L 6 VK 4891/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 VK 729/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VK 4891/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. September 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt im Rahmen eines Überprüfungsantrages gem. § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Rücknahme des Bescheids des Beklagten vom 4. Januar 2007, die Anerkennung seiner Gesundheitsstörung am linken Knie als weiterer Schädigungsfolge sowie die Gewährung von (weiterer) Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1929 geborene Kläger erlitt am 20. Februar 1945 als Volksturmmann eine Granatsplitterverletzung am rechten Unterschenkel, derentwegen er Beschädigtenversorgung erhält. Vom beklagten Land wurden zuletzt als Schädigungsfolgen "Verlust des rechten Unterschenkels, Stumpf- und Phantomschmerzen, psychoreaktive Störungen" sowie "Senk-Spreizfußbildung" anerkannt und mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vom Hundert (v. H.) bewertet (Bescheid vom 2. Mai 2006).

Im September 2006 machte der Kläger eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen und die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen geltend. Zur Begründung führte er u.a. aus, durch die jahrelange Fehlbelastung seien das linke Knöchelgelenk und das linke Kniegelenk stark schmerzhaft. Es bestehe ein Überlastungsschaden. Der Kläger legte das Attest des Orthopäden Dr. Sch. vom 26. Oktober 2006, wonach aufgrund der jahrelangen Fehlbelastung eine Gonarthrose im linken Knie, eine Sprunggelenksarthrose links sowie eine Ischiolumbalgie bei linkskonvexer thorakolumbaler Torsion mit Osteochondrose L1 bis L5 bestehe, vor. Die Versorgungsärztin H. gelangte in dem vom Beklagten darauf veranlassten versorgungsärztlichen Gutachten vom 8. Dezember 2006 zu der Einschätzung, bei den neu geltend gemachten Gesundheitsstörungen handele es sich um altersbedingte, degenerative Nichtschädigungsleiden. Eine Erhöhung der MdE (jetzt des Grades der Schädigungsfolgen - GdS) oder eine Änderung der anerkannten Schädigungsfolgen sei nicht vorzuschlagen. Hierauf gestützt lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 4. Januar 2007 ab.

Hiergegen legte der Kläger unter Vorlage des Attests des Facharztes für Radiologie Dr. G. vom 3. Januar 2007, wonach eine Gonarthrose mit Retropatellararthrose, aber kein Anhalt für eine Fraktur oder eine Osteolyse vorliege, Widerspruch ein. Dr. B. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30. März 2007 aus, es sei bisher nicht erwiesen, dass es durch einen Gliedmaßenverlust an dem verbliebenen paarigen Gliedmaß zu Schäden durch Überlastungen komme. Außerdem sei der Kläger mit einer Beinprothese versorgt, so dass von keiner lang dauernden und sehr ausgeprägten Fehlbelastung auszugehen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Eine wesentliche Änderung in den als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen sei nicht eingetreten. Eine Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen sei nicht möglich.

Hiergegen erhob der Kläger am 17. April 2007 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG - Az. S 2 V 2182/07). Durch die jahrelange Fehlbelastung seien die im bereits vorgelegten Attest des Dr. Sch. beschriebenen Gesundheitsstörungen eingetreten. Aufgrund der lang dauernden Belastung mit dem Tragen einer Beinprothese sei nicht ausgeschlossen und eher wahrscheinlich, dass eine Fehlbelastung vorliege und ein Zusammenhang mit den anerkannten Schädigungsfolgen gegeben sei.

Das SG ließ den Kläger von Amts wegen untersuchen und begutachten. Der Orthopäde Dr. H. gelangte in seinem Gutachten vom 29. August 2007 zu der Einschätzung, in Bezug auf die Schädigungsfolgen im rechten Unterschenkel hätten sich keine wesentlichen Änderungen ergeben. Die fortgeschrittene Arthrose des linken Kniegelenks lasse sich nicht mit Wahrscheinlichkeit als Überlastungsschaden und damit als Schädigungsfolge betrachten. Verstärkte Belastung führe keinesfalls automatisch zu einem Verschleiß. Auch bestehe die Möglichkeit, dass es sich bei den Kniebeschwerden um ausstrahlende Schmerzen vom linken Hüftgelenk bei Protrusion links handele.

Sodann holte das SG auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Orthopäden Dr. B. vom 9. Januar 2008 ein. Der Sachverständige führte aus, die Protrusionscoxarthrose links, die Gonarthrose links und die Arthrose im linken Sprunggelenk seien keine Schädigungsfolgen. Abweichungen zum Gutachten Dr. H. bestünden nicht.

