Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 4/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 615/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.2.2016 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.2.2016 wird hinsichtlich der Säumniszuschläge angeordnet. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Antragstellerin zu vier Fünftel, die Antragsgegnerin zu einem Fünftel. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin. Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren wird auf 7.200 Euro, für das Beschwerdeverfahren auf 1.500 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin, die sich nur insoweit gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) richtet, als dieses die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.2.2016 auch hinsichtlich der Säumniszuschläge abgelehnt hat, ist begründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten, zu denen auch die Verpflichtung zur Zahlung von Säumniszuschlägen zählt (Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906; Beschluss v. 9.1.2013, L 8 R 406/12 B ER; Beschluss v. 27.6.2013, L 8 R 114/13 B ER; Beschluss v. 11.3.2016, L 8 R 506/14 B ER, jeweils juris). Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier der Klage, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, a.a.O.; Beschluss v. 10.1.2012, L 8 R 774/11 B ER; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER; Beschluss v. 9.1.2013, a.a.O.; Beschluss v. 27.6.2013, a.a.O.; Beschluss v. 11.3.2016, a.a.O., jeweils juris).
Nach der im Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ist gegenwärtig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich der angefochtene Bescheid im Hauptsacheverfahren hinsichtlich der Erhebung von Säumniszuschlägen als rechtswidrig erweisen wird.
1. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist für Beiträge, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 v.H. des rückständigen auf 50,00 EUR nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV).
Für die Frage, ob unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht vorgelegen hat, ist nach der Rechtsprechung des für Betriebsprüfungen zuständigen 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) auf diejenigen Maßstäbe zurückzugreifen, die für die Beurteilung des Vorsatzes im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV gelten (BSG, Urteil v. 9.11.2011, B 12 R 18/09 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 13; Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; Urteil v. 30.3.2000, B 12 KR 14/99 R, SozR 3-2400 § 25 Nr. 7).
Danach ist es ausreichend aber auch erforderlich, dass der Arbeitgeber die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthält, er also seine Beitragspflicht für möglich hält, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf nimmt (BSG, Urteil v. 16.12.2015, B 12 R 11/14 R, SozR 4-2400 § 28p Nr. 6; Urteil v. 18.11.2015, B 12 R 7/14 R, juris; Urteil v. 30.3.2000, a.a.O.). Der Vorsatz darf regelmäßig nicht pauschal aufgrund allgemeiner rechtlicher Erwägungen unterstellt werden, sondern ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und bezogen auf den betreffenden Beitragsschuldner durch Sachverhaltsaufklärung individuell zu ermitteln.
Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall derzeit überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragstellerin die Glaubhaftmachung fehlenden bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Nichtzahlung der Beiträge im Hauptsacheverfahren gelingen wird.
a) Dabei ist gegenwärtig von folgendem Sachstand auszugehen:
aa) Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass Frau N in den Jahren 2011 und 2012 die Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht überschritten hat, weil der ihr von der Antragstellerin gewährte Kinderbetreuungszuschuss nach § 3 Nr. 33 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei und daher dem Arbeitsentgelt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung nicht hinzuzurechnen sei. Ob diese - übereinstimmende - Beurteilung auch in Ansehung der hierzu ergangenen finanzgerichtlichen Rechtsprechung rechtlich zutreffend ist, vermag der Senat nicht zu beurteilen, da ihm die arbeitsvertraglichen Abreden zwischen der Antragstellerin und Frau N nicht bekannt und - soweit ersichtlich - von der Antragsgegnerin auch nicht festgestellt worden sind. In den Jahren 2013 und 2014 dürfte Frau N die JAEG aber unabhängig von der beitragsrechtlichen Behandlung des Kinderbetreuungszuschusses nicht überschritten haben. Nach den vorliegenden Unterlagen erhielt sie ein Jahresbruttoarbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 51.295,50 Euro (Gehalt 3.497,00 Euro, Zuschuss Kinderbetreuung 400,00 Euro, 90,00 Euro Zuschuss Altersvorsorge, 1.709,50 Euro Urlaubsgeld und 1.749,00 Euro Weihnachtsgeld). Die JAEG betrug jedoch in 2013 52.200,00 Euro und 53.550,00 Euro für 2014. Dass von der Befreiungsmöglichkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch bei Heraufsetzen der JAEG Gebrauch gemacht wurde, ist weder ersichtlich noch vorgetragen worden.
