L 5 KA 73/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KA 7127/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 73/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.01.2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen seine Suspendierung von der persönlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit.

Der Antragsteller ist seit 01.04.1991 als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Bezirk der Antragsgegnerin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Schreiben vom 03.11.2016, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 09.11.2016, teilte die Staatsanwaltschaft H. der Antragsgegnerin mit, gegen den Antragsteller werde zum wiederholten Male ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Medizinproduktegesetz (Az. Js 1 /16 und Js 2 /16) geführt, nachdem Kontrollen seiner Praxis durch das Regierungspräsidium St. am 05.11.2015 und am 18.07.2016 jeweils zu Beanstandungen geführt hätten.

Mit Schreiben vom 23.11.2016 beantragte die Antragsgegnerin beim Beigeladenen, die Zulassung des Antragstellers in vollem Umfang zu entziehen. Mit Schreiben vom 30.11.2016 gab der Beigeladene dem Antragsteller gemäß § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Gelegenheit, bis zum 31.12.2016 eine schriftliche Stellungnahme einzureichen.

Ohne vorherige Anhörung suspendierte die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs vorläufig von der persönlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit Bescheid vom 28.11.2016 bis zur Entscheidung durch den Berufungsausschuss über ihren Antrag auf Zulassungsentziehung. Zur Begründung wurde ausgeführt, in der Person des Antragstellers lägen wichtige Gründe gegen seine weitere vertragsärztliche Tätigkeit sowie eine hiervon ausgehende Gefährdung für die ärztliche Versorgung der Versicherten vor. Die getroffenen Feststellungen des Regierungspräsidiums St. wiesen auf gravierende Mängel hin. Bei den Praxisbegehungen am 05.11.2015 und 18.07.2016 seien in der Praxis des Antragstellers zahlreiche Missstände festgestellt worden. Es handele sich um schwerwiegende Fehler in der Organisation, der Durchführung der Aufbereitung der Lagerung von kritisch bzw. semikritisch einzustufenden Medizinprodukten sowie um Mängel bei der Bevorratung von sterilen Einmalprodukten. Die Praxis entspreche nicht im mindesten den aktuellen Anforderungen an Hygiene. Aus den Feststellungen des Regierungspräsidiums St. werde deutlich, dass dem Antragsteller die grundlegenden und seit Jahren gültigen Standards nicht bekannt seien oder von ihm nicht umgesetzt würden. Für die Antragsgegnerin bestehe kein Zweifel, dass die Aufbereitung keimarm oder steril zur Anwendung kommender Medizinprodukte nach wie vor von ihm bzw. den von ihm zu überwachenden Mitarbeiterinnen nur mangelhaft vorgenommen werde. Dieses Verhalten sei vor dem Hintergrund der vom Regierungspräsidium erteilten Hinweise und Vorgaben hinsichtlich der Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbewahrung von Medizinprodukten unverständlich. Im Hinblick auf die durch das Regierungspräsidium vorgefundenen Missstände liege es auf der Hand, dass es bei der Nichteinhaltung der maßgebenden Vorschriften des Medizinproduktegesetzes zu einer Gesundheitsgefährdung für Patienten kommen könne. Diese könne sich jederzeit realisieren, weshalb ein sofortiges Handeln ihrerseits, der Antragsgegnerin, angebracht und erforderlich sei. Es werde die sofortige Vollziehung der Suspendierung angeordnet, da aufgrund des Verhaltens des Antragstellers durch eine weitere Tätigkeit eine Gefährdung der ärztlichen Versorgung der Versicherten bestehen könne. Ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung im Zulassungsentziehungsverfahren durch den zuständigen Berufungsausschuss sei wegen fortbestehender Gefährdung für die ärztliche Versorgung der Versicherten unzumutbar. Der Schutz der Patienten vor Gesundheitsrisiken gebiete es, dem Antragsteller die persönliche Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit sofort zu untersagen. Bei der Gesundheit der Patienten handele es sich um ein überragend wichtiges Gut, das Vorrang vor sämtlichen anderen Gütern, insbesondere vor den wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers, genieße.

Am 16.12.2016 legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde.

