L 7 SO 310/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 128/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 310/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Januar 2017 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ab 2. Februar 2017 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt L., H., beigeordnet.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der dem einstweiligen Rechtsschutzbegehren des Antragstellers stattgebende Beschluss des Sozialgerichts Mannheim (SG) vom 25. Januar 2017 ist aufzuheben.

1. Gegenstand des am 13. Januar 2017 beim SG anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist in der Sache das Begehren des Antragstellers auf Gewährung eines Darlehens nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) in Höhe von 751,36 EUR, nachdem das Jobcenter Rhein-Neckar-Kreis durch Bescheid vom 16. November 2016 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ab 1. Januar 2017 ganz aufhoben, die Deutsche Rentenversicherung K.-B.-S. durch Bescheid vom 10. November 2016 ab dem 1. Januar 2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem monatlichen Zahlbetrag von 751,36 EUR, die aber erstmals am 31. Januar 2017 zur Auszahlung gekommen ist (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI)) bewilligt, und der Antragsgegner durch - mit Widerspruch angefochtenen - Bescheid vom 30. Dezember 2016 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 1. Januar 2017 nach dem SGB XII abgelehnt hatte. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. Januar 2017 den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller "sofort ein sozialhilferechtliches Darlehen über einen Betrag von 751,36 EUR auszuzahlen". Gegen diesen Beschluss wendet sich allein der Antragsgegner, der zwischenzeitlich mit Bescheid vom 25. Januar 2017, gleichfalls durch den Antragsteller mit Widerspruch angefochten, auch die Gewährung eines Darlehens nach § 38 SGB XII abgelehnt hat, mit seiner Beschwerde.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), wobei im Fall der Bestandskraft eines Bescheides an den Anordnungsgrund besonders strenge Anforderungen zu stellen sind und dieser nur bei einer massiven Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Existenz vorliegen kann (Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rdnr. 29c). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

3. Zunächst steht der Beschwerde des Antragsgegners nicht entgegen, dass er in Umsetzung des angefochtenen Beschlusses des SG und zur Vermeidung der durch den Antragsteller bereits eingeleiteten Vollstreckung am 2. Februar 2017 den Betrag in Höhe von 751,36 EUR an den Antragsteller ausbezahlt hat (vgl. Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2014 - L 13 AS 266/13 B ER - juris Rdnr. 9; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. September 2014 - L 7 AS 1385/14 B ER - juris Rdnr. 14; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2007 - L 32 B 1565/07 AS ER - juris Rdnr. 2; Keller, a.a.O., Rdnr. 47).

4. Die Anordnungsvoraussetzungen sind im Beschwerdeverfahren nicht (mehr) gegeben. Der Antragsteller hat den nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlichen Anordnungsgrund, nämlich die besondere Dringlichkeit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens, nicht glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Wie bereits dargelegt, beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet, im Beschwerdeverfahren mithin nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass sein grundsicherungsrechtlich maßgeblicher Lebensunterhalt nicht sichergestellt ist. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass dem Antragsteller mittlerweile am 31. Januar 2017 die ihm bewilligte Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 751,36 EUR tatsächlich zugeflossen ist, aus der er im Bedarfsmonat Januar 2017 seinen Lebensunterhalt (Regelbedarf 409,00 EUR + Grundmiete 235,00 EUR + Heizkosten- und Nebenkostenpauschale 110,00 EUR) ganz überwiegend bestreiten konnte. Durch die monatsweise Auszahlung der bewilligten Rente seitens des Rentenversicherungsträgers steht dem Antragsteller nun ein regelmäßiges und - bis auf einen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu vernachlässigenden Restbetrag von 2,64 EUR - bedarfsdeckendes Einkommen (vgl. §§ 19 Abs. 2, 43, 82 SGB XII) zur Verfügung, aus dem er seinen Lebensunterhalt auch zukünftig bestreiten kann. Im Übrigen ist zu beachten, dass der Antragsteller Wohngeld beantragt und die Wohngeldbehörde der Stadt Hockenheim einen monatlichen Wohngeldanspruch von 47,00 EUR errechnet hat. Dass dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile durch sein vorübergehendes Liquiditätsproblem wegen der Auszahlung der Erwerbsminderungsrente erst am 31. Januar 2017 entstanden sind, ist weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich. Durch die begehrte Gewährung eines Darlehens kann der Lebensunterhalt des Antragstellers im mittlerweile abgelaufenen Bedarfsmonat Januar 2017 nicht mehr sichergestellt, seine Lebenssituation nicht verbessert werden. Das vorübergehende Liquiditätsproblem ist durch die Aufnahme der monatsweisen Rentenzahlung beendet. Dass eine bis zur Auszahlung der Rente am 31. Januar 2017 ggf. bestehende Notlage weiterhin und aktuell fortbesteht, ist nicht dargetan. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass wegen einer ggf. nicht fristgerecht erfolgten Mietzinszahlung die Unterkunft des Antragstellers aktuell gefährdet ist. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, warum dem Antragsteller ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar sein soll.

Der stattgebende Beschluss des SG war sonach aufzuheben und der Antrag des Antragstellers abzulehnen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsteller auch nach Zufluss der Rentenzahlung am 31. Januar 2017 an seinem einstweiligen Rechtsschutzbegehren festgehalten hat.

6. Dem Antragsteller ist für das Beschwerdeverfahren gem. § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115, 119 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 2 ZPO Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung zu bewilligen und Rechtsanwalt L. beizuordnen.

7. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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