L 9 SO 237/16 B ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 12 SO 76/16 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 237/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozial- gerichts Schleswig vom 30. November 2016 wird zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind auch im Be- schwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die von der Antragstellerin am 16. Dezember 2016 eingelegte Beschwerde mit dem Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 30. November 2016 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für eine Schulbegleitung in Gestalt einer 1:1 Betreuung während der Beschulung am Landesförderzentrum und einer 1:1 Betreuung der Antragstellerin im Bereich "Wohnen und Betreuung für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung bis zum Ende der Schulzeit" im teilstationären Bereich des Internats für Körperbehinderte im D Schul- und Therapiezentrum R vorläufig ab Antragseingang bis zum Abschluss des Schuljahres 2016/2017 zu zahlen,

ist zulässig, aber nicht begründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hier nicht vorlägen. Es hat dabei maßgeblich darauf abgestellt, dass der Beigeladene zu 1) die 1:1 Betreuung der Antragstellerin sicherstelle. Ob ein ernstlicher Wille zur Beendigung dieser Betreuung vorhanden sei, der für die Annahme einer Dringlichkeit erforderlich wäre, könne offenbleiben; denn der Beigeladene zu 1) sei aus der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung dazu verpflichtet. Die Antragstellerin gehöre aufgrund der Erkrankung am Ullrich-Turner-Syndrom sowie der Erblindung zum Kreis der dem Grunde nach leistungsberechtigten Personen nach § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII).

Die im Januar 2003 geborene Antragstellerin ist mehrfachbehindert. Bei ihr liegen folgende Beeinträchtigungen vor: Ullrich-Turner-Syndrom, autistische Denkstrukturen und Verhaltensweisen, Autismus-Spektrums-Störung, beidseitige vollständige Erblindung, Schwerhörigkeit und eine motorische Entwicklungsverzögerung. Seit dem Schuljahr 2013/2014 besucht die Antragstellerin die Schule am D Landesförder-zentrum körperliche und motorische Entwicklung S. Das Landesförderzentrum steht in der Trägerschaft des D -Landesverbandes Schleswig-Holstein e.V ... Außerdem wird die Antragstellerin im Schülerwohn- und Betreuungsbereich des D Schul- und Therapiezentrums R betreut (teilstationärer Nachmittagsbereich). Die insoweit anfallenden Kosten werden vom Antragsgegner aus Mitteln der Eingliederungshilfe getragen. Seit 2014 kam es gehäuft zu Vorfällen in der Einrichtung, die durch die Antragstellerin ausgelöst worden waren. Dabei zeigte sich ein zunehmend bei der Antragstellerin auftretendes selbst- und fremdgefährdendes Verhalten. Darüber wurde der Antragsgegner in Kenntnis gesetzt und es wurde die Übernahme einer 1:1 Betreuung für die Antragstellerin beantragt. Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Antragstellerin im März 2016 beim Sozialgericht Schleswig Klage erhoben (Aktenzeichen: S 12 SO 26/16). Am 28. Oktober 2016 hat die Antragstellerin zudem einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, den das Sozialgericht mit Beschluss vom 30. November 2016 abschlägig beschieden hat.

Als tragende Gründe für seine Entscheidung hat das Sozialgericht angeführt, vorliegend solle die 1:1 Betreuung der Antragstellerin eine Beschulung überhaupt ermöglichen. Es solle mittels der persönlichen Beaufsichtigung verhindert werden, dass sie andere Schülerinnen und Schüler, insbesondere schwächere, würge und ernsthaft verletze. Der Hilfebedarf gehöre nicht in den Kernbereich der pädagogischen Verantwortung der Schule. Zwar gehöre die Gesundhaltung der Schülerinnen und Schüler im Schulalltag auch zu den Aufgaben der Schule. Dieses sei indes nicht der Zweck des Lehrbetriebes, bei dem es um die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen gehe. Die Aufgabe der 1:1 Betreuung sei nicht die Begleitung und Unterstützung von schulischer Bildung, sondern überhaupt erst deren Ermöglichung. Weiter heißt es im angefochtenen Beschluss,