Darüber hinaus stellte der Antragsteller am 20.12.2016 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) einen Antrag auf Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung. Es fehle bereits an einer Ermächtigungsgrundlage für § 3 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin. Über die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung habe nicht – und auch nicht vorläufig – die Antragsgegnerin zu entscheiden, sondern der Zulassungsausschuss. Dieser könne, sofern erforderlich, einen Zulassungsentzug auch mit Sofortvollzug versehen, wenn eine Patientengefährdung drohe. Weder § 95 Sozialgesetzbuch Fünfte Buch (SGB V) noch die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) räumten den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) die Befugnis ein, die Zulassung – und sei es nur zeitweise – zu suspendieren. Der Antragsgegnerin stehe auf der Grundlage ihrer Disziplinarordnung gleichzeitig ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung, um auf Verstöße zu reagieren. Der angegriffene Bescheid lasse in keiner Weise erkennen, weshalb es nicht möglich gewesen sei, bis zu einer Entscheidung des Zulassungsausschusses zuzuwarten. Der Zulassungsausschuss könne, sofern eine Notwendigkeit bestehe, sehr zeitnah tagen und einen Sofortvollzug der Zulassungsentziehung anordnen. Es sei nicht einmal ersichtlich, ob die Antragsgegnerin versucht habe, eine zeitnahe Entscheidung herbeizuführen. Darüber hinaus lägen aber auch die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin nicht vor. Eine konkrete Schädigung von Patientinnen habe nie stattgefunden und werde auch weder vom Regierungspräsidium noch von der Antragsgegnerin behauptet. Nach der ersten Begehung durch das Regierungspräsidium seien alle aufbereiteten Instrumente in den Lagerraum der Praxis verbracht worden, in dem sich die alten Instrumente des Praxisvorgängers bereits in Kassetten befunden hätten. Nach der ersten Begehung habe er, der Antragsteller, komplett auf Einmalprodukte umgestellt. Das Regierungspräsidium habe bei seiner zweiten Begehung auch nur noch Einmalprodukte in den Behandlungsräumen angetroffen. Die bei der zweiten Begehung beanstandeten Instrumente hätten sich ausnahmslos im Lagerraum befunden und seien nicht zur Behandlung vorgesehen gewesen. Zwischenzeitlich habe er, um jegliche Diskussion zu vermeiden, die alten Instrumente vollständig aus der Praxis entfernt. Ein Qualitätshandbuch liege nun auch in ausgedruckter und nicht nur in elektronischer Form vor. Die Kreisvorsitzende Ärztin habe am 17.12.2016 seine Praxisräume persönlich in Augenschein genommen. Sie habe sich vergewissert, dass in den Schubladen der Behandlungsräume keine verfallenen Einmalprodukte vorgehalten würden. Des Weiteren habe sie keine aus ihrer Sicht bedenklichen Hygienezustände feststellen können. Ein wichtiger Grund für eine Suspendierung könne nur dann bestehen, wenn ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung des Zulassungsausschusses die Patientensicherheit gefährden würde. Die Antragsgegnerin habe keinerlei eigene Ermittlungen angestellt. Sie habe es nicht einmal für notwendig erachtet, ihn, den Antragsteller, vor ihrer Entscheidung anzuhören. Damit habe sie den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 20 SGB X grob verletzt. Die Entscheidung verletze evident den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ergänzend legte der Antragsteller zwei eidesstattliche Versicherungen seiner Mitarbeiterinnen vor.

Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen. § 3 Abs. 3 ihrer Satzung überschreite nicht den gesetzlich vorgegebenen Rahmen für Satzungen der KVen. Dies habe das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (BW) bereits vor Jahren hinsichtlich einer nahezu wortgleichen Vorgängerregelung entschieden (vgl. LSG BW, Urteil vom 25.09.1985, - L 1 Ka 2353/85 -, in MedR 1986S. 85ff.). In der Person des Antragstellers lägen nach wie vor wichtige Gründe gegen dessen weitere vertragsärztliche Tätigkeit sowie eine hiervon ausgehende Gefährdung für die ärztliche Versorgung der Versicherten vor. Insbesondere könne sich der Antragsteller nicht mit Erfolg darauf berufen, es habe nie eine konkrete Schädigung von Patientinnen stattgefunden. Auf eine solche komme es vorliegend nicht an. Sie solle vielmehr gerade verhindert werden. Der Antragsteller könne sich auch nicht auf fehlende Sachverhaltserhebungen durch sie, die Antragsgegnerin, berufen. Sie könne sich sehr wohl auf die umfassenden und überzeugenden Ausführungen der für Hygienemängel zuständigen Behörde sowie der Polizei verlassen. Ebenso wenig könnten die beiden wortgleichen eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiterinnen des Antragstellers, die ohnehin nur im Wesentlichen dessen Vorbringen wiederholten, etwas ändern. Das gleiche gelte hinsichtlich der kreisvorsitzenden Ärztin, die für die Beurteilung von Hygienemängel nicht zuständig sei und damit nicht die Inspektionen und Beurteilungen der hierfür zuständigen Behörde ersetzen könne. Trotz diverser Versprechen des Antragstellers seien im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung am 17.11.2016 abermals Verstöße gegen das Medizinprodukterecht festgestellt worden.

Mit Beschluss vom 20.12.2016 lud das SG den Z. f. Ä. zum Verfahren bei. Der Beigeladene stellte keinen Antrag. Er teilte allerdings mit, er werde voraussichtlich in seiner nächsten und ersten Sitzung im Jahr 2017, am 08. bzw. 09.02.2017, über den Antrag auf Entziehung der Zulassung des Antragstellers mündlich verhandeln.

