L 6 SB 4880/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 204/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 4880/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 13. November 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 und damit der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch.

Der 1963 geborene Kläger, der deutscher Staatsbürger ist und im Inland wohnt, ist als angestellter Servicetechniker in Vollzeit berufstätig.

Bei ihm war zuletzt mit Bescheid vom 16. Oktober 2001 ein GdB von 30 festgestellt worden. Dem hatten eine Versteifung des rechten oberen Sprunggelenks (Folgen eines unfallversicherungsrechtlich anerkannten Arbeitsunfalls vom 31. August 1997) mit einem Einzel-GdB von 30 und eine Wirbelsäulenverformung mit einem Einzel-GdB von 10 zu Grunde gelegen.

Neufeststellungsanträge in der Folgezeit blieben erfolglos. Im letzten Klageverfahren wies der erkennende Senat mit Urteil vom 23. April 2009 (L 6 SB 138/08) eine Berufung des Klägers zurück.

Am 14. Januar 2011 beantragte der Kläger erneut die Zuerkennung eines höheren GdB sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "G" (gehbehindert). Er machte zusätzlich Beeinträchtigungen an Knie- und Hüftgelenken, einen Z.n. (Zustand nach) Oberschenkelbruch rechts sowie eine Bronchitis geltend. Der Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei, aus denen sich ergab, dass der Kläger zuletzt 2005 wegen der Sprunggelenksversteifung in orthopädischer Behandlung gewesen war und dass er bei einem Sprung im März 2010 eine später operierte und ausgeheilte Femurfraktur links erlitten hatte. Der versorgungsärztliche Dienst schlug vor, die Behinderungen als "Versteifung des rechten oben Sprunggelenks, Versteifung des rechten unteren Sprunggelenks" und als "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung" neu zu bezeichnen, aber die bisherigen Einzel-GdB-Werte unverändert zu lassen. Daraufhin lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 28. Juli 2011 ab.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die Bewegungseinschränkungen ausgehend von dem Sprunggelenk seien zwar korrekt bewertet, er leide aber außerdem an außergewöhnlichen Schmerzzuständen mit Ausstrahlungen in die Lendenwirbelsäule und die Knie, weswegen zwei weitere Einzel-GdB-Werte von je 20 anerkannt werden müssten. Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme erging der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2012.

Am 28. Januar 2013 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, wobei er seinen Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht aufrecht erhalten hat. Er hat vorgetragen, es stelle sich die Frage, ob bei ihm nicht längst ein von den bestehenden knöchernen Veränderungen unabhängiges Schmerzsyndrom im Sinne einer selbstständig zu bewertenden Schmerzerkrankung anzunehmen sei.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Allgemeinmediziner Dr. H. hat am 21. Mai 2013 die - bekannten - Diagnosen und die Restbeweglichkeiten der Hüftgelenke des Klägers mitgeteilt. Orthopäde Dr. N. hat am 3. Juni 2013 bekundet, der Kläger habe am 24. September 2005 einen häuslichen Unfall erlitten, der einen knöchernen Bandausriss an der 2. Zehe rechts verursacht habe; bei der letzten Behandlung zwei Tage nach jenem Unfall hätten starke Schmerzen am Fuß mit leichter Besserung unter Voltaren bestanden. Der Orthopäde Dr. T., bei dem sich der Kläger nach seinen Angaben vorgestellt hatte, hat am 9. Oktober 2013 mitgeteilt, eine Behandlung habe nicht stattgefunden.

