L 9 AS 68/05 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 25 AS 298/05 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 68/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 25. Juli 2005 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe.

Der Antragsteller beantragte am 1. Oktober 2004 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), die die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25. November 2004 in Höhe von 415,83 EUR monatlich für die Monate von Januar 2005 bis März 2005 und in Höhe von 384,08 EUR monatlich für die Monate von April 2005 bis Juni 2005 bewilligte. Gleichzeitig teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass die Unterkunftskosten (Grundmiete zuzügl. Betriebs- und Heizkosten) unangemessen hoch seien und in der tatsächlichen Höhe nur noch bis zum 31. März 2005 als Bedarf anerkannt werden könnten. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2004 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. November 2004 ein.

Mit Bescheid vom 30. März 2005 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 425,03 EUR für den Monat Januar 2005, in Höhe von 442,80 EUR für den Monat Februar 2005 und in Höhe von 574,27 EUR monatlich für die Monate März bis einschließlich Juni 2005. Dabei berücksichtigte die Antragsgegnerin einen Heizkostenbedarf von 81 EUR bis einschließlich Juni 2005. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 26. April 2005 Widerspruch ein. Der Antragsteller machte dabei Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 338,92 EUR monatlich geltend. Mit Bescheid vom 27. Juni 2005 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Über die dagegen erhobene Klage (S 25 AS 245/05) hat das Sozialgericht Gießen bisher nicht entschieden.

Am 13. Juli 2005 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Gießen um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung seines Antrages hat er ausgeführt, die Kosten für Unterkunft und Heizung setzten sich wie folgt zusammen: Nettomiete 117,59 EUR, Nebenkostenpauschale ohne Strom und Gas 30,68 EUR, Strom- und Gaskosten 169 EUR, insgesamt 317,27 EUR. Die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beliefen sich auf 338,92 EUR. Darin enthalten ist ein Betrag von 21,65 EUR monatlich (1/12 des Nachzahlungsbetrages von 259,94 EUR für das Jahr 2003). Die Aufwendungen seien auch angemessen. Der Antragsteller bewohne eine ca. 50 m² große Wohnung, Baujahr vor 1965. Die Wohnküche werde mit Gas beheizt, es werde auch mit Gas gekocht. Zwei weitere Zimmer müssten elektrisch beheizt werden. Die ursprünglich vorgesehene Gasheizung sei defekt und könne nicht für diese Zimmer genutzt werden. Der Antragsteller habe nur die Möglichkeit, diese zwei Zimmer elektrisch zu beheizen. Der Vermieter habe bisher diesen Umstand insofern berücksichtigt, dass die Nettomiete gering geblieben sei. Der Antragsteller habe aufgrund dieser Situation 169 EUR monatlich für Strom und Gas an die Stadtwerke G. abzuführen. Er habe auch keine Möglichkeit, diesen Betrag abzusenken. Es handele sich hier um eine Kostenpauschale, die schon bisher nicht ausgereicht habe, im Januar 2004 sei eine Nachzahlung in Höhe von 259,80 EUR fällig geworden. Der Antragsteller habe sich um die Senkung der Unterkunftskosten dahingehend bemüht, dass er den Mieterverein eingeschaltet habe, dieser verhandele mit dem Vermieter dahingehend, dass die Heizanlage repariert werde. Die Verhandlungen hätten aber eine geraume Zeit in Anspruch genommen und bisher zu keinem Erfolg geführt. Eine Klage durch den Mieterverein werde in Kürze erfolgen.

