S 15 KR 61/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 KR 61/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 128/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 818,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basis- zinssatz ab dem 30.04.2012 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Beklagte. Der Streitwert wird auf 818,11 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung von Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 818,11 EUR.

Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus (Hochschulklinik). Dort wurde der bei der Beklagten versicherte B. I., geb. 00.00.0000 (im Folgenden: Versicherter) vom 19.03.2012 bis zum 27.03.2012 wegen einer koronaren Zwei-Gefäßerkrankung behandelt. Während des Einsatzes eines Aorto-Coronaren-Venenbypasses (ACVB) erhielt er zwei Gaben Apherese-Thrombozytenkonzentrate (mit Apherese gewonnene Präparate vom Einzelspender – ATK). An kardiovaskulären Risikofaktoren bestanden eine arterielle Hypertonie, eine Fettstoffwechselstörung und Adipositas. Unter dem 03.04.2012 stellte die Klägerin der Beklagten für die stationäre Behandlung des Versicherten einen Gesamt-betrag von 12.775,82 EUR in Rechnung (DRG F06F). In diesem Betrag waren 818,11 EUR für die ATK-Gabe mit dem Zusatzentgelt (ZE) 84.02 enthalten. Die Beklagte beglich die Rechnung am 11.04.2012 bis auf einen Betrag von 818,11 EUR. Sie stellte die medizinische Erforderlichkeit der Gabe von ATK in Abrede und verwies auf die wirtschaftlichere Gabe von Poolprodukten (aus 4 – 5 Vollblutspenden gewonnene gepoolte Präparate – PTK).

Am 22.01.2013 hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 818,11 EUR erhoben. Sie trägt vor, die Notwendigkeit und Erforderlichkeit der stationären Krankenhausbehandlung sowie der Umfang der von ihr erbrachten Leistungen seien zwischen den Beteiligten unstreitig. Streitig sei allein die Verwendung von ATK anstelle von PTK. Die Preise für beide Produkte würden bundeseinheitlich in der Anlage 5 zur Fallpauschalenvereinbarung (FPV) verhandelt, wobei die Kosten für ATK (Zusatzentgelt 84) über denen von PTK (Zusatz-entgelt 94) lägen. Die von der Beklagten vorgetragenen Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte kämen dann zum Tragen, wenn verschiedene Behandlungsalternativen mit gleicher Qualität und Wirksamkeit der Leistungen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zur Verfügung ständen. Dies sei bei der Verwendung von PTK im Verhältnis zu ATK nicht der Fall. Das Risiko, Krankheitserreger zu übertragen, sei bei Poolprodukten im Vergleich zu Aphereseprodukten 4 – 6 mal höher. Nach einer aktuellen Risikomodellierung des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert-Koch-Instituts bezüglich des Risikos der Übertragung bekannter Erreger habe sich für HIV, Hepatitis C und Hepatitis B ein höheres Übertragungsrisiko durch PTK als durch ATK ergeben. Hinsichtlich einer HIV-Übertragung sei das Risiko für PTK-Empfänger 2,2-fach höher als für ATK-Empfänger. Bei Hepatitis C sei das Risiko 2,7-fach und bei Hepatitis B sogar 3,2-fach erhöht. Darüber hinaus bestehe bei Poolprodukten ein höheres Risiko der Allo- und Autoimmunisierung. Auch die Überlebenszeit der Thrombozyten von ATK sei besser als die von PTK. Damit unterschieden sich PTK und ATK sowohl hinsichtlich ihrer Qualität als auch ihrer Wirksamkeit und stellten im Verhältnis zueinander keine Behandlungsalter-native dar. Die Versorgung mit ATK entspreche darüber hinaus dem vom Bundes-gerichtshof (BGH) im Jahr 2000 geforderten Gebot der höchsten Sorgfalt in der Transfusionsmedizin.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 818,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 30.04.2012 zu zahlen.

Zu dem auf den 15.12.2016 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung ist für die Beklagte niemand erschienen. Die Beklagte hat schriftsätzlich auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt auch nach Überlassung der Patientenakte des Versicherten und Überprüfung durch ihren Sozialmedizinischen Dienst (SMD) bei der Auffassung, dass die Transfusion von ATK nicht indiziert und die Gabe von PTK ausreichend gewesen wäre. Eine Indikation zur ausschließlichen Transfusion von ATK, wie sie von der Klägerin praktiziert werde, sei nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht begründet. Nach der Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts zur Sicherheit von PTK und ATK vom 29.11.2011 seien beide in Deutschland zugelassenen Thrombozytenkonzentrate für die Versorgung der Patienten sicher und erforderlich. Lediglich bei hämatologisch/onkologisch erkrankten Versicherten, die auf eine längerfristige Thrombozytentransfusion oder eine Knochenmarkstransplantation angewiesen seien, werde wegen des potentiell erhöhten Risikos der Alloimmunisierung die Gabe von ATK ausnahmslos vergütet. Der gegen-wärtige Stand der wissenschaftlichen Forschung könne einen klinisch relevanten Vorteil der ATK gegenüber PTK nicht eindeutig nachweisen, so dass eine generelle Transfusion von ATK nicht für zwingend erforderlich gehalten werde. Vorliegend sei die Thrombo-zytentransfusion im Rahmen einer herzchirurgischen Operation bei initial normalem Blutbild und normaler Knochenmarksreserve erfolgt. Das Zusatzentgelt ZE 84.02 sei daher nicht abrechenbar.

Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes zunächst eine schriftliche Stellungnahme vom Paul-Ehrlich-Institut bezüglich neuerer wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse zur Sicherheit von ATK und PTK eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf die Antwort des Paul-Ehrlich-Instituts vom 18.06.2014 verwiesen. Sodann ist die Stellung-nahme des Arbeitskreises Blut vom 31.03.2015 zur Bewertung von Apherese- und Pool-Thrombozytenkonzentraten nebst den dazugehörigen wissenschaftlichen Erläuterungen beigezogen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten – insbesondere das vom Sozialgericht Mainz (S 16 KR 580/13) eingeholte transfusionsmedizinische Sachverständigengutachten vom 20.07.2015 –, den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und den der beigezogenen Patienten-akten der Klägerin betreffend den Versicherten B. I. Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren, soweit von Bedeutung, Gegenstand der einseitigen mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Obwohl die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, konnte die Kammer eine die Instanz abschließende Entscheidung durch Urteil aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung treffen, da die Beteiligten in der Ladung ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind. Zudem hat die Beklagte schriftsätzlich auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet.

Die Klage ist zulässig.

Die Klage eines Krankenhausträgers wie der Klägerin auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse ist ein Beteiligtenstreit im Gleich-ordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen ist und keine Klagefrist zu beachten ist (vgl. BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3; BSG, Urteil vom 10.04.2008 – B 3 KR 19/05 R in SozR 4-2500 § 39 Nr. 12 m.w.N.).

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von weiteren 818,11 EUR für die stationäre Behandlung des Versicherten in der Zeit vom 19.03.2012 bis zum 27.03.2012.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 SGB V i.V.m. dem aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgenden Krankenhausbehandlungsanspruch des Versicherten. Die näheren Einzelheiten über Entgelte sowie die Überprüfung der Notwen-digkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung des Versicherten und die Abrechnung der Krankenhausbehandlung ist in den zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen einerseits und verschiedenen Krankenkassen sowie Landesverbänden der Krankenkassen andererseits geschlossenen Verträgen nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V geregelt. Dies sind der zwar gekündigte, aber in der Übergangszeit bis zum Abschluss eines neuen Vertrages weiter angewandte Vertrag über "Allgemeine Bedingun-gen der Krankenhausbehandlung" (KBV) und der Vertrag zur "Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung" (KÜV).

Sowohl die Erforderlichkeit der stationären Krankenhausbehandlung als auch die Verweil-dauer sowie der Umfang der von der Klägerin erbrachten Leistungen – einschließlich der Gabe von Thrombozytenkonzentraten – sind zwischen den Beteiligten nicht streitig. Umstritten ist ausschließlich, ob die Gabe der beiden Apherese-Thrombozytkonzentrate gerechtfertigt war oder aber die kostengünstigere Verabreichung von Poolprodukten ausgereicht hätte. Entsprechend hat die Beklagte auch die Rechnung der Klägerin vom 03.04.2012 bis auf den Betrag von 818,11 EUR (ZE 84.02) beglichen.