Der Kläger hat das unfallchirurgische Gutachten des PD Dr. Th. vom 28. Mai 2013 vorgelegt, das im Auftrag einer privaten Versicherung wegen des Unfalls am 6. März 2010 erhoben worden war. Darin ist ausgeführt, die Femurfraktur sei ausgeheilt, am rechten Hüftgelenk seien jedoch endgradige Bewegungsschmerzen, eine maximal mögliche Flexion von 100/0/0° (gegenüber 130/0/0° links), eine Außen- und Innenrotation von 15/0/30° (links 25/0/40°) sowie eine leicht verminderte Kraft bei der Hüftflexion verblieben. Der Beinwert sei wegen des Unfalls dauerhaft um 2/10 gemindert. Nebenbefundlich war erwähnt, der Kläger habe 1989 eine Plastik des vorderen Kreuzbands (VKB) nach VKB-Ruptur in einem Knie erhalten.

Das SG hat sodann den Facharzt für Orthopädie Dr. K. mit einer Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser Sachverständige ist am 21. Juli 2014 zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger beständen als Folgen des Unfalls vom 31. August 1997 eine vollständige Versteifung des rechten oberen und unteren Sprunggelenks und eine Gebrauchseinschränkung des rechten Beins, als Folgen des Unfalls vom 6. März 2010 eine leichte Beeinträchtigung des rechten Hüftgelenks, eine posttraumatische Gonarthrose Grad II links, eine Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks nach VKB-Plastik mit Restbeschwerden sowie ein chronisch rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom. Der Kläger könne mit Schuhen sicher gehen, insbesondere barfuß imponiere aber ein Versteifungshinken rechts. Eine medikamentöse Schmerztherapie erfolge nicht. Der neurologische Status sein unauffällig. Der Einzel-GdB für die unteren Gliedmaßen betrage 30, jener für die Wirbelsäulenbeschwerden 10, weitere Einzel-GdB seien nicht anzuerkennen.

Mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 13. November 2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Der GdB von 30 für die Versteifung beider Teile des Sprunggelenks sei der Höchstwert. Die weiteren Beeinträchtigungen an Knien und Hüftgelenk seien geringfügig und könnten diesen GdB nicht weiter erhöhen. Der GdB von 10 für die Beeinträchtigungen an der Wirbelsäule erhöhe den Gesamt-GdB nicht.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26. November 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Dr. K. habe wie üblich allein schematisch nach den Bewegungsmaßen beurteilt und die Beeinträchtigungen isoliert beurteilt. Die Beeinträchtigungen verstärkten sich jedoch gegenseitig.

Er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 13. November 2014 und den Bescheid vom 28. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 16. Oktober 2001 bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend, die Beeinträchtigungen am rechten Kniegelenk und am linken Sprunggelenk seien für sich genommen leicht und wirkten sich nicht besonders ungünstig auf das rechte Sprunggelenk aus.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat der Senat noch ein schriftliches Gutachten vom 13. Mai 2015 bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. R. erhoben. Dieser Sachverständige hat sich der Bewertung der Beeinträchtigungen am Sprunggelenk (Einzel-GdB 30) und an der Wirbelsäule (10 angeschlossen (S. 21 GA), aber für das linke Kniegelenk wegen eines Knorpelschadens Stadium II bis III und einer leicht eingeschränkten Beweglichkeit, vor allem eines leichten Streckdefizits (125/5/0° links gegenüber 135/0/0° rechts), "unter Berücksichtigung des Hüftgelenksbefundes rechts" einen weiteren GdB von 20 vorgeschlagen (S. 30 GA), daraus ergebe sich ein GdB von 40 für die unteren Gliedmaßen, dies sei auch der Gesamt-GdB (S. 22 GA).

Der Beklagte ist dem Gutachten unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. entgegengetreten, der sich dafür ausgesprochen hat, Knorpelschäden am linken Knie als weitere Behinderung anzuerkennen, insoweit aber nur einen Einzel-GdB von 10 anzunehmen und den Gesamt-GdB nicht zu erhöhen.

Der Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 11. Januar 2016, der Kläger unter dem 12. Mai 2016 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 151 Abs. 1 SGG), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen. Dem Kläger steht der zuletzt noch geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung eines höheren GdB als 30 durch den Beklagten nicht zu.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. zu allem Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 SB 4445/14 –, Rn. 28, juris).

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig ihrer Ursache, also final, bezogen ist (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c).

Bei der Bewertung mit einem GdB werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben erfasst. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen nach den VG, Teil A, Nr. 2 e, im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 29).

Liegen - wie im Falle des Klägers - mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10, 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rn. 17 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermitteln-den, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. zu allem Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 SB 425/15 –, Rn. 38, juris).

Sofern - wie im Falle des Klägers - bereits eine bestandkräftige, bindende (§ 77 SGG) Feststellung eines GdB vorliegt, kann eine Veränderung nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend gemacht werden kann, weil es sich bei der Feststellung eines GdB um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Eine wesentliche Änderung liegt vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, das sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung ist im vorliegenden Zusammenhang bei einer Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, wobei das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 allerdings regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt (vgl. VG, Teil A, Nr. 7 a; BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 26). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt (teilweise) aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 9a RVs 55/85 - SozR 1300 § 48 Nr. 29 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 V 2/10 R - SozR 4-3100 § 35 Nr. 5 m. w. N.; Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 4). Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich, bezogen auf die tatsächlichen Verhältnisse, in Fällen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Keller, in Meyer-Lade¬wig/Kel¬ler/Lei¬the¬rer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34; vgl. auch BSG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 RVs 5/95 - BSGE 79, 223 (225) zum selben Beurteilungszeitpunkt bei der isolierten Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung).

In Anwendung dieser Grundsätze liegt beim Kläger unter Auswertung der medizinischen Unterlagen auch zur Überzeugung des Senats weiterhin lediglich der bereits anerkannte Gesamt-GdB von 30 vor. Der Senat stützt sich bei dieser Bewertung maßgeblich auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen des Gutachtens von Dr. K., die in wesentlichen Teilen durch das auf Antrag des Klägers erhobene Gutachten von Dr. R. gestützt werden, der ebenfalls keinen Gesamt-GdB von 50 befürwortet hat.

In der Bewertung der Beeinträchtigungen am rechten Sprunggelenk rechts sind sich beide gehörten Sachverständigen und der versorgungsärztliche Dienst einig. Auch der Senat nimmt insoweit einen GdB von 30 an. Nach Teil B Nr. 18.14 VG ist die Versteifung beider Teile des Sprunggelenks "in günstiger Stellung" mit einem GdB von 30 zu bewerten. Ein GdB von 40 ist bei einer entsprechenden Versteifung "in ungünstiger Stellung" zu vergeben. Eine "günstige Stellung" ist im Einzelnen bei den Regelungen über die Versteifung nur des oberen oder des unteren Sprunggelenks definiert. Beim oberen Sprunggelenk liegt sie bei einer Versteifung mit einer Plantarflexion um 5° bis 15° vor, beim unteren Sprunggelenk bei einer Versteifung in "Mittelstellung". Bei dem Kläger nun ist hiernach von einer Versteifung beider Komponenten in günstiger Stellung auszugehen. Sowohl Dr. K. als auch Dr. R. haben eine Versteifung in einer Stellung von 0/5/5° angenommen, also mit einer Plantarflexion von 5°. Dies ist noch im günstigen Bereich, weil - worauf vor allem Dr. K. hingewiesen hat - mit diesem Winkel der plantigrade Auftritt möglich ist, der Kläger also den Fuß in einen rechten Winkel zum Unterschenkel bringen und daher gerade stehen kann. Dies ist auch durch die Fotos belegt, die Dr. K. seinem Gutachten beigefügt hat. Für das untere Sprunggelenk hat Dr. K. keine vollständige Versteifung angenommen, sondern eine "Wackelsteife". Dr. R. hat diese Bezeichnung zwar kritisiert, hat aber - er hat insoweit nur eine Schmerzhaftigkeit bei Verwringung und versuchter Innen- und Außenbewegung festgestellt (S. 14 GA) - die Versteifung des unteren Sprunggelenks im Ergebnis ebenfalls als "in günstiger Stellung" bezeichnet (S. 27 GA).

Für die Kniegelenksbeeinträchtigungen ist lediglich ein GdB von 10 anzuerkennen.

Nach Teil B Nr. 18.14 VG bedingen ausgeprägte Knorpelschäden (z.B. eine Chondromalazie Grad II bis IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen an einem Knie einen GdB von 10 bis 30, wenn sie nicht zu Bewegungseinschränkungen führen, und einen GdB von 20 bis 40, wenn letzteres der Fall ist. Bei dem Kläger nun liegt zwar im linken Kniegelenk - nach der VKB-Plastik nach VKB-Ruptur - ein Knorpelschaden vor, den Dr. K. als posttraumatisch bezeichnet und im Stadium II gesehen hat (S. 18 GA), während Dr. R. insoweit "Grad II bis III" angenommen hat (S. 30 GA). Aber es fehlt bereits an "anhaltenden Reizerscheinungen" auf Grund dieser Arthrose, sodass die genannte Regelung aus den VG bereits nicht anwendbar ist, auch wenn Bewegungseinschränkungen vorliegen mögen. Dr. K. hatte bei der Begutachtung gezielt nach einem Erguss, einem Tanzen der Patella, einer Rötung, Schwellung oder Überwärmung gesucht, aber solche Reizungen nicht gefunden (S. 20 GA). Dagegen lag nach den Feststellungen Dr. R.s bei seiner Untersuchung des Klägers "eindeutig und auch sonografisch nachweisbar" ein Erguss vor (S. 25 GA). Auch wenn dieser Befund so zutrifft, so kann daraus noch nicht auf die Dauerhaftigkeit der Reizerscheinungen geschlossen werden, zumal der Kläger zu den Beschwerden an den Kniegelenken bei Dr. K. angegeben hatte, es zupfe bei Überbelastung (Anamnese, S. 3 GA), und bei Dr. R., das Gelenk sei dick und spanne (S. 5 GA) was auf unterschiedliche, somit nicht gleichbleibende Beschwerden hindeutet.

Die Beeinträchtigungen des Klägers sind demnach nach den Vorgaben für "Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk" nach Teil B Nr. 18.14 VG zu bewerten. Hiernach ist ein GdB von 0 bis 10 anzunehmen, wenn in einem Kniegelenk noch eine Beweglichkeit bis 0/0/90° vorliegt, also insbesondere keine Streckhemmung; ein GdB von 20 für ein Knie liegt vor, wenn ein Streckdefizit von wenigstens 10° bei gleicher Beugeeinschränkung vorliegt (0/10/90°). Bei einer Bewegungseinschränkung stärkeren Grades mit einem Streckdefizit um wenigstens 30° ist dann - für ein Knie - ein GdB von 30 anzunehmen. Bei dem Kläger nun hatte Dr. K. eine Restbeugung von 125° (gegenüber 140° rechts) und kein Streckdefizit gemessen. Dr. R. hat zwar bei seiner späteren Untersuchung eine Einschränkung der Streckfähigkeit gesehen und hierauf auch maßgeblich seinen Bewertungsvorschlag gestützt. Dieses Streckdefizit umfasste jedoch auch nach seiner Untersuchung nur 5°, erreichte also nicht den Mindestwert von 10°, der für einen GdB von 20 notwendig wäre; außerdem ist auch das Beugedefizit des Klägers, das auch Dr. R. bei 125° gemessen hat, nicht groß genug für eine Bewertung mit diesem GdB. Aus diesen Gründen ist der Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes zu folgen, dass die Beeinträchtigungen an den Kniegelenken einen GdB von nur 10 bedingen.

Die Bewegungseinschränkungen an der rechten Hüfte des Klägers bedingen keinen GdB. Nach Teil B Nr. 18.14 VG ist auch ein GdB von 10 bis 20 erst bei einer - einseitigen - Einschränkung der Streckung und Beugung auf 0/10/90° anzuerkennen, wenn auch die Dreh- und Spreizfähigkeit entsprechend eingeschränkt sind. Bei dem Kläger fehlt jedes Streckdefizit, und auch die Beugehemmung erreicht die genannten 90° nicht. Dr. K. hatte die Beweglichkeit der rechten Hüfte mit 0/0/120° gemessen, Dr. R. hat insoweit 0/0/110° angegeben.

Die Wirbelsäulenbeeinträchtigungen letztlich begründen ebenfalls keinen GdB von mehr als 10, der aber nach Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee VG für eine Erhöhung des Gesamt-GdB notwendig wäre. Bei dem Kläger liegen allenfalls geringe funktionelle Auswirkungen vor, und zwar in der Brust- und in der Lendenwirbelsäule. Diese Beeinträchtigungen bedingen nach Teil B Nr. 18.9 VG einen GdB von 10, während ein GdB von 20 erst bei wenigstens mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt anzuerkennen wäre. Bei dem Kläger besteht eine leichte Verkrümmung, und zwar eine Skoliose nach rechts an der Lenden- und nach links an der Brustwirbelsäule. Dies entnimmt der Senat den Feststellungen Dr. K.s (S. 19 GA). An Funktionseinbußen folgen hieraus Muskel- und Sehnenreizungen leichten Grades. Dagegen ist die Beweglichkeit der Wirbelsäule nicht über das altersübliche Maß hinaus eingeschränkt. Das Ott’sche Zeichen für die Entfaltbarkeit der Brustwirbelsäule lag nach Dr. K.s Messung bei 30/32,5 cm und damit - knapp - im Normbereich (30/33-34 cm). Die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule mit einem Schober’schen Maß von 10/15,5 cm war in jeder Hinsicht regelgerecht. Auch neurologische Ausfallerscheinungen bestanden nach beiden Gutachten nicht. Diese Feststellungen hat auch der Wahlgutachter Dr. R. getroffen und er hat sich entsprechend dem Vorschlag Dr. K.s angeschlossen (S. 21 GA).

Mit diesen Bewertungen sind die Schmerzen, die der Kläger auf Grund seiner Gesundheitsschäden verspürt, erfasst. Nach Teil A Nr. 2 Buchstabe i Satz 1 sowie Buchstabe j VG schließen die vorgegebenen GdB-Werte die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Nur wenn eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen ist, die eine ärztliche Behandlung erforderlich macht, können höhere Werte in Betracht. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger entgegen seinen Ausführungen in der Klage- und Berufungsbegründung nicht vor. Bei beiden Begutachtungen hat der Kläger im Rahmen der Eigenanamnese Schmerzen angegeben, vor allem ausgehend von dem Sprunggelenk, in geringerem Maße vom Kniegelenk. Aber daraus ergibt sich kein außergewöhnliches Schmerzsyndrom, das sich von den organischen Ursachen gelöst hätte. Bei Dr. K. hat der Kläger angegeben, zur Behandlung der Schmerzen verwende er Voltaren Schmerzgel nach Bedarf und Ibuprofen 600, ebenfalls nach Bedarf; nur bei starken Schmerzen gelegentlich Novaminsulfon 500 mg (S. 6 GA). Diese Behandlung deutet noch auf die üblichen, organisch bedingten Schmerzen hin. Ebenso wie Dr. K. hat dann auch Dr. R. zutreffend dargelegt, er habe nach der Untersuchung des Klägers keinen Hinweis auf eine außergewöhnliche Schmerzbelastung gefunden, die nicht in den einzelnen GdB-Werten "inkludiert" wäre (S. 19 GA).

Nach den bereits genannten Grundsätzen bei Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee VG hat der Beklagte zu Recht lediglich den GdB von 30 für die Versteifung beider Teile des Sprunggelenks berücksichtigt und dem Kläger diesen GdB zuerkannt.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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