Die Kosten für Unterkunft und Heizung seien auch nicht unangemessen hoch. Sehe man die Kosten für Unterkunft und Heizung als Einheit, so seien monatliche Gesamtkosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 338,92 EUR angemessen. Nach § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) werde für Wohnraum, der bis zum 31. Dezember 1965 bezugsfertig geworden sei, in der Mietenstufe 3 für eine Person eine Höchstmiete von 225 EUR anerkannt. Auch die Antragsgegnerin gehe von einem Quadratmeterpreis in Höhe von 4,50 EUR aus und komme somit für die Kaltmiete auf einen Höchstbetrag von 225 EUR. Der Antragsteller liege mit einem Mietpreis von 117,59 EUR weit unterhalb dieser Grenze. Da § 22 Abs. 1 SGB II nicht zwischen "Hauptkosten" und "Nebenkosten" unterscheide, komme es bei der Angemessenheitsprüfung im Ergebnis nur auf die Summe der beiden Kostenanteile an, die angemessen sein müssten. Dabei könnten über der Angemessenheitsgrenze liegende Nebenkosten durch diese unterschreitende übrige Kosten ausgeglichen werden und umgekehrt. Diese Auffassung entspreche auch dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2001. Ungeachtet der Angemessenheit der Unterkunftskosten habe sich der Antragsteller bemüht, eine preiswertere Wohnung zu bekommen. So habe er Kontakt aufgenommen zu drei Wohnungsbaugesellschaften, der H. mbH in G., der J. in G. sowie dem K. a.G. D. in G. Freie Wohnungen hätten nicht zur Verfügung gestanden. Der Antragsteller habe sich dort auf die Wartelisten setzen lassen.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegen getreten. Zwar seien die Miete in Höhe von 117,59 EUR sowie die monatlichen Nebenkostenvorauszahlungen in Höhe von 30,68 EUR angemessen und würden in voller Höhe als Bedarf anerkannt. Darüber hinaus könne, sollte sich im Rahmen der Betriebskostenabrechnung durch den Vermieter ein Nachzahlungsbetrag ergeben, die Übernahme beantragt und der Nachzahlungsbetrag bis zur angemessenen Höhe im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II gewährt werden. Bei der Berechnung der maximal anzuerkennenden Heizkosten werde nach den Richtlinien des Landkreises G. bei der Beheizung mit Gas ein Betrag in Höhe von 0,89 EUR pro Quadratmeter pro Monat zu Grunde gelegt. Hier sei von der tatsächlichen Wohnungsgröße, in diesem Fall 45 m², auszugehen, da auch nur diese zu beheizen sei, so dass ab 1. Juli 2005 Heizkosten in Höhe von 40,05 EUR als Bedarf anerkannt würden. Von dem Antragsteller seien insgesamt Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 229,27 EUR zu zahlen, die bis zum 30. Juni 2005 in voller Höhe im Rahmen der Leistungsgewährung als Bedarf anerkannt worden seien.

Der weiter gehende, von dem Antragsteller geltend gemachte Anspruch in Höhe von insgesamt 338,92 EUR sei nicht begründet. Soweit der Antragsteller aufgrund der im Januar 2004 erfolgten Nebenkostenabrechnung für den Abrechnungszeitraum 2003 einen Betrag in Höhe von 259,94 EUR nachzahlen müsse, könne daraus nicht eine monatliche Zusatzbelastung in Höhe von 21,65 EUR hergeleitet werden. Derzeit bestehe jedenfalls keine monatliche zusätzliche Belastung. Soweit der Antragsteller die Kosten für Haushaltsstrom in Höhe von 88 EUR begehre, sei darauf hinzuweisen, dass in der Regelleistung für Haushaltsstrom bereits ein Betrag enthalten sei. Auch die Stromkosten, die allein daraus resultierten, dass der Vermieter es versäumt habe, die Gasheizungsanlage und das defekte Fenster instand zu setzen, könnten nicht zusätzlich als Bedarf im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II berücksichtigt werden. Nach geltendem Mietrecht müsse der Vermieter Mängel oder Fehler der Mietsache beseitigen bzw. reparieren. Tue er das nicht, könne der Mieter unter Umständen den Mangel selbst auf Kosten des Vermieters beheben lassen (§ 536a Abs. 2 BGB); er habe möglicherweise Schadensersatzansprüche (§ 536a Abs. 1 BGB) oder ein Zurückbehaltungsrecht an der Miete (§ 536 Abs. 1 BGB). Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten, der Vermieter habe die von ihm bis heute versäumte Mängelbeseitigung insofern berücksichtigt, dass die Nettomiete gering geblieben sei, könne keinen Anspruch des Antragstellers auf die Gewährung von zusätzlichen Heizkosten, die allein daraus resultierten, dass der Antragsteller seine bestehenden Ansprüche gegenüber seinem Vermieter nicht geltend mache, begründen. Die Leistungsgewährung nach dem SGB II sei insofern nachrangig. Der Antragsteller habe die Möglichkeit, die ihm derzeit durch die defekte Heizung entstehenden zusätzlichen Kosten durch entsprechende Mietminderung zu decken. Die Rechtsauffassung der Bevollmächtigten des Antragstellers, die Kosten für Unterkunft und Heizung seien als Einheit zu betrachten, sei unzutreffend. Das zur Begründung angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2001 beziehe sich explizit auf die Kosten der Unterkunft ausschließlich der Heizkosten. Dass die genannten Kostenarten getrennt zu betrachten seien, ergebe sich auch schon aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, der zwischen Leistungen für Unterkunft und Heizung unterscheide. Die Angemessenheitsprüfung der Unterkunftskosten sei grundsätzlich auf die Nettomiete zzgl. der Nebenkosten ohne die gesondert zu betrachtenden Heizkosten zu beziehen.