"Der Bedarf der Antragstellerin für die 1:1 Betreuung während der Zeit im Landesförderzentrum ist mit der Bewilligung über die Übernahme der Kosten der teilstationären Unterbringung im Internat R gedeckt. Der Beigeladene zu 1), hier als Leistungserbringer für den Träger der Sozialhilfe, hat nach § 5 Ziffer 2.1 der Vereinbarung die Verpflichtung zur Betreuung der Antragstellerin auch im Verhältnis 1:1. Der Beigeladenen zu 1) hat die Unterstützung der schulischen Arbeit im Vormittagsbereich durch Begleitung, Hilfestellung, Pausendienste, Bad- und Toilettengänge usw. sichergestellt und sicherzustellen. Die 1:1 Betreuung durch den Beigeladenen zu 1) ist eine Begleitung und Hilfestellung im Sinne der Vorschrift. Daher ist die bisherige Praxis in Einklang mit der gültigen Leistungsvereinbarung erfolgt. Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage hat der Vertreter des Beigeladenen zu 1) ausgeführt, dass aus seinem Personalbestand je Unterrichtsklasse eine Person aus anwesend ist. Darüber hinaus erledigt das übrige nicht in den Unterricht eingebundene Personal Therapiefahrten und ähnliches. Die Antragstellerin fällt zudem nicht unter die Öffnungsklausel des § 4 Abs. 8 der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung. Danach nimmt der Beigeladene zu 1) Personen mit außergewöhnlich schweren Behinderungen auf. In Satz 2 wird der Personenkreis genauer beschrieben. Es sind solche, die sich durch Mehrfachbehinderungen oder außergewöhnliche Behinderungen auszeichnen. Sie müssen, wie sich aus der Zusammenschau mit § 3 Abs. 8 S. 5 der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung ergibt, durch einen besonderen Pflegeaufwand gekennzeichnet sein. Die Antragstellerin fällt unter keine der Fallgruppen, auch nicht in analoger Anwendung. Sie wird weder dauerbeatmet, benötigt kein examiniertes Pflegepersonal, braucht keine Atemtherapie, eine spezielle ergotherapeutische Hilfsmittelanpassung ist ebenso wenig erforderlich, wie eine Koordinierung aller Maßnahmen. Sie benötigt ebenfalls keine psychosoziale Trauerbegleitung. Schließlich fällt der Bedarf der Antragstellerin auch nicht unter den 5. Spiegelstrich, da bei ihr keine totale Abhängigkeit vom eingesetzten Personal besteht.

Gleiches gilt für die Betreuung im teilstationären Internatsbereich nach Beendigung des Unterrichts. Der Beigeladene zu 1) erfüllt aufgrund der von ihm geschlossenen Leistungsvereinbarung die Leistungsverpflichtung des Antragsgegners im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis. "

In Anlehnung an die Entscheidung des beschließenden Senats vom 26. September 2016 – L 9 SO 143/16 B ER – geht die Schlussfolgerung des Sozialgerichts dahin, dass die Einrichtung verpflichtet sei, den Eingliederungshilfebedarf der Antragstellerin vollumfänglich abzudecken. Das ergebe sich aus § 5 der Leistungs- und Prüfungsvereinbarung (LPV), wonach die von der Einrichtung zu erbringende Leistung in jedem Einzelfall in Art und Umfang dem Hilfeanspruch nach den §§ 1 und 9 sowie 53, 54 SGB XII entspreche. Soweit bei der Antragstellerin ein Eingliederungshilfebedarf und die Fähigkeit, mögliche Teilhabeleistungen auch anzunehmen, bestünden, müsse die Einrichtung – hier der Beigeladene zu 1) – diese der Antragstellerin im Rahmen der vorhandenen personellen und sächlichen Mittel gewähren. Dabei sei natürlich ersichtlich, dass eine solche Bedarfslage eine erhebliche organisatorische Anstrengung hervorrufe. Aufgrund von Durchschnittsbetrachtungen bei der Personalbemessung seien sie von der Leistungsvereinbarung umfasst.

Die vorgenannten Aspekte und Ausführungen macht sich der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen und nimmt zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die insoweit für zutreffend erachteten Gründe des angefochtenen Beschlusses gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug. Daran hält der Senat auch angesichts des zum Teil umfänglichen und der rechtlichen Einschätzung durch das Sozialgericht entgegenlaufenden Vortrags der Verfahrensbeteiligten fest.

Auch wenn die LPV vom 29. Dezember 2009, deren Laufzeit – wie vom Beigeladenen zu 1) durch entsprechende Unterlagen belegt – bis zum 30. Juni 2017 andauert, sich dem einleitenden Wortlaut entsprechend (nur) auf "Leistungen für den Bereich ‚Wohnen und Betreuung für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderungen bis zum Ende der Schulzeit‘ im Internat für Körperbehinderte im D -Schul- und Therapiezentrum R , H. D. -Straße in 2- S " bezieht, wird nach ihrem Inhalt eine ineinandergreifende Verzahnung mit der Beschulung im Landesförderzentrum S deutlich hervorgehoben. Das Landesförderzentrum ist durch das Bildungsministerium als offene Ganztagsschule anerkannt. Die teilstationär aufgenommenen Schüler/innen werden dort im Rahmen der offenen Ganztagsschule betreut (vgl. § 6 Abs. 8 LPV).

