L 7 AS 193/17 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 22 AS 2862/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 193/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 21. Dezember 2016 aufgehoben.
Der Klägerin wird für das Klageverfahren S 22 AS 2862/16 vor dem Sozialgericht Freiburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 26. Juli 2016 bewilligt und Rechtsanwältin R., W., F., beigeordnet.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält Prozesskostenhilfe (PKH), wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Hinreichende Aussicht auf Erfolg in diesem Sinne verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Senats unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 - juris Rdnr. 29). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Verfahrens als offen zu bezeichnen ist. Dies gilt namentlich dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfrage abhängt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Oktober 2014 - 1 BvR 83/12 - juris Rdnr. 13; Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 - juris Rdnrn. 28 ff. - st. Rspr.; Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 4. Dezember 2007 - B 2 U 165/06 B - juris Rdnr. 11) oder eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch Beweisaufnahme, ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. August 2014 - 1 BvR 3001/11 - juris Rdnr. 12; Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 - 1 BvR 274/12 - juris Rdnr. 14 - st. Rspr.). Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung in das summarische Verfahren der PKH zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussicht sind grundsätzlich die Verhältnisse und der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Beschwerde (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. September 2007 - L 7 AS 191/07 PKH-B - (n.v.) und vom 27. Dezember 2007 - L 7 AS 4785/07 PKH - (n.v.)).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe bietet die Rechtsverfolgung der Klägerin in der Hauptsache nach der gebotenen - aber auch ausreichenden - summarischen Prüfung hinreichende Erfolgsaussicht.

Gegenstand des Klageverfahrens ist der Bescheid vom 13. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2016, mit dem der Beklagte die mit Bescheid vom 25. Februar 2016 für die Zeit vom 1. April 2016 bis 31. März 2017 erfolgte Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab dem 1. Juli 2016 aufgehoben hat. Hiergegen richtet sich die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage.

Streitentscheidend ist, ob der Bewilligungsbescheid vom 25. Februar 2016 gem. § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben werden konnte oder ob, wegen von Anfang an bestehender Rechtswidrigkeit, eine Rücknahme nach § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X zu erfolgen hatte und deshalb eine Ermessensausübung erforderlich gewesen wäre (vgl. §§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch).

§ 7 Abs. 4 SGB II lautete in seiner ursprünglichen, bis zum Inkrafttreten des Gesetztes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706) zum 1. August 2006 geltenden Fassung: "Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder Rente wegen Alters bezieht". Bei der gesetzlichen Neuregelung wurde der Leistungsausschluss bei stationärer Unterbringung bzw. bei Inhaftierung erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (BT-Drucks. 16/1696 S. 26) eingefügt. Durch die Neuregelung sollte die häufig langwierige und schwierige Feststellung, ob im Einzelfall bei Personen, die in stationären Einrichtungen untergebracht sind, Erwerbsfähigkeit vorliegt oder nicht, entfallen (BT-Drucks. 16/1410 S. 20 zu Nr. 7 c). Eine Rückausnahme von diesem Grundsatz enthält § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II. Danach erhält abweichend von Satz 1 Leistungen nach diesem Buch, wer u.a. voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist. Bezüglich der Dauer des stationären Aufenthalts ist eine Prognoseentscheidung zu treffen, die sich nach dem Umständen bei der Aufnahme in die stationäre Maßnahme bemisst (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 - B 14 AS 66/13 R - juris). Ergibt die Prognose, dass der stationäre Aufenthalt voraussichtlich weniger als sechs Monate dauern wird, steht dieser einer Leistungsgewährung nicht entgegen. Bei einem prognostizierten stationären Aufenthalt von mehr als sechs Monaten besteht kein Leistungsanspruch nach dem SGB II.

Nicht ausdrücklich geregelt ist hierbei jedoch der Fall, dass die prognostizierte Dauer des stationären Aufenthalts genau sechs Monate dauert. Dies kommt insbesondere - wie vorliegend - in Betracht, wenn eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme für 26 Wochen und damit für sechs Monate bewilligt worden ist. Der Gesetzesbegründung lässt sich insoweit keine eindeutig gewollte Regelung entnehmen. Dort ist ausgeführt: "Der neu eingeführte Satz 3 regelt, welche Personengruppen von dem grundsätzlichen Leistungsausschluss nach Satz 1 ausgenommen sind und damit Leistungen nach diesem Buch beziehen können. Die erst Gruppe sind Personen, die für voraussichtlich weniger als sechs Monate in Krankenhäusern untergebracht sind. Damit ist für diese Gruppe eine Prognoseentscheidung zu Beginn des Aufenthaltes im Krankenhaus zu treffen. Eine Person erhält damit dann keine Leistungen nach dem SGB II, wenn von vornherein absehbar ist, dass sich die betreffende Person für länger als sechs Monate in dem Krankenhaus aufhalten wird. Dann ist das SGB XII einschlägig. Kann keine Prognoseentscheidung getroffen werden oder wird ein unter sechs Monaten dauernder Aufenthalt prognostiziert, greift der Ausschlusstatbestand nach sechs Monaten, sodass für die ersten sechs Monate das SGB II und danach das SGB XII einschlägig ist" (BT-Drucks. 16/1410 S. 20). Auch in der Literatur zu § 7 Abs. 4 SGB II finden sich keine Ausführungen zu dieser Konstellation (vgl. Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand 10/15, § 7 Rdnr. 244; Spellbrink/G. Becker in Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 7 Rdnr. 129 f.; Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, Stand 3. Januar 2017, § 7 Rdnr. 246 f.; Peters in Estelmann, SGB II, Stand März 2016, § 7 Rdnr. 105; Thie/Schoch in LPK-SGB II, 5. Aufl., § 7 Rdnr. 94; Loose in Hohm, SGB II, Stand Januar 2015, § 7 Rdnr. 147 ff.).

Gegen eine Auslegung der Norm dahingehend, dass die Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II bei stationären Aufenthalten mit einer prognostizierten Dauer von sechs Monaten einschlägig ist, spricht der Wortlaut der Norm. Denn der Gesetzgeber hat in § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II nicht formuliert "wer voraussichtlich bis zu sechs Monaten", sondern "wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist". Eine Auslegung der Norm dahingehend, dass eine prognostizierte Dauer der stationären Unterbringung von sechs Monaten zu einem Leistungsausschluss führt, dürfte auch dem Urteil des BSG vom 2. Dezember 2014 (B 14 AS 66/13 R - juris Rdnr. 20 f.) zu entnehmen sein.

In Betracht kommt danach, dass der Bewilligungsbescheid von Anfang an rechtswidrig war und deshalb eine Aufhebung der Bewilligung nach § 45 SGB X zu erfolgen hat. Zwar kann § 48 SGB X auch auf anfänglich rechtswidrige Dauerverwaltungsakte anwendbar sein, wenn sich die Verhältnisse nachträglich ändern. Insoweit sperrt § 45 SGB X die Aufhebung nach § 48 SGB X wegen einer nachträglichen Änderung in jenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, auf denen die (ursprüngliche) Rechtswidrigkeit nicht beruht, nicht (BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 59/12 R - juris Rdnr. 26; Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R - juris Rdnr. 24; Urteil vom 11. April 2002 - B 3 P 8/01 R - juris). Vorliegend könnte jedoch fraglich sein, ob die Verlängerung der stationären Maßnahme eine solche nachträgliche Änderung der Verhältnisse darstellt, da schon im Zeitpunkt der ersten Prognoseentscheidung davon auszugehen war, dass die stationäre Maßnahme nicht weniger als sechs Monate dauern werde.

Da somit in Betracht kommt, dass die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung nach § 45 SGB X zu bemessen ist und keine Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Vertrauensschutzes nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegen, könnte die Aufhebungsentscheidung rechtswidrig sein, da der Beklagte bei der Aufhebung kein Ermessen ausgeübt hat. Zu prüfen ist insoweit, welche Prognoseentscheidung der Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 24. Februar 2016 getroffen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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