Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 25 KR 143/14
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Anspruch auf Beitragserlass gem. § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB 5 ist bei Inanspruchnahme von Leistungen im Nacherhebungszeitraum zu Lasten der Krankenkasse nicht zwingend ausgeschlossen.
2. Unter welchen Voraussetzungen die Beiträge gem. § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB 5 zu erlassen sind, wenn der Versicherte im Nacherhebungszeitraum Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen hat, ist in den "Einheitlichen Grundsätzen zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden" nicht geregelt.
3. Bei § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB 5 handelt es sich um eine Sollvorschrift. Die Krankenkasse kann bei Vorliegen eines atypischen Falls von der vorgegebenen Rechtsfolge unter Ausübung von Ermessen abweichen.
4. Hat der Versicherte im Nacherhebungszeitraum Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen, so liegt ein atypischer Fall vor.
2. Unter welchen Voraussetzungen die Beiträge gem. § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB 5 zu erlassen sind, wenn der Versicherte im Nacherhebungszeitraum Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen hat, ist in den "Einheitlichen Grundsätzen zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden" nicht geregelt.
3. Bei § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB 5 handelt es sich um eine Sollvorschrift. Die Krankenkasse kann bei Vorliegen eines atypischen Falls von der vorgegebenen Rechtsfolge unter Ausübung von Ermessen abweichen.
4. Hat der Versicherte im Nacherhebungszeitraum Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen, so liegt ein atypischer Fall vor.
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2014 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Beitragserlass unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zur Hälfte zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Erlass von Beitragsschulden.
Der am 1991 geborene Kläger bezog bis zum 31.05.2008 Arbeitslosengeld II. Während des Leistungsbezugs führte die Beklagte für den Kläger eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch. Auch nach dem 31.05.2008 erhielt der Kläger von der Beklagten Versicherungskarten zugesandt, die er auch durch Inanspruchnahme von Leistungen einsetzte. Seit dem 01.04.2013 ist der Kläger privat krankenversichert.
Unter dem 01.03.2013 (Eingang bei der Beklagten am 05.03.2013) teilte das Kommunale Jobcenter "N. W." der Beklagten mit, dass der Leistungsbezug des Klägers von Arbeitslosengeld II am 31.05.2008 geendet habe. In der Folge übersandte die Beklagte dem Kläger mehrfach einen Fragebogen, der seine Krankenversicherung ab dem 01.06.2008 betraf. Eine Rückantwort erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 08.04.2013 wies die Beklagte den Kläger zusätzlich darauf hin, dass er in dem Zeitraum seit dem 01.06.2008 Leistungen in Höhe von ca. 6.300,00 EUR Anspruch genommen habe. Unter dem 24.05.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie davon ausgehe, dass er seit dem 01.06.2008 eine andere Krankenversicherung habe.
Mit Schreiben vom 27.05.2013 forderte die Beklagte von dem Kläger für zu Unrecht gewährte Leistungen einen Betrag in Höhe von 6.277,53 EUR.
Mit Schreiben vom 13.06.2013 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.05.2013 ein. Zwischen ihm und der Beklagten habe auch über den 31.03.2013 ein Mitgliedschaftsverhältnis bestanden, zumindest sei dies durch die Übersendung der Krankenversicherungskarten mehrfach bestätigt worden. Offensichtlich habe das zuständige Jobcenter die entsprechende Meldung versäumt. Er sei zu keinem Zeitpunkt darüber aufgeklärt worden, dass möglicherweise ein Anspruch auf freiwillige Versicherung bzw. eine Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bestehe. Mit weiterem Schreiben vom 20.08.2013 gab der Kläger ausdrücklich eine Meldung seiner Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V für die Zeit bis zum 31.03.2013 ab. Darüber hinaus beantragte er für die Zeit bis zum 31.03.2013 den Erlass der Beiträge auf der Grundlage des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung.