Eine der Grundlagen der LPV ist laut § 2 Abs. 1e) dieser Vereinbarung das Schulgesetz des Landes Schleswig-Holstein. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 ist der Schülerwohn- und Betreuungsbereich des D -Schul- und Therapiezentrums eine Einrichtung für körperbehinderte Kinder und Jugendliche, um ihnen eine Beschulung im Landesförderzentrum körperliche und motorische Entwicklung S zu ermöglichen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung sind der Schülerwohn- und Betreuungsbereich sowie das Landesförderzentrum eng miteinander verzahnt und verfolgen gemeinsam das Ziel, den Leistungsberechtigten durch interdisziplinäre Förderung selbstständiges und verantwortliches Handeln in allen Lebensbezügen zu ermöglichen. In Abs. 3 dieser Regelung wird ausgeführt, dass das Angebot eine ganzheitliche Hilfe darstelle. In § 4 Abs. 4 bis 6 LPV sind die Aufgabenerfüllung durch das Landesförderzentrum, das Fachgymnasium in Preetz sowie die Charakteristika der Schülerschaft definiert. In § 5 Nr. 2.1, 1. Spiegelstrich LPV ist für den pädagogischen Bereich ausdrücklich die Unterstützung der schulischen Arbeit im Vormittagsbereich (Begleitung, Hilfestellung, Pausendienste, Bad- und Toilettengänge, usw.) festgeschrieben. Nach alledem erstrecken sich die von der Einrichtung zu erbringenden Leistungen der Antragstellerin gegenüber nicht lediglich auf die so bezeichnete teilstationäre Betreuung in den Nachmittagsstunden nach dem Unterrichtsschluss, sondern auf den insgesamt für die als teilstationäre Betreuung nach § 6 Abs. 4c) LPV vorgehaltenen zeitlichen Betreuungsrahmen von 7:45 Uhr bis 17:00 Uhr. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 LPV entspricht die von der Einrichtung zu erbringende Leistung in jedem Einzelfall in Art und Umfang dem Hilfeanspruch nach den §§ 1 und 9 sowie 53 und 54 des SGB XII. Als Inhalt der Leistungen ist im förderpflegerischen Bereich gemäß § 5 Nr. 2.5, 5. Spiegelstrich LPV– wie bereits zutreffend vom Sozialgericht hervorgehoben – u. a. der Schutz vor Selbst- und Fremdgefährdung ausdrücklich angeführt.

Der vertraglichen Verpflichtung eines solchermaßen definierten und im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses auch nach Auffassung des Senats der Antragstellerin gegenüber zu erbringenden Betreuungs- und Leistungsumfangs hat der Beigeladene zu 1) seit Beginn des Schuljahres 2016/2017 bereits Rechnung getragen, indem nach seinem eigenen Vortrag seither für die Antragstellerin eine 1:1 Be¬treuung zur Verfügung gestellt wird. Seitens der Antragstellerin ist mit Schriftsatz vom 21. November 2016 eine Auflistung der Vorfälle eingereicht worden, die sich in der Zeit von Anfang Juni 2014 bis Anfang Juli 2016 im Landesförderzentrum S wie auch im D -Schul- und Therapiezentrum R zugetragen haben. Ergänzend zu jener detaillierten Auflistung heißt es dort, die Dokumentation der aggressiven Vorfälle gegen sich selbst, gegen Sachen und andere Personen ende mit Ende des Schuljahres, weil mit Beginn des Schuljahres 2016/2017 freiwillig (ohne Finanzierung) im Betreuungsbereich eine 1:1 Betreuung durchgeführt werde. Diese Maßnahme sei erforderlich geworden, um die Antragstellerin selbst, aber vor allem ihre Mitschüler, zu schützen, binde aber durchgehend eine Mitarbeiterin und gehe zu Lasten anderer Schüler. Zwar ist dazu ausdrücklich betont worden, aufgrund der nicht geklärten Finanzierung könne das D -Schul- und Therapiezentrum diese 1:1 Be¬treuung nicht auf Dauer stellen. Aufgrund der oben in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht aufgezeigten Verpflichtung der Beigeladenen zu 1) zur Leistungserbringung der Antragstellerin gegenüber ist dieser Einwand jedoch rechtlich bedeutungslos.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved