L 6 VS 578/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 VS 2232/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VS 578/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Hat ein Sozialgericht seine instanzielle Zuständigkeit bei einer Restitutionsklage stillschweigend unzutreffend bejaht, ist das Berufungsgericht hieran in analoger Anwendung von § 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs 5 GVG gebunden.

2. Ein E-Mailausdruck kann eine Urkunde gemäß § 580 Nr. 7b ZPO sein, da der Urkundenbegriff im Sinne dieser Vorschrift auch die Reproduktion eines elektronischen Dokuments mit urkundenähnlichem Gedankeninhalt abdeckt.





L 6 VS 578/16

S 9 VS 2232/15

Im Namen des Volkes Urteil

Der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2017 für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Januar 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt die Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs zum einen durch Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens im Wege der Restitutionsklage, zum anderen im Rahmen eines Überprüfungsantrages.

Der im Jahre 1953 geborene Kläger war von 1972 bis 1976 Berufssoldat der Nationalen Volksarmee (NVA) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Am 7. April 1975 erlitt er gegen 21:00 Uhr bei einem Sprung aus dem Fenster seiner Unterkunft in der NVA-Kaserne K. eine mediale Knöchelfraktur rechts. Er war damals im Range eines Unterfeldwebels Funkmeister im Fliegertechnischen Bataillon (FTB-)-9. Die Beschwerden des Klägers wurden zunächst konservativ ohne Anlegen eines Gipsverbandes behandelt. Angesichts der Fortdauer der Beschwerden erfolgte am 6. Mai 1975 die Aufnahme in das Kreiskrankenhaus W., wo eine röntgenologische Kontrolle vorgenommen, die Herausbildung einer Pseudarthrose festgestellt und am 12. Mai 1975 eine operative Versorgung durch zwei zwischenzeitlich wieder entfernte Malleolarschrauben vorgenommen wurde. Seit dem Unfall leidet der Kläger unter Beschwerden des rechten Sprunggelenks.

In der Dienstbeschädigtenliste gab der Arzt Dr. T. am 11. Juli 1975 zum Unfallhergang an, dass sich der Kläger unerlaubt in den Ausgang hätte begeben wollen und zu diesem Zweck aus dem Fenster gesprungen und gestürzt sei. Mit Entscheidung des Kommandeurs des FTB-9, Major G., vom 11. Juli 1975 wurde der Unfall des Klägers nicht als Dienstbeschädigung anerkannt. In der daraufhin ergangenen versorgungsrechtlichen Entscheidung der Gutachterärztekommission über die Anerkennung bzw. Ablehnung einer Dienstbeschädigung vom 26. September 1975 heißt es, "ausgeschlossen durch Kdr. am 11.07.75 für umseitig genannte Diagnose - Knöchelfraktur". Schließlich wurde durch Entscheidung der Gutachterärztekommission vom 30. April 1976 eine Dienstbeschädigung für "umseitig aufgeführte Unfallfolgen - Z.n. Knöchelfraktur - auf der Grundlage d. Entscheidung d. Kommandeurs vom 11.7.75" abgelehnt und der Kläger über versorgungsrechtliche Ansprüche und Rechtsmittel belehrt. Den Entscheidungen der Gutachterärztekommission lagen ärztliche Gutachten von L. Sch. vom 17. September 1975 (Z. n. operativ versorgter medialer Knöchelfraktur rechts durch Verschraubung, Sudeck II. Grades der Fußwurzelknochen, Atrophie der Oberschenkel- und Unterschenkelmuskulatur) bzw. von Dr. T. vom 16. März 1976 (Z. n. operativ versorgter medialer Knöchelfraktur rechts mit Sudeck I. bis II. Grades der Fußwurzelknochen, Borderline-Hypertonie und Amblyopie rechts) zu Grunde. Darin heißt es jeweils, eine Fraktur sei zunächst nicht diagnostiziert worden; diese habe sich bei einer erneuten Röntgenkontrolle nach vier Wochen herausgestellt.

Der am 1. Oktober 1989 nach Botschaftsbesetzung in das Bundesgebiet übergesiedelte Kläger wies die Beklagte im August 2000 telefonisch auf seinen am 7. April 1975 erlittenen Unfall hin. Im Mai 2001 übersandte er Unterlagen zur Gewährung von Dienstbeschädigungsausgleich. Mit Bescheid vom 5. Juni 2001 und Widerspruchsbescheid vom 8. August 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs wegen der Folgen des Unfalles vom 7. April 1975 ab, da dieser nicht als Dienstbeschädigung anerkannt worden sei. Die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Sozialgerichts Mannheim (SG) vom 6. Dezember 2001 - S 5 VS 2153/01 - unter Hinweis auf die bindende Ablehnung einer Versorgung durch die Kommandeursentscheidung vom 11. Juli 1975 abgewiesen. Seine dagegen beim erkennenden Senat eingelegte Berufung - L 6 VS 526/02 - nahm der Kläger am 29. Oktober 2002 zurück. Die am 31. August 2007 vom Kläger in Bezug auf das SG-Urteil vom 6. Dezember 2001 erhobene Restitutionsklage wurde vom SG mit Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 2007 - S 5 VS 3063/07 - abgewiesen. Seine daraufhin eingelegte Berufung wies erkennende Senat mit Urteil vom 21. Februar 2008 - L 6 VS 5498/07 - zurück. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil vom 21. Februar 2008 wurde vom Bundessozialgericht (BSG) durch Beschluss vom 24. April 2008 - B 4 RS 2/08 BH - abgelehnt.