Aufgrund des Fortzahlungsantrages vom 22. Juni 2005 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 30. Juni 2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 440,10 EUR für den Monat Juli 2005 und in Höhe von 533,32 EUR monatlich für die Monate August bis einschließlich Dezember 2005. Dabei berücksichtigte die Antragsgegnerin einen Heizkostenbedarf von 40,05 EUR.

Mit Beschluss vom 25. Juli 2005 hat das Sozialgericht Gießen die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller einstweilen bis zum Vorliegen einer abschließenden erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung über die Leistungspflicht die Kosten des Antragstellers für Miete, Nebenkosten, Strom und Gas für die Zeit ab 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2005 in Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten von 317,27 EUR monatlich zu zahlen. Soweit diese Anordnung die bisher bewilligten Unterkunftskosten übersteige, habe die Antragsgegnerin die übersteigenden Unterkunftskosten einstweilen als Darlehen zu übernehmen. Mit der Darlehensrückführung könne nach Abschluss des erstinstanzlichen Klageverfahrens (S 25 AS 245/05) im gesetzlich vorgesehenen Umfang begonnen werden. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, der Antragsteller habe sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller begehre mit dem Antrag die einstweilige Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten und vertrete dabei den Standpunkt, dass diese angemessen seien, weil er im Vergleich zu anderen Leistungsbeziehern unter Zusammenrechnung aller Kostenteile nicht über deren Gesamtkosten liege. Mit dieser Argumentation könne der Antragsteller im Hauptsacheverfahren Erfolg haben. Dies insbesondere deshalb, weil er glaubhaft gemacht habe, dass er sich um eine Reparatur der Heizmöglichkeiten, welche der Grund für die überhöhten Energiekosten seien, gegenüber seinem Vermieter bemüht habe und auch wegen anderer Wohnmöglichkeiten Kontakte zu Vermietern aufgenommen habe. Bei dieser Sachlage, bei der sich im Ergebnis keine unangemessene Belastung der Antragsgegnerin im Vergleich zu anderen Wohnmöglichkeiten, die der Antragsteller finden könnte, ergebe, erscheine die von der Antragsgegnerin bemessene Frist zur Verkürzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf die nach ihrer Ansicht angemessenen Unterkunftskosten zu kurz.

Der Anordnungsgrund sei ebenfalls dargetan und glaubhaft gemacht, weil der Absenkungsbetrag von über 100 EUR seitens des Antragstellers, der ausweislich der Akten über keinerlei Rücklagen verfüge, über einen Zeitraum ab Anfang des Jahres 2005 bis zum Abschluss des anhängigen Klageverfahrens den Antragsteller unzumutbar finanziell für den Fall belaste, dass er mit seiner Klage Erfolg habe. Bei solch einschneidenden Verkürzungen der Unterkunftskosten sei bei längerer Klärungsdauer der Rechtslage mit einem Verlust der Wohnung oder der Energielieferung zu rechnen, was es zu vermeiden gelte, wenn Leistungsbezieher die Mitwirkung bei der Reduzierung der Kosten glaubhaft gemacht hätten.

Da die einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg nehmen dürfe, habe die Antragsgegnerin die von ihr bestrittenen "unangemessenen" Unterkunftskosten nur im Wege des Darlehns zu gewähren. Nach der erstinstanzlichen Klärung der Angelegenheit könne sie im Falle ihres Obsiegens mit der Rückführung des Darlehns im gesetzlichen Umfange beginnen.