Mit Bescheid vom 11.09.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihn für die Zeit vom 01.06.2008 bis 31.03.2013 in die Pflichtversicherung aufgenommen habe und dass für den Zeitraum vom 01.06.2008 bis 31.12.2008 auf Grund zwischenzeitlich eingetretener Verjährung keine Beiträge zu zahlen seien. Für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.03.2013 sei eine Beitragsforderung in Höhe von 7.319,75 EUR entstanden. Die Kosten für die Leistungen, die der Kläger zu Lasten der Beklagten in Anspruch genommen habe, seien nicht von ihm zu zahlen. Die Inanspruchnahme von Leistungen schließe aber den Erlass der Beiträge vollständig aus, und zwar unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Nacherhebungszeitraums und in welchem Umfang Leistungen beansprucht worden seien.
Unter dem 19.09.2013 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.09.2013 ein. § 256a SGB V gelte unabhängig davon, ob in der Vergangenheit Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch genommen worden seien oder nicht. Von Bedeutung sei weiterhin, dass er keine Kenntnis von dem Bestehen einer Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gehabt habe. Ihm sei vielmehr mehrfach eine Mitgliedschaft auf Grund vorbestehenden Leistungsbezugs nach dem SGB II bestätigt worden, ohne dass hier Pflichtbeiträge geltend gemacht worden seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers unter Hinweis auf § 2 der Einheitlichen Grundsätze zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden vom 04.09.2013 (im Folgenden: "Einheitliche Grundsätze") zurück.
Mit der am 05.03.2014 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Einheitlichen Grundsätze seien rechtswidrig, da sie mit dem Sinn und Zweck der Erlassregelung des § 256a SGB V nicht in Einklang zu bringen seien. Nach dem gesetzgeberischen Willen solle ein Beitragserlass unabhängig davon möglich sein, ob Leistungen in Anspruch genommen worden seien oder nicht. § 256a SGB V biete keine Ermächtigungsgrundlage dafür, den Beitragserlass davon abhängig zu machen, dass in dem Zeitraum der nachträglichen Erhebung von Beiträgen keine Leistungen in Anspruch genommen worden seien.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2014 zu verpflichten, die Beitragsschulden des Klägers für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.03.2013 in Höhe von 7.319,75 EUR gemäß § 256a SGB V zu erlassen,
hilfsweise
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2014 zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Beitragserlass unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird gemäß § 136 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB V einen Anspruch gegen die Beklagte auf Bescheidung seines Antrags auf Beitragserlass unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
Gem. § 256a Abs. 1 1. Halbsatz SGB V soll die Krankenkasse die für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beiträge angemessen ermäßigen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erst nach einem der in § 186 Abs. 11 Satz 1 und 2 SGB V genannten Zeitpunkte anzeigt. Erfolgt die Anzeige nach Absatz 1 bis zum 31.12.2013, soll die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beitrag und die darauf entfallenen Säumniszuschläge nach § 24 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch erlassen, § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB V.
Vorliegend ist seitens des Klägers eine "Anzeige" im Sinne von § 256a Abs. 1 und 2 SGB V erfolgt. Eine Anzeige im Sinne der Vorschrift liegt zwar dann nicht vor, wenn ein Bescheid über die Feststellung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ohne Mitwirkung des Versicherten erlassen wurde. Kann ein Bescheid nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V jedoch nur dann erlassen werden, wenn der Versicherte hierzu bestimmte Informationen offenbart hat, zum Beispiel, dass keine anderweitige Versicherung vorliegt, liegt eine Anzeige nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 256a Abs. 1 und 2 SGB V dann vor, wenn der Versicherte an der Klärung seines Versicherungsverhältnisses mitwirkt und der Kasse Informationen offenbart, die diese für den Erlass eines Bescheides nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V benötigt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Beklagte ausweislich ihres Schreibens vom 24.05.2013 zunächst nicht von einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausging, sind die Schreiben des Klägers vom 13.06.2013 und 20.08.2013 als Anzeige der Pflichtversicherung im Sinne der oben genannten Vorschrift zu werten. Bei der Vorschrift des § 256a Abs. 2 SGB V handelt es sich nicht um eine gebundene Vorschrift in dem Sinne, dass die Krankenkasse bei erfolgter Anzeige den nachzuzahlenden Beitrag in jedem Fall zu erlassen hat. Dies wird deutlich durch die Formulierung "Soll". Bei der Vorschrift des § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB V handelt es sich um eine Sollvorschrift. Bei einer Sollvorschrift ist zwar bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen die Rechtsfolge regelmäßig vorgezeichnet, der Leistungsträger kann jedoch bei atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen. Dabei ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, wiederum nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 30.06.2016, Az. B 5 RE 1/15 R, juris, Rdnr. 23, m.w.N.).
