Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 3748/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1091/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 09.02.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am 27.02.1968 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert und war von 1990 bis 2002 als Arbeiterin sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Am 28.06.2012 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und gab an, sie halte sich seit ca. 2002 wegen einer Depression für erwerbsgemindert. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Neurologen und Psychiater Dr. H. begutachten. Dieser stellte aufgrund der Untersuchung am 02.08.2012 folgende Diagnosen: V.a. Dysthymie, DD: Rezidivierende, auch längerdauernde Anpassungsstörung, somatoforme Schmerzen, Schwankschwindel und berichtete Agoraphobie. Der Gutachter beschrieb eine klagsam verstimmte Klägerin, deren Grundstimmung nicht mittelschwer und nicht schwer depressiv sei. Die ambulanten Therapieoptionen seien nicht genützt. Er attestierte ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne erhöhten Zeitdruck und Nachtschicht.
Mit Bescheid vom 07.08.2012 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren berief sich die Klägerin auf ein hausärztliches Attest, wonach wegen der nervenärztlichen Erkrankungen das quantitative Leistungsvermögen in rentenberechtigendem Ausmaß eingeschränkt sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 27.11.2012 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Das SG hat den Neurologen und Psychiater Dr. M. und den Hausarzt Dr. M. schriftlich befragt sowie Gutachten von den Neurologen und Psychiatern Dr. A. (gem § 106 SGG) und Dr. S. (gem § 109 SGG) eingeholt.
Dr. A. hat die Klägerin am 18.09.2013 untersucht und als Gesundheitsstörung eine Dysthymie mit Somatisierung festgestellt. Die Gutachterin ist der Ansicht gewesen, dass die Klägerin noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck und ohne besondere Anforderung an die nervliche Belastbarkeit mindestens 6 Stunden täglich ausüben könne. Der neurologische Untersuchungsbefund ist unauffällig gewesen. Im psychischen Befund hat sich eine wechselnde, überwiegend depressive Stimmungslage, mit eingeschränkter, aber nicht aufgehobener affektiver Resonanz mit immer wieder auftretender Affektlabilität ergeben. Die Klägerin hat von unspezifischen Schmerzen am ganzen Körper berichtet. Die Gutachterin ist der Ansicht gewesen, dass eine Besserung des psychischen Befundes bei entsprechender Motivationslage möglich und auch zu erwarten sei, die Klägerin jedoch eine Intensivierung der Behandlung vehement ablehne. Auch die medikamentöse Behandlung sei unzureichend. Die Klägerin versorge das Haus weitgehend selbst.
Dr. S. hat die Klägerin am 18.02.2014 untersucht, wobei der Ehemann der Klägerin als Dolmetscher fungierte. Der Gutachter hat im psychiatrischen Befund eine im Affekt indifferente, deutlich auf die Beschwerden fixierte und klagsame Klägerin beschrieben, die von akustischen und optischen Halluzinationen berichtet habe. Der Antrieb ist etwas gesteigert gewesen. Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis und Konzentrationsfähigkeit hätten sich als leicht vermindert dargestellt. Dr. S. hat rezidivierende depressive Episoden, gegenwärtig dringender Verdacht auf schwere Episode mit psychotischen Gedankeninhalten auf der Basis einer Anpassungsstörung diagnostiziert. Er ist von einer erheblichen Verschlechterung ausgegangen. Dies ergebe sich auch aus der zwischenzeitlich geänderten medikamentösen Therapie mit zwei Mitteln gegen Halluzinationen sowie einem hochpreisigen Antidepressivum. Die Leistungsfähigkeit sei gegenwärtig auf drei bis unter sechs Stunden (auf vier Stunden im Durchschnitt) herabgesunken. Notwendig erscheine eine stationäre Therapie und eine intensive, möglichst muttersprachliche, Psychotherapie. Durch Einleitung der intensiven Maßnahmen wäre eine Stabilisierung in ca einem Jahr zu erwarten.
Beide Gutachter haben ergänzend Stellung genommen. Dr. S. hat an seinem Gutachten aufgrund seiner persönlichen Untersuchung und der aus seiner Sicht glaubhaften Aussagen der Klägerin festgehalten. Dr. A. hat ausgeführt, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass es bei der Klägerin zu einer zwischenzeitlichen Verschlechterung gekommen sei, nachdem die Behandlung völlig unzureichend gewesen war. Eine stationäre Therapie sei notwendig. Bei adäquater Therapie könne allerdings erwartet werden, dass die Verschlechterung nur vorübergehend sei und die Depression wieder auf das vorherige leichte Niveau remittiere.
Mit Urteil vom 09.02.2015 hat das SG den Bescheid vom 07.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.09.2014 bis 29.02.2016 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen das der Beklagten am 02.03.2015 zugestellte Urteil hat diese am 23.03.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat sie unter anderem ausgeführt, dass das Gutachten von Dr. S. rein auf den ungeprüften Angaben der Klägerin, bzw ihres Ehemannes als Dolmetscher, beruhe und deshalb nicht überzeuge.
Der Senat hat einen sachverständige Zeugenaussage des behandelnden Psychiaters Dr. M. eingeholt sowie die Neurologin und Psychiaterin Dr. M. und den Psychiater Prof. Dr. S. mit der Erstellung von psychiatrischen Gutachten gemäß § 106 SGG beauftragt. Dr. M. hat aufgrund der Entwicklung der Symptomatik bei der Klägerin seit 2013 nunmehr eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert und ausgeführt, dass die kognitiven Fähigkeiten seit etwa 2013 deutlich beeinträchtigt seien.