Zwischenzeitlich hatte der Kläger nach Zurücknahme seiner Berufung im Verfahren L 6 VS 526/02 am 29. Oktober 2003 bei der Beklagten die Gewährung von Entschädigung nun wegen einer Nichtbehandlung seines Unfalles vom 7. April 1975 und hieraus folgender Gesundheitsstörungen beantragt. In der daraufhin eingeholten ärztlichen Stellungnahme vom 15. März 2004 teilte Dr. R. mit, wegen fehlender Unterlagen könne er nicht erkennen, welche Diagnostik/Behandlung nach dem Unfall erfolgt sei. Sofern der Kläger nach dem Ereignis einen Arzt der NVA aufgesucht habe, sei die Fraktur nicht erkannt worden. In diesem Fall liege ein Behandlungsfehler oder auch eine nicht vorauszusehende nachteilige Folge einer therapeutischen Maßnahme vor, so dass nach seiner Auffassung die Voraussetzungen des Abschnitts I/2/202 Nr. 7 Buchst. e bzw. f der Ordnung Nr. 005/9/003 des Ministers für Nationale Verteidigung über die soziale Versorgung der Angehörigen der Nationalen Volksarmee (VSO-NVA) für die Anerkennung einer Dienstbeschädigung mit der Folge einer beim Kläger bestehenden Sprunggelenksarthrose erfüllt seien.

Mit Bescheid vom 30. Juli 2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Anerkennung einer Dienstbeschädigung und die Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs ab, da Unterlagen, die eine unzureichende medizinische Behandlung in der Zeit vor dem 12. Mai 1975 belegen könnten, nicht vorlägen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2004 zurückgewiesen.

Am 15. November 2004 erhob der Kläger beim SG (Az: S 2 VS 1909/07; früheres Az.: S 2 VS 3456/04) Klage. Er trug vor, man habe nach dem Unfall die Fraktur zunächst nicht diagnostiziert, so dass er ohne adäquate Behandlung geblieben sei. Die Gutachterärztekommission habe keine eigene Entscheidung über die Unfallfolgen getroffen. Sofern eine solche, seine Gesundheitsschäden nicht als Dienstbeschädigung anzuerkennen, vorliege, sei diese rechtsstaatswidrig. Der Kläger legte Unterlagen vor, in denen ohne Hinweis auf den Aussteller unter der Diagnose "mediale Knöchelfraktur 7.4.75" Behandlungen in der Zeit vom 7. April bis zum 14. April und vom 25. April bis zum 2. Mai 1975 u. a. mittels elastischen Verbandes und eine am 8. April 1975 erfolgte röntgenologische Untersuchung des rechten Sprunggelenks aufgeführt sind.

Mit Urteil vom 31. Juli 2009 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs seien nicht erfüllt, da der Kläger am 31. Dezember 1996 keinen Anspruch auf Dienstbeschädigungsrente aus einem Sonderversorgungssystem nach Anlage 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsübergangsgesetzes (AAÜG) nach dem bis zu dem genannten Zeitpunkt geltenden Recht gehabt habe. Vielmehr seien Ansprüche im Zusammenhang mit der am 7. April 1975 erlittenen Verletzung, insbesondere auch eine Dienstbeschädigung nach Abschnitt I/2/202 Nr. 7 Buchst. e VSO-NVA durch die Entscheidung der hierfür zuständigen Gutachterärztekommission vom 30. April 1976, unanfechtbar abgelehnt worden. Diese Entscheidung sei gem. Art. 19 Abs. 1 Einigungsvertrag (EV) bindend. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) finde keine Anwendung, da die Regelung nur für nach ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 1991 eingetretene Sachverhalte gelte. Eine Aufhebung der Entscheidung der Gutachterärztekommission komme daher nur dann in Frage, wenn die Entscheidung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und den Regelungen des Einigungsvertrages unvereinbar sei; hierfür bestünden aber keine Anhaltspunkte.

