L 11 R 4492/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2525/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4492/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 25.11.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einsteiligen Rechtsschutzes die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme.

Der am 27.11.1961 geborene Antragsteller ist als Verwaltungsangestellter bei den Stadtwerken K., derzeit Abteilung "zentrale Servicedienste", versicherungspflichtig beschäftigt. Es ist ein GdB von 60 zuerkannt.

Ein stationäres Heilverfahren auf Veranlassung der Antragsgegnerin fand vom 04.11.2013 bis 09.12.2013 in der S. Klinik statt. Im Entlassungsbericht vom 17.12.2013 sind folgende Diagnosen aufgeführt: - narzisstische Persönlichkeitsstörung, - rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, - pathologisches Stehlen (Kleptomanie) - vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale). Der Antragsteller könne in seinem bisherigen Beruf als Sachbearbeiter vollschichtig arbeiten. Im Übrigen seien mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sechs Stunden und mehr täglich möglich.

Am 25.05.2016 beantragte der Antragsteller erneut Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bei der Antragsgegnerin. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21.06.2016 ab.

Auf den Widerspruch des Antragstellers veranlasste die Antragsgegnerin eine sozialmedizinische Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Z ... Im Gutachten vom 11.08.2016 stellte der Sachverständige folgende Diagnosen: - kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend narzisstischen Anteilen, - Zwangsstörung, - Angststörung und Depression, - Schlafstörungen. Die Persönlichkeitsstörung führe zunehmend dazu, dass der Antragsteller die Impulskontrolle verliere. Eine vorzeitige Rehabilitation in einer verhaltenstherapeutischen Klinik werde empfohlen. Der Antragsteller erscheine motiviert an der Wiederherstellung der gefährdeten Erwerbsfähigkeit mitzuarbeiten. Er sei derzeit nicht in nervenfachärztlicher Behandlung. Er habe mitgeteilt, sich zweimal erfolglos bei niedergelassenen Psychologen um eine Behandlung bemüht zu haben, sei dort jeweils abgelehnt worden und habe es dann aufgegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.11.2016 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Für die festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen sei eine regelmäßige ambulante nervenärztliche Behandlung bzw nach der Psychotherapie-Richtlinie die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe angezeigt. Das im Widerspruchsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. Z. habe keine weiteren gesundheitlichen Einschränkungen nachgewiesen, aufgrund derer Leistungen zur medizinischen Rehabilitation angezeigt seien. Auch nach den Vorschriften eines anderen Leistungsträgers liege kein Rehabilitationsbedarf vor.

Hiergegen hat der Antragsteller am 09.11.2016 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben (Az: S 4 R 2526/16) und hat dort am selben Tag einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sein Hausarzt befürworte die stationäre medizinische Rehabilitation. Auch der Sachverständige Dr. Z. habe die Rehabilitation befürwortet. Die Reha sei wichtig, um seine Arbeitskraft zu erhalten. Außerdem trage er die Mitverantwortung für ein Kind mit Asperger-Autismussyndrom.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen sei die Gewährung einer vorzeitigen medizinischen Rehabilitation nicht erforderlich. Eine regelmäßige ambulante ärztliche Behandlung, die bislang nicht stattfinde, sei angezeigt, ebenso die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe. Den Ausführungen des Sachverständigen, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dringend erforderlich seien, könne nicht gefolgt werden, da die Erwerbsfähigkeit weder erheblich gefährdet noch gemindert sei.

Mit Beschluss vom 25.11.2016 hat das SG den Antrag abgelehnt. Es fehle an einer besonderen Eilbedürftigkeit und damit an einem Anordnungsgrund. Es sei zumutbar, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Es sei nicht ersichtlich, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes in absehbarer Zeit drohe. Es erfolge aktuell keinerlei nervenfachärztliche Therapie oder Behandlung. Auch ein Anordnungsanspruch liege nicht vor. "Dr. F." (gemeint: Dr. Z.) habe nicht berücksichtigt, dass ambulante Behandlungsmöglichkeiten weder eingeleitet noch ausgeschöpft seien. Das Gutachten lege auch nicht dar, dass medizinische Rehabilitationsleistungen vor Ablauf der Vierjahresfrist dringend geboten seien. Insoweit seien zunächst weitere medizinische Ermittlungen im Hauptsacheverfahren notwendig.

Gegen den ihm am 29.11.2016 zugestellten Beschluss des SG hat der Antragsteller am 05.12.2016 Beschwerde beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Das maßgebliche Ziel seines Antrages sei die Wiederherstellung des zur Zeit schlechten seelischen Zustandes. Die Ablehnung des Reha-Antrags sei ihm unverständlich. Es gehe um einen Ausstieg aus dem Alltag und dem Arbeitsleben. Es gehe um die Wiederherstellung seines psychischen Gesamtzustandes, um die Vermeidung einer Verschlechterung des Gesundheitszustands und die Verhinderung drohender Arbeitsunfähigkeit.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 25.11.2016 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verurteilen, ihm eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hat zur Begründung auf die Ausführungen des SG Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172 Abs 1, 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG), in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend begehrt der Antragstellerin die Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Damit richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG.

