sicht ist es richtig, EGCG so früh als möglich zu geben. Man könnte natürlich auch argumentieren, dass es aufgrund der niedrigen Progressionsgeschwindigkeit auf einige Wochen nicht ankommt."
6. Ist die Leber- (und Herz-)transplantation eine erfolgsversprechende Alternativbehandlung zur Gabe von EGCG? siehe oben
7. Falls Frage 6 bejaht wird: Wie schätzen Sie den zeitlichen Horizont ein, bis wann der Kläger mit einer Spenderleber und ggf. einem Spenderherzen rechnen darf? Wie hoch ist in etwa die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger die Wartezeit bis zur Lebertransplantation überlebt? (-)
8. Welche Risiken bestehen bei einer Lebertransplantation, welche bei der Gabe des begehrten Medikaments? (-)
9. Wie fortgeschritten ist die Krankheit beim Kläger und welche Organe sind befallen? Kann die Amyloidose des Klägers noch durch eine Lebertransplantation beherrscht werden? siehe oben
10. Haben Sie Kenntnis darüber, dass sich der GBA mit der Zulassung von EGCG für die Behandlung der Amyloidose befasst? "Ich habe keine Kenntnis, dass sich der GBA mit der Zulassung befasst. Dafür ist die Datenlage auch zu dünn."
11. Ist aus wissenschaftlicher Sicht angeraten, dass sich der GBA mit der Behandlung der Amyloidose mit EGCG befasst? "Erst wenn randomisierte Studien da sind, ist dies sinnvoll."
12. Frage des Klägers: Wird die Dosiserhöhung auf 900 mg pro Tag derzeit empfohlen? "Es ist richtig, dass die Dosierung derzeit von ursprünglich 550 mg Tagesdosis auf 800-1200 mg erhöht wird in den Empfehlungen."
13. Frage des Beklagtenvertreters: Gibt es derzeit ein Studienprogramm in B-Stadt, an dem der Kläger teilnehmen kann? Ist die Universität B-Stadt die einzige Forschungseinrichtung, die sich mit der Amyloidose befasst? Kann der Bedarf an EGCG auch mit Teetrinken gedeckt werden? "Bezüglich der Wirkung von EGCG auf die senile ATTR gibt es derzeit keine Studie in B-Stadt. Dies scheitert an den Kosten (300.000 EUR nötig) und an der Freiverfügbarkeit des Präparats.
Ich bin meines Wissens der einzige in Deutschland, der hierzu forscht.
Man könnte theoretisch die Wirkmenge von ca. 900 mg EGCG auch mit dem Trinken von 3 Liter grünem Tee am Tag aufnehmen. Dies ist beim Kläger medizinisch aber nicht indiziert, da Herzkranke auf ihren Wasserhaushalt stark achten müssen, um Wassereinlagerungen zu vermeiden. Koffein ist nicht direkt schädlich, wird aber unterschiedlich vertragen."
Der Kläger legte dem Gericht weitere zwei Rechnungen vom 05.03.2016 über 107,60 EUR sowie vom 16.07.2016 über 83,70 EUR vor.
Er beantragt sachdienlich gefasst: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 03.09.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2015 verpflichtet, für die Zeit von Juli 2015 bis Juli 2016 dem Kläger Kosten in Höhe von 455,90 Euro für die Anschaffung von Kapseln mit dem Wirkstoff EGCG zu erstatten und den Kläger ab August 2016 zeitlich unbegrenzt mit Kapseln mit dem Wirkstoff EGCG im verordneten Umfang (3 x täglich 300 mg EGCG) zu versorgen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagtenvertreter führt aus, dass er zu medizinischen Fragen keine Aussage treffen könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 03.09.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2015 verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Therapie der senilen ATTR mit EGCG.
Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V - haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Hierbei umfasst die Krankenbehandlung nach Maßgabe des S. 2 Nr. 1 die ärztliche Behandlung, mithin die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früher-kennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist (§ 28 Abs. 1 S. 1 SGB V).