bb) Die Antragsgegnerin hat in den angefochtenen Bescheiden zur Frage des inneren (subjektiven) Tatbestandes keine tragfähigen Feststellungen getroffen. Sie hat vielmehr im angefochtenen Bescheid - ersichtlich unzutreffend - ausgeführt, das Verschulden der Antragstellerin ergebe sich daraus, dass identische Sachverhalte beitragsrechtlich unterschiedlich beurteilt worden seien. Dafür gibt es indessen keine Anhaltspunkte. Im Widerspruchsverfahren hat die Antragsgegnerin ergänzt, die Antragstellerin habe "bei Unkenntnis die Pflicht, eine Klärung bei den Einzugsstellen oder den gesetzlichen Rentenversicherungsträgern hinsichtlich der versicherungsrechtlichen Beurteilung herbeizuführen". Diese Rechtsauffassung der Antragsgegnerin liefe indessen darauf hinaus, dass jede beitragsrechtliche Falschbeurteilung, die nicht auf der unzutreffenden Auskunft eines Sozialversicherungsträgers beruht, als bedingt vorsätzlich anzusehen wäre. Eine so weitgehende Ausdehnung des Vorsatzbegriffs stünde jedoch mit der Rechtsprechung des BSG, wonach der Vorsatz individuell zu ermitteln und festzustellen ist, nicht in Einklang.
cc) Die Antragstellerin hat demgegenüber - unwidersprochen und unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihrer Mitarbeiterin Frau N - dargelegt, dass Frau N als einzige für die Lohnabrechnung zuständige Mitarbeiterin im Vertrauen auf eine Fehlinformation der Barmenia Versicherung zu Unrecht angenommen habe, dass sie im Jahr 2011 die Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung überschritten habe und auch im Jahr 2012 wieder überschreiten werde. Ihre, der Antragstellerin, Geschäftsführung sei in die Prüfung nicht eingebunden gewesen. Frau N sei bislang in keinem anderen Fall zu einer beitragsrechtlichen Fehlbeurteilung gekommen; es handele sich vielmehr um einen einmaligen Vorgang.
dd) Feststellungen der Antragsgegnerin oder Vortrag der Antragstellerin zu den Hintergründen der Fehlbeurteilung in den Jahren 2013 und 2014 sowie zu den Zuständigkeiten und Abläufen im Büro des Steuerberaters, der letztlich für die Abmeldung von Frau N zuständig ist und ihre Fehlbeurteilung für die Jahre 2011 und 2012 offenbar übernommen hat, sind nicht ersichtlich.
b) Auf dieser tatsächlichen Grundlage bestehen derzeit überwiegende Zweifel am Vorliegen bedingten Vorsatzes, den die Antragstellerin sich zurechnen lassen müsste.
aa) Zur Verschuldenszurechnung im Rahmen von §§ 24 Abs. 2, 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV hat der Senat folgende Grundsätze entwickelt: Bei juristischen Personen ist in erster Linie auf die Kenntnis der für sie handelnden vertretungsberechtigten Organwalter (vgl. BGH, Urteil v. 8.12.1989, V ZR 246/87, NJW 1990, 975 f. m.w.N.) abzustellen. Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - um eine GmbH, ist also die Kenntnis zumindest eines der Geschäftsführer maßgebend. Außerdem ist das Wissen derjenigen Mitarbeiter zuzurechnen, die mit der Wahrnehmung der Pflichten des Arbeitgebers bei der Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV bevollmächtigt sind (vgl. § 166 Abs. 1 BGB). Darüber hinaus kann das Wissen anderer Mitarbeiter zuzurechnen sein, sofern dieses Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation im Betrieb weiterzugeben und im Rahmen der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten abzufragen ist (vgl. BGH, Urteil v. 13.12.2000, V ZR 349/99, NJW 2001, 359 f.; BSG, Urteil v.16.12.2015, B 12 R 11/14 R, SozR 4-24009 § 28p Nr. 6). Schließlich kommt auch die Zurechnung bei einem (selbständigen) Rechtsanwalt oder Steuerberater im Rahmen der Wissensvertretung nach § 166 Abs. 1 BGB analog und der Gehilfenverantwortung nach § 278 BGB analog in Betracht (Senat, Beschluss v. 7.11.2012, L 8 R 699/12 B ER, juris; Senat, Beschluss v. 22.12.2015, L 8 R 213/13 B ER; BayLSG, Urteil v. 5.4.2016, L 5 KR 392712, juris).
bb) Ausgehend davon ist zunächst kein Verschulden seitens der Geschäftsführung der Antragstellerin festzustellen, die - wie die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen hat - in die Entscheidungsprozesse nicht eingebunden war.
cc) Eine Kenntnis der Beitragsfreiheit der Kinderbetreuungszuschüsse bei Frau N ist ebenso wenig ersichtlich. Im Gegenteil hat diese sich über die Frage, ob sie im Jahr 2011 die JAEG überschritten hat und im Jahr 2012 voraussichtlich wieder überschreiten wird, ersichtlich Gedanken gemacht und ist (möglicherweise) insoweit zu einer Fehlbeurteilung gekommen. Dass sie es dabei für möglich gehalten hätte, die JAEG doch zu unterschreiten, ist unwahrscheinlich.
dd) Zu einem zurechenbaren Verschulden auf Seiten des Steuerberaters hat die Antragsgegnerin bislang keinerlei Feststellungen getroffen, weshalb für die Antragstellerin insoweit auch keine Veranlassung zu substantiierter Erwiderung bestanden hat.
(1) Ein Sachverhalt, bei dem nach der Rechtsprechung des BSG bedingter Vorsatz naheliegt, weil es um Beiträge für verbreitete "Nebenleistungen" geht oder die Auswertung eines Lohnsteueraußenprüfungsberichts unterblieben ist (vgl. BSG, Urteile v. 18.11.2015 und 30.3.2000, a.a.O.) liegt nicht vor. Weder handelt es sich bei Kinderbetreuungszuschüssen um verbreitete Nebenleistungen, noch ist deren Behandlung - soweit derzeit ersichtlich - Gegenstand einer Lohnsteueraußenprüfung bei der Antragstellerin gewesen.
(2) Zwar ist die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Beitragsbescheid nicht schon deshalb anzuordnen, weil im Hauptsacheverfahren ggf. noch ergänzende Feststellungen zu treffen sind. Das gilt jedoch nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall zu den Entscheidungsabläufen innerhalb der Steuerberaterbüros - seitens der Antragsgegnerin noch überhaupt keine Feststellungen getroffen worden sind.
ee) Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden der Geschäftsführung der Antragstellerin bestehen nicht. Wie diese unwidersprochen vorgetragen hat, sind Frau N bislang keine anderweitigen Fehlbeurteilungen unterlaufen, weshalb eine erhöhte Aufmerksamkeit nicht angezeigt war. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin sich nicht auf die Beurteilung ihres Steuerberaters verlassen durfte, sind gleichfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 52, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass in Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache als Streitwert anzusetzen ist. Die Streitwertfestsetzung des SG war demgemäß von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin, die sich nur insoweit gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) richtet, als dieses die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.2.2016 auch hinsichtlich der Säumniszuschläge abgelehnt hat, ist begründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten, zu denen auch die Verpflichtung zur Zahlung von Säumniszuschlägen zählt (Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906; Beschluss v. 9.1.2013, L 8 R 406/12 B ER; Beschluss v. 27.6.2013, L 8 R 114/13 B ER; Beschluss v. 11.3.2016, L 8 R 506/14 B ER, jeweils juris). Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier der Klage, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, a.a.O.; Beschluss v. 10.1.2012, L 8 R 774/11 B ER; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER; Beschluss v. 9.1.2013, a.a.O.; Beschluss v. 27.6.2013, a.a.O.; Beschluss v. 11.3.2016, a.a.O., jeweils juris).
Nach der im Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ist gegenwärtig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich der angefochtene Bescheid im Hauptsacheverfahren hinsichtlich der Erhebung von Säumniszuschlägen als rechtswidrig erweisen wird.
1. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist für Beiträge, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 v.H. des rückständigen auf 50,00 EUR nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV).
Für die Frage, ob unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht vorgelegen hat, ist nach der Rechtsprechung des für Betriebsprüfungen zuständigen 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) auf diejenigen Maßstäbe zurückzugreifen, die für die Beurteilung des Vorsatzes im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV gelten (BSG, Urteil v. 9.11.2011, B 12 R 18/09 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 13; Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; Urteil v. 30.3.2000, B 12 KR 14/99 R, SozR 3-2400 § 25 Nr. 7).
Danach ist es ausreichend aber auch erforderlich, dass der Arbeitgeber die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthält, er also seine Beitragspflicht für möglich hält, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf nimmt (BSG, Urteil v. 16.12.2015, B 12 R 11/14 R, SozR 4-2400 § 28p Nr. 6; Urteil v. 18.11.2015, B 12 R 7/14 R, juris; Urteil v. 30.3.2000, a.a.O.). Der Vorsatz darf regelmäßig nicht pauschal aufgrund allgemeiner rechtlicher Erwägungen unterstellt werden, sondern ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und bezogen auf den betreffenden Beitragsschuldner durch Sachverhaltsaufklärung individuell zu ermitteln.
Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall derzeit überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragstellerin die Glaubhaftmachung fehlenden bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Nichtzahlung der Beiträge im Hauptsacheverfahren gelingen wird.
a) Dabei ist gegenwärtig von folgendem Sachstand auszugehen:
aa) Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass Frau N in den Jahren 2011 und 2012 die Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht überschritten hat, weil der ihr von der Antragstellerin gewährte Kinderbetreuungszuschuss nach § 3 Nr. 33 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei und daher dem Arbeitsentgelt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung nicht hinzuzurechnen sei. Ob diese - übereinstimmende - Beurteilung auch in Ansehung der hierzu ergangenen finanzgerichtlichen Rechtsprechung rechtlich zutreffend ist, vermag der Senat nicht zu beurteilen, da ihm die arbeitsvertraglichen Abreden zwischen der Antragstellerin und Frau N nicht bekannt und - soweit ersichtlich - von der Antragsgegnerin auch nicht festgestellt worden sind. In den Jahren 2013 und 2014 dürfte Frau N die JAEG aber unabhängig von der beitragsrechtlichen Behandlung des Kinderbetreuungszuschusses nicht überschritten haben. Nach den vorliegenden Unterlagen erhielt sie ein Jahresbruttoarbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 51.295,50 Euro (Gehalt 3.497,00 Euro, Zuschuss Kinderbetreuung 400,00 Euro, 90,00 Euro Zuschuss Altersvorsorge, 1.709,50 Euro Urlaubsgeld und 1.749,00 Euro Weihnachtsgeld). Die JAEG betrug jedoch in 2013 52.200,00 Euro und 53.550,00 Euro für 2014. Dass von der Befreiungsmöglichkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch bei Heraufsetzen der JAEG Gebrauch gemacht wurde, ist weder ersichtlich noch vorgetragen worden.
bb) Die Antragsgegnerin hat in den angefochtenen Bescheiden zur Frage des inneren (subjektiven) Tatbestandes keine tragfähigen Feststellungen getroffen. Sie hat vielmehr im angefochtenen Bescheid - ersichtlich unzutreffend - ausgeführt, das Verschulden der Antragstellerin ergebe sich daraus, dass identische Sachverhalte beitragsrechtlich unterschiedlich beurteilt worden seien. Dafür gibt es indessen keine Anhaltspunkte. Im Widerspruchsverfahren hat die Antragsgegnerin ergänzt, die Antragstellerin habe "bei Unkenntnis die Pflicht, eine Klärung bei den Einzugsstellen oder den gesetzlichen Rentenversicherungsträgern hinsichtlich der versicherungsrechtlichen Beurteilung herbeizuführen". Diese Rechtsauffassung der Antragsgegnerin liefe indessen darauf hinaus, dass jede beitragsrechtliche Falschbeurteilung, die nicht auf der unzutreffenden Auskunft eines Sozialversicherungsträgers beruht, als bedingt vorsätzlich anzusehen wäre. Eine so weitgehende Ausdehnung des Vorsatzbegriffs stünde jedoch mit der Rechtsprechung des BSG, wonach der Vorsatz individuell zu ermitteln und festzustellen ist, nicht in Einklang.
cc) Die Antragstellerin hat demgegenüber - unwidersprochen und unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihrer Mitarbeiterin Frau N - dargelegt, dass Frau N als einzige für die Lohnabrechnung zuständige Mitarbeiterin im Vertrauen auf eine Fehlinformation der Barmenia Versicherung zu Unrecht angenommen habe, dass sie im Jahr 2011 die Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung überschritten habe und auch im Jahr 2012 wieder überschreiten werde. Ihre, der Antragstellerin, Geschäftsführung sei in die Prüfung nicht eingebunden gewesen. Frau N sei bislang in keinem anderen Fall zu einer beitragsrechtlichen Fehlbeurteilung gekommen; es handele sich vielmehr um einen einmaligen Vorgang.
dd) Feststellungen der Antragsgegnerin oder Vortrag der Antragstellerin zu den Hintergründen der Fehlbeurteilung in den Jahren 2013 und 2014 sowie zu den Zuständigkeiten und Abläufen im Büro des Steuerberaters, der letztlich für die Abmeldung von Frau N zuständig ist und ihre Fehlbeurteilung für die Jahre 2011 und 2012 offenbar übernommen hat, sind nicht ersichtlich.