Zur Beurteilung, ob ein atypischer Fall vorliegt, sind zunächst die Einheitlichen Grundsätze heranzuziehen. Gemäß § 256a Abs. 4 Satz 1 SGB V regelt nämlich der Spitzenverband Bund der Krankenkassen das Nähere zur Ermäßigung und zum Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen nach den Absätzen 1 bis 3, insbesondere zu einem Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen als Voraussetzung für die Ermäßigung oder dem Erlass. Allerdings kann den Einheitlichen Grundsätzen weder entnommen werden, dass bei Inanspruchnahme von Leistungen zu Lasten der Krankenkasse während des Nacherhebungszeitraums der Anspruch auf Erlass ausgeschlossen sein soll noch, dass in diesem Fall die Beiträge zu erlassen sind. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der Einheitlichen Grundsätze sind die für die Zeit seit dem Beginn der Versicherungspflicht bis zum Ende des Monats, der dem Tag der Anzeige vorhergeht, zu zahlenden Beiträge zu erlassen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bis zum 31.12.2013 anzeigt. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 der Einheitlichen Grundsätze setzt ein Erlass der Beiträge voraus, dass das Mitglied schriftlich erklärt, während des Nacherhebungszeitraums Leistungen für sich nicht in Anspruch genommen zu haben oder im Falle in Anspruch genommener Leistungen auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung zu verzichten. Vorliegend kann der Kläger nicht erklären, "Leistungen für sich nicht in Anspruch genommen zu haben", da er tatsächlich Leistungen in nicht unerheblichem Umfange in Anspruch genommen hat. Der Kläger kann auch nicht wegen der von ihm in Anspruch genommenen Leistungen "auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung verzichten". Ein Verzicht setzt nämlich voraus, dass noch Ansprüche bestehen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.09.2014, Az. L 1 KR 331/14 B ER, juris, Rdnr. 19). Vorliegend bestand jedoch kein Anspruch des Klägers mehr auf Kostenübernahme oder Kostenerstattung, da er die Sachleistungen im Nacherhebungszeitraum bereits zu Lasten der beklagten Krankenkasse in Anspruch genommen hatte. Der Gesetzgeber wollte den betroffenen Versicherten aber durch die Einführung die Wahl eröffnen, von dem Beitragserlass Gebrauch zu machen oder nachträglichen Versicherungsschutz durch das Einreichen von Rechnungen in Anspruch zu nehmen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O. mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Der Kläger kann daher die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 4 der Einheitlichen Grundsätze nicht erfüllen, so dass ein Erlass auf der Grundlage der Vorschrift des § 2 der Einheitlichen Grundsätze nicht in Betracht kommt. Dass die Fallgestaltung, der Inanspruchnahme von Leistungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung im Nacherhebungszeitraum nicht in § 2 der Einheitlichen Grundsätze geregelt ist, führt jedoch nach Ansicht der Kammer nicht dazu, dass die Beiträge zwingend zu erlassen sind (vgl. aber SG Berlin, Urteil vom 03.12.2015, Az. S 72 KR 1002/14, juris, Rdnr. 37; offen gelassen von LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rdnr. 22). Aus der Formulierung in § 2 Abs. 1 Satz 1 der Einheitlichen Grundsätze, dass die zu zahlenden Beiträge zu erlassen "sind" folgt nicht, dass die Beiträge bei bereits erfolgter Inanspruchnahme von Sachleistungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung zu erlassen sind. Denn der Erlass auf der Grundlage der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 1 der Einheitlichen Grundsätze voraus, dass das Mitglied eine Erklärung nach § 2 Abs. 1 Satz 4 der Einheitlichen Grundsätze abgibt. Eine solche Erklärung ist dem Kläger aber nicht möglich. Aus einer fehlenden Regelung folgt jedoch nicht, dass ein Beitragserlass bei bereits erfolgter Inanspruchnahme von Sachleistungen zwingend ausgeschlossen ist. Die Annahme einer solchen gebundenen Entscheidung ist auch nicht mit den gesetzlichen Regelung in § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB V in Einklang zu bringen, der im Regelfall einen Erlass vorsieht und durch die Verwendung der Sollvorschrift nur bei Vorliegen eines atypischen Falls eine Ermessensentscheidung anordnet. Als untergesetzliche Normen können die Einheitlichen Grundsätze keine anderen oder strengeren Voraussetzungen vorgeben als die gesetzliche Regelung selber. Eine Nichtinanspruchnahme von Leistungen als unbedingte Voraussetzung für den Beitragserlass ist auch nicht vom Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage des § 256a Abs. 4 SGB V gedeckt. Denn der Gesetzeswortlaut spricht allein von einem "Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen" (insoweit zutreffend SG Berlin, a.a.O., Rdnr. 30; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2015, Az. L 9 KR 314/15 B PKH, juris, Rdnr. 8).
Die Einheitlichen Grundsätze geben somit keine Antwort auf die Frage, ob bei der vorliegenden Fallgestaltung zu erlassen ist oder nicht, bzw. ob ein atypischer Fall im Sinne der Sollvorschrift des § 256a Abs. 2 SGB V vorliegt. Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist daher allein aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des § 256a Abs. 2 SGB V zu beantworten. Von der Regelung des § 256a SGB V sollten vor allen Versicherte profitieren, die "unentdeckt" versicherungspflichtig auf der Grundlage der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V waren. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass es sich um Personengruppen handelt, die den Versicherungsschutz des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht in Anspruch genommen haben, indem sie ärztliche Leistungen entweder gar nicht in Anspruch genommen oder für diese selbst bezahlt haben. Dies geht aus verschiedenen Stellen der Gesetzesbegründung hervor. So heißt es z. B. in der Gesetzesbegründung zu § 256a Abs. 4 SGB V: "Der Spitzenverband Bund hat dabei insbesondere auch die Voraussetzungen dafür zu regeln, nach denen ein Leistungsverzicht bzw. ein Verzicht auf die Einreichung von Rechnungen für den entsprechenden Zeitraum Bedingung für einen Erlass bzw. die Ermäßigung von Beiträgen ist. Eine entsprechende Regelung ist auch für die nach Abs. 2 vorgesehenen Beitragserlass für zurückliegende Zeiträume für die Personen zu treffen, die sich zur Feststellung und Durchführung der Mitgliedschaft bis zum 31.12.2013 an die jeweils zuständige Krankenkasse wenden. Grundsätzlich ist jedoch die Möglichkeit, vom Beitragserlass keinen Gebrauch zu machen, sondern stattdessen den nachträglichen Versicherungsschutz, zum Beispiel durch das Einreichen von Rechnungen, in Anspruch zu nehmen, für alle Mitglieder sowohl vor als auch nach dem Strichtag sicher zu stellen." (BT-Drs. 17/13947, S. 29). Aus der vorgenannten Gesetzesbegründung wird deutlich, dass der Gesetzgeber für den Regelfall zwei Personengruppen vor Augen hatte, nämlich die Personen, die keinen nachträglichen Versicherungsschutz benötigen, weil sie keine Leistungen in Anspruch genommen haben, oder diejenigen, die Leistungen auf ihre eigenen Kosten in Anspruch genommen haben und durch das Einreichen von Rechnungen nachträglichen Versicherungsschutz in Anspruch nehmen wollen. Da die vorliegende Fallgestaltung keinem der Regelfälle entspricht, ist bei der erfolgten Inanspruchnahme von Leistungen im Nacherhebungszeitraum von einem atypischen Fall auszugehen. Die Beklagte hatte bei Vorliegen dieses atypischen Falls bei der Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Beitragserlass ihr Ermessen pflichtgemäß auszuüben, was sie bislang versäumt hat. Bei der Ermessensentscheidung wird sie zum einen zu berücksichtigen haben, dass der Kläger Sachleistungen in nicht unerheblichem Umfange im Nacherhebungszeitraum und vollen Versicherungsschutz in Anspruch genommen hat. Ferner sind auch die Umstände zu berücksichtigen, die dazu geführt haben, dass das Ende der Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V erst Jahre später bekannt geworden ist und ob den Kläger hieran eine Mitverantwortung trifft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den teilweisen Erfolg der Klage.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Erlass von Beitragsschulden.