Der Beschluss wurde der Antragsgegnerin am 29. Juli 2005 zugestellt.

Die Antragsgegnerin hat am 25. August 2005 Beschwerde erhoben, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Verfügung vom 8. September 2005). Zur Begründung der Beschwerde hat die Antragsgegnerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie ausgeführt, die Richtlinien des Landkreises G. zu den anzuerkennenden Heizkosten würden jährlich überarbeitet und den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst. Nach den aktuellen Richtlinien, die zum 1. Juli 2005 in Kraft getreten seien, sei bei der Beheizung mit Gas ein Betrag in Höhe von 1,04 EUR pro Quadratmeter vorgesehen. Auf dieser Grundlage werde eine Neuberechnung durchgeführt werden. Dem Antragsteller seien dann ab 1. Juli 2005 Heizkosten in Höhe von 46,80 EUR zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 25. Juli 2005 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beschwerde sei unbegründet. Der Antragsteller habe von der Möglichkeit einer Mietminderung wegen der defekten Heizung ja bereits insofern Gebrauch gemacht, dass beide Parteien sich darüber einig gewesen seien, aufgrund dieses Mangels die Nettomiete nicht zu erhöhen. Es bestehe ein Anordnungsgrund, da der Antragsteller mittellos sei und aus eigenen Kräften die Differenz der Unterkunftskosten nicht tragen könne. Es bestehe auch ein Anordnungsanspruch. Entscheidend für die Angemessenheit der Kosten sei letztendlich der gesamte Mietpreis der Wohnung, nicht die Angemessenheit der einzelnen Faktoren. Das Sozialgericht Oldenburg habe in seinem Beschluss vom 1. August 2005 (S 46 AS 523/05) entschieden, dass überhöhte Heizkosten zu übernehmen seien und nicht durch einen Umzug abgesenkt werden müssten. Nach der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung veröffentlichten Bedarfstabelle bei Arbeitslosengeld II/Sozialgeld würden die durchschnittlichen Kosten der Unterkunft für Alleinstehende 273 EUR, die durchschnittlichen Kosten für Heizung 44 EUR, mithin insgesamt 317 EUR betragen. Damit verursache der Antragsteller die durchschnittlichen Kosten der Bezieher von Sozialhilfe im Jahre 2004.

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 20. September 2005 ergänzend ausgeführt, der Rechtsauffassung des Sozialgerichts Oldenburg könne nicht gefolgt werden. Schon aus der Tatsache, dass es sich bei der Leistungsgewährung nach dem SGB II um eine bedarfsorientierte Grundsicherung handele, ergebe sich, dass die einzelnen Tatbestände auch getrennt zu betrachten seien. So habe der Antragsteller einen Bedarf in Höhe von 117,59 EUR für die Zahlung seiner Nettomiete. Die Anerkennung eines höheren Betrages für die Nettomiete komme nicht in Betracht, da hinsichtlich der Nettomiete kein höherer Bedarf bestehe. Auch aus der "Bedarfstabelle" des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung ergebe sich, dass Unterkunftskosten und Heizungskosten gerade getrennt zu betrachten seien. Schließlich könne der Argumentation der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, die Mietminderung sei dadurch erfolgt, dass die Nettomiete in den letzten Jahren nicht erhöht worden sei, nicht gefolgt werden. Es liege kein schriftliches Mieterhöhungsverlangen der Vermieterin aus den letzten Jahren vor. Auch sei im Mietvertrag weder eine Staffelmiete noch eine Indexmiete vereinbart worden. Es könne nicht akzeptiert werden, dass der Antragsteller auf seinen Anspruch auf Schadensersatz (§ 536a Abs. 1 BGB) oder auf sein Zurückbehaltungsrecht an der Miete (§ 536 Abs. 1 BGB) zu Lasten der Allgemeinheit verzichte.

Mit Bescheid vom 30. August 2005 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller in Umsetzung des Beschlusses des Sozialgerichts einstweilen zunächst bis zur Entscheidung des Sozialgerichts im Hauptsacheverfahren bzw. bis zur Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts im Beschwerdeverfahren Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 317,27 EUR, davon 122,20 EUR als Darlehn (Juli bis Dezember 2005) bzw. davon 88,- Euro als Darlehen (Januar bis Juni 2005).