Mit Beschluss vom 04.01.2017 ordnete das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16.12.2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.11.2016 über die Suspendierung von der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung an. Der Bescheid vom 28.11.2016 sei rechtswidrig; am sofortigen Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides bestehe kein öffentliches Interesse. Die Antragsgegnerin sei nicht berechtigt, den Antragsteller länger als bis zu einer Entscheidung des Zulassungsausschusses über die von ihr beantragte Entziehung der Zulassung zu suspendieren. Die in § 3 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin geregelte Suspendierung von der persönlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit lasse den Zulassungsstatus zwar unberührt. Ansonsten aber komme sie in ihren Wirkungen einer vorübergehenden Entziehung der Zulassung gleich. In beiden Fällen dürften keine vertragsärztlichen Leistungen erbracht und für dennoch erbrachte Leistungen kein Honorar beansprucht werden. Sie sei keine Disziplinarmaßnahme, denn sie ziele nicht darauf ab, den Betroffenen zur Erfüllung seiner vertragsärztlichen Pflichten anzuhalten. Zumindest im vorliegenden Fall bezwecke die Antragsgegnerin, die vertragsärztliche Tätigkeit des Antragstellers als solche zu unterbinden, wobei die Suspendierung im vorliegenden Fall nur vorübergehend erfolge. Bis zur Entscheidung der hierzu berufenen Gremien könne es geboten sein, vorläufige Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspreche. Sobald der Zulassungsausschuss allerdings entschieden habe, sei für eine solche Maßnahme kein Raum mehr. Als Behörde im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne auch der Zulassungsausschuss – und nicht erst der Berufungsausschuss – die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung anordnen. Auch vorläufige Maßnahmen fielen darum ab der Entscheidung des Zulassungsausschusses ausschließlich in dessen Kompetenz bzw. diejenige des Berufungsausschusses. Soweit die Antragsgegnerin die Suspendierung über die Entscheidung des Zulassungsausschusses hinaus bis zur Entscheidung des Berufungsausschusses verfügt habe, überschreite sie ihre Zuständigkeit. Darüber hinaus sei der angefochtene Bescheid auch formell rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin den Antragsteller vor seinem Erlass nicht angehört habe, obwohl sie hierzu nach § 24 Abs. 1 SGB X verpflichtet gewesen wäre. Dies gelte umso mehr, wenn die beabsichtigte Maßnahme – wie hier – einschneidend in die Grundrechte des Betroffenen eingreife. § 41 SGB X regele lediglich die Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern; diese Norm berechtige die zuständige Behörde nicht, im Hinblick auf die dort eröffnete Möglichkeit der nachträglichen Heilung unter Missachtung des § 24 Abs. 1 SGB X von einer Anhörung abzusehen (vgl. LSG BW, Beschluss vom 28.12.2011 – L 13 AL 4778/11 NZB –, in juris). Gründe, die zu einem Absehen von der Anhörung berechtigt hätten, lägen auch nicht vor. Gefahr im Verzug oder ein öffentliches Interesse, ohne Anhörung sofort zu entscheiden, seien nicht erkennbar (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X). Gegen eine derartige Dringlichkeit spreche bereits, dass das Regierungspräsidium St. die Praxis des Antragstellers seit November 2015 überwache, ohne dass es zu einer ordnungsbehördlichen Maßnahme gekommen wäre. Jedenfalls sei die Antragsgegnerin am 09.11.2016 über das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft H. unterrichtet worden. Der Bescheid datiere vom 28.11.2016. Innerhalb dieser Zeitspanne wäre eine Anhörung möglich gewesen. Der Verstoß gegen die Anhörungspflicht sei auch nicht gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden. Die Heilungsmöglichkeit schließe die Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht aufgrund einer fehlenden Anhörung nicht aus. Maßgeblich sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Einstweilige Maßnahmen könne das Gericht nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG auf Antrag selbst ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage jederzeit ändern oder aufheben (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 86b, Rn. 20), erst recht im Falle einer Änderung.

Der Beschluss wurde der Antragsgegnerin am 04.01.2017 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.