Dr. M. hat die Klägerin in Anwesenheit einer vereidigten türkischsprechenden Dolmetscherin am 25.06.2015 persönlich untersucht und die Diagnose der paranoiden Schizophrenie bestätigt sowie eine somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Ausprägung, zusätzlich attestiert. Bei der neurologischen Untersuchung hat sich ein - mit Ausnahme von angegebenen Sensibilitätsstörungen - im Wesentlichen unauffälliger Befund ergeben. Im psychischen Befund hat die Gutachterin eine unsicher und ängstlich wirkende Klägerin, die innerlich unruhig und aggitiert sei, beschrieben. Hinweise auf Aggravation hätten sich keine ergeben. Die Stimmungslage ist deutlich depressiv, ängstlich getönt gewesen mit Affektlabilität und ohne affektiv auslenkbar zu sein. Die Klägerin habe über optische und akustische Halluzinationen berichtet. Der zielgerichtete Antrieb sei deutlich gemindert. Nach der zweistündigen Exploration wirke die Klägerin deutlich erschöpft und überfordert. Aus der Laboruntersuchung habe sich ergeben, dass die Klägerin das Neuroleptika Zibrasidon zuverlässig einnehme. Die Gutachterin ist der Ansicht gewesen, dass zwischen der Begutachtung durch Dr. A. und dem Gutachten von Dr. S. eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit Auftreten einer psychotischen Symptomatik eingetreten sei. Die Diagnose einer Dysthymie sei mit den Befunderhebungen im Gutachten Dr. S., dem Befundbericht von Dr. M. aus 2015 und den Befunderhebungen bei der jetzigen Begutachtung sicherlich nicht vereinbar. Die Verschlechterung sei auch durch die Aussagen von Dr. M. nachvollziehbar. Längerfristig gesehen (- Prognosezeitraum etwa zwei Jahre -) sei bei Fortführung der ambulanten psychiatrischen Behandlung einschließlich zuverlässiger Medikamenteneinnahme eine wesentliche Besserung nicht ausgeschlossen. Dr. M. hat ausgeführt, dass ab Januar 2014 ein täglich drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen bestanden habe und die Klägerin seit nochmaliger Verschlechterung ab Juni 2015 (Untersuchungsdatum) nur noch körperlich leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen weniger als drei Stunden täglich verrichten könne.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass der Name der Klägerin und auch der von Dr. S. im Zusammenhang mit Ermittlungen des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs zum Nachteil der Deutschen Rentenversicherung und Krankenkassen aufgetaucht sei, bei welchem über das Vorliegen einer ernsthaften psychischen Erkrankung getäuscht und anschließend im Rahmen der Antragstellung auf Zahlung von Erwerbsminderungsrente wahrheitswidrige Angaben gemacht worden seien. Der Gutachter Dr. S. sei deshalb nicht glaubwürdig. Aufgrund der konkreten Umstände und eines möglicherweise durchgeführten Coachings der Klägerin bezüglich der Gutachtenserstellung durch Dr. M. (insbesondere zur Medikamenteneinnahme), sei dieses Gutachten nicht geeignet, einen Rentenanspruch zu begründen.
Dr. M. hat ergänzend zu den Einwänden der Beklagten Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass ihr die Umstände der staatsanwaltlichen Ermittlungen und die Argumente der Beklagten bekannt gewesen seien und deshalb ein strenger Maßstab für die Diagnose und sozialmedizinische Leistungsbeurteilung angesetzt werden müsse. Dennoch halte sie aufgrund der in sich konsistenten Aussagen der Klägerin, auf der Grundlage der aktenkundigen Drittbefunde, dem tatsächlich erhobenen psychischen Befund und fehlenden Anhaltspunkten für Coaching in der konkreten Untersuchungssituation an ihrem Gutachtensergebnis fest.
Der Senat hat daraufhin die erneute Begutachtung nunmehr durch Prof. Dr. S. veranlasst. Dieser hat die Klägerin persönlich am 15.09.2016 und 23.09.2016 unter Mitwirkung einer vereidigten Dolmetscherin ambulant untersucht. Während der Untersuchung hat die Klägerin vor den Augen des Gutachters eine Tablette aus einem mit der Aufschrift "Diazepam 5 mg" versehenen Verpackung eingenommen und unmittelbar mit Einnahme dieses Medikaments (konventionelle Tablette, keine Expidet-Formulierung) von merklicher Entspannung berichtet. Sie hat über Verkrampfung und innere Unruhe geklagt und ausgeführt, sie könne es unter Menschen nicht aushalten, könne sich nicht konzentrieren und nicht erinnern und habe Schmerzen am ganzen Körper. Schmerztypische Verhaltensweisen hat der Gutachter nicht gefunden. Der allgemein-neurologische Befund ist unauffällig geblieben. Im psychischen Befund hat der Sachverständige eine anfangs zurückhaltende, regelrecht scheue, dann aufgeschlossenere, wache, bewusstseinsklare, zur Person, Ort, Zeit und Situation uneingeschränkt orientierte Klägerin beschrieben. Manifeste formale Denkstörungen sind im Rahmen der beiden mehrstündigen Explorationssitzungen nicht festgestellt worden, ebenso wenig wie wesentliche Konzentrationsdefizite oder verstärkt ausgeprägte kognitive Ermüdungszeichen. Hinweise auf Panikattacken oder phobische Züge haben sich nicht ergeben. Der Gutachter hat die Stimmungslage als gedrückt mit erhaltener emotionaler Schwingungsfähigkeit, mit Hinweisen auf Insuffizienzgefühle, Störung der Vitalgefühle, Minderung des Selbstwerterlebens und phasenweise Klagsamkeit beschrieben. Der Antrieb hat sich situationsadäquat, initial mit Angabe von erlebter innerer Anspannung ohne motorische Unruhe, entspannter im Untersuchungsverlauf gezeigt. Prof. Dr. S. hat auf akustische, visuelle und taktile Pseudohalluzinationen in der Aufwachsituation hingewiesen, wobei der Trugcharakter der Klägerin selber klar sei. Das Ergebnis der psychometrischen Befunde hat bei der Hamilton-Skala (strukturelle Fremdbeurteilung) das Vorliegen einer eher geringgradig ausgeprägten depressive Symptomatik erbracht. Ein Gedächtnistest hat auf unauthentische Gedächtnisleistungen hingewiesen. Beim sprachunabhängigen testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren TOMM hat der Gutachter ausgeführt, dass von Antwortmanipulation auszugehen sei. Im Ergebnis hat der Gutachter deshalb auf wiederholt atypische verbale bzw. nonverbale Beschwerdepräsentationen, hier insbesondere in Form appellativ-dramatisierender Darstellung abgestellt. Zudem hätten sich Diskrepanzen zwischen den dargestellten massiven Beschwerden und dem objektivierbaren Befund ergeben, insbesondere im Hinblick auf die Beeinträchtigungen von Konzentration und Gedächtnis. Die Aggravation kognitiver Störungen sei nachgewiesen. Der Sachverständige ist der Auffassung gewesen, dass die fehlende Inanspruchnahme intensiver Behandlungssettings, die grundsätzlich auch eine muttersprachliche Behandlung umfassen können, zumindest gegen das Vorliegen eines hohen Leidensdrucks und relevante Veränderungsbereitschaft spreche. Aufgrund der eigenen Angaben der Klägerin und der erhobenen Befunde sei eine Dysthymia, retrospektiv zusätzlich eine aktuell klinisch nicht manifeste rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, zu diagnostizieren. Die in der Aufwachphase auftretenden Fehlwahrnehmungen seien als Pseudohalluzinationen einzuordnen. Anders als insbesondere von Dr. M. angenommen, sei aufgrund der jetzt erhobenen Befunde eine paranoide Schizophrenie klar auszuschließen. Der Umstand, dass eine medikamentös-neuroleptische Behandlung tatsächlich überhaupt keine Wirkung auf die Pseudohalluzinationen der Klägerin habe, spreche gegen das Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie oder einer schizodepressiven Störung. Zusätzlich sei zwar eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung zu diagnostizieren. Im Rahmen der körperlich-neurologischen Untersuchung hätten sich aber keine wesentlichen schmerzbedingten Beeinträchtigungen gezeigt. Im Ergebnis könne die Klägerin unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche verrichten. Dieses Leistungsbild bestehe rückblickend ab spätestens 2000.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin die seelisch bedingten Störungen mit einer ihr zumutbaren Willensanstrengung aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Hilfe sogleich oder innerhalb eines halben Jahres überwinden könne. Es fehle an einer entsprechenden Motivation der Klägerin. Zudem sei die Klägerin beweispflichtig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 09.02.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält sich für erwerbsgemindert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig sowie in der Sache begründet.
Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 07.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012, mit dem der Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.
Das SG hat zu Unrecht den Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, da die Klägerin keinen Anspruch auf diese Rente hat.
Versicherte haben gemäß §§ 43 Abs 1, Abs 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw teilweise Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
§ 240 SGB VI dehnt aus Gründen des Vertrauensschutzes den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf vor dem 02.01.1961 geborene und berufsunfähig gewordene Versicherte aus, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 43 SGB VI erfüllt sind. Da die Klägerin 1968 geboren ist, findet § 240 SGB VI auf sie keine Anwendung.
Die Voraussetzungen des §§ 43 Abs 1, Abs 2 SGB VI sind bei der Klägerin nicht erfüllt. Zwar liegen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor. Jedoch ist eine rentenrelevanten Erwerbsminderung nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Auch wenn dem sozialgerichtlichen Verfahren wegen der in §§ 103, 128 SGG niedergelegten Amtsermittlungspflicht eine subjektive Beweisführungslast fremd ist, können einen der Beteiligten nach den hier stattdessen geltenden Grundsätzen über die objektive Beweislast (Feststellungslast) gleichwohl nachteilige Folgen daraus treffen, dass das Gericht eine bestimmte Tatsache nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht feststellen kann. Dabei gilt der Grundsatz, dass jeder Beteiligte die Beweislast für diejenigen Tatsachen - in Bezug auf das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale - trägt, welche die von ihm geltend gemachte Rechtsfolge begründen (BSG 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 7, Rn. 19 mwN).
Der Senat konnte sich trotz umfangreicher Ermittlungen und insbesondere unter Berücksichtigung der umfangreichen und schlüssigen Gutachten der sehr erfahrenen Gerichtsgutachter Dr. M. und Prof. Dr. S. nicht davon überzeugen, dass die Klägerin keine leichte Arbeiten mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter sechs Stunden täglich verrichten kann.
Für die Zeit vor Juni 2015 ergibt sich dies schon aus den nachvollziehbaren Aussagen von Dr. M ... Bei der Klägerin bestand ab Juni 2012 eine Dysthymie sowie eine rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode. Auch Dr. A. diagnostizierte aufgrund ihrer Untersuchung im September 2013 ausschließlich eine Dysthymie mit Somatisierung. Erst Dr. S. ging aufgrund seiner Untersuchung im Februar 2014 von rezidivierenden depressiven Episoden, gegenwärtig dringender Verdacht auf schwere Episode mit psychotischen Gedankeninhalten auf der Basis einer Anpassungsstörung aus. Er attestierte ein drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Allerdings stützte sich dieser Gutachter ausschließlich auf die eigenen Angaben der Klägerin sowie die Übersetzungen des Ehemannes, der möglicherweise auch eigene Interessen verfolgt. Eine Plausibilitätskontrolle und Konsistenzprüfung fand nicht statt. Zudem fällt der psychiatrische Befund sehr kurz aus. Dieses Gutachten, das auf Antrag der Klägerin von dem von ihr benannten Sachverständigen erstellt wurde, ist deshalb nicht geeignet, eine teilweise Erwerbsminderung zu beweisen.
Aber auch für die Zeit ab Juni 2015 ist eine Erwerbsminderung nicht nachgewiesen. Einigkeit besteht zwischen den Gutachtern, dass die Klägerin an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung leidet. Jedoch steht zur Überzeugung des Senats auf der Grundlage der Ausführungen von Dr. M. und Prof. Dr. S. fest, dass sich die somatoforme Schmerzstörung aufgrund fehlender schmerzbedingter Bewegungseinschränkungen nicht in gravierender Weise negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirkt. Auch findet diesbezüglich keine intensive Therapie statt.
Der Schweregrad der bei der Klägerin vorliegenden psychiatrischen Gesundheitsstörungen ist bis zuletzt unklar geblieben. Dr. M. war der Auffassung, dass die Klägerin an einer paranoiden Schizophrenie und einer rezidivierenden depressiven Störung mittelgradiger Ausprägung leidet. Sie ist bei diesem schwergradigen psychiatrischen Krankheitsbild nachvollziehbar von einem Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich ausgegangen.
