L 7 SO 267/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 4930/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 267/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 21. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Antragstellers sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht Freiburg (SG) hat durch Beschluss vom 21. Dezember 2016 im Ergebnis zu Recht das einstweilige Rechtsschutzgesuch des Antragstellers abgelehnt.

1. Gegenstand des am 12. Dezember 2016 beim SG anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist in der Sache das Begehren des Antragstellers auf vorläufige Gewährung von laufenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - SGB XII für die Zeit ab Anbringung des einstweiligen Rechtsschutzgesuchs (12. Dezember 2016) für vier Monate, d.h. bis zum 11. April 2017, in Höhe von 80% der Regelleistung (monatlich 323,20 EUR, ab 1 Januar 2017 327,20 EUR; Leistungen für Unterkunft und Heizung hat der Abtragsteller nicht geltend gemacht, solche sind damit als abtrennbarer Streitgegenstand nicht streitig; vgl. dazu z.B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 14. April 2011 - B 8 SO 18/09 R - juris Rdnr. 10), nachdem das Jobcenter B.-H. mit - bestandskräftigem - Bescheid vom 28. September 2016 die zuvor (vgl. Bescheid vom 10. August 2016) bis zum 9. Dezember 2016 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ab 1. November 2016 ganz aufgeboben und der Antragsgegner seinen Antrag auf laufende Leistungen nach SGB XII durch Bescheid vom 24. November 2016, freilich angefochten durch Widerspruch des Antragstellers, abgelehnt hatte. Das SG hat das einstweilige Rechtsschutzgesuch mit dem angefochtenen Beschluss vom 21. Dezember 2016 abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 23. Januar 2017 (Montag) beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Beschwerde. Er hat mit seiner Beschwerde keinen Erfolg.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. Januar 2016 - L 7 AS 41/16 ER-B - juris Rdnr. 11 - und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)), wobei im Fall der Bestandskraft eines Bescheides an den Anordnungsgrund besonders strenge Anforderungen zu stellen sind und dieser nur bei einer massiven Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Existenz vorliegen kann (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rdnr. 29c). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. Januar 2016 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

3. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht (mehr) vor. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

a. Der Senat lässt offen, ob dem Antragsteller dem Grunde nach ein Anspruch auf laufende Sozialhilfeleistungen zusteht. Im Hinblick auf das anhängige Vorverfahren betreffend den Bescheid vom 24. November 2016 weist der Senat jedoch auf Folgendes hin:

aa. Fraglich ist, ob der Antragsteller nach § 21 Satz 1 SGB XII von Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - juris Rdnrn. 40 ff.; Urteil vom 20. Januar 2016 - B 14 AS 35/15 R - juris Rdnrn. 35 f.). Es erscheint zweifelhaft, ob der Antragsteller zum Kreis der Leistungsberechtigten i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gehört. Zwar ist er 1962 geboren (vgl. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 7a SGB II) und hatte jedenfalls bis zu seiner Reise zu seinen Eltern nach I. Ende Januar 2017 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II), nämlich im Raum F., wo er sich seit 1. November 2015 - die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ist wohl Anfang 2013 erfolgt - tatsächlich und auf Dauer aufgehalten hat. Maßgeblich sind insofern die objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnisse (vgl. Spellbrink/G. Becker in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 7 Rdnr. 20 f.; BSG, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 9/13 R - juris Rdnr. 13; Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris Rdnr. 18 ff.). Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Angesichts der Dauer des Aufenthalts von mehreren Jahren bestehen keine Zweifel daran, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland begründet hat. Jedoch erscheint der Antragsteller nach summarischer Prüfung nicht erwerbsfähig (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II; vgl. ferner BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 - juris Rdnrn. 14 ff. zur Erwerbsfähigkeit von EU-Ausländern) zu sein. Gem. § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (z.B. BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009 - B 14 AS 42/08 R - BSGE 105, 201 - juris Rdnr. 14 ff.). Die Definition der Erwerbsfähigkeit in § 8 Abs. 1 SGB II lehnt sich an die Definition der vollen Erwerbsminderung in § 43 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) an, wobei in der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Leistungsberechtigten ohne Bedeutung ist. Es geht hier allein um den zeitlichen Umfang, in dem eine Tätigkeit entsprechend dem positiven und dem negativen Leistungsbild (noch) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt werden kann. Ausweislich des Gutachtens der Assistenzärztin am Zentrum für Psychiatrie Emmendingen Dr. B. vom 6. Juli 2016 leidet der Antragsteller an einer paranoiden Schizophrenie sowie psychischen und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide mit einem umständlichen formalen Denken, einer inhaltlichen Denkstörung und psychotischem Erleben. Diese Erkrankungen haben deutliche Auswirkungen auf seine Handlungen und Entscheidungen und erfordern eine kontinuierliche Behandlung, Unterstützung und (rechtliche) Betreuung. Der den Antragsteller während seines stationären Aufenthalts vom 14. Juni 2016 bis zum 22. Juli 2016 im Zentrum für Psychiatrie Emmendingen behandelnde Arzt Dr. S. ist davon ausgegangen, dass eine Beeinträchtigung des Leistungsfähigkeit vorliege (Schreiben vom 9. August 2016). Unter Zugrundelegung der diagnostizierten Erkrankungen und ihrer Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit ist der Beratungsarzt der Agentur für Arbeit F. Dr. W. in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 23. September 2016 nachvollziehbar zu der Einschätzung gelangt, dass der Antragsteller voraussichtlich über sechs Monate, aber nicht auf Dauer, arbeitstäglich weniger als drei Stunden leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten könne. Daraufhin hat das Jobcenter B.-H. mit Bescheid vom 28. September 2016 die zuvor bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab 1. November 2016 wegen des Wegfalls der Erwerbsfähigkeit ganz aufgeboben. Diesen Bescheid hat der Antragsteller nicht angefochten und in der Sache akzeptiert. Das Jobcenter B.-H. hat den Leistungsfall an den Antragsgegner abgegeben, der seine Zuständigkeit anerkannt hat (E-Mail vom 28. September 2016). Mithin spricht derzeit viel dafür, dass der Antragsteller nicht erwerbsfähig i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB II ist. Dies und ggf. zwischenzeitlich eingetretene gesundheitliche Veränderungen wird der Antragsgegner im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zu verifizieren haben.

Der Senat hat unter diesen Umständen von einer Beiladung des Jobcenter B.-H. (§ 75 Abs. 2 und 5 SGG) abgesehen, zumal dieses Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 1. November 2016 mit - bestandskräftigem - Bescheid vom 28. September 2016 abgelehnt hat.

bb. Die Beteiligten haben im vorliegenden Einzelfall übersehen, dass der Antragsteller - unabhängig von der Rechtsprechung des BSG zu § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (Urteil vom 3. Dezember 2015 a.a.O.; Urteil vom 20. Januar 2016 a.a.O. - juris Rdnr. 33 ff.; vgl. ferner Senatsbeschlüsse vom 6. Dezember 2016 - L 7 SO 4193/16 ER-B - (n.v.); vom 12. Oktober 2016 - L 7 SO 3374/16 ER-B - (n.v.); vom 13. September 2016 - L 7 SO 2914/16 ER-B (n.v.); vom 8. September 2016 - L 7 SO 3051/16 ER-B - (n.v.); vom 24. August 2016 - L 7 AS 2113/16 ER-B - (n.v.); vom 9. Juni 2016 - L 7 SO 1512/16 ER-B -; vom 12. Mai 2016 - L 7 SO 1150/16 ER-B - jeweils juris) einerseits und § 23 Abs. 3 und 3a SGB XII in der am 29. Dezember 2016 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I, 3155) andererseits - als italienischer Staatsangehöriger einen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 19 Abs. 1, 27 ff. SGB XII haben könnte. Gem. Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge (im Folgenden als "Fürsorge” bezeichnet) zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Das EFA wurde durch das Zustimmungsgesetz vom 15. Mai 1956 in innerstaatlich geltendes Recht transformiert. Es begründet Rechte und Pflichten des Einzelnen (z.B. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. Mai 2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200). Unterzeichnerstaat ist neben der Bundesrepublik Deutschland u.a. Italien. Die Leistungen nach dem SGB XII unterfallen - mit Ausnahme der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 bis 69 SGB XII, hinsichtlich der die Bundesregierung einen Vorbehalt erklärt hat - dem Begriff der Fürsorgeleistungen nach Art. 1 EFA. Der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt nach Art. 16b EFA (veröffentlicht am 19. Dezember 2011) hinsichtlich Leistungen nach dem SGB II für Staatsangehörige der anderen Vertragschließenden erstreckt sich nicht auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R - juris Rdnr. 20; Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139 - juris Rdnrn. 17 ff.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Mai 2016 - L 9 AS 1136/16 - juris Rdnr. 3; Berlit, BT-Ausschuss-Drs. 18(11)851, S. 56; Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 23 Rdnrn. 35, 63.20; Groth, BT-Ausschuss-Drs. 18(11)851, S. 13; Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. B. vom 14. Februar 2012, BT-Drs. 17/8699, S. 32 f.).