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie auf den des Klageverfahrens S 25 AS 245/05 (Sozialgericht Gießen) und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Zwar hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit bestandskräftigen Bescheiden vom 30. August 2005 die mit dem vorliegenden Eilantrag geltend gemachten Unterkunfts- und Heizungskosten darlehensweise bewilligt. Die Bewilligung einer bestimmten Leistung (durch Erlass eines Verwaltungsaktes) schließt das Verwaltungsverfahren ab (vgl. §§ 8, 31 SGB X), so dass eine Rückforderung des Betrages regelmäßig nur bei Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen (Rücknahme, Widerruf - §§ 44 ff. SGB X) möglich ist. Im vorliegenden Fall erfolgte jedoch die "Bewilligung" nach der Begründung der Bescheide in Umsetzung des Beschlusses des Sozialgerichts Gießen vom 25. Juli 2005 einstweilen zunächst bis zur Entscheidung des Sozialgerichts Gießen im Hauptsacheverfahren bzw. bis zur Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts im Beschwerdeverfahren. Die "Bewilligung" ist daher nur als vorläufige Leistung zu werten (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rdnr. 49, 22).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht vor. Der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 25. Juli 2005 war daher aufzuheben.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG - kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Antragsteller hat weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Beschluss des Senats vom 22. September 2005 – L 9 AS 47/05 ER; Conradis in LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, Anhang Verfahren Rdnr. 117). Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86 b Rdnr. 28). Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller in eine derartige Notlage geraten könnte, falls ihm die begehrte Hilfe nicht sofort gewährt wird. Ist der Vermieter wie von dem Antragsteller vorgetragen – zu einer Reparatur der defekten Heizung und des undichten Fensters nicht bereit, hat der Antragsteller die Möglichkeit, die Miete zu mindern oder den Mangel auf Kosten des Vermieters beheben zu lassen, ggf. Schadensersatz geltend zu machen. Der Antragsteller hat es daher in der Hand, die Heizkosten zu senken bzw. die durch die Mängel der Mietsache entstehenden Kosten gegenüber dem Vermieter geltend zu machen. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller in eine existenzielle Notlage geraten könnte, falls er die Zimmer mit defekter Heizung und undichtem Fenster vorübergehend nicht in dem bisherigen Umfang mit elektrischen Heizradiatoren beheizt. Nach seinem eigenen Vortrag verfügt der Antragsteller über eine Wohnküche mit intakter Heizung.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich ein Anordnungsanspruch nicht unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Betrachtung der Kosten für Unterkunft und Heizung mit der Folge, dass unangemessen hohe Heizkosten durch entsprechend niedrigere Kosten der Unterkunft ausgeglichen werden könnten, wenn nur die Summe der Unterkunfts- und Heizungskosten den angemessenen Umfang nicht übersteigt. Eine derartige einheitliche Betrachtung gebietet weder der Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II noch die Systematik des SGB II. Schließlich ist sie mit dem Bedarfsdeckungsgrundsatz nicht vereinbar. Nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung und nicht etwa für Unterkunft einschließlich Heizung erbracht. Dass es sich bei Unterkunft und Heizung um verschiedene Bedarfe handelt, wird deutlicher als im SGB II in der vergleichbaren sozialhilferechtlichen Bestimmung des § 29 SGB XII, die Leistungen für Unterkunft in Abs. 1 und solche für Heizung in Abs. 3 regelt. Trotz des unterschiedlichen Wortlauts der §§ 22 SGB II, 29 SGB XII handelt es sich um vergleichbare Regelungen. Die Wortlautunterschiede deuten lediglich auf das Bemühen des SGB II-Gesetzgebers um im Vergleich zum Sozialhilferecht knappere, schlankere Formulierungen, nicht aber auf Regelungsunterschiede (Berlit in LPK-SGB II, 1. Auflage 2005, § 22 Rdnr. 6). Nach der Systematik des SGB II wird eine Vielzahl von Bedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Regelleistung (§ 20 SGB II) abgegolten. Die Verwendung der Regelleistung steht dem Hilfeempfänger frei; d.h. er kann wählen, für welche Bedarfe er die Leistung verwendet. Über die Regelleistung hinaus sieht das SGB II verschiedene Leistungen für ausdrücklich benannte Bedarfe vor. Das sind neben den Leistungen für Unterkunft und Heizung solche für Mehrbedarfe nach § 21 SGB II, besondere Bedarfe nach § 23 Abs. 3 SGB II sowie der Zuschlag nach § 24 SGB II. Für eine Deutung, dass diese Bedarfe zu einzelnen Gruppen oder insgesamt zu einem Gesamtbedarf zusammen zu fassen wären, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Es ist daher ein eventueller Bedarf jeweils getrennt zu ermitteln. Eine Saldierung verschiedener Bedarfe würde außerdem gegen den auch auf das Leistungssystem des SGB II anwendbaren Bedarfsdeckungsgrundsatz (vgl. Beschluss des Senats vom 17. Oktober 2005 – L 9 AS 50/05 ER) verstoßen. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz gewährleistet eine vollständige Deckung des sozialhilferechtlich relevanten Bedarfs (Rothkegel, Sozialhilferecht, 1. Auflage 2005, S. 53). Das schließt einerseits eine Bedarfsunterdeckung aus, andererseits darf aber auch keine Bewilligung von den Bedarf übersteigenden Leistungen erfolgen. Die Rechtsauffassung des Antragstellers wird auch nicht durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2001 (5 C 9.01 – info also 2002, 127 mit Anm. Berlit – info also 2002, 128) gestützt. Die Entscheidung beschäftigt sich lediglich mit der Frage, ob Kabelanschlussgebühren zu den Kosten der Unterkunft zählen und trifft keine Aussage zur Frage der Zulässigkeit der Saldierung von Kosten der Unterkunft und Heizung. Der von dem Antragsteller in Bezug genommene Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 1. August 2005 betrifft den hier nicht einschlägigen Fall der Aufforderung zur Heizkostensenkung durch einen Wohnungswechsel.

