Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 15/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten in einem Überprüfungsverfahren über das Vorliegen und die Entschädigung einer Berufskrankheit durch Kobalteinwirkungen.
Der 1938 geborene Kläger war bei seiner versicherten Tätigkeit von 1976 bis Mitte 2003 einer Kobaltbelastung ausgesetzt, wobei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass zumindest bis 1992 der Kobaltgrenzwert im Pulvermischraum, dem Arbeitsplatz des Klägers, deutlich überschritten wurde. Persönliche Schutzausrüstung ist nach den Angaben des Präventionsdienstes der Beklagten bis Ende der achtziger Jahre nur in Form einer Grobstaubmaske verwendet worden.
Im Jahr 2005 wurde bei dem Kläger ein Prostata- und ein Nierenzellkarzinom festgestellt. Auf den Antrag des Klägers auf Rentengewährung vom 8. Juli 2005 hin ermittelte die Beklagte medizinisch und arbeitstechnisch. Nach einer abschließenden Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. P., wonach für die den Kläger belastenden Stoffe bisher keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse bezüglich einer Verursachung von Nieren- und Prostatakrebs vorlägen, lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 Berufskrankheitenverordnung sowie einer Wie-BK ab (Bescheid vom 10. Mai 2006 und Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2008)
In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (Aktenzeichen S 40 U 68/08) nahm der Kläger die Klage gegen die Beklagte des vorliegenden Verfahrens zurück und schloss zugleich mit der Beigeladenen des vorliegenden Verfahrens am 23. September 2011 einen Vergleich, wonach die Beigeladene das Vorliegen einer Polyneuropathie als BK 1317 bei dem Kläger anerkannte und diesem in Folge dessen eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 vom Hundert (v.H.) ab dem 25. August 2008 gewährte. Dem lagen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten der Dres. T./ R. vom 11. September 2008 sowie ein arbeitsmedizinischen Gutachten des Dr. S. vom 21. Juni 2011 zu Grunde. Diese Gutachten hatten im Wesentlichen ergeben, dass bei dem Kläger eine halbseitige Rückenmarkschädigung vorliegt, die nicht auf eine toxische Genese zurückzuführen ist, des Weiteren eine distal symmetrisch betonte Polyneuropathie unklarer Genese, sowie psychische Veränderungen, deren Bestehen im Rahmen einer toxisch bedingten Enzephalopathie unwahrscheinlich sind (gutachten T./ R.). Der Arbeitsmediziner Dr. S. führte in seinem Gutachten, auf welches im Übrigen Bezug genommen wird, aus:
"Während seiner Berufstätigkeit bei der Firma G1 von Mai 1972 bis Mai 2004 hatte Herr M. insbesondere im Pulverraum Kontakt zu Metallen wie Kupfer, Nickel und Zinn, insbesondere aber zu Kobalt. Daneben bestand, dies wurde als Entfettungsmittel verwendet, eine Exposition zu 1,1,1 Trichlorethan. Die innere Belastung mit Kupfer, Nickel und Zinn ist unter Berücksichtigung der Beschreibung der Arbeitsvorgänge weitgehend zu vernachlässigen, insbesondere angesichts des zeit- und mengenmäßig sehr viel höheren Umganges mit metallischem Kobalt. Nochmals kurz zum Verständnis: Kobalt wurde verwendet als Legierungsbestandteil für Metallwerkzeuge, 1,1,1 Trichlorethan diente als Entfettungsmittel. Das metallische Kobalt wurde in pulverisierter Form in dem leicht flüchtigen Kohlenwasserstoff