Der Senat konnte sich jedoch nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass die Klägerin tatsächlich an einer paranoiden Schizophrenie oder einer schizodepressiven Störung leidet. Denn bei der Untersuchung durch den ebenfalls sehr erfahren Gerichtsgutachter Prof. Dr. S. hat sich ein substantiell anderes psychopathologisches Bild ergeben. Er hat insbesondere eine paranoide Schizophrenie ausgeschlossen. Der Sachverständige hat aufgrund seiner ausführlichen Anamnese und Exploration für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei den von der Klägerin mitgeteilten Fehlwahrnehmungen in psychopathologischer Perspektive um Pseudohalluzinationen handelt, weil der Klägerin der Trugcharakter der von ihr wahrgenommenen optischen, akustischen und taktilen Reize klar sei. Demgegenüber seien bei echten Halluzinationen die Betroffenen subjektiv gewiss, dass die Wahrnehmungen einer externen Realität entsprechen würden. Bei der Klägerin liegen typische schlafbezogene, nämlich in der Aufwachphase auftretende Fehlwahrnehmungen, vor. Aus diesen Fehlwahrnehmungen sei, so der Gutachter, keineswegs ein vorschneller Rückschluss auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung, gar einer psychotischen Störung, zulässig. Gleiches gilt für die von der Klägerin beschriebenen Ängste, verfolgt zu werden, die sie selber als Ausdruck einer inneren Angst bezeichnet bei gleichzeitigem Wissen darum, dass sie nicht von einer realen Person verfolgt werde. Dass die Klägerin einen Grund hat, sich in ihrem engen sozialen Netz feindlichen Haltungen, Beschimpfungen und Diskreditierung ausgesetzt zu sehen, liegt bei den insofern gut nachvollziehbaren Beschreibungen zur intrafamiliären Kommunikation auf der Hand. Der Senat schließt sich deshalb dem Gutachter darin an, dass sich die von der Klägerin angegebenen Fehlwahrnehmungen sowie Verfolgungsängste in die vorliegende Dysthymia unter Beachtung kulturspezifischer Phänomene und schlafphysiologischer Effekte einordnen lässt. Zumindest lässt sich aufgrund dieser Möglichkeit das Vorliegen einer schweren psychiatrischen Gesundheitsstörungen nicht beweisen. Aufgrund der ausführlichen Herausarbeitung von Prof. Dr. S., dass der Klägerin der Trugcharakter der Wahrnehmungen offenkundig klar ist, folgt der Senat den Einschätzungen des Gutachters Dr. S. und des ambulant behandelnden Nervenarzt Dr. M. nicht. Insoweit fehlt es bei diesen insbesondere an transparenten und kriterienorientierten Diskussionen anderweitiger diagnostischer Überlegungen und der kritischen Auseinandersetzung mit den Angaben der Klägerin.
Die bei der Klägerin vorliegende depressive Störung begründet nach Ansicht des Senats keine zeitliche Erwerbsminderung. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 14.12.2010, L 11 R 3243/09, vom 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und daran gemessen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Tagesstrukturierung mit jedem Gutachten dürftiger ausfallen kann. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob und in welcher Form der Betroffene versucht, einem sich aus der Schmerzstörung ergebenden Leidensdruck durch angemessene therapeutische Bemühungen entgegenzuwirken.
Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. war die depressive Störung nur geringgradig. Im psychischen Befund hat der Sachverständige eine anfangs zurückhaltende, regelrecht scheue, dann aufgeschlossenere, wache, bewusstseinsklare, zur Person, Ort, Zeit und Situation uneingeschränkt orientierte Klägerin beschrieben. Manifeste formale Denkstörungen sind im Rahmen der beiden mehrstündigen Explorationssitzungen nicht festgestellt worden, ebenso wenig wie wesentliche Konzentrationsdefizite oder verstärkt ausgeprägte kognitive Ermüdungszeichen. Hinweise auf Panikattacken oder phobische Züge ergaben sich nicht. Die Stimmungslage war gedrückt mit erhaltener emotionaler Schwingungsfähigkeit, mit Hinweisen auf Insuffizienzgefühle, Störung der Vitalgefühle, Minderung des Selbstwerterlebens und phasenweiser Klagsamkeit. Der Antrieb war situationsadäquat, initial mit Angabe von erlebter innerer Anspannung ohne motorische Unruhe, entspannter im Untersuchungsverlauf. Der Senat folgt dem Gutachter bei seiner Einschätzung, dass - wie schon von Dr. A. und Dr. M. vor Juni 2015 beschrieben - nur eine Dysthymia und aktuell klinisch nicht manifeste rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, vorliegt. Auch wenn sich bei der Untersuchung durch Dr. M. eine mittelgradige depressive Störung gezeigt hat, so liegt diese jedenfalls nicht dauerhaft in diesem Ausprägungsgrad vor. Die Dysthymia kann eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht begründen. Aber auch Dr. M. hat das von ihr angenommene aufgehobene Leistungsvermögen nicht auf die depressive Störung gestützt.
Bzgl. der depressiven Erkrankung sind zudem die Therapieoptionen noch nicht ausgeschöpft. Bislang ist weder eine ambulante Psychotherapie mit einem türkisch sprechenden Therapeuten durchgeführt worden, noch hat eine tagesklinische oder stationär-psychiatrische Behandlung stattgefunden. Darauf hat zuletzt Prof. Dr. S. hingewiesen. Grundsätzlich kann eine dauerhafte quantitative Leistungsminderung nicht auf eine aktuell Arbeitsunfähigkeit verursachende psychische Erkrankung gestützt werden, solange zumutbare Behandlungsmöglichkeiten auf psychischem bzw psychiatrischem Gebiet gar nicht versucht werden und noch ein entsprechend erfolgversprechendes Behandlungspotential besteht (Bayerisches LSG 15.02.2012, L 19 R 774/06; hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG 29.05.2013, 1 BvR 1522/12, BVerfGK 20, 139; siehe auch Senatsurteil 22.04.2015, L 11 R 5112/14; LSG Berlin-Brandenburg 18.09.2008, L 3 R 1816/07, juris RdNr 36). Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. haben sich zudem deutliche Hinweise auf eine Aggravation der Klägerin ergeben. So berichtete sie unmittelbar nach Einnahme einer Tablette mit der Aufschrift "Diazepam 5 mg" über eine merkliche Entspannung. Da es sich um eine konventionelle Tablette und nicht um eine Expidet-Formulierung gehandelt hat, wäre eine unmittelbare Wirkung nicht zu erwarten gewesen. Zudem hat der Gutachter bei der Erhebung der pychometrischen Befunde eine Aggravation kognitiver Leistungseinschränkungen nachgewiesen und Hinweise auf Antwortmanipulationen beschrieben. Auch dies macht eine schwerwiegende Leistungseinschränkung nicht glaubwürdig.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung nachgewiesener ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Anhaltspunkte für eine aufgehobene Wegefähigkeit haben sich bei den Begutachtungen nicht gezeigt.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Insbesondere die vorliegenden Gutachten von Dr. M. und Prof. Dr. S. haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; Auch wenn letztlich die diagnostische Einordung und der Schweregrad der psychiatrischen Gesundheitsstörungen offen bleibt, sind weitere Beweiserhebungen von Amts wegen nicht mehr notwendig. Die gerichtlichen Ermittlungen sind ausgeschöpft. Es bestehen keine weiteren Erkenntnismöglichkeiten.
Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit von Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am 27.02.1968 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert und war von 1990 bis 2002 als Arbeiterin sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Am 28.06.2012 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und gab an, sie halte sich seit ca. 2002 wegen einer Depression für erwerbsgemindert. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Neurologen und Psychiater Dr. H. begutachten. Dieser stellte aufgrund der Untersuchung am 02.08.2012 folgende Diagnosen: V.a. Dysthymie, DD: Rezidivierende, auch längerdauernde Anpassungsstörung, somatoforme Schmerzen, Schwankschwindel und berichtete Agoraphobie. Der Gutachter beschrieb eine klagsam verstimmte Klägerin, deren Grundstimmung nicht mittelschwer und nicht schwer depressiv sei. Die ambulanten Therapieoptionen seien nicht genützt. Er attestierte ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne erhöhten Zeitdruck und Nachtschicht.
Mit Bescheid vom 07.08.2012 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren berief sich die Klägerin auf ein hausärztliches Attest, wonach wegen der nervenärztlichen Erkrankungen das quantitative Leistungsvermögen in rentenberechtigendem Ausmaß eingeschränkt sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 27.11.2012 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Das SG hat den Neurologen und Psychiater Dr. M. und den Hausarzt Dr. M. schriftlich befragt sowie Gutachten von den Neurologen und Psychiatern Dr. A. (gem § 106 SGG) und Dr. S. (gem § 109 SGG) eingeholt.
Dr. A. hat die Klägerin am 18.09.2013 untersucht und als Gesundheitsstörung eine Dysthymie mit Somatisierung festgestellt. Die Gutachterin ist der Ansicht gewesen, dass die Klägerin noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck und ohne besondere Anforderung an die nervliche Belastbarkeit mindestens 6 Stunden täglich ausüben könne. Der neurologische Untersuchungsbefund ist unauffällig gewesen. Im psychischen Befund hat sich eine wechselnde, überwiegend depressive Stimmungslage, mit eingeschränkter, aber nicht aufgehobener affektiver Resonanz mit immer wieder auftretender Affektlabilität ergeben. Die Klägerin hat von unspezifischen Schmerzen am ganzen Körper berichtet. Die Gutachterin ist der Ansicht gewesen, dass eine Besserung des psychischen Befundes bei entsprechender Motivationslage möglich und auch zu erwarten sei, die Klägerin jedoch eine Intensivierung der Behandlung vehement ablehne. Auch die medikamentöse Behandlung sei unzureichend. Die Klägerin versorge das Haus weitgehend selbst.
Dr. S. hat die Klägerin am 18.02.2014 untersucht, wobei der Ehemann der Klägerin als Dolmetscher fungierte. Der Gutachter hat im psychiatrischen Befund eine im Affekt indifferente, deutlich auf die Beschwerden fixierte und klagsame Klägerin beschrieben, die von akustischen und optischen Halluzinationen berichtet habe. Der Antrieb ist etwas gesteigert gewesen. Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis und Konzentrationsfähigkeit hätten sich als leicht vermindert dargestellt. Dr. S. hat rezidivierende depressive Episoden, gegenwärtig dringender Verdacht auf schwere Episode mit psychotischen Gedankeninhalten auf der Basis einer Anpassungsstörung diagnostiziert. Er ist von einer erheblichen Verschlechterung ausgegangen. Dies ergebe sich auch aus der zwischenzeitlich geänderten medikamentösen Therapie mit zwei Mitteln gegen Halluzinationen sowie einem hochpreisigen Antidepressivum. Die Leistungsfähigkeit sei gegenwärtig auf drei bis unter sechs Stunden (auf vier Stunden im Durchschnitt) herabgesunken. Notwendig erscheine eine stationäre Therapie und eine intensive, möglichst muttersprachliche, Psychotherapie. Durch Einleitung der intensiven Maßnahmen wäre eine Stabilisierung in ca einem Jahr zu erwarten.
Beide Gutachter haben ergänzend Stellung genommen. Dr. S. hat an seinem Gutachten aufgrund seiner persönlichen Untersuchung und der aus seiner Sicht glaubhaften Aussagen der Klägerin festgehalten. Dr. A. hat ausgeführt, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass es bei der Klägerin zu einer zwischenzeitlichen Verschlechterung gekommen sei, nachdem die Behandlung völlig unzureichend gewesen war. Eine stationäre Therapie sei notwendig. Bei adäquater Therapie könne allerdings erwartet werden, dass die Verschlechterung nur vorübergehend sei und die Depression wieder auf das vorherige leichte Niveau remittiere.
Mit Urteil vom 09.02.2015 hat das SG den Bescheid vom 07.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.09.2014 bis 29.02.2016 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen das der Beklagten am 02.03.2015 zugestellte Urteil hat diese am 23.03.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat sie unter anderem ausgeführt, dass das Gutachten von Dr. S. rein auf den ungeprüften Angaben der Klägerin, bzw ihres Ehemannes als Dolmetscher, beruhe und deshalb nicht überzeuge.
Der Senat hat einen sachverständige Zeugenaussage des behandelnden Psychiaters Dr. M. eingeholt sowie die Neurologin und Psychiaterin Dr. M. und den Psychiater Prof. Dr. S. mit der Erstellung von psychiatrischen Gutachten gemäß § 106 SGG beauftragt. Dr. M. hat aufgrund der Entwicklung der Symptomatik bei der Klägerin seit 2013 nunmehr eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert und ausgeführt, dass die kognitiven Fähigkeiten seit etwa 2013 deutlich beeinträchtigt seien.