Die hiergegen eingelegte Berufung - L 6 VE 4845/09 - wies der Senat mit Beschluss vom 6. Oktober 2010 zurück, denn der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs wegen der Folgen einer Fehlbehandlung im Anschluss an den von ihm am 7. April 1975 erlittenen Unfall. Ergänzend zu den Darlegungen des SG führte der Senat aus, dass die Entscheidung der Gutachterärztekommission vom 30. April 1976 nicht nur die Frage des Vorliegens ursächlicher Folgen des Sturzes vom 7. April 1975 i. S. des Abschnitts I/2/202 Nr. 8 Abs. 2 i. V. mit Nr. 1 und Nr. 2 VSO-NVA betroffen habe. Für eine solche isolierte Entscheidung habe angesichts der vorgreiflichen und die Anerkennung des Unfalls als Dienstbeschädigung ablehnenden Entscheidung des hierfür zuständigen Kommandeurs (vgl. Abschnitt I/2/202 Nr. 8 Abs. 1 VSO-NVA) vom 11. Juli 1975 kein Anlass bestanden. Daher sei in der vorangegangenen versorgungsrechtlichen Entscheidung der Gutachterärztekommission über die Anerkennung bzw. Ablehnung einer Dienstbeschädigung vom 26. September 1975 auch keine Ablehnung durch die Kommission, sondern lediglich der Hinweis auf die Entscheidung des Kommandeurs "ausgeschlossen durch Kdr. am 11.07.75" erfolgt. Demgegenüber habe die Gutachterärztekommission am 30. April 1976 selbst eine Entscheidung getroffen und eine Dienstbeschädigung in Bezug auf den im umseitigen Gutachten von Dr. T. vom 16. März 1976 mit genauer bezeichnetem Zustand nach Knöchelfraktur ohne Einschränkung abgelehnt. Die Entscheidung beziehe sich damit insbesondere auf die in die Zuständigkeit der Gutachterärztekommission fallende Ablehnung der Anerkennung eines Körper- oder Gesundheitsschadens als Dienstbeschädigung. Der Hinweis auf die Entscheidung des Kommandeurs vom 11. Juli 1975 betreffe lediglich die wegen dieser Entscheidung auch im Übrigen - mit Blick auf den Unfall vom 7. April 1975 - ausgeschlossene Anerkennung des Zustandes nach Knöchelfraktur als Dienstbeschädigung.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom 6. Oktober 2010 wurde vom BSG durch Beschluss vom 14. Februar 2012 - B 5 RS 4/11 BH - abgelehnt, da das LSG zutreffend unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Entscheidung der Gutachterärztekommission vom 30. April 1976 aus bundesrechtlicher Sicht als Verwaltungsakt zu werten und nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen der Regelungen des Einheitsvertrages (hier: Art. 19 EV) unvereinbar sei.

Am 16. April 2013 erhob der Kläger beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg - L 6 VE 1687/13 WA - Restitutionsklage gegen den Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2010, die er am 30. Juli 2013 zurücknahm.

Am 1. Dezember 2014 begehrte er von der Beklagten die Überprüfung der Ablehnung eines Dienstbeschädigtenausgleichs wegen einer fehlerhaften medizinischen Behandlung durch die NVA im Bescheid vom 30. Juli 2004. Er legte hierzu mehrere Stellungnahmen von Ärzten, Fieberkurven und Krankenblätter vor, insbesondere einen Ausdruck einer E-Mail des damaligen Truppenarztes Dr. T. vom 4. Februar 2015, worin dieser u.a. angegeben hatte, dass sich das nicht sofortige Erkennen der Fraktur und die dann folgende Wiedereingliederung des Klägers in den militärischen Alltag ungünstig auf den Heilungsverlauf ausgewirkt haben könnte.

Am 2. Juni 2015 erließ die Beklagte nach Anhörung mit Schreiben vom 21. April 2015 einen "Überprüfungs-Bescheid" und lehnte die Rücknahme des Bescheids vom 30. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2004 sowie des Bescheids vom 5. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2001 ab. Bei Erlass der Verwaltungsakte sei weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich im Nachhinein als unrichtig erwiesen hätte. Es seien somit keine Leistungen zu Unrecht nicht erbracht worden. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, dass seine neu aufgezeigten Sachverhalte die Kausalität zwischen Unfallfolgen und Dienstausübung manifestieren würden. Zwar sei davon auszugehen, dass der Ärztekommission diese Sachverhalte alle bekannt gewesen seien, dennoch habe sie unter Verletzung elementarer Gerechtigkeitsvorstellungen seine Versorgung abgelehnt. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine abweichende Entscheidung gemäß der Entscheidung der Gutachterärztekommission vom 30. April 1976 sei wegen Verbindlichkeit von DDR-Entscheidungen nach Art. 19 EV nicht zu treffen. Am 28. Juli 2015 hat der Kläger hiergegen beim SG - S 9 VS 2232/15 - Klage erhoben. Er hat angeführt, dass das Schreiben von Dr. T. vom 4. Februar 2015 durchaus neue Tatbestände enthalte. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Entscheidung der Gutachterärztekommission vom 30. April 1976 sei bindend. Selbst wenn eine Falschbehandlung des Klägers erfolgt und auch die Entscheidung der Gutachterärztekommission falsch gewesen seien, würde dies nicht dazu führen, dass die Entscheidung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar und damit aufzuheben wäre.

Am 18. September 2015 hat der Kläger ferner Restitutionsklage beim SG - S 9 VS 2850/15 erhoben und die Prüfung des SG-Urteils vom 31. Juli 2009 - S 2 VS 1909/07 und des Beschlusses des LSG Baden-Württemberg vom 6. Oktober 2010 - L 6 VS 4845/09 - verlangt. Die E-Mail von Dr. T. vom 4. Februar 2015 stelle einen Restitutionsgrund gem. § 580 Nr. 7b Zivilprozessordnung (ZPO) dar. Über die Möglichkeit der Erhebung der Restitutionsklage habe er erst in einem Telefonat mit dem Richter am SG am 10. September 2015 erfahren. Die Beklagte ist auch dieser Klage entgegengetreten. Die E-Mail sei bereits keine Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7b ZPO.

Mit Beschluss vom 21. September 2015 hat das SG das Verfahren S 9 VS 2850/15 mit dem Verfahren S 9 VS 2232/15 verbunden und beide Klagen mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2016, dem Kläger zugestellt am 22. Januar 2016, abgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass die Restitutionsklage bereits unzulässig sei. Der Kläger habe die Klage nicht innerhalb der Notfrist von einem Monat nach Erhalt der E-Mail vom 4. Februar 2015 erhoben. Außerdem sei der Ausdruck der E-Mail vom 4. Februar 2015 keine Urkunde nach § 580 Nr. 7b ZPO. Hierunter würden nur solche fallen, die in dem Zeitpunkt, der für den Erlass der aufzuhebenden Entscheidung maßgeblich gewesen sei, bereits vorhanden gewesen seien. Eine Restitutionsklage könne nicht auf ein erst nachträglich erstelltes Gutachten oder ein sonstiges, erst später entstandenes Beweismittel gestützt werden. Die E-Mail vom 4. Februar 2015 ordne lediglich das chronologische Geschehen bzw. ziehe hieraus gewisse gutachterliche Schlussfolgerungen. Es handele sich somit nicht um eine - erst nachträglich aufgefundene - Urkunde. Die E-Mail sei daher in dem Konflikt zwischen Rechtssicherheit und (Wieder-) Herstellung der materiellen Gerechtigkeit nicht geeignet, die Rechtskraft des Urteils vom 31. Juli 2009 (S 2 VS 1909/07) bzw. der Berufungsentscheidung vom 6. Oktober 2010 (L 6 VE 4845/09) zu durchbrechen. Vor diesem Hintergrund sei eine Restitution dieser Entscheidungen ausgeschlossen. Die ferner erhobene Klage auf Überprüfung des Bescheides vom 30. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2004 nach § 44 SGB X sei bereits unzulässig, da mit dem Urteil vom 31. Juli 2009 (S 2 VS 1909/07) bzw. mit der Berufungsbeschluss vom 6. Oktober 2010 (L 6 VE 4845/09) bei unverändertem Sachverhalt bereits eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliege. Außerdem wäre die Klage unbegründet, da sie von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden sei. Art. 19 EV sei in der Weise auszulegen, dass Verwaltungsakte der früheren DDR, die nicht gegen fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze verstießen, von einer Rücknahme nach § 44 SGB X ausgeschlossen seien. Somit komme das besondere sozialrechtliche Überprüfungsverfahren hier nicht zur Anwendung. Im Übrigen sehe § 1 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) die Aufhebung einer hoheitlichen Maßnahme der früheren DDR nur dann vor, wenn sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar sei und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirkten. Mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechterdings unvereinbar seien Maßnahmen, die in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstießen und die der politischen Verfolgung gedient oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt hätten. Ein solcher Sachverhalt könne hier nicht angenommen werden. Selbst wenn die ärztliche Behandlung nach dem Fenstersprung vom 7. April 1975 aus heutiger, rückblickender Sicht unzureichend bzw. fehlerhaft gewesen sein sollte, könne die fragliche Entscheidung nicht als eklatant rechtsstaatswidrig bewertet werden. Denn ein Willkürakt mit politischer Verfolgungstendenz sei insoweit nicht ersichtlich. Dies gelte auch im Hinblick auf die nach dem Klagevorbringen seinerzeit nicht gewahrte Rechtsmittelbelehrung. Zum einen sei der Kläger in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass er am 30. April 1976 mit seiner Unterschrift am Schluss des entsprechenden ärztlichen Gutachtens ausdrücklich bestätigt habe, dass er über seine versorgungsrechtlichen Ansprüche und Rechtsmittel belehrt worden sei. Zum anderen gehe auch das bundesrepublikanische Recht davon aus, dass Verwaltungsentscheidungen, denen die erforderliche Rechtsbehelfsbelehrung fehle, nach Ablauf einer Jahresfrist in Bestandskraft erwüchsen. Somit könne nicht davon gesprochen werden, dass das Unterlassen einer Rechtsbehelfsbelehrung den tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats in eklatanter Weise widerspreche.

Am 16. Februar 2016 hat der Kläger beim LSG Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Er führt an, dass mit der Äußerung von Dr. T. vom 4. Februar 2015 eine Diensterkrankung zumindest wahrscheinlich erscheine. Die E-Mail bezeuge eine zurückliegende Tatsache und sei daher als Restitutionsgrund ausnahmsweise zu berücksichtigen. Die Notfrist bei der Restitutionsklage habe er nicht einhalten können, weil er nach Erhalt der E-Mail noch eine Entscheidung der Beklagten abgewartet habe und erst nach einem Telefonat mit dem zuständigen Richter am SG in die Lage versetzt worden sei, die E-Mail als Anfechtungsgrund für die Restitutionsklage zu benutzen. Zwar befinde sich seine Unterschrift auf dem Gutachten vom 30. April 1976, jedoch bedeute dies nicht, dass ihm der Inhalt der Dienstbeschädigungsliste vom 11. Juli 1975 präsent gewesen sei. Die Kommandeursentscheidung sei ihm auch nicht ordentlich bekanntgemacht worden. Fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze seien insgesamt verletzt worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Januar 2016, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31. Juli 2009 (S 2 VS 1909/07) sowie den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. Oktober 2010 (L 6 VS 4845/09) und den Bescheid vom 30. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm einen Dienstbeschädigtenausgleich zu gewähren, sowie

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Januar 2016 und den Bescheid vom 2. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Rücknahme des Bescheids vom 30. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2004 einen Dienstbeschädigtenausgleich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt an, dass der Kläger keinen Anspruch auf Dienstbeschädigtenausgleich habe. Eine Dienstausübung, die einen Körper- oder Gesundheitsschaden hervorgebracht habe, habe nicht festgestellt werden können. Der Sprung aus dem Fenster am 7. April 1975 sei bindend als Dienstbeschädigung abgelehnt worden. Auch eine solche durch medizinische Falschbehandlung sei bindend mit der Entscheidung vom 30. April 1976 abgelehnt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des SG aus dem vorliegenden Rechtsstreit sowie den angeführten vorangegangenen gerichtlichen Verfahren und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG) ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Restitutionsklage ist bereits unzulässig. Die weitere Klage gegen den Überprüfungsbescheid ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.

Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann gemäß § 179 Abs. 1 SGG nur nach den Vorschriften des Vierten Buches der ZPO wieder aufgenommen werden. Dies erfolgt durch Nichtigkeitsklage, § 579 ZPO, und durch Restitutionsklage, § 578 ZPO.

Die vorliegend angestrengte Restitutionsklage ist erfolglos. Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme des Verfahrens S 2 VS 1909/07. Da der Senat über die Berufung des Klägers gegen das in jenem Verfahren ergangene Urteil des SG vom 31. Juli 2009 im Berufungsverfahren L 6 VS 4845/09 in der Sache mit Beschluss vom 6. Oktober 2010 entschieden hatte, wäre für die Wiederaufnahmeklage grundsätzlich das LSG zuständig gewesen, § 584 Abs. 1 ZPO (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 179 Rz. 8). Allerdings ist der Senat an die vom SG stillschweigend bejahte eigene instanzielle Zuständigkeit gebunden. Insofern ist § 17a Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i. V. m. § 98 Satz 1 SGG analog anzuwenden (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 30. April 2013 – L 10 AL 133/12 –, juris, Rz. 28; siehe auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 10. Juli 2012 - L 7 SO 41/12 B -, juris, Rz. 13; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2010 - L 7 AS 191/10 KL -, juris, Rz. 1; Thüringer LSG, Beschluss vom 21. Mai 2012 - L 10 AL 41/10 -, juris, Rz. 2; BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2004 - 4 B 113/03 -, juris, Rz. 2; Leitherer, a. a. O., § 98 Rz. 2), da es sich darin um einen allgemeinen Rechtsgedanken handelt, der auch für die instanzielle Zuständigkeit gilt. Der Rechtsuchende soll nicht durch die Streitigkeit verschiedener Gerichte über deren Zuständigkeit in seinem Rechtsschutz behindert werden. Der Kläger hat auch keine Vorabentscheidung über die Frage der Zuständigkeit beantragt oder die fehlende instanzielle Zuständigkeit des SG gerügt. Deren Prüfung durch den Senat scheidet somit nach § 98 Satz 1 SGG i. V. m. § 17a Abs. 5 GVG aus (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 30. April 2013 - a. a. O.).

Die Restitutionsklage ist indessen nicht fristgerecht erhoben worden und bereits aus diesem Grund unzulässig.

Sie muss gemäß § 586 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 179 Abs. 1 SGG vor Ablauf einer Notfrist von einem Monat erhoben werden. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils, § 586 Abs. 2 ZPO. Gemäß § 589 Abs. 2 ZPO sind die Tatsachen, die ergeben, dass die Klage vor Ablauf der Notfrist erhoben ist, glaubhaft zu machen. Der Kläger beruft sich mit seiner Restitutionsklage ausschließlich auf den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7b ZPO. Hierbei ist die Kenntnis des Inhalts der Urkunde und der Möglichkeit davon, sie zu benutzen, ausreichend. Auf die Erkenntnis der Erheblichkeit der Urkunde kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 21. November 1961 – VI ZR 246/60 –, VersR 62, 175, Rz. 9).

Die vorliegend einzig als Restitutionsgrund angeführte E-Mail von Dr. T. hat der Kläger am 4. Februar 2015 erhalten und bereits mit Schreiben vom 10. Februar 2015 an die Beklagte weitergeschickt, jedoch erst am 18. September 2015, d.h. deutlich mehr als einen Monat später, die Restitutionsklage erhoben. Dass er möglicherweise erst aufgrund eines Telefonats mit einem Richter am SG zur rechtlichen Einordnung gelangt war, dass die bekannt gewordenen Tatsachen etwaig einen Wiederaufnahmegrund ermöglichen, ist für die Fristberechnung irrelevant, da es auf die Erkenntnis der Erheblichkeit der Urkunde nach obigen Ausführungen nicht ankommt (vgl. BGH, Vorlagebeschluss vom 30. März 1993 – X ZR 51/92 –, juris, Rz. 13; BGH, Urteil vom 21. November 1961 - a.a. O.). Wollte man anderenfalls eine solche rechtliche Qualifizierung in den Begriff der "Kenntnis vom Anfechtungsgrund" hineinnehmen, so würde das zu einer völligen Rechtsunsicherheit des Wiederaufnahmerechts führen (vgl. Greger, in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 586 ZPO, Rz. 9 m. w. N.). Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dem Kläger das Einhalten einer Notfrist bei der Restitutionsklage hinlänglich spätestens durch seine frühere Restitutionsklage (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar 2008 - L 6 VS 5498/07) bekannt war.

Die Erfolglosigkeit der Restitutionsklage folgt aber auch daraus, dass es sich bei dem von dem Kläger zur Begründung der Restitutionsklage vorgelegten E-Mailausdruck nicht um eine Urkunde gemäß § 580 Nr. 7b ZPO handelt.

Zwar ist der Begriff der Urkunde in einem weiteren Sinne zu verstehen. Er deckt auch die Reproduktion eines elektronischen Dokuments mit urkundenähnlichem Gedankeninhalt ab (Greger in: Zöller, a. a. O., § 580 ZPO, Rz. 16). Allerdings findet nach § 580 Nr. 7b ZPO die Restitutionsklage nur statt, wenn eine Partei eine Urkunde auffindet, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Diese Möglichkeit kann nur bei Dokumenten bestehen, die bei der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz des Vorprozesses überhaupt hätten vorgelegt und vom Gericht berücksichtigt werden können; § 580 Nr. 7b ZPO findet daher grundsätzlich nur bezüglich solcher Urkunden Anwendung, die zum Zeitpunkt des früheren Verfahrens bereits existiert haben. Maßgeblich ist dabei der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung bzw. im schriftlichen Verfahren der Entscheidungszeitpunkt in der Berufungsinstanz des Vorprozesses (hier: 6. Oktober 2010).

Hieran gemessen ist die vom Kläger als Restitutionsgrund herangezogene Urkunde kein gesetzlicher Restitutionsgrund gemäß § 580 Nr. 7b ZPO, weil die E-Mail vom 4. Februar 2015 erst Jahre nach dem rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens L 6 VS 4845/09 im Oktober 2010 entstanden ist. Dass Dr. T. wie der Kläger anführt nicht bereits im damaligen Berufungsverfahren auf seinen Antrag hin nach § 109 SGG gehört worden ist, ändert nichts an dem Umstand, dass die Ausführungen des Arztes erst im Februar 2015 erstellt worden sind und damit keinen Restitutionsgrund darstellen.

Die E-Mail kann auch nicht ausnahmsweise als Restitutionsgrund im Sinne von § 580 Nr. 7b ZPO zugelassen werden.

Ausnahmsweise ist eine nachträglich errichtete Urkunde als gesetzlicher Restitutionsgrund anzuerkennen. Dabei ist aber der Kreis der nach § 580 Nr. 7 b ZPO zuzulassenden nachträglich errichteten Dokumente eng zu ziehen, weil mit der Restitution stets die nur ausnahmsweise zulässige Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils einhergeht und bei nachträglich errichteten Urkunden die Gefahr des Missbrauchs besteht (BSG, Urteil vom 20. Dezember 1962 – 3 RJ 85/55 –, juris, Rz. 12). Eine nach der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts erstelltes Dokument kommt als Restitutionsgrund mithin nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn es sich um eine öffentliche Urkunde handelt, die Tatsachen bekundet, die bis zu diesem Zeitpunkt verortet sind, sie aber schlechterdings nicht vor Abschluss des Vorprozesses errichtet werden konnte, z. B. die Geburtsurkunde zur Bestimmung des Empfängniszeitpunktes, Einbürgerungsurkunden, nachträglicher Anerkennungsbescheid über die Schwerbehinderung im Kündigungsschutzprozess (Greger, in Zöller, a.a.O., § 580 ZPO, Rz. 17 m. w. N.).

Hieran gemessen kann die E-Mail auch nicht ausnahmsweise als Restitutionsgrund gemäß § 580 Nr. 7b ZPO herangezogen werden. Es liegt kein berechtigter Ausnahmefall vor. Der Kläger hätte die von Dr. T. getätigten Ausführungen auch schon zu einem deutlich früheren Zeitpunkt, theoretisch bereits Ende der 1970er Jahre, einholen können. Damit liegt aber kein zwingender Grund vor, dass die E-Mail erst nach Schluss des Berufungsverfahrens erstellt werden konnte.

Weiter hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage im Hinblick auf den abgelehnten Überprüfungsantrag zu Recht abgewiesen. Der klägerische Antrag war dahingehend sachdienlich auszulegen - und vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2017 genehmigt, dass er von der Beklagten alleine die Aufhebung des Bescheids vom 30. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2004 verlangt, nicht jedoch wie das SG annahm, zusätzlich des Schreibens vom 21. April 2015. Letzteres beinhaltete lediglich eine Anhörung und war mangels Regelungscharakter kein Verwaltungsakt. Weiter war der Antrag des Klägers dahingehend zu verstehen, dass er, wie bereits im vorangegangenen Gerichtsverfahren, die Gewährung eines in den zu überprüfenden Bescheiden abgelehnten Dienstbeschädigtenausgleichs und nicht, wie das SG annahm, allgemein "Leistungen in gesetzlicher Höhe" begehrt.

Der Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 2015 ist rechtmäßig. Denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, im Wege einer Überprüfungsentscheidung gemäß § 44 SGB X die bestandskräftige Entscheidung vom 30. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2004 aufzuheben und dem Kläger einen Dienstbeschädigtenausgleich wegen der Folgen einer Fehlbehandlung im Anschluss an den von ihm am 7. April 1975 erlittenen Unfall zu gewähren.

Der Prüfungsmaßstab richtet sich dabei nach § 44 SGB X. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zu-rückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).

Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser – wie hier - durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 (141)). Auch wenn Betroffene schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen (Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VG 5048/15 –, juris, Rz. 51).

Die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend indes nicht erfüllt. Der bestandskräftigen Entscheidung zur Frage, ob dem Kläger ein Dienstbeschädigungsausgleich zu gewähren ist, wie sie der Bescheid vom 30. Juli 2004 beinhaltet, liegt keine unrichtige Sach- und Rechtsanwendung zugrunde.

Die Beklagte ist für die Entscheidung über den Anspruch des Klägers gemäß Art. 13 Abs. 2 EV zuständiger Versorgungsträger. Grundsätzlich treten zwar nach Art. 13 Abs. 1 EV die Länder in die Zuständigkeiten der staatlichen Behörden der ehemaligen DDR ein. Soweit diese jedoch Aufgaben wahrnahmen, für die nach der Zuständigkeitsordnung des Bundes nunmehr Bundesbehörden zuständig sind, gehen die Aufgaben auf diese über. Die Beklagte, die in der Bundesrepublik Deutschland für die Bundeswehr zuständig ist, ist danach Funktionsnachfolgerin im Hinblick auf das Sonderversorgungssystem der NVA (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – L 2 VS 9/13 –, juris, Rz. 20)

Nach § 1 Nr. 1 Dienstbeschädigungsausgleichsgesetz (DbAG) in der ab 1. März 2002 gültigen Fassung hat u.a. Anspruch auf einen Dienstbeschädigungsausgleich, wer am 1. März 2002 Ansprüche auf Dienstbeschädigungsvoll- oder -teilrente aus einem Sonderversorgungssystem nach Anlage 2 AAÜG nach dem ab dem 1. August 1991 geltenden Recht hatte. Der Kläger hatte einen solchen Anspruch auf Dienstbeschädigungsrente nicht. Ansprüche im Zusammenhang mit der am 7. April 1975 erlittenen Verletzung wurden vielmehr durch bestandskräftigen Verwaltungsakt der zuständigen Behörde der DDR rechtskräftig abgewiesen.

Zwar sieht die VSO-NVA in Abschnitt 1/2/202 Nr. 7e vor, dass Körper- oder Gesundheitsschäden, die infolge unzureichender medizinischer Betreuung während des Wehrdienstes hervorgerufen oder verschlimmert wurden, als Dienstbeschädigung anerkannt werden können. Gleiches gilt nach Nr. 7f der Vorschrift für Körper- und Gesundheitsschäden, die als ärztlich nicht beabsichtigte bzw. nicht vorauszusehende nachteilige Folgen einer diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme eingetreten sind. Die zuständige Behörde der Rechtsvorgängerin der Beklagten hat jedoch nach Prüfung der mit dem Unfall vom 7. April 1975 erlittenen Verletzungen einen Anspruch auf Dienstbeschädigungsvoll- oder -teilrente bestandskräftig abgelehnt. Die Entscheidung über die Anerkennung eines Körper- oder Gesundheitsschadens als Dienstbeschädigung traf gemäß Nr. 7a bis f VSO-NVA die Gutachterärztekommission der lazarett- und militärmedizinischen Akademie am 30. April 1976. Sie entschied, dass keine Dienstbeschädigung bzw. kein hierauf zurückzuführender Körperschaden vorliegt.