Hiergegen richtet sich die am 10.01.2017 zum LSG erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihre Argumentation aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Entgegen der Ansicht des SG überschreite sie mit der Anordnung der Suspendierung bis zur Entscheidung des Berufungsausschusses nicht ihre Zuständigkeit. Insoweit widerspreche die Entscheidung des SG der Rechtsprechung des LSG (Urteil vom 25.09.1985 - L 1 Ka 2353/85 -). Dieses habe bereits hinsichtlich einer nahezu wortgleichen Vorgängerregelung entschieden, dass es im Regelfall zulässig sei, eine Suspendierung entsprechend der Satzung bis zur Entscheidung durch den Berufungsausschuss auszusprechen. Unabhängig davon sei die Entscheidung des SG aber auch widersprüchlich. Dieses ordne im Tenor die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an. Gleichzeitig führe es in den Entscheidungsgründen aus, dass sie, die Antragsgegnerin, erst dann ihre Zuständigkeit überschreite, indem sie die Suspendierung über die Entscheidung des Zulassungsausschusses hinaus bis zur Entscheidung des Berufungsausschusses verfüge. Ebenso wenig zutreffend seien die Ausführungen des SG, der angefochtene Bescheid sei auch formell fehlerhaft. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X könne gerade von einer Anhörung abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheine. Die vom SG geforderte Anhörung hätte zu einer Verzögerung der Entscheidung der Antragsgegnerin und zu weiteren Gesundheitsgefährdungen von Patienten geführt. Weiter unabhängig davon könne nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt werden. Somit könne der angefochtene Bescheid, entgegen der Ausführungen des SG, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht offensichtlich rechtswidrig und damit aufzuheben sein. Das Widerspruchsverfahren könne hierbei auch eine Anhörungsverletzung heilen. Gleichzeitig seien auch die Voraussetzungen von § 3 Abs 3 der Satzung der Antragsgegnerin erfüllt. In der Person des Antragstellers lägen nach wie vor wichtige Gründe gegen dessen weitere vertragsärztliche Tätigkeit sowie eine hiervon ausgehende Gefährdung für die ärztliche Versorgung der Versicherten vor. Insbesondere könne sich der Antragsteller insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, es habe nie eine konkrete Schädigung von Patientinnen stattgefunden. Auf eine solche komme es vorliegend nicht an. Vielmehr solle eine solche gerade verhindert werden, indem bereits bei Vorliegen einer entsprechenden Gefährdung der Patientinnen die weitere vertragsärztliche Tätigkeit des Antragstellers untersagt werde. Eine massive Gefährdung ergebe sich auf Grund der Praxisbegehungen am 05.11.2015 und 18.07.2016 durch Mitarbeiter des Regierungspräsidiums St. sowie der polizeilichen Durchsuchung am 17.11.2016.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.01.2017 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 16.12.2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.11.2016 abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zutreffend habe das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet. Für die Regelung des § 3 Abs. 3 der Satzung fehle es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Auch eine Ermächtigung kraft Aufgabe komme nicht in Betracht, da eine Suspendierung der Zulassungsentziehung gleichzusetzen sei, die dem Zulassungsausschuss übertragen sei. Zumindest aber sei nach der Entscheidung des Zulassungsausschusses kein Raum mehr für eine Suspendierung. Darüber hinaus sei aber auch der Tatbestand des § 3 Abs. 3 der Satzung nicht erfüllt. Es liege weder ein wichtiger Grund noch eine Gefährdung durch eine weitere Tätigkeit vor. Auch sei das Ermessen nicht ausgeübt worden. Ergänzend wurde durch den Antragsteller der Bericht der Q. GmbH vom 03.02.2017 über die Begehung der Praxisräume vorgelegt, wonach keine gravierenden Mängel entdeckt worden seien.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und auch keine Stellungnahme abgegeben. Die Antragsgegnerin und der Antragsteller haben darüber informiert, dass der Beigeladene in der Sitzung am 08.02.2017 dem Antragsteller die Zulassung entzogen und den Sofortvollzug angeordnet hat. Die Entscheidung ist dem Antragsteller in der Sitzung mündlich bekannt gegeben worden. Der Bescheid liegt dem Antragsteller bis heute (22.02.2017) nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des SG im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz sowie die Akte des LSG und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gem. §§ 172 ff. SGG statthaft, insbesondere nicht gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, und auch sonst zulässig.

Nachdem der Zulassungsausschuss am 08.02.2017 dem Antragsteller die Zulassung entzogen, den Sofortvollzug angeordnet, die Entscheidung bekannt gegeben und der Antragsteller bis zu diesem Zeitpunkt weiter vertragsärztlich tätig war, ist im vorliegenden Verfahren lediglich noch zu entscheiden, ob die Antragsgegnerin berechtigt war, die Suspendierung über die Bekanntgabe der Entscheidung des Zulassungsausschusses hinaus bis zur Entscheidung durch den Berufungsausschuss anzuordnen (zur Bekanntgabe vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 26.04.2005, - L 4 KA 13/05 ER -, in juris). Die Suspendierung bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses hat sich insoweit erledigt. Allein durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zulassungsentziehung hat sich der vorliegende Rechtsstreit allerdings nicht in seiner Gesamtheit erledigt. Vielmehr ist die Suspendierung als eigenständige Verfügung zur Untersagung der vertragsärztlichen Tätigkeit einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz weiter zugänglich.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Vorläufiger Rechtsschutz ist hier gem. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft. Gem § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in Fällen, in denen die Behörde - wie vorliegend der Antragsgegner auf der Grundlage von § 97 Abs. 4 SGB V - die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung angeordnet hat, die aufschiebende Wirkung des hiergegen gerichteten Widerspruchs wiederherstellen (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl, § 86b Rn 5 mwN). Welche Voraussetzungen hierfür erforderlich sind, ist im Gesetz selbst nicht geregelt. Nach allgemeiner Auffassung (vgl zB Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl, § 86b Rn 12i; Wahrendorf in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 86b Rn 114; vgl auch LSG BW, Beschluss vom 16.07.2012, - L 3 KA 48/12 B ER -, in juris) ist aber anerkannt, dass zunächst - in formeller Hinsicht - zu prüfen ist, ob die behördliche Vollstreckungsanordnung hinreichend begründet worden ist. Ist dies nicht der Fall, ist bereits aus diesem Grunde die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen (im Folgenden: 1.). Dies gilt auch, wenn die sich anschließende summarische Prüfung der Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Verwaltungsakts ergibt, dass dieser rechtswidrig sein dürfte (2.). Ist der Bescheid dagegen voraussichtlich als rechtmäßig anzusehen, muss weiter geprüft werden, ob übergeordnete öffentliche oder private Interessen es erfordern, den Verwaltungsakt bereits jetzt zu vollziehen, hiermit also nicht - als Folge der grundsätzlichen aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels, § 86a Abs 1 S 1 SGG - bis zur (rechtskräftigen) Entscheidung der Hauptsache zu warten (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18.11.2015, - L 3 KA 105/15 B ER, in juris).

1. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.11.2016 ist nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass es sich bei der Anordnung des Sofortvollzugs um einen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsausübung des Antragstellers handelt und deshalb insoweit hohe Anforderungen zu stellen sind. Diese hat sie als erfüllt angesehen, weil ohne Anordnung des Sofortvollzugs das Patientenwohl gefährdet wäre. Dabei hat sie die herausragende Bedeutung dieses Gemeinschaftsguts betont und hervorgehoben, dass es gerade im sensiblen Bereich der Behandlung erkrankter Patienten nicht vorstellbar sei, die vom behandelnden Arzt und seiner Tätigkeit im hohen Maße abhängigen Patienten durch den Antragsteller weiter betreuen zu lassen.

2. Die im Bescheid vom 28.11.2016 angeordnete Suspendierung stellt sich jedoch als rechtswidrig dar.

a) Rechtsgrundlage für die von der Antragsgegnerin vorgenommene Suspendierung von der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ist § 3 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin, Danach ist die Antragsgegnerin berechtigt, einen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt von der persönlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit bis zur Entscheidung durch den Berufungsausschuss vorläufig zu suspendieren, wenn in der Person des Arztes wichtige Gründe gegen seine weitere vertragsärztliche Tätigkeit vorliegen und durch die weitere Tätigkeit eine Gefährdung für die ärztliche Versorgung der Versicherten bestehen könnte. Die Praxis kann in solchen Fällen vorbehaltlich der Entscheidung durch den Zulassungsausschuss durch einen Vertreter verwaltet werden, der hinsichtlich ärztlicher Tätigkeit und Abrechnung der KVBW gegenüber wie ein an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmender Arzt verantwortlich ist.

Der Senat teilt die Bedenken des SG hinsichtlich der Anordnung der Suspendierung bis zur Entscheidung des Berufungsausschusses. § 81 SGB V regelt den Inhalt der Satzung in der Weise, dass ein Mindestinhalt vorgeschrieben und insoweit auch die Grenzen der Regelungsbefugnis festgelegt werden. Daraus folgt einerseits, dass zusätzliche Regelungen nicht ausgeschlossen sind. Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass andererseits die Grundsätze, nach denen der Gesetzgeber die vorgeschriebenen Satzungsbestandteile in¬haltlich begrenzt hat, auch bei Bestimmungen zu beachten sind, die zusätzlich zum vorge¬schriebenen Inhalt aufgenommen werden. § 81 SGB V enthält keine ausdrückliche Bestim¬mung über die Suspendierung eines Kassenarztes bis zur Entscheidung durch den Berufungsausschuss. Ob die Sat¬zung eine Suspendierung durch die KV daher zulassen darf, muss folglich unter Berücksichtigung der sonstigen einschlägigen Regelungen des SGB V beurteilt werden. Da¬bei ist zu beachten, dass die Entscheidung über die Zulassung eines Kassenarztes nicht der Antragsgegnerin, sondern gemäß § 95 SGB V einem besonderen Zulassungsausschuss übertragen ist, der sich aus Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl zusammensetzt. Das Gesetz schließt jedoch Entscheidungen der KVen über das Ru¬hen der Zulassung damit nicht schlechthin aus. Nach § 81 Abs. 4 SGB V müssen ihre Satzungen vielmehr u.a. Bestimmungen enthalten über die Befugnisse gegenüber Mitgliedern, die ihre kas¬senärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere gegen die für sie verbindlichen vertraglichen Bestimmungen und Richtlinien verstoßen oder unrichtige Bescheini¬gungen oder Berichte über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit erteilen. Diese Befugnisse um¬fassen auch die Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu sechs Monaten. Dies zeigt, dass mindestens im disziplinarischen Bereich auch die KVen zu Entscheidungen berufen sind, durch welche die Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit zeitweise untersagt wird.