Die Abrechnung des Zusatzentgelts ZE 84.02 für die Behandlung des Versicherten durfte nur erfolgen, wenn die Gabe der beiden ATK erforderlich war. Ein Krankenhaus hat stets, auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen, einen Ver-gütungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur für eine erforderliche, wirtschaftliche Krankenhausbehandlung (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 62/12 R – SozR 4-2500 § 12 Nr. 4). Bei unwirtschaftlicher Behandlung des Versicherten kann die Klägerin allenfalls die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit erfordert, dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger, ausreichender und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind (BSG, Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 2/15 R – SozR 4-2500 § 39 Nr. 23 m.w.N.). Die Wirtschaftlichkeit einer Krankenbehandlung beurteilt sich bezogen auf das jeweilige nach § 27 SGB V zulässige Behandlungsziel nach ihrer Eignung, ihrem Ausreichen und ihrer Notwendigkeit aus allein medizinischen Gründen sowie bei mehreren gleich geeigneten, ausreichenden und not-wendigen Behandlungen nach ihren Kosten für die Krankenkasse.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Gabe der ATK in diesem Sinne nicht unwirtschaftlich. Bislang liegen nämlich keine gesicherten Daten vor, die belegen, dass ATK und PTK im operativen Bereich gleich geeignet sind. In dem vom SG Mainz eingeholten transfusionsmedizinischen Gutachten wird überzeugend ausgeführt, dass die wenigen Daten zu den Thrombozytenkonzentraten nahezu ausschließlich bei hämato-onkolo-gischen Patienten erhoben worden sind und nicht ohne weiteres auf blutende oder blutungsgefährdete chirurgische Patienten übertragen werden können. Entsprechend kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass ohne sehr große multizentrische doppeltblind geführte Kontrollstudien, wie sie weder für Thrombozytenkonzentrate bei speziellen operativen Fällen noch im Vergleich mit unterschiedlich hergestellten Thrombozytenkonzentraten vorliegen, weder generell verlässliche Transfusionsempfehlungen ausgesprochen noch eine medizinisch sichere Einzelfallentscheidung getroffen werden könne. Aufgrund der gerade im operativen Bereich sehr heterogenen Krankheitsverläufe sei es bei der bestehenden Datenlage völlig unmöglich zu behaupten, dass die Gabe von gepoolten Thrombozytenkonzentraten ausreichend sei. Solange keine großen, statistisch abgesicherten Nicht-Unterlegenheits-Studien hinsichtlich Thrombozytenfunktion einschließlich blutstillender Wirkung sowie Nebenwirkungsraten vorlägen, sollten ATK als Goldstandard bei der Therapie von blutenden Patienten eingesetzt werden. Auch der Arbeitskreis Blut des Bundesministeriums für Gesundheit kommt in seiner bei der 79. Sitzung verabschiedeten Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit keine prospektiv-randomisierten Studien zu einer gleichwertigen oder unterschiedlichen therapeutischen Wirksamkeit von PTK und ATK vorliegen. Aufgrund der Hämovigilanzdaten seien beide Produkte als wirksam und sicher anzusehen. Die beiden Produkte seien jedoch nicht gleichartig und damit nicht ohne weiteres austauschbar. Es obliege dem behandelnden Arzt im Rahmen seiner Therapieverantwortung, die entsprechend geeigneten Produkte auszuwählen. Diese vom behandelnden Arzt eigenverantwortlich zu treffende Entscheidung ist nach Auffassung der Kammer bei der bestehenden Datenlage im Nachhinein nicht justiziabel.

Diesem Ergebnis steht die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.03.2015 (a.a.O.) nicht entgegen. Zwar hat das BSG ausgeführt, Apherese-Thrombozyten-konzentrate seien nur dann medizinisch notwendig, wenn bestimmte – hier nicht gegebene – Besonderheiten in der Person des Patienten vorlägen wie eine Autoimmuni-sierung gegen HLA Klasse I Antigene und HPA-Antigene sowie bei Refraktärität gegenüber Thrombozytentransfusionen, d.h. zweimalig ausbleibender Thrombozyten-anstieg auf AB0 kompatible Thrombozytenkonzentrate nach Ausschluss nicht immunologischer Ursachen wie Fieber, Sepsis, Splenomegalie, Verbrauchskoagulopathie und chronischem Lebervenenverschluss. Hierbei hat sich das BSG jedoch ausschließlich auf die revisionsrechtlich bindenden (vgl. § 163 SGG) Feststellungen der Vorinstanz (LSG für das Saarland, Urteil vom 22.08.2012 – L 2 KR 39/09 –, juris) gestützt. Das LSG für das Saarland hat nach Beweiserhebung und Auswertung der zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ausgeführt, dass es im Jahr 2008 bei der nicht immunisierten Patientin in Bezug auf Risiko und Wirksamkeit nicht medizinisch indiziert gewesen sei, alleine Apheresekonzentrate zu verabreichen. Ob es künftig sinnvoll oder gar zu empfehlen sein könne, auf Einzelspenderpräparate zurückzugreifen, sei nicht entscheidungserheblich.

Hinzukommt, dass auch bei der Gabe von zwei Poolpräparaten zusätzliche Kosten angefallen wären, die die Beklagte bislang nicht beglichen hat. Denn nach der Liste der bundeseinheitlichen Zusatzentgelte für das Jahr 2012 ist die Gabe von zwei Pool-Thrombozytenkonzentraten mit dem Zusatzentgelt ZE 94.01 in Höhe von 496,84 EUR zu vergüten.

Der Anspruch auf Zahlung von Zinsen auf den Betrag von 818,11 EUR in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 30.04.2012 beruht auf § 15 Abs. 1 KBV-NRW i.V.m. § 288 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts stützt sich auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 47, 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
Rechtskraft
Aus
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