Unter Bezugnahme auf den bereits zitierten Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2010 (L 6 VE 4845/09), den der Senat weiterhin für zutreffend hält, betraf die Entscheidung der Gutachterärztekommission vom 30. April 1976 nicht nur die Frage des Vorliegens ursächlicher Folgen des Sturzes vom 7. April 1975, sondern allgemein die Ablehnung der Anerkennung eines Körper- oder Gesundheitsschadens als Dienstbeschädigung i. S. des Abschnitts I/2/202 Nr. 9 Abs. 1 und Abs. 3 i. V. mit Nr. 7 Buchst. e und f VSO-NVA. Der Hinweis darin auf die Entscheidung des Kommandeurs vom 11. Juli 1975 betrifft lediglich die wegen dieser Entscheidung auch im Übrigen - mit Blick auf den Unfall vom 7. April 1975 - ausgeschlossene Anerkennung des Zu-standes nach Knöchelfraktur als Dienstbeschädigung. Insoweit ist auch nicht relevant, ob dem Kläger, wie er zuletzt vorträgt, die Kommandeursentscheidung ordentlich bekannt gemacht wurde. Jedenfalls wurde er, wie er mit seiner Unterschrift ausdrücklich bestätigte, über versorgungsrechtliche Ansprüche und die Rechtsmittel im Hinblick auf die hier allein relevante Entscheidung der Gutachterärztekommission vom 30. April 1976 belehrt.

Dass wegen des vom Kläger im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Schadens keine Dienstbeschädigungsliste angelegt wurde, ist unerheblich, zumal nach der seinerzeit geltenden Begutachtungsordnung - Ordnung Nr. 060/9/02 - eine solche Liste zwingend nur bei einem Unfall oder dem Verdacht auf das Vorliegen einer Diensterkrankung zu erstellen war, wozu der hier in Rede stehende Körper- bzw. Gesundheitsschaden nach Abschnitt I/2/202 Nr. 7 Buchst. e und f VSO-NVA nicht zählt.

Die Entscheidung der Gutachterärztekommission ist ein Verwaltungsakt und gemäß Art. 19 Abs. 1 EV bindend. Denn gemäß Anlage 1 Kapitel VIII D III Nr. 2 EV sind die Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 44 ff. SGB X) erst ab dem 1. Januar 1991 anzuwenden. Die vor Inkrafttreten des SGB X liegenden, in der ehemaligen DDR verwirklichten Tatbestände sind also einer Überprüfung im Rahmen der §§ 44 ff. SGB X entzogen. Für diese - alten - Tatbestände bietet Art. 19 Satz 2 EV die alleinigen Aufhebungsmöglichkeiten an (BSG, Urteil vom 11. September 2001 – B 2 U 32/00 R –, juris, Rz. 15; nachgehend BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 -, juris). Nach Art. 19 Satz 2 EV können Verwaltungsakte der DDR aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen dieses Vertrags unvereinbar sind.

Anhaltspunkte für eine solche Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen sind nicht ersichtlich. Es gibt insbesondere keine allgemeine Schlussfolgerung dahingehend, dass ein Verwaltungsakt, der, wie der Kläger meint, die Vorschriften des DDR-Rechts verletzt, so schwerwiegende Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze enthält, dass er nach Art. 19 Satz 2 EV aufzuheben ist (BSG, Urteil vom 18. März 1997 – 2 RU 19/96 –, juris, Rz. 21). Maßgeblich ist vielmehr, ob der Verwaltungsakt in der Art seines Zustandekommens oder in seinen Auswirkungen die elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen verletzt, die den Kernbestand des Rechtsstaatsprinzips bilden (Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 20. April 1994 – 1 KO 14/93 –, juris, Rz. 46). Nachdem die Gutachterärztekommission ihre Entscheidung vom 30. April 1976 u.a. auf der Grundlage des vorderseitigen Gutachtens von Dr. T. vom 16. März 1976 - wonach eine Fraktur des rechten Fußes am Unfalltag zunächst nicht diagnostiziert worden sei - traf, liegen Anhaltspunkte für eine rein willkürliche und deshalb rechtsstaatlich unbeachtliche Entscheidung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18. März 1997 -, a. a. O.) nicht vor. Auch der Kläger bestätigte in seiner "eidesstattlichen Versicherung" vom 14. September 2010 (Bl. 63 f. Akte L 6 VE 4845/09), dass am Unfalltag trotz Röntgenkontrolle keine Fraktur diagnostiziert wurde. Dass eine solche möglicherweise dennoch durch den Unfall entstanden und ärztlicherseits hätte erkannt werden können, und damit die Entscheidung der Kommission sachlich falsch sein könnte, ist für die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze nicht ausreichend.

Damit ist die Entscheidung der Gutachterkommission vom 30. April 1976 bindend und ein Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich ausgeschlossen.

Insgesamt ergeben sich also keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 30. Juli 2004 das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG beruht.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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