§ 3 Abs. 3 der Satzung der Beklagten betrifft freilich nicht den Disziplinarbereich, sondern stellt eindeutig eine vorläufige Maßnahme im Zusammenhang mit der Entziehung der Zulassung dar. Damit ist sie auch hinsichtlich der Zuständigkeit zunächst eher dem Beigeladenen als der Antragsgegnerin zuzuordnen. Damit ist der Antragsgegnerin allenfalls eine Kompetenz zur vorübergehenden Regelung bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses zuzuerkennen. Der Senat übersieht hierbei keineswegs, dass im Bereich des § 3 Abs 3 der Satzung der Unterschied zwischen Suspendierung, Disziplinarmaßnahmen und der Entscheidung über die Entziehung der Zulassung nicht überbewertet werden darf; Sachverhalte, auf die Disziplinarmaßnahmen gestützt werden können, rechtfertigen vielfach auch die Entziehung der Zulassung. Zum anderen sind die KVen wegen ihrer Sachnähe eher zum Erlass von Notmaßnahmen befähigt als die Zulassungsausschüsse. Die Zulassungsausschüsse sind für ihre Entscheidungen weitgehend auf Informationen durch die KVen angewiesen. Außerdem sind die Zulassungsausschüsse nicht ständig handlungsbereit, sondern treten nur bei Bedarf zusammen. Nicht zuletzt sind vorläufige Maßnahmen im Zusammenhang mit der Zulassung der den KVen gemäß § 75 Abs. 1 SGB V übertragenen Aufgabe zu sehen, die ärztliche Versorgung sicherzustellen und die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die kassenärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Vorläufige Maßnahmen können in diesem Zusammenhang unentbehrlich sein. Soweit § 3 Abs. 3 der Satzung freilich Maßnahmen bis zur Entscheidung des Berufungsausschusses vorsieht, wird damit freilich keine vorläufige Maßnahme mehr getroffen. Sobald der Zulassungsausschuss entschieden hat, ist für eine Suspendierung jedenfalls kein Raum mehr. Als Behörde im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG kann auch der Zulassungsausschuss – und nicht erst der Berufungsausschuss – die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung anordnen. Sinn und Funktion des § 97 Abs. 4 SGB V, der mit der Einführung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG bestehen blieb, kann darin gesehen werden, klarzustellen, dass der Berufungsausschuss ungeachtet der abweichenden Terminologie des § 86 Abs. 2 Nr. 5 SGG die Kompetenz zum Erlass einer Vollziehungsanordnung behalten hat (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 05.06.2013 – B 6 KA 4/13 B –, Rn. 20 m.w.N.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15.12.2015, – L 9 KA 18/15 B ER –, in juris). Auch vorläufige Maßnahmen fallen darum ab der Entscheidung des Zulassungsausschusses ausschließlich in dessen Kompetenz bzw. diejenige des Berufungsausschusses. Soweit die Antragsgegnerin die - hier nur noch streitgegenständliche - Suspendierung über die Entscheidung des Zulassungsausschusses hinaus bis zur Entscheidung des Berufungsausschusses verfügt hat, überschreitet sie ihre Zuständigkeit. Diese Betrachtungsweise gebietet aus Sicht des Senats auch eine grundrechtliche Betrachtungsweise. Die Freiheit der Berufsausübung, also das Recht, eine Tätigkeit als Beruf zu ergreifen und möglichst unreglementiert auszuüben (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 05.05.1987, - 1 Bv 981/81 -; Beschluss vom 12.06.1990, - 1 BvR 355/86 -, beide in juris), wird durch Art. 12 Abs. 1 GG umfassend geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.01.2014, - 1 BvR 2998/11 u.a. -, in juris mwN). Die Suspendierung seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung greift in das Recht des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 GG ein. Zwar handelt es sich bei der Tätigkeit als Vertragsarzt nicht um einen eigenen Beruf, sondern nur um eine Ausübungsform des Berufs des frei praktizierenden Arztes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.02.1961, - 1 BvL 10/60 u.a. -, in juris). In der Rechtsprechung des BVerfG ist aber anerkannt, dass ein Ausschluss von der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht nur die Berufsausübung des Arztes beeinträchtigt, sondern im Hinblick auf die Anzahl der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten und die daher mit einem Ausschluss von der vertragsärztlichen Tätigkeit verbundenen Auswirkungen auf die Möglichkeit, ärztlich tätig zu sein, einer Beschränkung der Berufswahlfreiheit gleichkommt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 31.03.1998 - 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93 -, in juris mwN). In das durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht der Berufsfreiheit darf allerdings nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden (stRspr; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 14.01.2014, - 1 BvR 2998/11 u.a. -, in juris mwN). Diesem Gesetzesvorbehalt kann dabei freilich nicht nur durch Normen des staatlichen Gesetzgebers genügt werden, vielmehr sind Beschränkungen innerhalb gewisser Grenzen auch in Gestalt von Satzungen und Rechtsverordnungen zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.07.1987, - 1 BvR 537/91 u.a. -, in juris mwN).