Eine Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen nach Art. 1 EFA erfordert allerdings einen erlaubten Aufenthalt des Staatsangehörigen aus dem Vertragsstaat im Bundesgebiet, dessen Vorliegen im Falle des Antragstellers durch den Antragsgegner im Einzelnen noch zu prüfen sein wird. Nach Art. 11 Abs. a Satz 1 EFA gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, aufgrund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Nach der historischen Konzeption des EFA kommt den im Anhang III (nach Art. 19 EFA Bestandteil des Abkommens) verzeichneten Urkunden, die als Nachweis eines erlaubten Aufenthalts i.S. des Art. 11 EFA anerkannt werden, grundsätzlich ein rechtsbegründender Charakter zu (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R - a.a.O. Rdnr. 21 m.w.N.). Nachdem die im Anhang III erfassten Urkunden die seit längerer Zeit geltende Rechtslage nicht wiedergeben, es die Bundesrepublik Deutschland bisher versäumt hat, den Generalsekretär des Europarats über eine Änderung der nationalen Gesetzgebung zu unterrichten und mitzuteilen, welche Urkunden als Nachweis eines erlaubten Aufenthalts im Sinne des EFA anzusehen sind, und die vormals gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Dokumentation eines sich unmittelbar aus Unionsrecht ergebenden Aufenthaltsrechts mit der Streichung der unverzüglich von Amts wegen ausgestellten Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU mit Wirkung ab 29. Januar 2013 entfallen ist, verlangt das BSG eine materielle Freizügigkeitsberechtigung für einen erlaubten Aufenthalt im Sinne des Art. 1 EFA (BSG, a.a.O. Rdnrn. 22 ff.).

Der Antragsteller hat sich seit Anfang 2013, mithin seit mehr als drei Jahren, in der Bundesrepublik Deutschland durchgehend aufgehalten. Ob von Seiten der Ausländerbehörde konkrete Schritte zur Beendigung seines Aufenthalts eingeleitet worden sind (vgl. § 7 FreizügG/EU), wird der Antragsgegners im Einzelnen zu ermitteln haben. Zwar dürfte der Antragsteller nicht (mehr) über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 1a FreizügG/EU verfügen, nachdem er nach den aktenkundigen Unterlagen zuletzt vom 26. Februar 2015 bis zum 31. Oktober 2015 (Ristorante L. R. in M.) eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung sowie vom 23. Mai 2016 bis zum 10. Juni 2016 (Gasthaus S. in F.) eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat und seitdem ohne Arbeit ist. Ob er im Hinblick auf seine gesundheitliche Situation, schulische und berufliche Qualifikation und Ausbildung, Berufserfahrung, deutschen Sprachkenntnisse etc. ab 10. Dezember 2016 eine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hat (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU), wird der Antragsgegner ggf. im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu prüfen haben. Die nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit war bereits vor Anbringung des einstweiligen Rechtsschutzgesuchs beendet (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU). Der Antragsteller verfügt ferner nicht über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel (vgl. § 4 FreizügG/EU). Auch liegen die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU nicht vor. Jedoch kommt in Betracht, dass der Antragsteller über ein Daueraufenthaltsrecht i.S.d. § 4a Abs. 2 Nr. 2b FreizügG/EU verfügt. Danach haben Unionsbürger - abweichend von § 4a Abs. 1 FreizügG/EU - vor Ablauf von fünf Jahren das Daueraufenthaltsrecht, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Brinkmann in Huber, AufenthaltsG, 2. Aufl. 2016, § 4a FreizügG/EU Rdnr. 13) infolge einer vollen Erwerbsminderung aufgeben, nachdem sie sich zuvor mindestens zwei Jahre ständig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Der betreffende Unionsbürger muss nicht notwendigerweise zwei Jahre im Bundesgebiet erwerbstätig gewesen sein; eine vorübergehende Arbeitslosigkeit ist ebenso wie ein anderweitiger rechtmäßiger Aufenthalt unschädlich (vgl. Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 4a FreizügG/EU Rdnr. 18; Tewocht in Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 4a FreizügG/EU Rdnr. 31). Ausschlaggebend ist allein, dass der Unionsbürger zum Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit erwerbstätig war und sich zuvor zwei Jahre rechtmäßig (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 1 C 22/14 - juris Rdnr. 17) in der Bundesrepublik aufgehalten hat. Die Berechnung der zweijährigen Aufenthaltszeit erfolgt nach Maßgabe des § 4a Abs. 6 und 7 FreizügG/EU. Die Aufgabe der Erwerbstätigkeit muss kausal auf dem Eintritt der vollen Erwerbsminderung beruhen (Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerecht, 11. Aufl. 2016, § 4a FreizügG/EU Rdnr. 48; Tewocht, a.a.O.; Oberhäuser, a.a.O. Rdnr. 17). Dabei ist der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff dadurch gekennzeichnet, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung eine Leistung erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. nur Dienelt, a.a.O., § 2 FreizügG/EU Rdnrn. 38 ff. m.w.N.; vgl. ferner BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 - juris Rdnr. 26; Senatsbeschluss vom 18. Juni 2016 - L 7 AS 2235/16 ER-B - (n.v.)). Als Arbeitnehmer kann nur angesehen werden, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, die nicht einen so geringen Umfang hat, dass es sich um völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeiten handelt. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses.