Der am 1991 geborene Kläger bezog bis zum 31.05.2008 Arbeitslosengeld II. Während des Leistungsbezugs führte die Beklagte für den Kläger eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch. Auch nach dem 31.05.2008 erhielt der Kläger von der Beklagten Versicherungskarten zugesandt, die er auch durch Inanspruchnahme von Leistungen einsetzte. Seit dem 01.04.2013 ist der Kläger privat krankenversichert.
Unter dem 01.03.2013 (Eingang bei der Beklagten am 05.03.2013) teilte das Kommunale Jobcenter "N. W." der Beklagten mit, dass der Leistungsbezug des Klägers von Arbeitslosengeld II am 31.05.2008 geendet habe. In der Folge übersandte die Beklagte dem Kläger mehrfach einen Fragebogen, der seine Krankenversicherung ab dem 01.06.2008 betraf. Eine Rückantwort erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 08.04.2013 wies die Beklagte den Kläger zusätzlich darauf hin, dass er in dem Zeitraum seit dem 01.06.2008 Leistungen in Höhe von ca. 6.300,00 EUR Anspruch genommen habe. Unter dem 24.05.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie davon ausgehe, dass er seit dem 01.06.2008 eine andere Krankenversicherung habe.
Mit Schreiben vom 27.05.2013 forderte die Beklagte von dem Kläger für zu Unrecht gewährte Leistungen einen Betrag in Höhe von 6.277,53 EUR.
Mit Schreiben vom 13.06.2013 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.05.2013 ein. Zwischen ihm und der Beklagten habe auch über den 31.03.2013 ein Mitgliedschaftsverhältnis bestanden, zumindest sei dies durch die Übersendung der Krankenversicherungskarten mehrfach bestätigt worden. Offensichtlich habe das zuständige Jobcenter die entsprechende Meldung versäumt. Er sei zu keinem Zeitpunkt darüber aufgeklärt worden, dass möglicherweise ein Anspruch auf freiwillige Versicherung bzw. eine Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bestehe. Mit weiterem Schreiben vom 20.08.2013 gab der Kläger ausdrücklich eine Meldung seiner Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V für die Zeit bis zum 31.03.2013 ab. Darüber hinaus beantragte er für die Zeit bis zum 31.03.2013 den Erlass der Beiträge auf der Grundlage des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung.
Mit Bescheid vom 11.09.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihn für die Zeit vom 01.06.2008 bis 31.03.2013 in die Pflichtversicherung aufgenommen habe und dass für den Zeitraum vom 01.06.2008 bis 31.12.2008 auf Grund zwischenzeitlich eingetretener Verjährung keine Beiträge zu zahlen seien. Für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.03.2013 sei eine Beitragsforderung in Höhe von 7.319,75 EUR entstanden. Die Kosten für die Leistungen, die der Kläger zu Lasten der Beklagten in Anspruch genommen habe, seien nicht von ihm zu zahlen. Die Inanspruchnahme von Leistungen schließe aber den Erlass der Beiträge vollständig aus, und zwar unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Nacherhebungszeitraums und in welchem Umfang Leistungen beansprucht worden seien.
Unter dem 19.09.2013 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.09.2013 ein. § 256a SGB V gelte unabhängig davon, ob in der Vergangenheit Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch genommen worden seien oder nicht. Von Bedeutung sei weiterhin, dass er keine Kenntnis von dem Bestehen einer Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gehabt habe. Ihm sei vielmehr mehrfach eine Mitgliedschaft auf Grund vorbestehenden Leistungsbezugs nach dem SGB II bestätigt worden, ohne dass hier Pflichtbeiträge geltend gemacht worden seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers unter Hinweis auf § 2 der Einheitlichen Grundsätze zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden vom 04.09.2013 (im Folgenden: "Einheitliche Grundsätze") zurück.
Mit der am 05.03.2014 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Einheitlichen Grundsätze seien rechtswidrig, da sie mit dem Sinn und Zweck der Erlassregelung des § 256a SGB V nicht in Einklang zu bringen seien. Nach dem gesetzgeberischen Willen solle ein Beitragserlass unabhängig davon möglich sein, ob Leistungen in Anspruch genommen worden seien oder nicht. § 256a SGB V biete keine Ermächtigungsgrundlage dafür, den Beitragserlass davon abhängig zu machen, dass in dem Zeitraum der nachträglichen Erhebung von Beiträgen keine Leistungen in Anspruch genommen worden seien.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2014 zu verpflichten, die Beitragsschulden des Klägers für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.03.2013 in Höhe von 7.319,75 EUR gemäß § 256a SGB V zu erlassen,
hilfsweise
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2014 zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Beitragserlass unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird gemäß § 136 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB V einen Anspruch gegen die Beklagte auf Bescheidung seines Antrags auf Beitragserlass unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
Gem. § 256a Abs. 1 1. Halbsatz SGB V soll die Krankenkasse die für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beiträge angemessen ermäßigen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erst nach einem der in § 186 Abs. 11 Satz 1 und 2 SGB V genannten Zeitpunkte anzeigt. Erfolgt die Anzeige nach Absatz 1 bis zum 31.12.2013, soll die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beitrag und die darauf entfallenen Säumniszuschläge nach § 24 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch erlassen, § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB V.
Vorliegend ist seitens des Klägers eine "Anzeige" im Sinne von § 256a Abs. 1 und 2 SGB V erfolgt. Eine Anzeige im Sinne der Vorschrift liegt zwar dann nicht vor, wenn ein Bescheid über die Feststellung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ohne Mitwirkung des Versicherten erlassen wurde. Kann ein Bescheid nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V jedoch nur dann erlassen werden, wenn der Versicherte hierzu bestimmte Informationen offenbart hat, zum Beispiel, dass keine anderweitige Versicherung vorliegt, liegt eine Anzeige nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 256a Abs. 1 und 2 SGB V dann vor, wenn der Versicherte an der Klärung seines Versicherungsverhältnisses mitwirkt und der Kasse Informationen offenbart, die diese für den Erlass eines Bescheides nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V benötigt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Beklagte ausweislich ihres Schreibens vom 24.05.2013 zunächst nicht von einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausging, sind die Schreiben des Klägers vom 13.06.2013 und 20.08.2013 als Anzeige der Pflichtversicherung im Sinne der oben genannten Vorschrift zu werten. Bei der Vorschrift des § 256a Abs. 2 SGB V handelt es sich nicht um eine gebundene Vorschrift in dem Sinne, dass die Krankenkasse bei erfolgter Anzeige den nachzuzahlenden Beitrag in jedem Fall zu erlassen hat. Dies wird deutlich durch die Formulierung "Soll". Bei der Vorschrift des § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB V handelt es sich um eine Sollvorschrift. Bei einer Sollvorschrift ist zwar bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen die Rechtsfolge regelmäßig vorgezeichnet, der Leistungsträger kann jedoch bei atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen. Dabei ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, wiederum nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 30.06.2016, Az. B 5 RE 1/15 R, juris, Rdnr. 23, m.w.N.).