Die Verfassung gebietet nicht, dass Einschränkungen der Berufsfreiheit ausschließlich durch den staatlichen Gesetzgeber oder durch die von ihm ermächtigte staatliche Exekutive angeordnet werden müssen. Vielmehr sind solche Regelungen innerhalb bestimmter Grenzen auch in Gestalt von Satzungen zulässig, die von einer mit Autonomie ausgestatteten Körperschaft erlassen werden. Der Gesetzgeber muss dabei aber berücksichtigen, dass die Rechtssetzung durch Berufsverbände besondere Gefahren für die Betroffenen und die Allgemeinheit mit sich bringen kann. Am ehesten darf ein Berufsverband zur Normierung solcher Berufspflichten ermächtigt werden, die keinen statusbildenden Charakter haben und die lediglich in die Freiheit der Berufsausübung von Verbandsmitgliedern eingreifen. Im Einzelnen hängt die Abgrenzung von der Intensität des Eingriffs in das Grundrecht der Berufsfreiheit ab, wobei die Anforderungen an die Bestimmtheit der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigung um so höher sind, je empfindlicher der Berufsangehörige in seiner freien beruflichen Betätigung beeinträchtigt wird und je stärker die Interessen der Allgemeinheit an der Art und Weise der Tätigkeit berührt werden (so ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 14.07.1987, - 1 BvR 537/81 u.a. -, in juris mwN).

Für die in § 3 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin normierte Suspendierung findet sich nach den obigen Ausführungen eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage gerade nicht. Gleichzeitig wird der Vertragsarzt in seiner Berufstätigkeit massiv tangiert, wenn er von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen ist. Dies gilt insbesondere im Fall einer Suspendierung bis zum Abschluss eines nicht feststehenden Verfahrens vor dem Berufungsausschuss. Allein die Aufgabenzuweisung an die KV in Verbindung mit der Satzungsautonomie erlaubt daher eine unbefristete Suspendierung bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens nicht. Inwieweit aus grundrechtlicher Sicht eine Suspendierung bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses ohne Frist zulässig ist, muss vorliegend nicht entschieden werden, da zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senat bereits eine Entscheidung des Zulassungsausschusses vorliegt. Aus den vorgenannten Erwägungen hinsichtlich des SGB V und der grundrechtlichen Betroffenheit folgt jedoch ein Gebot der nur vorläufigen Maßnahmen. Der Suspendierung muss daher auch im Fall der Befristung bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses das Gebot der Vorläufigkeit innewohnen.

b) Darüber hinaus teilt der Senat grundsätzlich auch die Ausführungen des SG hinsichtlich der formellen Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids. Der angefochtene Bescheid ist formell fehlerhaft, weil die Antragsgegnerin den Antragsteller vor ihrem Erlass nicht nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört hat, obwohl sie hierzu verpflichtet gewesen wäre. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug, denen er folgt (vgl. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Es sind insbesondere keine Gründe erkennbar, die zu einem Absehen von der Anhörung berechtigt hätten. Gefahr im Verzug oder ein öffentliches Interesse ohne Anhörung sofort zu entscheiden, sind nicht erkennbar (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X). Da die Pflicht zur Anhörung das wichtigste Recht der Beteiligten im Verwaltungsverfahren darstellt und im Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankert ist sowie dem Schutz der materiellen (Grund-)Rechtsposition der Beteiligten dient, ist bei der Auslegung der Ausnahmetatbestände ein strenger Maßstab anzulegen. Gefahr im Verzug ist dann anzunehmen, wenn die vorherige Anhörung des Beteiligten selbst bei kürzester Anhörungsfrist (z.B. mündlich, telefonisch oder auch elektronisch) einen Zeitverlust auslösen würde und hierdurch mit hoher Wahrscheinlichkeit der Zweck der zu treffenden Regelung nicht zu erreichen wäre (Franz, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 24 SGB X, Rn. 40). Ob diese Vor¬aussetzungen erfüllt sind, ist aus einer vor-ausschauenden Sicht (ex ante) zu beurteilen. Bei der Annahme von Gefahr im Verzug sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots in besonderem Maße zu beachten. Deshalb ist eine Maßnahme, die ohne eine vorherige Anhörung erfolgt, auf die Fälle zu beschränken, deren Vornahme ohne jede Verzögerung erforderlich ist (Vogelgesang, in: Hauck/ Noftz, SGB, 04/12, § 24 SGB X, Rn. 23). Das ist hier nicht der Fall. Gegen eine derartige Dringlichkeit spricht bereits, dass das Regierungspräsidium St. die Praxis des Antragstellers seit November 2015 überwacht, ohne dass es zu einer ordnungsbehördlichen Maßnahme gekommen wäre. Jedenfalls wurde die Antragsgegnerin am 09.11.2016 über das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft H. unterrichtet. Der Bescheid datiert vom 28.11.2016. Es ist für den Senat nicht ersichtlich, warum innerhalb dieser Zeitspanne eine Anhörung – und sei es auch mit sehr kurzer Stellungnahmefrist oder gar nur telefonisch – schlechterdings unmöglich gewesen sein sollte. Auch die Tatsache, dass der Zulassungsausschuss die Notwendigkeit zur Anhörung mit einer Frist von einem Monat gesehen hat, spricht gegen die von der Antragsgegnerin vorgetragene Eilbedürftigkeit.