Mit Urteil vom 1. April 2008 wies das SG die Klage ab. Im Rahmen des hiergegen angestrengten Berufungsverfahrens beim Landesozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Az. L 6 V 1852/08) wurde auf Antrag des Klägers ein weiteres Gutachten gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. R., Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie, in Auftrag gegeben. Dieser gelangte am 26. September 2008 zu der Einschätzung, bezüglich der strittigen Fragen u.a. hinsichtlich des linken Beins sehe er keine Abweichungen zu den Vorgutachten. Mit Urteil vom 23. April 2009 wies der Senat die Berufung zurück. Er führte an, dass die fortgeschrittene Arthrose des linken Kniegelenks nicht mit Wahrscheinlichkeit als Überlastungsschaden und damit auch nicht als Schädigungsfolge zu betrachten sei, da der Körper prinzipiell die Möglichkeit habe, durch Verstärkung der betroffenen Strukturen die Belastbarkeit zu erhöhen und damit verstärkte Belastung keinesfalls automatisch zu Verschleiß führe. Des Weiteren könne sich der Kläger nicht mit Erfolg auf die Kausalitätsbeurteilung zu Gliedmaßenverlusten in Nr. 129 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) stützen. Seine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht (Az. B 9 V 9/09 B) nahm der Kläger später zurück.

Bereits am 12. November 2009 machte der Kläger eine Neufeststellung des Versorgungsanspruches u.a. wegen der Knie- und Knöchelbeschwerden links geltend und legte den Bericht des Klinikums Heidenheim vom 11. September 2009, das Attest des Orthopäden Dr. K. vom 17. August 2009, die fachorthopädische Bescheinigung des Dr. Sch. vom 20. Juli 2009 und den Bericht des Orthopäden Dr. R. vom 25. April 2009 vor.

Mit Bescheid vom 5. Juli 2010 lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag ab. Die Veränderungen im linken Kniegelenk und im linken Knöchelbereich seien nicht als Schädigungsfolgen zu werten, da es bisher nicht erwiesen sei, dass es durch einen Gliedmaßenverlust an der verbliebenen paarigen Gliedmaße zu Schäden (z.B. Arthrose) durch Überbelastung komme. Bei den erneut geltend gemachten Schädigungsfolgen handele es sich um altersbedingte degenerative Erkrankungen bzw. Nichtschädigungsleiden.

Der dagegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2010). Die nachfolgend geführte Klage beim SG (Az. S 5 VK 170/11) nahm der Kläger am 29. Juni 2012 zurück.

Am 8. Oktober 2013 beantragte der Kläger sinngemäß die Überprüfung des Bescheids vom 4. Januar 2007 und die Neufeststellung des Versorgungsanspruchs bzw. Gewährung der Beschädigtenversorgung, da seine im linken Knie bestehende Gonarthrose ursächlich auf die damalige Kriegsverletzung zurückzuführen sei. Er legte die fachorthopädische Bescheinigung des Dr. Sch. vom 19. September 2013 vor, wonach am linken Knie durch die jahrelange Fehlbelastung aufgrund der Unterschenkelamputation rechts eine erhebliche Gonarthrose entstanden sei. Nach dem weiter eingereichten Bericht des Universitätsklinikums Ulm vom 6. August 2013 könne die Valgusgonarthrose links als Folge der jahrzehntelangen Überlastung bei Zustand nach Unterschenkelamputation rechts gesehen werden.

Mit Bescheid vom 20. November 2013 teilte der Beklagte mit, dem Antrag des Klägers auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X könne nicht entsprochen werden. Der Kläger begehre mit seinem Antrag, die Gesundheitsstörung "Gonarthrose im linken Knie" als weitere Schädigungsfolge nach dem BVG anzuerkennen, damit ihm auch die Beschädigtenversorgung gewährt werden könne. Er führe sinngemäß im Wesentlichen aus, dass die sich im linken Kniegelenk gebildete Gonarthrose ursächlich auf die damalige Kriegsverletzung (Verlust des rechten Unterschenkels) zurückzuführen sei. Die Bescheide vom 4. Januar 2007 und 5. Juli 2010 seien jedoch rechtsverbindlich geworden. Ein Abweichen von der Bindung, d.h. eine Rücknahme dieser Bescheide, sei nur beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 SGB X möglich. Mit seinem Antrag habe der Kläger aber keine neuen Gesichtspunkte oder rechtserhebliche Tatsachen vorgebracht, die nicht schon bei Erteilung der genannten Bescheide bekannt gewesen seien; der Antrag des Klägers stütze sich vielmehr auf dasselbe Vorbringen, welches bereits Gegenstand der o.a. Entscheidung gewesen sei. Der hiergegen erhobene und nicht weiter begründete Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2014).

Dagegen hat der Kläger am 4. März 2014 Klage beim SG erhoben. Er hat angeführt, dass bei Erlass des Bescheides vom 4. Januar 2007 von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Ausweislich der damals heranzuziehenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit bei Gliedmaßenverlust komme die Annahme von Schäden an unversehrten Gliedmaßen in Folge einer Amputation dann in Betracht, wenn die Amputation zu einer lang dauernden und sehr ausgeprägten Fehlbelastung der "gesunden" Gliedmaße geführt habe. Gerade eine solche Fehlbelastung des linken Knies, welche z.B. durch die Unmöglichkeit des Tragens einer Prothese möglich sein könne, liege hier vor. Auf diese ausgeprägte Fehlbelastung des linken Kniegelenks bedingt durch die jahrzehntelangen und von Anfang an (seit 1945) bestehenden schwierigen Umstände sei im damaligen Verfahren unzureichend eingegangen worden. Vor allem sei im damaligen Verfahren nicht ausreichend geprüft worden, ob eine solche mangelhafte oder unmögliche Prothesenversorgung, welche eine lang dauernde und sehr ausgeprägte Fehlbelastung des gesunden Beines bedingt habe, als Schädigungsfolge am gesunden Bein bei Amputation angenommen werden könne. Seit dem Jahr 1945 seien bis heute ärztlich dokumentierte diagnostizierte Stumpfbeschwerden vorhanden, welche über das übliche Maß von Amputationsbeschwerden hinausgingen. Dass die Prothese aufgrund dessen schmerzbedingt nicht habe getragen werden können, sei aktenkundig, z.B. im Jahr 1964, im Jahr 1974 und im Jahr 1982. Auch habe er dies bereits im Jahr 1985 selbst beschrieben.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das SG ein orthopädisch/unfallchirurgisches Gutachten bei Dr. R. eingeholt. In dem Gutachten vom 29. Juni 2015 hat er angeführt, dass er zu den Gutachten von Dr. H. und Dr. B. keinerlei Abweichungen in der Bewertung habe. Maßgeblich sei dies der Tatsache geschuldet, dass weder der Kläger noch die behandelnden Ärzte nachweisen könnten, dass eine fehlende Belastbarkeit des rechten Beines/Stumpfes einen so überwiegenden Teil des Lebens des Klägers eingenommen habe, dass seine Situation der eines Betroffenen gleichkomme, der sein Leben lang keine belastbare amputierte Extremität gehabt hätte und somit immer die verbliebene komplett hätte belasten müssen. Außerdem sei die linksseitige Arthrose des Kniegelenks als altersentsprechend zu werten, übersteige in keinem Maße eine Degeneration, die dem Alter angemessen wäre, und habe sich durch vermeintliche Mehrbelastung auch nicht überdurchschnittlich fortgeschritten gezeigt.

Nachdem der Kläger noch ein Schreiben des Orthopäden Dr. Sch. vom 17. Juli 2015 vorgelegt hatte, wonach die Pangonarthrose am linken Knie sicher wesentlich durch die jahrelange Fehlbelastung bei Unterschenkelamputation rechts unterhalten werde, hat das SG nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 25. September 2015, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 5. November 2015, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die Kausalitätsbeurteilung zu Gliedmaßenverlusten in Nr. 129 AHP stützen könne. Sowohl Dr. H. als auch Dr. B. seien in ihren Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass seit Erlass des Bescheids vom 2. Mai 2006 keine wesentliche Änderung in den Schädigungsfolgen eingetreten sei. Dr. H. habe eine gegenüber rechts etwas eingeschränkte Beweglichkeit des linken Kniegelenks beschrieben. Die festgestellte fortgeschrittene Arthrose des linken Kniegelenks habe er jedoch nach dem gegenwärtigen Stand des ärztlichen Wissens und der Berücksichtigung der Literatur (einschließlich der Anhaltspunkte) nicht mit Wahrscheinlichkeit als Überlastungsschaden und damit als Schädigungsfolge betrachten können. Auch Dr. B. habe in seinem Gutachten bezüglich der von ihm festgestellten Protrusionscoxarthrose links, Gonarthrose links und Arthrose linkes Sprunggelenk ausgeführt, dass der Kläger immer mit einem Kunstbein versorgt gewesen sei, begleitende Gelenkkontrakturen nicht vorlägen und habe demzufolge die Anerkennung als Schädigungsfolge nicht empfehlen können. Auch das Gutachten des Prof. Dr. R. vom 25. September 2008 habe keine Abweichung zu den Vorgutachten gesehen. Dr. R. schließlich habe in seinem orthopädisch/unfallchirurgischen Gutachten ebenfalls mitgeteilt, es sei zu keiner wesentlichen Änderung der Schädigungsfolgen seit dem Bescheid vom 2. Mai 2006 gekommen. Bezüglich des linken Beines habe Dr. R. ausgeführt, dass die Zeiträume mit wechselnden Stumpfverhältnisse gepaart mit den konsekutiven Beschwerden und der teilweise fehlenden Gebrauchsfähigkeit und Belastbarkeit des Stumpfes nicht vergleichbar mit der Situation einer über das Leben nicht belastbaren Extremität mit vermehrter Belastung der kontralateralen Extremität seien. Diese Voraussetzungen, die in den AHP definiert seien, seien nicht erfüllt.