Dies verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 der Zivilprozessordnung).

Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl BVerfG [Kammer], 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S 1236 f). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, aaO, mwN); die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl BVerfG [Kammer], 22.11.2002, aaO, S 1237; 29.11.2007, 1 BvR 2496/07, NZS 2008, 365).

Ebenso wie das SG ist der Senat der Auffassung, dass der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.

Die Antragsgegnerin ist als erstangegangener Träger iS des § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) gegenüber dem Antragsteller zuständiger Reha-Träger, da sie den Antrag nicht binnen 14 Tagen an einen anderen, aus ihrer Sicht zuständigen, Träger weitergeleitet hat und war insoweit verpflichtet, den Antrag auch nach den Leistungsgesetzen anderer Reha-Träger zu prüfen.

Leistungen der medizinischen Rehabilitation werden durch die Regelungen in §§ 9, 10, 15 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) beschrieben, nämlich durch die Aufgabenstellung der gesetzlichen Rentenversicherung hinsichtlich der Teilhabeleistungen in § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VI und durch die Festlegung der allgemeinen Leistungsvoraussetzungen und Ziele in § 10 Abs 1 SGB VI. In diesem allgemeinen Rahmen werden in dem nicht abschließenden Katalog der §§ 26 bis 31 SGB IX die zulässigen Leistungsarten und spezifischen Ziele, Voraussetzungen und Inhalte der einzelnen Leistungen festgelegt.

Gemäß § 10 Abs 1 SGB VI haben Versicherte die persönlichen Voraussetzungen ua erfüllt, wenn die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und bei denen voraussichtlich a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wieder hergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann. Gem. § 12 Abs. 2 SGB VI werden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht vor Ablauf von vier Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen zur Rehabilitation erbracht, deren Kosten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden sind. Dies gilt nicht, wenn vorzeitige Leistungen aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich sind.

Zur medizinischen Rehabilitation behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen werden gem. § 26 Abs. 1 SGB IX die erforderlichen Leistungen erbracht, um 1. Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten oder 2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern. Vorliegend fehlt es zur Überzeugung des Senats am Anordnungsanspruch und am Anordnungsgrund, da nicht ersichtlich ist, dass eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme aus gesundheitlichen Gründen dringend vor Ablauf der 4-Jahres-Frist erforderlich ist (§ 26 Abs. 1 SGB IX iVm § 12 Abs 2 SGB VI).

Die Erforderlichkeit einer konkreten Rehabilitationsleistung, insbesondere auch ihr Vorzug gegenüber einer vorrangigen Leistung (Krankenbehandlung oder ambulante Reha), ergibt sich aus dem individuellen Rehabilitationsbedarf und dem spezifischen Leistungsangebot und -zweck unter Berücksichtigung angemessener Wünsche des Versicherten. Ambulante Maßnahmen sind gegenüber stationären Maßnahmen vorrangig (§ 19 Abs. 2 SGB IX).

Die Diagnosen im Gutachten des Dr. Z. vom 11.08.2016 (kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend narzisstischen Anteilen, Zwangsstörung, Angststörung und Depression, Schlafstörungen) entsprechen weitgehend den Diagnosen im Reha-Entlassungsbericht vom 17.12.2013 (narzisstische Persönlichkeitsstörung, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, pathologisches Stehlen, vorwiegend Zwangshandlungen), der ein vollschichtiges Leistungsvermögen angenommen hat. Dringende medizinisch-gesundheitliche Gründe für eine vorzeitige Reha hat der Sachverständige nicht angeführt. Mit der Tatsache, dass keine ambulanten Maßnahmen stattfinden, hat sich der Sachverständige nicht auseinandergesetzt, weshalb seine Empfehlung einer stationären Reha-Maßnahme mangels plausibler Begründung für den Senat nicht nachvollziehbar ist.

Vorliegend haben ambulante Maßnahmen noch gar nicht stattgefunden, weshalb die Erforderlichkeit einer stationären Maßnahme nicht ersichtlich ist. Vielmehr beschreiben die vom Antragsteller genannten Ziele: Wiederherstellung des zur Zeit schlechten seelischen Zustandes, Vermeidung einer Verschlechterung des Gesundheitszustands und Verhinderung drohender Arbeitsunfähigkeit typische Ziele einer Krankenbehandlung nach § 27 SGB V.

Auch im Recht der Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gilt der Vorrang ambulanter Maßnahmen der Krankenbehandlung gegenüber stationären Maßnahmen (§ 40 Abs 1 S 1 SGB V) sowie der Grundsatz, dass medizinische Reha-Leistungen nicht vor Ablauf von vier Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden, deren Kosten auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden sind, es sei denn, eine vorzeitige Leistung ist aus medizinischen Gründen dringend erforderlich (§ 40 Abs 3 S 4 SGB V). Daher besteht auch kein Anspruch gegen die Träger der GKV auf deren Beiladung der Senat verzichten konnte.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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