Dr. M. hat die Klägerin in Anwesenheit einer vereidigten türkischsprechenden Dolmetscherin am 25.06.2015 persönlich untersucht und die Diagnose der paranoiden Schizophrenie bestätigt sowie eine somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Ausprägung, zusätzlich attestiert. Bei der neurologischen Untersuchung hat sich ein - mit Ausnahme von angegebenen Sensibilitätsstörungen - im Wesentlichen unauffälliger Befund ergeben. Im psychischen Befund hat die Gutachterin eine unsicher und ängstlich wirkende Klägerin, die innerlich unruhig und aggitiert sei, beschrieben. Hinweise auf Aggravation hätten sich keine ergeben. Die Stimmungslage ist deutlich depressiv, ängstlich getönt gewesen mit Affektlabilität und ohne affektiv auslenkbar zu sein. Die Klägerin habe über optische und akustische Halluzinationen berichtet. Der zielgerichtete Antrieb sei deutlich gemindert. Nach der zweistündigen Exploration wirke die Klägerin deutlich erschöpft und überfordert. Aus der Laboruntersuchung habe sich ergeben, dass die Klägerin das Neuroleptika Zibrasidon zuverlässig einnehme. Die Gutachterin ist der Ansicht gewesen, dass zwischen der Begutachtung durch Dr. A. und dem Gutachten von Dr. S. eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit Auftreten einer psychotischen Symptomatik eingetreten sei. Die Diagnose einer Dysthymie sei mit den Befunderhebungen im Gutachten Dr. S., dem Befundbericht von Dr. M. aus 2015 und den Befunderhebungen bei der jetzigen Begutachtung sicherlich nicht vereinbar. Die Verschlechterung sei auch durch die Aussagen von Dr. M. nachvollziehbar. Längerfristig gesehen (- Prognosezeitraum etwa zwei Jahre -) sei bei Fortführung der ambulanten psychiatrischen Behandlung einschließlich zuverlässiger Medikamenteneinnahme eine wesentliche Besserung nicht ausgeschlossen. Dr. M. hat ausgeführt, dass ab Januar 2014 ein täglich drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen bestanden habe und die Klägerin seit nochmaliger Verschlechterung ab Juni 2015 (Untersuchungsdatum) nur noch körperlich leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen weniger als drei Stunden täglich verrichten könne.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass der Name der Klägerin und auch der von Dr. S. im Zusammenhang mit Ermittlungen des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs zum Nachteil der Deutschen Rentenversicherung und Krankenkassen aufgetaucht sei, bei welchem über das Vorliegen einer ernsthaften psychischen Erkrankung getäuscht und anschließend im Rahmen der Antragstellung auf Zahlung von Erwerbsminderungsrente wahrheitswidrige Angaben gemacht worden seien. Der Gutachter Dr. S. sei deshalb nicht glaubwürdig. Aufgrund der konkreten Umstände und eines möglicherweise durchgeführten Coachings der Klägerin bezüglich der Gutachtenserstellung durch Dr. M. (insbesondere zur Medikamenteneinnahme), sei dieses Gutachten nicht geeignet, einen Rentenanspruch zu begründen.
Dr. M. hat ergänzend zu den Einwänden der Beklagten Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass ihr die Umstände der staatsanwaltlichen Ermittlungen und die Argumente der Beklagten bekannt gewesen seien und deshalb ein strenger Maßstab für die Diagnose und sozialmedizinische Leistungsbeurteilung angesetzt werden müsse. Dennoch halte sie aufgrund der in sich konsistenten Aussagen der Klägerin, auf der Grundlage der aktenkundigen Drittbefunde, dem tatsächlich erhobenen psychischen Befund und fehlenden Anhaltspunkten für Coaching in der konkreten Untersuchungssituation an ihrem Gutachtensergebnis fest.
Der Senat hat daraufhin die erneute Begutachtung nunmehr durch Prof. Dr. S. veranlasst. Dieser hat die Klägerin persönlich am 15.09.2016 und 23.09.2016 unter Mitwirkung einer vereidigten Dolmetscherin ambulant untersucht. Während der Untersuchung hat die Klägerin vor den Augen des Gutachters eine Tablette aus einem mit der Aufschrift "Diazepam 5 mg" versehenen Verpackung eingenommen und unmittelbar mit Einnahme dieses Medikaments (konventionelle Tablette, keine Expidet-Formulierung) von merklicher Entspannung berichtet. Sie hat über Verkrampfung und innere Unruhe geklagt und ausgeführt, sie könne es unter Menschen nicht aushalten, könne sich nicht konzentrieren und nicht erinnern und habe Schmerzen am ganzen Körper. Schmerztypische Verhaltensweisen hat der Gutachter nicht gefunden. Der allgemein-neurologische Befund ist unauffällig geblieben. Im psychischen Befund hat der Sachverständige eine anfangs zurückhaltende, regelrecht scheue, dann aufgeschlossenere, wache, bewusstseinsklare, zur Person, Ort, Zeit und Situation uneingeschränkt orientierte Klägerin beschrieben. Manifeste formale Denkstörungen sind im Rahmen der beiden mehrstündigen Explorationssitzungen nicht festgestellt worden, ebenso wenig wie wesentliche Konzentrationsdefizite oder verstärkt ausgeprägte kognitive Ermüdungszeichen. Hinweise auf Panikattacken oder phobische Züge haben sich nicht ergeben. Der Gutachter hat die Stimmungslage als gedrückt mit erhaltener emotionaler Schwingungsfähigkeit, mit Hinweisen auf Insuffizienzgefühle, Störung der Vitalgefühle, Minderung des Selbstwerterlebens und phasenweise Klagsamkeit beschrieben. Der Antrieb hat sich situationsadäquat, initial mit Angabe von erlebter innerer Anspannung ohne motorische Unruhe, entspannter im Untersuchungsverlauf gezeigt. Prof. Dr. S. hat auf akustische, visuelle und taktile Pseudohalluzinationen in der Aufwachsituation hingewiesen, wobei der Trugcharakter der Klägerin selber klar sei. Das Ergebnis der psychometrischen Befunde hat bei der Hamilton-Skala (strukturelle Fremdbeurteilung) das Vorliegen einer eher geringgradig ausgeprägten depressive Symptomatik erbracht. Ein Gedächtnistest hat auf unauthentische Gedächtnisleistungen hingewiesen. Beim sprachunabhängigen testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren TOMM hat der Gutachter ausgeführt, dass von Antwortmanipulation auszugehen sei. Im Ergebnis hat der Gutachter deshalb auf wiederholt atypische verbale bzw. nonverbale Beschwerdepräsentationen, hier insbesondere in Form appellativ-dramatisierender Darstellung abgestellt. Zudem hätten sich Diskrepanzen zwischen den dargestellten massiven Beschwerden und dem objektivierbaren Befund ergeben, insbesondere im Hinblick auf die Beeinträchtigungen von Konzentration und Gedächtnis. Die Aggravation kognitiver Störungen sei nachgewiesen. Der Sachverständige ist der Auffassung gewesen, dass die fehlende Inanspruchnahme intensiver Behandlungssettings, die grundsätzlich auch eine muttersprachliche Behandlung umfassen können, zumindest gegen das Vorliegen eines hohen Leidensdrucks und relevante Veränderungsbereitschaft spreche. Aufgrund der eigenen Angaben der Klägerin und der erhobenen Befunde sei eine Dysthymia, retrospektiv zusätzlich eine aktuell klinisch nicht manifeste rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, zu diagnostizieren. Die in der Aufwachphase auftretenden Fehlwahrnehmungen seien als Pseudohalluzinationen einzuordnen. Anders als insbesondere von Dr. M. angenommen, sei aufgrund der jetzt erhobenen Befunde eine paranoide Schizophrenie klar auszuschließen. Der Umstand, dass eine medikamentös-neuroleptische Behandlung tatsächlich überhaupt keine Wirkung auf die Pseudohalluzinationen der Klägerin habe, spreche gegen das Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie oder einer schizodepressiven Störung. Zusätzlich sei zwar eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung zu diagnostizieren. Im Rahmen der körperlich-neurologischen Untersuchung hätten sich aber keine wesentlichen schmerzbedingten Beeinträchtigungen gezeigt. Im Ergebnis könne die Klägerin unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche verrichten. Dieses Leistungsbild bestehe rückblickend ab spätestens 2000.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin die seelisch bedingten Störungen mit einer ihr zumutbaren Willensanstrengung aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Hilfe sogleich oder innerhalb eines halben Jahres überwinden könne. Es fehle an einer entsprechenden Motivation der Klägerin. Zudem sei die Klägerin beweispflichtig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 09.02.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält sich für erwerbsgemindert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig sowie in der Sache begründet.
Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 07.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012, mit dem der Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.
Das SG hat zu Unrecht den Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, da die Klägerin keinen Anspruch auf diese Rente hat.
Versicherte haben gemäß §§ 43 Abs 1, Abs 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw teilweise Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
§ 240 SGB VI dehnt aus Gründen des Vertrauensschutzes den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf vor dem 02.01.1961 geborene und berufsunfähig gewordene Versicherte aus, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 43 SGB VI erfüllt sind. Da die Klägerin 1968 geboren ist, findet § 240 SGB VI auf sie keine Anwendung.
Die Voraussetzungen des §§ 43 Abs 1, Abs 2 SGB VI sind bei der Klägerin nicht erfüllt. Zwar liegen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor. Jedoch ist eine rentenrelevanten Erwerbsminderung nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Auch wenn dem sozialgerichtlichen Verfahren wegen der in §§ 103, 128 SGG niedergelegten Amtsermittlungspflicht eine subjektive Beweisführungslast fremd ist, können einen der Beteiligten nach den hier stattdessen geltenden Grundsätzen über die objektive Beweislast (Feststellungslast) gleichwohl nachteilige Folgen daraus treffen, dass das Gericht eine bestimmte Tatsache nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht feststellen kann. Dabei gilt der Grundsatz, dass jeder Beteiligte die Beweislast für diejenigen Tatsachen - in Bezug auf das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale - trägt, welche die von ihm geltend gemachte Rechtsfolge begründen (BSG 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 7, Rn. 19 mwN).
Der Senat konnte sich trotz umfangreicher Ermittlungen und insbesondere unter Berücksichtigung der umfangreichen und schlüssigen Gutachten der sehr erfahrenen Gerichtsgutachter Dr. M. und Prof. Dr. S. nicht davon überzeugen, dass die Klägerin keine leichte Arbeiten mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter sechs Stunden täglich verrichten kann.
Für die Zeit vor Juni 2015 ergibt sich dies schon aus den nachvollziehbaren Aussagen von Dr. M ... Bei der Klägerin bestand ab Juni 2012 eine Dysthymie sowie eine rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode. Auch Dr. A. diagnostizierte aufgrund ihrer Untersuchung im September 2013 ausschließlich eine Dysthymie mit Somatisierung. Erst Dr. S. ging aufgrund seiner Untersuchung im Februar 2014 von rezidivierenden depressiven Episoden, gegenwärtig dringender Verdacht auf schwere Episode mit psychotischen Gedankeninhalten auf der Basis einer Anpassungsstörung aus. Er attestierte ein drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Allerdings stützte sich dieser Gutachter ausschließlich auf die eigenen Angaben der Klägerin sowie die Übersetzungen des Ehemannes, der möglicherweise auch eigene Interessen verfolgt. Eine Plausibilitätskontrolle und Konsistenzprüfung fand nicht statt. Zudem fällt der psychiatrische Befund sehr kurz aus. Dieses Gutachten, das auf Antrag der Klägerin von dem von ihr benannten Sachverständigen erstellt wurde, ist deshalb nicht geeignet, eine teilweise Erwerbsminderung zu beweisen.
Aber auch für die Zeit ab Juni 2015 ist eine Erwerbsminderung nicht nachgewiesen. Einigkeit besteht zwischen den Gutachtern, dass die Klägerin an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung leidet. Jedoch steht zur Überzeugung des Senats auf der Grundlage der Ausführungen von Dr. M. und Prof. Dr. S. fest, dass sich die somatoforme Schmerzstörung aufgrund fehlender schmerzbedingter Bewegungseinschränkungen nicht in gravierender Weise negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirkt. Auch findet diesbezüglich keine intensive Therapie statt.
Der Schweregrad der bei der Klägerin vorliegenden psychiatrischen Gesundheitsstörungen ist bis zuletzt unklar geblieben. Dr. M. war der Auffassung, dass die Klägerin an einer paranoiden Schizophrenie und einer rezidivierenden depressiven Störung mittelgradiger Ausprägung leidet. Sie ist bei diesem schwergradigen psychiatrischen Krankheitsbild nachvollziehbar von einem Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich ausgegangen.