Vor diesem Hintergrund wird der Antragsgegner zu prüfen haben, ob der Antragssteller, ein Unionsbürger, das mit Arbeitsvertrag vom 23. Mai 2016 bis zum 22. Mai 2017 befristete Arbeitsverhältnis mit den Inhabern des Gasthauses "Z. S." am 10. Juni 2016 infolge einer vollen Erwerbsminderung aufgeben hat und sich zuvor mindestens zwei Jahre ständig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Bisher dürfte feststehen, dass sich der Antragsteller seit spätestens Oktober 2013 im Bundesgebiet aufgehalten hat. Unterbrechungen des Aufenthalts, die über das in § 4a FreizügG/EU beschriebene Maß hinausgehen, sind bisher nicht ersichtlich. Ob sich der Antragsteller in der Zeit vom 10. Juni 2014 bis zum 9. Juni 2016 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, wird der Antragsgegner im Rahmen des Hauptsachverfahrens zu prüfen und die dazu erforderlichen konkreten Feststellungen zu treffen haben. Derzeit ist ersichtlich, dass der Antragsteller in der Zeit vom 1. Oktober 2013 bis zum 28. Februar 2014 (Monatsverdienst 400,00 EUR), vom 1. Mai 2014 bis zum 20. Juni 2014 (Verdienst 600,00 EUR) und vom 1. August 2014 bis zum 31. August 2014 (Verdienst 400,00 EUR) jeweils eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung, vom 17. November 2014 bis zum 23. Dezember 2014 und vom 12. Januar 2015 bis zum 17. Januar 2015 eine versicherungspflichtige Beschäftigung sowie vom 26. Februar 2015 bis zum 31. Oktober 2015 wiederum eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung (Verdienst 2.274,00 EUR) ausgeübt und in der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2016 Arbeitslosengeld II bezogen hat. Es spricht einiges dafür, dass der Antragsteller während der Beschäftigungszeiten freizügigkeitsberechtigt i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU gewesen ist. Ob jeweils nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses der Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU jeweils für die Dauer von sechs Monaten unberührt geblieben ist, wird der Antragsgegner ggf. im Einzelnen zu prüfen haben. Zudem kommt in Betracht, dass der Antragsteller nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt gewesen ist, weil er - wie dem Versicherungsverlauf zu entnehmen ist - sich nach der Beendigung seiner Beschäftigungsverhältnisse immer wieder einen neuen Arbeitsplatz gesucht und eine neue Beschäftigung aufgenommen hat, mithin am Arbeitsmarkt aktiv gewesen sein könnte. Weiterhin dürfte die am 23. Mai 2016 aufgenommene und bis zum 10. Juni 2016 ausgeübte Tätigkeit als Küchenhilfe im Gasthaus "Z. S." nach Arbeitszeit (23. Mai 2016 bis zum 31. Mai 2016 47,5 Stunden; 1. Juni bis 10. Juni 2016 35,30 Stunden), Höhe der Vergütung (Stundenlohn 8,50 EUR), Ausgestaltung des Arbeitsvertrages vom 23. Mai 2016 (z.B. Anspruch auf bezahlten Urlaub, Bezugnahme auf einen Tarifvertrag) sowie der vereinbarten Dauer (Befristung auf ein Jahr) dem Antragsteller ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU vermittelt haben. Schließlich spricht derzeit einiges dafür, dass der Antragsteller diese Tätigkeit wegen seiner psychischen Erkrankung aufgegeben hat. Er hat die Beschäftigung über den 10. Juni 2016 nicht weiter ausgeübt und ist am 14. Juni 2016 in das Zentrum für Psychiatrie E. stationär aufgenommen worden. Bei der Aufnahme hat sich der Antragsteller u.a. mit reduzierter Konzentration und Aufmerksamkeit, reduzierter Schwingungsfähigkeit, formalen Denkstörungen, inhaltlichen Denkstörungen und Sinnestäuschungen gezeigt. Das Jobcenter B.-H. ist davon ausgegangen, dass seine Arbeitslosigkeit infolge der Kündigung der Inhaber des Gasthauses "Z. S." durch Schreiben vom 11. Juni 2016 unfreiwillig i.S.d. § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU eingetreten sei. Wir bereits dargelegt, vertreten die behandelnden Klinikärzte sowie der Arzt der Agentur für Arbeit die Auffassung, dass der Antragsteller voraussichtlich über sechs Monate arbeitstäglich weniger als drei Stunden leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten könne, mithin eine volle Erwerbsminderung i.S.d. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI in Betracht kommt. Dies alles wird der Antragsgegner ggf. im Rahmen des Widerspruchsverfahrens mit Hilfe des Antragstellers und seines Betreuers zu verifizieren haben.

b. Die Anordnungsvoraussetzungen sind im Beschwerdeverfahren nicht (mehr) gegeben. Der Antragsteller hat den nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlichen Anordnungsgrund, nämlich die besondere Dringlichkeit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens, nicht glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Wie bereits dargelegt, beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet, im Beschwerdeverfahren mithin nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass sein grundsicherungsrechtlich maßgeblicher Lebensunterhalt, den er im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von vornherein auf 80 % des Regelsatz beschränkt hat, nicht sichergestellt ist. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller Ende Januar 2017 nach Italien zu seinen Eltern gereist ist, um dort seinen Lebensunterhalt zu sichern. Vor seiner Reise nach I. hat er Unterstützung durch seinen Bruder erfahren, der ihn regelmäßig zum Essen eingeladen hat. Außerdem hat der Antragsteller eingeräumt, dass er das Mitte Oktober 2016 zur Verfügung stehende Guthaben (646,47 EUR) sparsam zur Finanzierung seines Lebensunterhalts verwendet und sich dieses gut eingeteilt habe. Ausweislich der eingereichten Kontounterlagen hat er noch am 10. Januar 2017 Auszahlungen in Höhe von insgesamt 150,00 EUR vorgenommen. Dass dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile entstanden sind, ist weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich. Durch eine Gewährung vorläufiger Leistungen für die Zeit vom 12. Dezember 2016 bis zu seiner Abreise nach I. kann der Lebensunterhalt des Antragstellers in diesem mittlerweile abgelaufenen Bedarfszeitraum nicht mehr sichergestellt, seine Lebenssituation nicht verbessert werden. Dass eine bis zur Abreise nach I. Ende Januar 2017 ggf. bestehende Notlage weiterhin und aktuell fortbesteht, ist nicht dargetan. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass wegen einer ggf. nicht fristgerecht erfolgten Mietzinszahlung die Unterkunft des Antragstellers aktuell gefährdet ist, zumal das einstweilige Rechtsschutzgesuch ohnehin nicht auf die vorläufige Übernahme von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gerichtet gewesen ist. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, warum dem Antragsteller ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar sein soll.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

5. Der Antrag des Antragstellers auf Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, weil es unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen jedenfalls im Zeitpunkt der Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 3. Februar 2017 an der erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung mangelt (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

6. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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