mechanisch aufgerührt, die kobaltanhaftenden Fette gingen in Lösung. Anschließend wurde das Lösemittel mit 1,1,1 Trichlorethan benetzt, das Kobalt in Trockenöfen getrocknet. Unstrittig, dies insbesondere unter Berücksichtigung der baulichen und der sicherlich nicht optimalen arbeitshygienischen Gegebenheiten, ist eine nicht unerhebliche Exposition sowohl mit Kobalt als auch mit dem organischen Lösemittel. Aussagefähige Untersuchungen hinsichtlich der Belastung am Arbeitsplatz liegen nicht vor. Es wurden zwar Messungen durchgeführt, diese entsprechen jedoch nicht den Regeln bei Arbeitsplatzmessungen und sind somit nicht zu bewerten. Wesentlich aussagekräftiger sind dagegen die im Rahmen von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen durchgeführten Biomonitoringuntersuchungen auf Kobalt, die zu verschiedenen Zeiten deutlich erhöhte Werte ergaben. Hierzu seien einige Beispiele genannt: (Tabelle) Da Herr M. an zwei Karzinomen erkrankte, die an verschiedenen Organen und mit verschiedener Histologie aufgetreten sind, muss diskutiert werden, ob ein möglicher Zusammenhang mit der Belastung durch Kobalt besteht. Herr M. hatte Umgang mit metallischem, d.h. elementarem Kobalt, das im Wasser schwer löslich ist, dies im Gegensatz zu Verbindungen wie z.B. Kobaltkarbonat, -nitrat, -acetat, -sulfat und anderen. Interessanterweise scheint die Löslichkeit metallischen Kobalts aber im Serum deutlich besser als im Wasser zu sein. Der primäre Aufnahmeweg für Metalle, in diesem Zusammenhang wird auf Erfahrungen mit anderen Schwermetallen wie z.B. Blei, Arsen oder Kupfer zurückgegriffen, erfolgt inhalativ über die Lunge, hier spielt die Löslichkeit eine große Rolle. Schwer lösliche Metalle lagern sich in der Regel über lange Zeit in den Bronchiolen oder Alviolen ab und können dort zu entsprechenden Reaktionen, gegebenenfalls zur Ausbildung von Tumoren (z.B. Ni, As) führen. Umfassende Untersuchungen hierzu wurden z.B. beim Nickel durchgeführt. Hier gilt, dass insbesondere die schwer lösliche Nickelverbindungen als kanzerogen anzusehen sind und ein Bronchialkarzinom induzieren können. Hieraus ist zu entnehmen, dass das primäre ‚Erfolgsorgan‘ für die Ausbildung eines Karzinoms die Lunge ist Es finden sich in der Literatur keine Hinweise, die einen Zusammenhang zwischen einer Kobaltexposition und dem Auftreten von Tumoren außerhalb des Atemwegssystems belegen. Zusammenfassend ergibt sich bezogen auf den hier zu diskutierenden Berufskrankheitenfall folgendes: Es ist nicht mit ausreichender Sicherheit zu belegen, dass die bei Herrn M. diagnostizierten, unabhängig voneinander entstandenen Karzinome der Prostata und der Niere in einem Zusammenhang mit der damaligen Kobaltsexposition stehen. Dies gilt auch für Kupfer, Nickel und Zinn, zu denen eine, wenn auch geringere Belastung bestanden hat."
Mit Schriftsatz vom 11. September 2012 erklärte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers die Anfechtung des Vergleiches; diese Erklärung wurde später in beiderseitigem Einvernehmen als Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gewertet. Der Kläger trug im Juni 2013 hierzu vor, seine Krebsleiden seien unter Beachtung der hohen Kobaltexposition, der er ausgesetzt gewesen sei, nicht ausreichend gewürdigt worden, er wünsche einen gerechten Ausgleich für den Verlust seiner Gesundheit.