Der Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 24 Abs. 1 SGB X ist auch nicht gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden. Dies würde nämlich voraussetzen, dass die erforderliche Anhörung des Antragstellers nachgeholt worden ist. Das ist aber nicht der Fall. Die Nachholung der fehlenden Anhörung setzt voraus, dass die Handlungen, die an sich nach § 24 Abs. 1 SGB X bereits vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes hätten vorgenommen werden müssen, von der Verwaltung bis zum Abschluss der gerichtlichen Tatsacheninstanz vollzogen werden. Ein während des Gerichtsverfahrens zu diesem Zweck durchzuführendes förmliches Verwaltungsverfahren liegt vor, wenn die Behörde dem Kläger/Antragsteller in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und sie danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dies setzt regelmäßig voraus, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (BSG, Urteil vom 09.11.2010, - B 4 AS 37/09 R -, in juris mwN). Vorliegend hat sich die Antragsgegnerin nicht unter Würdigung des Vorbringens des Antragstellers im Widerspruchsverfahren nach Ablauf der ihm gesetzten Fristen abschließend zum Ergebnis der Überprüfung geäußert.

Der Senat lässt freilich im vorliegenden Fall offen, ob allein die formelle Rechtswidrigkeit bereits die Entscheidung des SG tragen würde. Soweit das SG auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung abstellt und damit die Heilungsmöglichkeit ausklammert, ist nämlich andererseits auch zu berücksichtigen, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache in die Abwägungsentscheidung zwischen Suspensiv- und Vollzugsinteresse einzustellen sind. Sofern letzterer Gesichtspunkt in den Vordergrund gerückt würde, wäre die in der Regel durch das Widerspruchsverfahren eintretende Heilung zu berücksichtigen. Nachdem es freilich nach den Ausführungen zu § 3 Abs. 3 der Satzung der Beklagten hinsichtlich des noch streitigen Regelungsgehalts bereits an einer Rechtsgrundlage für die Suspendierung ab Entscheidung des Zulassungsausschusses fehlt, kann die vom SG aufgeworfene Frage vorliegend dahingestellt bleiben, da die formelle Rechtswidrigkeit nicht entscheidungserheblich ist.

c) Ergänzend weist der Senat im Übrigen darauf hin, dass der Bescheid vom 28.11.2016 auch wegen fehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig ist. Nach § 3 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin steht die Suspendierung im Ermessen der Verwaltung ("kann"). Die gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen ist eingeschränkt auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung; deren Zweckmäßigkeit ist vom Gericht nicht zu beurteilen. Rechtswidrig ist eine Ermessensentscheidung bei Ermessensnichtgebrauch, wenn also die Behörde ihr Ermessen nicht ausgeübt oder im Bescheid nicht zum Ausdruck gebracht hat, bei Ermessensunterschreitung, wenn sie ihr Ermessen zu eng eingeschätzt hat, bei Ermessensüberschreitung, wenn eine gesetzlich nicht vorgesehene Rechtsfolge gesetzt wird, oder bei Ermessensfehlgebrauch (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Für die Rechtskontrolle durch das Gericht ist die Begründung des Verwaltungsakts und des Widerspruchsbescheides wesentlich. Aus dieser muss sich ergeben, dass vom Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht worden ist (zum Ganzen Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 54 Rn. 27 ff. m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die Suspendierung ermessensfehlerhaft. Die Antragsgegnerin hat im Bescheid vom 28.11.2016 die nach ihrer Ansicht bestehenden wichtigen Gründe dargelegt und hieraus als zwingende Rechtsfolge die Suspendierung abgeleitet. Allein das Vorliegen wichtiger Gründe ist freilich Tatbestandvoraussetzung und eröffnet der Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen. Dies hat die Antragsgegnerin nicht erkannt oder zumindest im Bescheid nicht zum Ausdruck gebracht. Allein die Abwägung im Rahmen der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist dabei nicht geeignet, die Ermessensausübung zu ersetzen. Daher liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor, der zur materiellen Rechtswidrigkeit des Bescheids führt.

3) Damit aber stellt sich der Bescheid von 28.11.2016, soweit er noch nicht erledigt ist, als rechtswidrig dar. Das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt daher das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Zu Recht hat daher das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen der Antragsgegnerin aufzulegen, wäre unbillig, da der Beigeladene keine Anträge gestellt hat.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 2, § 47 Gerichtskostengesetz (GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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