Der Senat konnte sich jedoch nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass die Klägerin tatsächlich an einer paranoiden Schizophrenie oder einer schizodepressiven Störung leidet. Denn bei der Untersuchung durch den ebenfalls sehr erfahren Gerichtsgutachter Prof. Dr. S. hat sich ein substantiell anderes psychopathologisches Bild ergeben. Er hat insbesondere eine paranoide Schizophrenie ausgeschlossen. Der Sachverständige hat aufgrund seiner ausführlichen Anamnese und Exploration für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei den von der Klägerin mitgeteilten Fehlwahrnehmungen in psychopathologischer Perspektive um Pseudohalluzinationen handelt, weil der Klägerin der Trugcharakter der von ihr wahrgenommenen optischen, akustischen und taktilen Reize klar sei. Demgegenüber seien bei echten Halluzinationen die Betroffenen subjektiv gewiss, dass die Wahrnehmungen einer externen Realität entsprechen würden. Bei der Klägerin liegen typische schlafbezogene, nämlich in der Aufwachphase auftretende Fehlwahrnehmungen, vor. Aus diesen Fehlwahrnehmungen sei, so der Gutachter, keineswegs ein vorschneller Rückschluss auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung, gar einer psychotischen Störung, zulässig. Gleiches gilt für die von der Klägerin beschriebenen Ängste, verfolgt zu werden, die sie selber als Ausdruck einer inneren Angst bezeichnet bei gleichzeitigem Wissen darum, dass sie nicht von einer realen Person verfolgt werde. Dass die Klägerin einen Grund hat, sich in ihrem engen sozialen Netz feindlichen Haltungen, Beschimpfungen und Diskreditierung ausgesetzt zu sehen, liegt bei den insofern gut nachvollziehbaren Beschreibungen zur intrafamiliären Kommunikation auf der Hand. Der Senat schließt sich deshalb dem Gutachter darin an, dass sich die von der Klägerin angegebenen Fehlwahrnehmungen sowie Verfolgungsängste in die vorliegende Dysthymia unter Beachtung kulturspezifischer Phänomene und schlafphysiologischer Effekte einordnen lässt. Zumindest lässt sich aufgrund dieser Möglichkeit das Vorliegen einer schweren psychiatrischen Gesundheitsstörungen nicht beweisen. Aufgrund der ausführlichen Herausarbeitung von Prof. Dr. S., dass der Klägerin der Trugcharakter der Wahrnehmungen offenkundig klar ist, folgt der Senat den Einschätzungen des Gutachters Dr. S. und des ambulant behandelnden Nervenarzt Dr. M. nicht. Insoweit fehlt es bei diesen insbesondere an transparenten und kriterienorientierten Diskussionen anderweitiger diagnostischer Überlegungen und der kritischen Auseinandersetzung mit den Angaben der Klägerin.
Die bei der Klägerin vorliegende depressive Störung begründet nach Ansicht des Senats keine zeitliche Erwerbsminderung. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 14.12.2010, L 11 R 3243/09, vom 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und daran gemessen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Tagesstrukturierung mit jedem Gutachten dürftiger ausfallen kann. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob und in welcher Form der Betroffene versucht, einem sich aus der Schmerzstörung ergebenden Leidensdruck durch angemessene therapeutische Bemühungen entgegenzuwirken.
Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. war die depressive Störung nur geringgradig. Im psychischen Befund hat der Sachverständige eine anfangs zurückhaltende, regelrecht scheue, dann aufgeschlossenere, wache, bewusstseinsklare, zur Person, Ort, Zeit und Situation uneingeschränkt orientierte Klägerin beschrieben. Manifeste formale Denkstörungen sind im Rahmen der beiden mehrstündigen Explorationssitzungen nicht festgestellt worden, ebenso wenig wie wesentliche Konzentrationsdefizite oder verstärkt ausgeprägte kognitive Ermüdungszeichen. Hinweise auf Panikattacken oder phobische Züge ergaben sich nicht. Die Stimmungslage war gedrückt mit erhaltener emotionaler Schwingungsfähigkeit, mit Hinweisen auf Insuffizienzgefühle, Störung der Vitalgefühle, Minderung des Selbstwerterlebens und phasenweiser Klagsamkeit. Der Antrieb war situationsadäquat, initial mit Angabe von erlebter innerer Anspannung ohne motorische Unruhe, entspannter im Untersuchungsverlauf. Der Senat folgt dem Gutachter bei seiner Einschätzung, dass - wie schon von Dr. A. und Dr. M. vor Juni 2015 beschrieben - nur eine Dysthymia und aktuell klinisch nicht manifeste rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, vorliegt. Auch wenn sich bei der Untersuchung durch Dr. M. eine mittelgradige depressive Störung gezeigt hat, so liegt diese jedenfalls nicht dauerhaft in diesem Ausprägungsgrad vor. Die Dysthymia kann eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht begründen. Aber auch Dr. M. hat das von ihr angenommene aufgehobene Leistungsvermögen nicht auf die depressive Störung gestützt.
Bzgl. der depressiven Erkrankung sind zudem die Therapieoptionen noch nicht ausgeschöpft. Bislang ist weder eine ambulante Psychotherapie mit einem türkisch sprechenden Therapeuten durchgeführt worden, noch hat eine tagesklinische oder stationär-psychiatrische Behandlung stattgefunden. Darauf hat zuletzt Prof. Dr. S. hingewiesen. Grundsätzlich kann eine dauerhafte quantitative Leistungsminderung nicht auf eine aktuell Arbeitsunfähigkeit verursachende psychische Erkrankung gestützt werden, solange zumutbare Behandlungsmöglichkeiten auf psychischem bzw psychiatrischem Gebiet gar nicht versucht werden und noch ein entsprechend erfolgversprechendes Behandlungspotential besteht (Bayerisches LSG 15.02.2012, L 19 R 774/06; hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG 29.05.2013, 1 BvR 1522/12, BVerfGK 20, 139; siehe auch Senatsurteil 22.04.2015, L 11 R 5112/14; LSG Berlin-Brandenburg 18.09.2008, L 3 R 1816/07, juris RdNr 36). Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. haben sich zudem deutliche Hinweise auf eine Aggravation der Klägerin ergeben. So berichtete sie unmittelbar nach Einnahme einer Tablette mit der Aufschrift "Diazepam 5 mg" über eine merkliche Entspannung. Da es sich um eine konventionelle Tablette und nicht um eine Expidet-Formulierung gehandelt hat, wäre eine unmittelbare Wirkung nicht zu erwarten gewesen. Zudem hat der Gutachter bei der Erhebung der pychometrischen Befunde eine Aggravation kognitiver Leistungseinschränkungen nachgewiesen und Hinweise auf Antwortmanipulationen beschrieben. Auch dies macht eine schwerwiegende Leistungseinschränkung nicht glaubwürdig.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung nachgewiesener ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Anhaltspunkte für eine aufgehobene Wegefähigkeit haben sich bei den Begutachtungen nicht gezeigt.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Insbesondere die vorliegenden Gutachten von Dr. M. und Prof. Dr. S. haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; Auch wenn letztlich die diagnostische Einordung und der Schweregrad der psychiatrischen Gesundheitsstörungen offen bleibt, sind weitere Beweiserhebungen von Amts wegen nicht mehr notwendig. Die gerichtlichen Ermittlungen sind ausgeschöpft. Es bestehen keine weiteren Erkenntnismöglichkeiten.
Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit von Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
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