Mit Bescheid vom 31. Juli 2013 lehnte die Beklagte die Änderung des Bescheides vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2008 mit der Begründung ab, es seien weder neue Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein Anhaltspunkt für eine eventuelle Rechtswidrigkeit der Ausgangsbescheide ergebe, noch gebe es arbeitsmedizinisch wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach die beruflichen Stoffe geeignet seien, eine Prostata- bzw. Nierenkrebserkrankung zu verursachen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. August 2013)
Die am 4. September 2013 erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 22. März 2016 abgewiesen und ausgeführt, es folge der Begründung der Ausgangsbescheide. Der medizinische Sachverständigen Dr. S. habe im Übrigen in seinem Gutachten vom 21. Juni 2011 ganz unmissverständlich ausgeführt, dass ein beruflicher Zusammenhang zwischen den Tumorerkrankungen beim Kläger und der erheblichen Kobaltbelastung, wie sie beim Kläger unstreitig während seiner versicherten Tätigkeit vorgelegen habe, nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht gegeben sei. Zutreffend weise Dr. S. darauf hin, dass Kobalt krebserregende Wirkungen haben könne und in die Kategorie II eingruppiert worden sei. Die kanzerogene Wirkung von Kobalt sei aber derzeit nur in Bezug auf eine berufliche Belastung mit Tumorerkrankungen der Atemwege wissenschaftlich zu begründen. Die vom Kläger mehrfach eingereichten Unterlagen, insbesondere die Auszüge aus dem Gutachten des Dr. S., seien insoweit nicht geeignet, die abschließende Kernaussage des Sachverständigen, der einen Zusammenhang gerade nicht für hinreichend wahrscheinlich halte, zu erschüttern.
Der Kläger hat gegen den am 1. April 2016 zugestellten Gerichtsbescheid am 21. April 2016 Berufung eingelegt, mit welcher er vorträgt, das Gutachten des Dr. S. gebe nicht die korrekten arbeitsmedizinischen Kobaltwerte wieder. Er ist der Auffassung, bei einer hohen Kobaltkonzentration seien Niere und Prostata besonders stark betroffen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 22. März 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2008 abzuändern sowie ein Nieren- und ein Prostatakarzinom als Berufskrankheiten bei dem Kläger festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 25. Oktober 2016 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts, über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats nach § 155 Abs. 4 in Verbindung mit Absatz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Sie ist jedoch unbegründet.
Zu Recht und mit der zutreffenden Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die auf die Anerkennung der Karzinomerkrankungen des Klägers als Berufskrankheit im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X gerichtete und damit als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu verstehende Klage (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -) als unbegründet abgewiesen.
Lediglich ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt allein die Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB X in Betracht. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unan¬fechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzel¬fall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sach¬verhalt ausgegangen worden ist, der sich als un¬richtig erweist, und soweit Sozialleis¬tungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Eine unrichtige Rechtsanwendung (hierzu und zu der Notwendigkeit entsprechender Prüfung auch bei Fehlen einer auf neue Tatsachen gestützten Begründung des Überprüfungsbegehrens vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 R) bei Erlass des Bescheides vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2008 lässt sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht feststellen. Auch der Kläger zeigt solche nicht auf. Lediglich will er eine andere, für ihn günstigere Würdigung der Befunde vorgenommen wissen. Diese Würdigung aber wurde zutreffend und ohne rechtliche Fehler vorgenommen. Insoweit wird auf das ausführliche, fundiert begründete und auch mit den Vorgutachten übereinstimmende Gutachten des Dr. S. Bezug genommen, nach welchem es in der Literatur Hinweise, die einen Zusammenhang zwischen einer Kobaltsexposition und dem Auftreten von Tumoren außerhalb des Atemwegssystems belegen, nicht gibt. Dass der Sachverständige von fehlerhaften Blutwerten bzw. Urinwerten ausgegangen wäre, ist nicht nachvollziehbar. Die Tabelle, in welcher Dr. S. die bei dem Kläger erhobenen Werte zusammengefasst hat, geben die Werte der arbeitsmedizinischen Befunde aus Bl. 45 bis 54 des Aktendrucks der Beklagten korrekt wieder. Einmalig ist für den 3. November 1993 zusätzlich zu dem Blutwert auch der Urinwert in der Tabelle aufgeführt und dies auch ausgewiesen, die Spalte bildet aber im Übrigen, wie sich aus der Überschrift unzweifelhaft ergibt, die Blutwerte ab und dies zutreffend.
Dass die Beklagte bei Erlass der genannten Bescheide von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich aus heutiger Sicht als unrichtig erweist, hat der Kläger mit seinem Überprüfungsantrag ebenfalls noch nicht einmal behauptet. Ermittlungen zum Sachverhalt hat die Beklagte aufgrund des Überprüfungsbegehrens deshalb zu Recht nicht angestellt. Obwohl § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht ausdrücklich vor einer erneuten Sachprüfung das Durchlaufen zweier formaler Prüfungsabschnitte verlangt, wird nämlich nach der Rechtsprechung des BSG, welcher der erkennende Senat folgt, auch das Rücknahmeverfahren in der allgemeinen Verwaltung in Anlehnung an das Wiederaufnahmeverfahren für rechts-kräftige Urteile (vgl. § 179 SGG) als dreistufiges Verfahren angesehen. Daraus folgt, dass die Verwaltung in eine erneute Sachprüfung erst dann eintreten muss, wenn Gründe geltend gemacht werden, die ihrer Art nach geeignet sind, die Verwaltungsentscheidung in Frage zu stellen (erster Schritt) und diese Gründe tatsächlich vorliegen sowie der bestandskräftige Verwaltungsakt auf einen Umstand gestützt ist, welcher infolge der geltend gemachten Über-prüfungsgründe nunmehr zweifelhaft geworden ist (zweiter Schritt). Ergibt sich also im Rahmen eines Antrages auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des ursprünglichen Bescheides berufen (vgl. BSG, Urteile vom 3. Februar 1988, 9/9a RV 18/86, vom 22. März 1989, 7 RAr 122/87 und vom 3. April 2001, B 4 RA 22/00 R). So ist es auch hier: Nachdem der Kläger mit seinem Überprüfungsantrag keinerlei neue Tatsachen oder Beweismittel aufgezeigt hatte, auf die er sich hätte berufen können und die zu einer Überprüfung der bestandskräftigen Entscheidung hätten Anlass geben können, hat sich die Beklagte ohne weitere Prüfung auf die Bestandskraft der ursprünglichen Bescheide berufen dürfen, ohne dass diesbezüglich Ermessensfehler ersichtlich wären. Bereits aus diesem Grund ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden und konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten in einem Überprüfungsverfahren über das Vorliegen und die Entschädigung einer Berufskrankheit durch Kobalteinwirkungen.
Der 1938 geborene Kläger war bei seiner versicherten Tätigkeit von 1976 bis Mitte 2003 einer Kobaltbelastung ausgesetzt, wobei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass zumindest bis 1992 der Kobaltgrenzwert im Pulvermischraum, dem Arbeitsplatz des Klägers, deutlich überschritten wurde. Persönliche Schutzausrüstung ist nach den Angaben des Präventionsdienstes der Beklagten bis Ende der achtziger Jahre nur in Form einer Grobstaubmaske verwendet worden.
Im Jahr 2005 wurde bei dem Kläger ein Prostata- und ein Nierenzellkarzinom festgestellt. Auf den Antrag des Klägers auf Rentengewährung vom 8. Juli 2005 hin ermittelte die Beklagte medizinisch und arbeitstechnisch. Nach einer abschließenden Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. P., wonach für die den Kläger belastenden Stoffe bisher keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse bezüglich einer Verursachung von Nieren- und Prostatakrebs vorlägen, lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 Berufskrankheitenverordnung sowie einer Wie-BK ab (Bescheid vom 10. Mai 2006 und Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2008)
In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (Aktenzeichen S 40 U 68/08) nahm der Kläger die Klage gegen die Beklagte des vorliegenden Verfahrens zurück und schloss zugleich mit der Beigeladenen des vorliegenden Verfahrens am 23. September 2011 einen Vergleich, wonach die Beigeladene das Vorliegen einer Polyneuropathie als BK 1317 bei dem Kläger anerkannte und diesem in Folge dessen eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 vom Hundert (v.H.) ab dem 25. August 2008 gewährte. Dem lagen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten der Dres. T./ R. vom 11. September 2008 sowie ein arbeitsmedizinischen Gutachten des Dr. S. vom 21. Juni 2011 zu Grunde. Diese Gutachten hatten im Wesentlichen ergeben, dass bei dem Kläger eine halbseitige Rückenmarkschädigung vorliegt, die nicht auf eine toxische Genese zurückzuführen ist, des Weiteren eine distal symmetrisch betonte Polyneuropathie unklarer Genese, sowie psychische Veränderungen, deren Bestehen im Rahmen einer toxisch bedingten Enzephalopathie unwahrscheinlich sind (gutachten T./ R.). Der Arbeitsmediziner Dr. S. führte in seinem Gutachten, auf welches im Übrigen Bezug genommen wird, aus:
"Während seiner Berufstätigkeit bei der Firma G1 von Mai 1972 bis Mai 2004 hatte Herr M. insbesondere im Pulverraum Kontakt zu Metallen wie Kupfer, Nickel und Zinn, insbesondere aber zu Kobalt. Daneben bestand, dies wurde als Entfettungsmittel verwendet, eine Exposition zu 1,1,1 Trichlorethan. Die innere Belastung mit Kupfer, Nickel und Zinn ist unter Berücksichtigung der Beschreibung der Arbeitsvorgänge weitgehend zu vernachlässigen, insbesondere angesichts des zeit- und mengenmäßig sehr viel höheren Umganges mit metallischem Kobalt. Nochmals kurz zum Verständnis: Kobalt wurde verwendet als Legierungsbestandteil für Metallwerkzeuge, 1,1,1 Trichlorethan diente als Entfettungsmittel. Das metallische Kobalt wurde in pulverisierter Form in dem leicht flüchtigen Kohlenwasserstoff mechanisch aufgerührt, die kobaltanhaftenden Fette gingen in Lösung. Anschließend wurde das Lösemittel mit 1,1,1 Trichlorethan benetzt, das Kobalt in Trockenöfen getrocknet. Unstrittig, dies insbesondere unter Berücksichtigung der baulichen und der sicherlich nicht optimalen arbeitshygienischen Gegebenheiten, ist eine nicht unerhebliche Exposition sowohl mit Kobalt als auch mit dem organischen Lösemittel. Aussagefähige Untersuchungen hinsichtlich der Belastung am Arbeitsplatz liegen nicht vor. Es wurden zwar Messungen durchgeführt, diese entsprechen jedoch nicht den Regeln bei Arbeitsplatzmessungen und sind somit nicht zu bewerten. Wesentlich aussagekräftiger sind dagegen die im Rahmen von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen durchgeführten Biomonitoringuntersuchungen auf Kobalt, die zu verschiedenen Zeiten deutlich erhöhte Werte ergaben. Hierzu seien einige Beispiele genannt: (Tabelle) Da Herr M. an zwei Karzinomen erkrankte, die an verschiedenen Organen und mit verschiedener Histologie aufgetreten sind, muss diskutiert werden, ob ein möglicher Zusammenhang mit der Belastung durch Kobalt besteht. Herr M. hatte Umgang mit metallischem, d.h. elementarem Kobalt, das im Wasser schwer löslich ist, dies im Gegensatz zu Verbindungen wie z.B. Kobaltkarbonat, -nitrat, -acetat, -sulfat und anderen. Interessanterweise scheint die Löslichkeit metallischen Kobalts aber im Serum deutlich besser als im Wasser zu sein. Der primäre Aufnahmeweg für Metalle, in diesem Zusammenhang wird auf Erfahrungen mit anderen Schwermetallen wie z.B. Blei, Arsen oder Kupfer zurückgegriffen, erfolgt inhalativ über die Lunge, hier spielt die Löslichkeit eine große Rolle. Schwer lösliche Metalle lagern sich in der Regel über lange Zeit in den Bronchiolen oder Alviolen ab und können dort zu entsprechenden Reaktionen, gegebenenfalls zur Ausbildung von Tumoren (z.B. Ni, As) führen. Umfassende Untersuchungen hierzu wurden z.B. beim Nickel durchgeführt. Hier gilt, dass insbesondere die schwer lösliche Nickelverbindungen als kanzerogen anzusehen sind und ein Bronchialkarzinom induzieren können. Hieraus ist zu entnehmen, dass das primäre ‚Erfolgsorgan‘ für die Ausbildung eines Karzinoms die Lunge ist Es finden sich in der Literatur keine Hinweise, die einen Zusammenhang zwischen einer Kobaltexposition und dem Auftreten von Tumoren außerhalb des Atemwegssystems belegen. Zusammenfassend ergibt sich bezogen auf den hier zu diskutierenden Berufskrankheitenfall folgendes: Es ist nicht mit ausreichender Sicherheit zu belegen, dass die bei Herrn M. diagnostizierten, unabhängig voneinander entstandenen Karzinome der Prostata und der Niere in einem Zusammenhang mit der damaligen Kobaltsexposition stehen. Dies gilt auch für Kupfer, Nickel und Zinn, zu denen eine, wenn auch geringere Belastung bestanden hat."
Mit Schriftsatz vom 11. September 2012 erklärte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers die Anfechtung des Vergleiches; diese Erklärung wurde später in beiderseitigem Einvernehmen als Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gewertet. Der Kläger trug im Juni 2013 hierzu vor, seine Krebsleiden seien unter Beachtung der hohen Kobaltexposition, der er ausgesetzt gewesen sei, nicht ausreichend gewürdigt worden, er wünsche einen gerechten Ausgleich für den Verlust seiner Gesundheit.
Mit Bescheid vom 31. Juli 2013 lehnte die Beklagte die Änderung des Bescheides vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2008 mit der Begründung ab, es seien weder neue Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein Anhaltspunkt für eine eventuelle Rechtswidrigkeit der Ausgangsbescheide ergebe, noch gebe es arbeitsmedizinisch wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach die beruflichen Stoffe geeignet seien, eine Prostata- bzw. Nierenkrebserkrankung zu verursachen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. August 2013)
Die am 4. September 2013 erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 22. März 2016 abgewiesen und ausgeführt, es folge der Begründung der Ausgangsbescheide. Der medizinische Sachverständigen Dr. S. habe im Übrigen in seinem Gutachten vom 21. Juni 2011 ganz unmissverständlich ausgeführt, dass ein beruflicher Zusammenhang zwischen den Tumorerkrankungen beim Kläger und der erheblichen Kobaltbelastung, wie sie beim Kläger unstreitig während seiner versicherten Tätigkeit vorgelegen habe, nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht gegeben sei. Zutreffend weise Dr. S. darauf hin, dass Kobalt krebserregende Wirkungen haben könne und in die Kategorie II eingruppiert worden sei. Die kanzerogene Wirkung von Kobalt sei aber derzeit nur in Bezug auf eine berufliche Belastung mit Tumorerkrankungen der Atemwege wissenschaftlich zu begründen. Die vom Kläger mehrfach eingereichten Unterlagen, insbesondere die Auszüge aus dem Gutachten des Dr. S., seien insoweit nicht geeignet, die abschließende Kernaussage des Sachverständigen, der einen Zusammenhang gerade nicht für hinreichend wahrscheinlich halte, zu erschüttern.
Der Kläger hat gegen den am 1. April 2016 zugestellten Gerichtsbescheid am 21. April 2016 Berufung eingelegt, mit welcher er vorträgt, das Gutachten des Dr. S. gebe nicht die korrekten arbeitsmedizinischen Kobaltwerte wieder. Er ist der Auffassung, bei einer hohen Kobaltkonzentration seien Niere und Prostata besonders stark betroffen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 22. März 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2008 abzuändern sowie ein Nieren- und ein Prostatakarzinom als Berufskrankheiten bei dem Kläger festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 25. Oktober 2016 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts, über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats nach § 155 Abs. 4 in Verbindung mit Absatz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Sie ist jedoch unbegründet.
Zu Recht und mit der zutreffenden Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die auf die Anerkennung der Karzinomerkrankungen des Klägers als Berufskrankheit im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X gerichtete und damit als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu verstehende Klage (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -) als unbegründet abgewiesen.
Lediglich ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt allein die Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB X in Betracht. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unan¬fechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzel¬fall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sach¬verhalt ausgegangen worden ist, der sich als un¬richtig erweist, und soweit Sozialleis¬tungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Eine unrichtige Rechtsanwendung (hierzu und zu der Notwendigkeit entsprechender Prüfung auch bei Fehlen einer auf neue Tatsachen gestützten Begründung des Überprüfungsbegehrens vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 R) bei Erlass des Bescheides vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2008 lässt sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht feststellen. Auch der Kläger zeigt solche nicht auf. Lediglich will er eine andere, für ihn günstigere Würdigung der Befunde vorgenommen wissen. Diese Würdigung aber wurde zutreffend und ohne rechtliche Fehler vorgenommen. Insoweit wird auf das ausführliche, fundiert begründete und auch mit den Vorgutachten übereinstimmende Gutachten des Dr. S. Bezug genommen, nach welchem es in der Literatur Hinweise, die einen Zusammenhang zwischen einer Kobaltsexposition und dem Auftreten von Tumoren außerhalb des Atemwegssystems belegen, nicht gibt. Dass der Sachverständige von fehlerhaften Blutwerten bzw. Urinwerten ausgegangen wäre, ist nicht nachvollziehbar. Die Tabelle, in welcher Dr. S. die bei dem Kläger erhobenen Werte zusammengefasst hat, geben die Werte der arbeitsmedizinischen Befunde aus Bl. 45 bis 54 des Aktendrucks der Beklagten korrekt wieder. Einmalig ist für den 3. November 1993 zusätzlich zu dem Blutwert auch der Urinwert in der Tabelle aufgeführt und dies auch ausgewiesen, die Spalte bildet aber im Übrigen, wie sich aus der Überschrift unzweifelhaft ergibt, die Blutwerte ab und dies zutreffend.
Dass die Beklagte bei Erlass der genannten Bescheide von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich aus heutiger Sicht als unrichtig erweist, hat der Kläger mit seinem Überprüfungsantrag ebenfalls noch nicht einmal behauptet. Ermittlungen zum Sachverhalt hat die Beklagte aufgrund des Überprüfungsbegehrens deshalb zu Recht nicht angestellt. Obwohl § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht ausdrücklich vor einer erneuten Sachprüfung das Durchlaufen zweier formaler Prüfungsabschnitte verlangt, wird nämlich nach der Rechtsprechung des BSG, welcher der erkennende Senat folgt, auch das Rücknahmeverfahren in der allgemeinen Verwaltung in Anlehnung an das Wiederaufnahmeverfahren für rechts-kräftige Urteile (vgl. § 179 SGG) als dreistufiges Verfahren angesehen. Daraus folgt, dass die Verwaltung in eine erneute Sachprüfung erst dann eintreten muss, wenn Gründe geltend gemacht werden, die ihrer Art nach geeignet sind, die Verwaltungsentscheidung in Frage zu stellen (erster Schritt) und diese Gründe tatsächlich vorliegen sowie der bestandskräftige Verwaltungsakt auf einen Umstand gestützt ist, welcher infolge der geltend gemachten Über-prüfungsgründe nunmehr zweifelhaft geworden ist (zweiter Schritt). Ergibt sich also im Rahmen eines Antrages auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des ursprünglichen Bescheides berufen (vgl. BSG, Urteile vom 3. Februar 1988, 9/9a RV 18/86, vom 22. März 1989, 7 RAr 122/87 und vom 3. April 2001, B 4 RA 22/00 R). So ist es auch hier: Nachdem der Kläger mit seinem Überprüfungsantrag keinerlei neue Tatsachen oder Beweismittel aufgezeigt hatte, auf die er sich hätte berufen können und die zu einer Überprüfung der bestandskräftigen Entscheidung hätten Anlass geben können, hat sich die Beklagte ohne weitere Prüfung auf die Bestandskraft der ursprünglichen Bescheide berufen dürfen, ohne dass diesbezüglich Ermessensfehler ersichtlich wären. Bereits aus diesem Grund ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden und konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen
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