Am 25. November 2015 hat der Kläger beim LSG Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen auf seinen Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren verwiesen.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. September 2015 sowie den Bescheid vom 20. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Rücknahme des Bescheids vom 4. Januar 2007 die Gesundheitsstörungen im linken Knie als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen und Beschädigtenversorgung nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetztes zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass selbst der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. R. die linksseitige Arthrose als altersentsprechend und durch die vermeintliche Mehrbelastung auch nicht überdurchschnittlich fortgeschritten angesehen habe.

Die Senatsvorsitzende hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden, da die Berufung unbegründet sei. Den Beteiligten wurde Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakten beider Instanzen, die Gerichtsakten S 2 V 2182/07, L 6 V 1852/08 und S 5 VK 170/11, die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Schwerbehindertenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung nach § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, weil die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu dieser Verfahrensweise gegeben worden.

Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG) ist unbegründet. Der klägerische Antrag war dahingehend sachdienlich auszulegen, dass alleine der Bescheid vom 4. Januar 2007 vom Beklagten zurückgenommen werden soll, da darin erstmals die Anerkennung der Gesundheitsstörungen im linken Knie als (weitere) Schädigungsfolge abgelehnt worden war. Der Bescheid vom 5. Juli 2010 stellt insoweit nur eine wiederholende Verfügung dar.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 20. November 2013 und der Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2014 sind rechtmäßig. Denn der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, im Wege einer Überprüfungsentscheidung gemäß § 44 SGB X die bestandskräftige Entscheidung zur Frage der Anerkennung von Gesundheitsstörungen im linken Knie als weitere Schädigungsfolge, wie sie der Bescheid vom 4. Januar 2007 beinhaltet, aufzuheben und in der Sache erneut über diese Frage zu entscheiden.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 (141)). Auch wenn Betroffene, wie der Kläger, schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen (Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VG 5048/15 –, juris, Rz. 51).

Die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend indes nicht erfüllt. Der bestandskräftigen Entscheidung zur Frage, ob Gesundheitsstörungen im linken Knie als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen sind, wie sie der Bescheid vom 4. Januar 2007 beinhaltet, liegt keine unrichtige Sach- und Rechtsanwendung zugrunde.

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung durch - hier unstreitig bestehende - unmittelbare Kriegseinwirkung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG. Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.).

Die fortgeschrittene Arthrose des linken Kniegelenks ist nicht mit einer solchen Wahrscheinlichkeit als Überlastungsschaden und damit auch nicht als Schädigungsfolge zu betrachten. Nach dem überzeugenden Gerichtsgutachten des Dr. H., auf dem auch das Urteil des Senats vom 23. April 2009 (Az. L 6 V 1852/09) im Wesentlichen basiert, hat der Körper prinzipiell die Möglichkeit, durch Verstärkung der betroffenen Strukturen die Belastbarkeit zu erhöhen. Damit führt eine verstärkte Belastung nicht zwangsläufig zu Verschleiß. Schließlich konnte sich der Kläger nicht mit Erfolg auf die auch über den 31. Dezember 2008 hinaus als antizipierte Sachverständigengutachten weiter geltende Kausalitätsbeurteilung zu Gliedmaßenverlusten in Nr. 129 AHP stützen. Nach Nr. 129 Abs. 2 Satz 2 AHP kommt die Annahme von Schäden an unversehrten Gliedmaßen infolge einer Amputation allenfalls dann in Betracht, wenn die Amputation zu einer langandauernden und sehr ausgeprägten Fehlbelastung geführt hat, wie es beispielsweise bei Beinamputierten bei Unmöglichkeit, eine Prothese zu tragen, oder bei einer prothetisch nicht ausgleichbaren Hüftkontraktur der Fall seien kann. Dies ist beim Kläger jedoch nicht gegeben, wie Dr. B. in seinem Gutachten zutreffend ausgeführt hatte. Der Kläger war immer mit einem Kunstbein versorgt. Außerdem lagen begleitende Gelenkkontrakturen nicht bei ihm vor (vgl. Bl. 88 der SG-Akte S 2 V 2182/07). Auf die weiterhin zutreffenden Erwägungen im Senatsurteil vom 23. April 2009 (a. a. O.) wird ergänzend verwiesen.

Auch das Vorbringen im Klageverfahren zeigt keine neuen, bislang unberücksichtigten Tatsachen auf. Vielmehr verweist der Kläger darin auf die bereits bestehende Aktenlage aus den Jahren 1945 bis 1983 und die darin u.a. dokumentierte eingeschränkte Versorgungsqualität. Diese Aktenlage bestand schon bei Erlass der Behördenentscheidungen in den Bescheiden vom 4. Januar 2007 und vom 5. Juni 2010. Neue und unbekannte Tatsachen waren es also nicht. Außerdem wurde vom Gutachter Dr. B. die Stumpfproblematik und die dadurch eingeschränkte Gehfähigkeit ausdrücklich berücksichtigt (vgl. Bl. 73 der SG-Akte S 2 V 2182/07).

Auch der Sache nach kommt zur Überzeugung des Senats eine Anerkennung einer weiteren Schädigungsfolge im linken Knie nicht in Betracht.

Die Arthrose des linken Kniegelenks ist nicht mit Wahrscheinlichkeit als Überlastungsschaden und damit als Schädigungsfolge zu qualifizieren. Dies folgt für den Senat aus den insoweit übereinstimmenden gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. H., Dr. B., Dr. R. und Dr. R., letztere eingeholt auf Antrag des Klägers. Der Senat hat bereits entschieden, dass orthopädische Veränderungen an der nicht geschädigten Gliedmaße nach der herrschenden medizinischen Lehrmeinung nicht auf eine Überlastung zurückgeführt werden können, sondern Ausdruck von Abnutzungs- und Verschleißvorgängen sind (Urteil vom 29. April 2014 - L 6 VK 934/12 -, juris, Rz. 32 m. w. N.). Nachvollziehbar hat insbesondere Dr. H. darauf hingewiesen, dass der Körper auf eine verstärkte Belastung - hier des linken Knies aufgrund des Verlusts des rechten Unterschenkels - mit einer Verstärkung der betroffenen Strukturen und damit einer Erhöhung der Belastbarkeit reagiert, so dass die Arthrose des linken Kniegelenks auch nicht mit Wahrscheinlichkeit als Überlastungsschaden zu werten ist. In dem zuletzt eingeholten Gutachten bei Dr. R. wird sogar dargelegt, dass die Arthrose beim Kläger altersentsprechend ist und damit auch nicht durch eine vermeintliche Mehrbelastung fortgeschritten. Jedenfalls ist der Kläger nicht einer amputierten Person gleichzusetzen, die lebenslang keine Prothese getragen hat. Der Kläger war vielmehr immer mit einem Kunstbein versorgt gewesen und kam mit der Prothese anfangs auch relativ gut zurecht. Wenn in den 60iger Jahren die Belastbarkeit abgenommen und in den folgenden Jahrzehnten die Stumpfbeschwerden zugenommen haben sollten, hat der Kläger dennoch die Prothese weiter genutzt. Dies findet etwa in dem orthopädischen Gutachten von Dr. Sch. vom 27. Oktober 1988 (Bl. 743 ff. der Verwaltungsakte) Bestätigung, wonach der Kläger mit der Prothese ein sicheres und ordentliches Gangbild gezeigt habe und mit ihr gut zurecht gekommen sei. Insoweit sind die Voraussetzungen der Nr. 129 Abs. 2 Satz 2 AHP offensichtlich nicht erfüllt, da dort eine Fehlbelastung eines Beinamputierten mit Unmöglichkeit, eine Prothese zu tragen, verlangt wird. Eine Prothese konnte der Kläger - wenn auch mit zeitweisen Beschwerden - jedoch überwiegend tragen und hat so gerade nicht immer die verbliebene Extremität komplett belastet. Von einem Überlastungsschaden ist danach bei der Kniegelenksarthrose links nicht auszugehen, und sie kommt nicht als weitere Schädigungsfolge in Betracht.

Insgesamt ergeben sich also keine Anhaltspunkte, dass der Beklagte bei Erlass der Bescheide vom 4. Januar 2007 und vom 5. Juli 2010 das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG beruht.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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