Ein Anordnungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Danach sind die Aufwendungen für die Unterkunft, die den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen ungeachtet des Ablaufs der Sechsmonatsfrist nicht vor. Der Antragsteller ist nämlich in der Lage, die Aufwendungen für Heizung zu senken. Auch im Hinblick auf den Nachranggrundsatz (vgl. § 9 Abs. 1, 3 Abs. 3 SGB II) ist der Antragsteller gehalten, die durch die defekte Gasheizungsanlage und das undichte Fenster verursachten zusätzlichen Stromkosten vorrangig gegenüber dem Vermieter geltend zu machen. Nach §§ 535 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) obliegt es grundsätzlich dem Vermieter, Mängel oder Fehler einer Mietsache zu beseitigen. Unterlässt der Vermieter trotz Aufforderung durch den Mieter die Beseitigung des Mangels, hat dieser die sich aus §§ 536, 536a BGB ergebenden Rechte, d.h. er kann die Miete mindern (§ 536 Abs. 1 Satz 2 BGB), den Mangel auf Kosten des Vermieters beheben lassen (§ 536a Abs. 2 BGB), ggf. Schadensersatz geltend machen (§ 536a Abs. 1 BGB). Der Antragsteller ist daher darauf zu verweisen, entweder seinen Vermieter aufzufordern, die defekte Heizung und das undichte Fenster zu reparieren, und sodann unter Hinweis auf den künftig erheblichen niedrigeren Stromverbrauch eine Anpassung der monatlichen Vorauszahlungen beim Energieversorgungsunternehmen zu erreichen oder, falls die erforderlichen Reparaturarbeiten durch den Vermieter nicht durchgeführt werden, die dadurch verursachten Mehrkosten gegenüber dem Vermieter geltend zu machen.

Ein Anspruch auf zusätzliche Heizkosten folgt schließlich auch nicht daraus, dass der Antragsteller nach der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Übersicht über das Sozialrecht lediglich Kosten für Unterkunft und Heizung in der Höhe verursache, die den durchschnittlichen Kosten der Bezieher von Sozialhilfe im Jahre 2004 entspreche. Derartige Durchschnittswerte können als Bedarf schon deshalb nicht angesetzt werden, weil sich die Höhe des Bedarfs nach der Besonderheit des Einzelfalles richtet (vgl. für Heizkosten Berlit in: LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, § 22 Rdnr. 51).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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