b) Auf dieser tatsächlichen Grundlage bestehen derzeit überwiegende Zweifel am Vorliegen bedingten Vorsatzes, den die Antragstellerin sich zurechnen lassen müsste.
aa) Zur Verschuldenszurechnung im Rahmen von §§ 24 Abs. 2, 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV hat der Senat folgende Grundsätze entwickelt: Bei juristischen Personen ist in erster Linie auf die Kenntnis der für sie handelnden vertretungsberechtigten Organwalter (vgl. BGH, Urteil v. 8.12.1989, V ZR 246/87, NJW 1990, 975 f. m.w.N.) abzustellen. Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - um eine GmbH, ist also die Kenntnis zumindest eines der Geschäftsführer maßgebend. Außerdem ist das Wissen derjenigen Mitarbeiter zuzurechnen, die mit der Wahrnehmung der Pflichten des Arbeitgebers bei der Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV bevollmächtigt sind (vgl. § 166 Abs. 1 BGB). Darüber hinaus kann das Wissen anderer Mitarbeiter zuzurechnen sein, sofern dieses Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation im Betrieb weiterzugeben und im Rahmen der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten abzufragen ist (vgl. BGH, Urteil v. 13.12.2000, V ZR 349/99, NJW 2001, 359 f.; BSG, Urteil v.16.12.2015, B 12 R 11/14 R, SozR 4-24009 § 28p Nr. 6). Schließlich kommt auch die Zurechnung bei einem (selbständigen) Rechtsanwalt oder Steuerberater im Rahmen der Wissensvertretung nach § 166 Abs. 1 BGB analog und der Gehilfenverantwortung nach § 278 BGB analog in Betracht (Senat, Beschluss v. 7.11.2012, L 8 R 699/12 B ER, juris; Senat, Beschluss v. 22.12.2015, L 8 R 213/13 B ER; BayLSG, Urteil v. 5.4.2016, L 5 KR 392712, juris).
bb) Ausgehend davon ist zunächst kein Verschulden seitens der Geschäftsführung der Antragstellerin festzustellen, die - wie die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen hat - in die Entscheidungsprozesse nicht eingebunden war.
cc) Eine Kenntnis der Beitragsfreiheit der Kinderbetreuungszuschüsse bei Frau N ist ebenso wenig ersichtlich. Im Gegenteil hat diese sich über die Frage, ob sie im Jahr 2011 die JAEG überschritten hat und im Jahr 2012 voraussichtlich wieder überschreiten wird, ersichtlich Gedanken gemacht und ist (möglicherweise) insoweit zu einer Fehlbeurteilung gekommen. Dass sie es dabei für möglich gehalten hätte, die JAEG doch zu unterschreiten, ist unwahrscheinlich.
dd) Zu einem zurechenbaren Verschulden auf Seiten des Steuerberaters hat die Antragsgegnerin bislang keinerlei Feststellungen getroffen, weshalb für die Antragstellerin insoweit auch keine Veranlassung zu substantiierter Erwiderung bestanden hat.
(1) Ein Sachverhalt, bei dem nach der Rechtsprechung des BSG bedingter Vorsatz naheliegt, weil es um Beiträge für verbreitete "Nebenleistungen" geht oder die Auswertung eines Lohnsteueraußenprüfungsberichts unterblieben ist (vgl. BSG, Urteile v. 18.11.2015 und 30.3.2000, a.a.O.) liegt nicht vor. Weder handelt es sich bei Kinderbetreuungszuschüssen um verbreitete Nebenleistungen, noch ist deren Behandlung - soweit derzeit ersichtlich - Gegenstand einer Lohnsteueraußenprüfung bei der Antragstellerin gewesen.
(2) Zwar ist die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Beitragsbescheid nicht schon deshalb anzuordnen, weil im Hauptsacheverfahren ggf. noch ergänzende Feststellungen zu treffen sind. Das gilt jedoch nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall zu den Entscheidungsabläufen innerhalb der Steuerberaterbüros - seitens der Antragsgegnerin noch überhaupt keine Feststellungen getroffen worden sind.
ee) Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden der Geschäftsführung der Antragstellerin bestehen nicht. Wie diese unwidersprochen vorgetragen hat, sind Frau N bislang keine anderweitigen Fehlbeurteilungen unterlaufen, weshalb eine erhöhte Aufmerksamkeit nicht angezeigt war. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin sich nicht auf die Beurteilung ihres Steuerberaters verlassen durfte, sind gleichfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 52, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass in Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache als Streitwert anzusetzen ist. Die Streitwertfestsetzung des SG war demgemäß von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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