Diese Leistungen müssen nach dem unter § 12 Abs. 1 SGB V statuierten Wirtschaftlichkeitsgebot ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Aus dem Sachleistungsprinzips nach § 2 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V folgt, dass die Krankenkassen den Versicherten die im dritten Kapitel ge-nannten Leistungen unter Beachtung dieses Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stellen, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zuzurechnen sind. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen, wobei Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemei-nen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizini-schen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V oder das neunte Buch Sozialgesetzbuch nichts abweichendes vorsehen. Eine Kostenerstattung ist damit grundsätzlich nicht vorge-sehen.
EGCG ist als Nahrungsmittelergänzungspräparat im freien Verkauf erhältlich. Die Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung ist demgemäß grundsätzlich gem. § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V ausgeschlossen. Auch liegt hinsichtlich EGCG keine zugelassene Ausnahme vom gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 31 Abs. 1 S. 2 SGB V vor.
Dennoch ist ein Kostenübernahme- bzw. -erstattungsanspruch ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, wenn die fehlende Verordnungsfähigkeit auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruht (vgl. BSG, 28.03.2000, B 1 KR 11/98, juris). Ein Systemversagen ist dann gegeben, wenn die Einleitung oder Durchführung des Verfahrens willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert wurde. Auch bei einem Systemversagen muss jedoch die Wirksamkeit des Präparats durch entsprechende wissenschaftliche Nachweise (statistisch) belegt sein. Diese Kriterien sind hier nicht erfüllt. Hinweise auf ein Systemversagen bestehen nach den überzeugenden Aussagen des Sachverständigen Prof. B. nicht. Derzeit liegen noch keine randomisierten Studien zur Behandlung der senilen ATTR mit EGCG vor, so dass eine Befassung des GBA mit EGCG als Wirkstoff gegen die senile ATTR derzeit wissenschaftlich noch nicht angezeigt ist.
Der Versicherte hatte jedoch einen Anspruch auf Übernahme der Kosten nach den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Entscheidung vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98) entwi-ckelten, und mittlerweile in § 2 Abs. 1a SGB V normierten Anforderungen an das Leis-tungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung bei einer lebensbedrohlichen oder re-gelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung (vgl. Verordnungsfähigkeit von nicht zugelassenen Arzneimitteln mit nicht nachgewiesener Wirksamkeit LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 10.05.2016, L 6 KR 87/12 S 3 KR, Leitsatz 2 und Rn. 37, juris). Nach § 2 Abs. 1a SGB V hat der Versi-cherte einen Anspruch auf Übernahme der Kosten unter folgenden Voraussetzungen: • Es muss eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegen. • Für diese Erkrankung darf eine eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehen. • Durch die Behandlung muss eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen.
Zu 1) Nach den Feststellungen der Kammer liegt beim Versicherten eine lebensbedrohliche Er-krankung vor. Der Kläger leidet an der senilen ATTR, die stetig progredient ist. Über die Zeit droht der Herzstillstand. Die abstrakte 5-Jahres-Überlebensrate liegt gem. den über-zeugenden und schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. B. bei etwa 50 %. Dem entspricht der Entlassungsbericht des Klinikums A-Stadt vom 21.09.2015. Hier wird eine schwere Linksventrikel-Hypertonie sowie eine diastolische Compliancestörung Grad III befundet.
Eine arterielle Hypertonie Grad III beinhaltet aber schwere Organschäden mit manifesten kardiovaskulären Folgeerkrankungen: Angina pectoris, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, neu-rologische Symptome (TIA, Schlaganfall), periphere Verschlusskrankheit, Aortendissekti-on, Fundus Hypertonicus III und IV, Niereninsuffizienz (Quelle: Wikipedia), so dass bereits daraus die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung abzuschätzen ist. Es ist für die erken-nende Kammer nicht verständlich, dass der MDK Bayern im Hinblick auf seine erste gut-achterliche Stellungnahme vom 27.10.2015 seiner Amtsermittlungsverpflicht nicht nach-gekommen ist und keine Befundberichte angefordert, vielmehr "ins Blaue" hinein behauptet hat, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung nicht vorliegen würde. Noch unverständlicher ist dann die Stellungnahme vom 11.11.2015, wonach der MDK Bayern unter Ansehung des Berichts des Klinikums A-Stadt apodiktisch ohne Begründung behauptete, dass sich aus den eingereichten Unterlagen keine neuen medizinischen Erkenntnisse ergeben würden. Es drängt sich der Kammer der Eindruck auf, dass sich der MDK Bayern mit der spezifischen Situation des Klägers nicht auseinandersetzen wollte.
Zu 2) Gemäß den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. B. gibt es für die Therapie der senilen ATTR keine Standardtherapie. Insbesondere ist die Lebertransplantation – unabhängig von der vom MDK Bayern nicht beantworteten Frage nach der zeit-nahen Verfügbarkeit eines geeigneten Spenderorgans - aus zweierlei Gründen keine Behandlungsoption: Beim Kläger liegt nicht die hereditäre ATTR vor, d.h. seine Leber produziert kein abnormes Transthyretin (vgl. hierzu https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Transthyretin-TTR-Amyloidose.117167.0.html). Dementsprechend ist die Lebertransplantation komplett sinnlos, da die Degenerierung des Transporteiweisses außerhalb der Leber stattfindet und diese nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bisher nicht verstanden ist. Zudem ist die Lebertransplantation für einen so schwer herzkranken Patienten wie den Kläger keine Option. Wenigstens letzteres Ausschlusskriterium hätte dem MDK Bayern auffallen müssen. Insoweit ist auf die oben genannte Kritik am Vorgehen des MDK Bayern zu verweisen.
Zu 3) Nach der Überzeugung der Kammer liegt auch eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vor. Der Sachverständige Prof. B. führte hierzu zwar aus, dass aufgrund der wenigen vorliegenden Studien, die auch nicht randomisiert sind, eine belastbare positive Aussage bezüglich des Heilungsverlauf nicht möglich ist. Allerdings belegen die Verlaufskontrollen, dass durchschnittlich eine Reduktion der Herzmasse in einem Jahr um 10 % erreicht werden konnte, da das EGCG wissenschaftlich erwiesen imstande ist, die Bildung von neuem Plaque zu hemmen und vorhandenes Plaque aufzulösen. Die klinische Erfahrung des Universitätsklinikums B-Stadt als einziges medizinisches Spitzenzentrum, das sich mit den kardiologischen Auswirkungen der ATTR beschäftigt, durfte nach Ansicht der Kammer bei der Beurteilung der Frage, ob eine ausreichende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gegeben ist, vom behandelnden Arzt berücksichtigt werden.
Es handelt sich mithin bei der Behandlung mit EGCG um einen Heilversuch, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf erwar-ten lässt. Gem. den überzeugenden Ausführungen von Prof. K. ist die Einnahme von 3x 300 mg EGCG pro Tag therapeutisch indiziert und demgemäß von der Beklagten im Rahmen des Sachleistungsprinzips bereitzustellen.
Da demgemäß die Ablehnung der Behandlung der senilen ATTR mit EGCG rechtswidrig war, ergibt sich der Erstattungsanspruch des Klägers mit Wirkung ab Bekanntgabe des Bescheids vom 03.09.2015 aus § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V. Jedoch war auch schon die Behandlung ab Juli 2015 bis September 2015 zu erstatten (EGCG-Abrechnungen in Höhe von 91,50 EUR). Insoweit ergibt sich der Erstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB V. Eine Leistung ist unaufschiebbar im Sinne dieser Regelung, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand. Nach zutreffender Auffassung kommt es allein auf medizinische Gründe an (Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 41). Es lag im Juli 2015 ein Notfall vor. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass es medizinisch angeraten ist, mit der EGCG-Behandlung so früh wie möglich zu beginnen. Da der Kläger nicht absehen konnte, wie lange er auf die Entscheidung der Beklagten warten muss, war ihm angesichts der vorliegenden gravierenden Gesundheitsbeeinträchtigungen (vgl. oben) ein Zuwarten nicht zuzumuten.
Auch der Arztvorbehalt wurde beachtet, da jeweils ärztliche Verordnungen vorlagen. Formelle Anforderungen an die Verordnung bestehen nicht. Weil es gerade um in Durchbrechung des Naturalleistungssystems beschaffte Leistungen geht, ist die Verwendung eines Rezeptformulars der gesetzlichen Krankenversicherung selbstverständlich nicht erforder-lich. Das BSG lässt es – am Schutzzweck des Arztvorbehalts orientiert – genügen, wenn der Arzt durch sein Handeln die eigene Verantwortung für die durchgeführte Therapie hin-reichend deutlich zum Ausdruck bringt und dieser Vorgang nicht intern bleibt (Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 38). Das mit dem An-trag vom 12.07.2015 eingereichte Attest von Dr. D. datierend auf den 10.07.2015 (Bl. 18 der Verwaltungsakte) sowie die Verordnungen von Dr. D. genügen diesem Erfordernis.
Der Anspruch des Klägers ergibt sich überdies aus der fiktiven Genehmigung nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V, die mit Ablauf der Dreiwochenfrist von § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V ein-getreten ist. Die fiktive Genehmigung umfasst sowohl den Erstattungsanspruch als auch den Sachleistungsanspruch (vgl. SG Augsburg, Urteil vom 29. September 2016 – S 6 KR 148/16 –, Rn. 29, juris; a.A. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 07. September 2016 – L 20 KR 597/15 –, Rn. 28 ff. mit Zulassung der Revision).
Die Frist von drei Wochen ist maßgeblich, weil die Beklagte den Kläger nicht über die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme unterrichtete (vgl. zur Pflicht § 13 Abs. 3a S. 2 SGB V). Auch eine Mitteilung nach § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V erfolgte nicht. Ohne diese gebotene Information kann der Leistungsberechtigte nach Ablauf von drei Wochen an-nehmen, dass sein Antrag als genehmigt gilt (a. A. Rieker, NZS 2015, 294, 296). Die Frist begann am Mittwoch, 15.07.2015 (§ 26 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X iVm § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Der Antrag des Klägers ging am 14.07.2015 der Beklagten zu. Die Frist endete am Dienstag, den 04.08.2015 (§ 26 Abs. 1 SGB X - iVm § 188 Abs 2 BGB). Die Beklagte entschied erst später, mit Bescheid vom 03.09.2015, über den Antrag des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 25/15 R –, SozR 4-2500 § 13 Nr. 33, Rn. 28).
Eine Genehmigung qua Fiktion kommt vorliegend auch in Betracht. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen (BSG, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 25/15 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 26). Das BSG geht hierbei von einem sujektiv-objektiven Maßstab aus. Dieser ist nach Auffassung der Kammer so zu interpretieren, dass solche Leistungen von der Genehmigungsfiktion umfasst sind, die ein verständiger Versicherter subjektiv als vom Leistungskatalog umfasst ansehen darf.
Die Versorgung mit EGCG steht zwar offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV, da es sich bei dem Präparat um ein Nahrungsergänzungspräparat handelt und diese und auch over-the-counter-Präparate nicht vom Leistungskatalog der GKV umfasst sind (noch weitergehender LSG Baden-Württemberg, 13.09.16, L 4 KR 320/16: Begrenzung auf den Leistungskatalog). Dennoch durfte ein verständiger Versicherter die Versorgung mit EGCG bei seniler ATTR als von der Leistungspflicht der GKV umfasst ansehen. Die Genehmigungsfiktion umfasst nicht nur Ansprüche nach § 2 Abs. 1 SGB V i.V.m. dem dritten Kapitel SGB V (§§ 11 ff. SGB V), sondern gerade auch Ansprüche aus § 2 Abs. 1a SGB V. Denn bei besonders schweren Erkrankungen, die zu einer Bedrohung des Lebens führen, muss das Beschleunigungsgebot, welches in § 13 Abs. 3a SGB V normiert ist, erst recht greifen. Der Kläger wurde von seinem behandelnden Arzt darüber aufgeklärt, dass er an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidet und es hierfür keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung gibt. Es würden aber gewisse Behandlungserfolge mit EGCG dokumentiert sein. Vor diesem Hintergrund durfte der Kläger mit der Leistung der Beklagten rechnen.
Für die Beklagte war es auch erkennbar, dass ein Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V gel-tend gemacht werden soll. Dies ergibt sich zweifelsohne aus den Ausführungen von Dr. D. in seinem Attest vom 10.07.2015.
Nach allem war der Klage stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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