Zur Beurteilung, ob ein atypischer Fall vorliegt, sind zunächst die Einheitlichen Grundsätze heranzuziehen. Gemäß § 256a Abs. 4 Satz 1 SGB V regelt nämlich der Spitzenverband Bund der Krankenkassen das Nähere zur Ermäßigung und zum Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen nach den Absätzen 1 bis 3, insbesondere zu einem Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen als Voraussetzung für die Ermäßigung oder dem Erlass. Allerdings kann den Einheitlichen Grundsätzen weder entnommen werden, dass bei Inanspruchnahme von Leistungen zu Lasten der Krankenkasse während des Nacherhebungszeitraums der Anspruch auf Erlass ausgeschlossen sein soll noch, dass in diesem Fall die Beiträge zu erlassen sind. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der Einheitlichen Grundsätze sind die für die Zeit seit dem Beginn der Versicherungspflicht bis zum Ende des Monats, der dem Tag der Anzeige vorhergeht, zu zahlenden Beiträge zu erlassen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bis zum 31.12.2013 anzeigt. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 der Einheitlichen Grundsätze setzt ein Erlass der Beiträge voraus, dass das Mitglied schriftlich erklärt, während des Nacherhebungszeitraums Leistungen für sich nicht in Anspruch genommen zu haben oder im Falle in Anspruch genommener Leistungen auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung zu verzichten. Vorliegend kann der Kläger nicht erklären, "Leistungen für sich nicht in Anspruch genommen zu haben", da er tatsächlich Leistungen in nicht unerheblichem Umfange in Anspruch genommen hat. Der Kläger kann auch nicht wegen der von ihm in Anspruch genommenen Leistungen "auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung verzichten". Ein Verzicht setzt nämlich voraus, dass noch Ansprüche bestehen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.09.2014, Az. L 1 KR 331/14 B ER, juris, Rdnr. 19). Vorliegend bestand jedoch kein Anspruch des Klägers mehr auf Kostenübernahme oder Kostenerstattung, da er die Sachleistungen im Nacherhebungszeitraum bereits zu Lasten der beklagten Krankenkasse in Anspruch genommen hatte. Der Gesetzgeber wollte den betroffenen Versicherten aber durch die Einführung die Wahl eröffnen, von dem Beitragserlass Gebrauch zu machen oder nachträglichen Versicherungsschutz durch das Einreichen von Rechnungen in Anspruch zu nehmen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O. mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Der Kläger kann daher die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 4 der Einheitlichen Grundsätze nicht erfüllen, so dass ein Erlass auf der Grundlage der Vorschrift des § 2 der Einheitlichen Grundsätze nicht in Betracht kommt. Dass die Fallgestaltung, der Inanspruchnahme von Leistungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung im Nacherhebungszeitraum nicht in § 2 der Einheitlichen Grundsätze geregelt ist, führt jedoch nach Ansicht der Kammer nicht dazu, dass die Beiträge zwingend zu erlassen sind (vgl. aber SG Berlin, Urteil vom 03.12.2015, Az. S 72 KR 1002/14, juris, Rdnr. 37; offen gelassen von LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rdnr. 22). Aus der Formulierung in § 2 Abs. 1 Satz 1 der Einheitlichen Grundsätze, dass die zu zahlenden Beiträge zu erlassen "sind" folgt nicht, dass die Beiträge bei bereits erfolgter Inanspruchnahme von Sachleistungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung zu erlassen sind. Denn der Erlass auf der Grundlage der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 1 der Einheitlichen Grundsätze voraus, dass das Mitglied eine Erklärung nach § 2 Abs. 1 Satz 4 der Einheitlichen Grundsätze abgibt. Eine solche Erklärung ist dem Kläger aber nicht möglich. Aus einer fehlenden Regelung folgt jedoch nicht, dass ein Beitragserlass bei bereits erfolgter Inanspruchnahme von Sachleistungen zwingend ausgeschlossen ist. Die Annahme einer solchen gebundenen Entscheidung ist auch nicht mit den gesetzlichen Regelung in § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB V in Einklang zu bringen, der im Regelfall einen Erlass vorsieht und durch die Verwendung der Sollvorschrift nur bei Vorliegen eines atypischen Falls eine Ermessensentscheidung anordnet. Als untergesetzliche Normen können die Einheitlichen Grundsätze keine anderen oder strengeren Voraussetzungen vorgeben als die gesetzliche Regelung selber. Eine Nichtinanspruchnahme von Leistungen als unbedingte Voraussetzung für den Beitragserlass ist auch nicht vom Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage des § 256a Abs. 4 SGB V gedeckt. Denn der Gesetzeswortlaut spricht allein von einem "Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen" (insoweit zutreffend SG Berlin, a.a.O., Rdnr. 30; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2015, Az. L 9 KR 314/15 B PKH, juris, Rdnr. 8).
Die Einheitlichen Grundsätze geben somit keine Antwort auf die Frage, ob bei der vorliegenden Fallgestaltung zu erlassen ist oder nicht, bzw. ob ein atypischer Fall im Sinne der Sollvorschrift des § 256a Abs. 2 SGB V vorliegt. Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist daher allein aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des § 256a Abs. 2 SGB V zu beantworten. Von der Regelung des § 256a SGB V sollten vor allen Versicherte profitieren, die "unentdeckt" versicherungspflichtig auf der Grundlage der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V waren. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass es sich um Personengruppen handelt, die den Versicherungsschutz des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht in Anspruch genommen haben, indem sie ärztliche Leistungen entweder gar nicht in Anspruch genommen oder für diese selbst bezahlt haben. Dies geht aus verschiedenen Stellen der Gesetzesbegründung hervor. So heißt es z. B. in der Gesetzesbegründung zu § 256a Abs. 4 SGB V: "Der Spitzenverband Bund hat dabei insbesondere auch die Voraussetzungen dafür zu regeln, nach denen ein Leistungsverzicht bzw. ein Verzicht auf die Einreichung von Rechnungen für den entsprechenden Zeitraum Bedingung für einen Erlass bzw. die Ermäßigung von Beiträgen ist. Eine entsprechende Regelung ist auch für die nach Abs. 2 vorgesehenen Beitragserlass für zurückliegende Zeiträume für die Personen zu treffen, die sich zur Feststellung und Durchführung der Mitgliedschaft bis zum 31.12.2013 an die jeweils zuständige Krankenkasse wenden. Grundsätzlich ist jedoch die Möglichkeit, vom Beitragserlass keinen Gebrauch zu machen, sondern stattdessen den nachträglichen Versicherungsschutz, zum Beispiel durch das Einreichen von Rechnungen, in Anspruch zu nehmen, für alle Mitglieder sowohl vor als auch nach dem Strichtag sicher zu stellen." (BT-Drs. 17/13947, S. 29). Aus der vorgenannten Gesetzesbegründung wird deutlich, dass der Gesetzgeber für den Regelfall zwei Personengruppen vor Augen hatte, nämlich die Personen, die keinen nachträglichen Versicherungsschutz benötigen, weil sie keine Leistungen in Anspruch genommen haben, oder diejenigen, die Leistungen auf ihre eigenen Kosten in Anspruch genommen haben und durch das Einreichen von Rechnungen nachträglichen Versicherungsschutz in Anspruch nehmen wollen. Da die vorliegende Fallgestaltung keinem der Regelfälle entspricht, ist bei der erfolgten Inanspruchnahme von Leistungen im Nacherhebungszeitraum von einem atypischen Fall auszugehen. Die Beklagte hatte bei Vorliegen dieses atypischen Falls bei der Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Beitragserlass ihr Ermessen pflichtgemäß auszuüben, was sie bislang versäumt hat. Bei der Ermessensentscheidung wird sie zum einen zu berücksichtigen haben, dass der Kläger Sachleistungen in nicht unerheblichem Umfange im Nacherhebungszeitraum und vollen Versicherungsschutz in Anspruch genommen hat. Ferner sind auch die Umstände zu berücksichtigen, die dazu geführt haben, dass das Ende der Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V erst Jahre später bekannt geworden ist und ob den Kläger hieran eine Mitverantwortung trifft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den teilweisen Erfolg der Klage.
Rechtskraft
Aus
Login
FSS
Saved