S 49 R 878/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
49
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 49 R 878/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 1037/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Bescheide der Beklagten vom 28.06.2012 und 20.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.04.2013 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für das Widerspruchsverfahrens bezüglich des Bescheides vom 28.06.2012 in vollem Umfang zu erstatten. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung der vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens nach Gewährung einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung im Wege der Abhilfe.

Die 1959 geborene Klägerin beantragte am 26.04.2012 mit Formblattantrag eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.06.2012 vollumfänglich ab. Eine Differenzierung im Ablehnungsschreiben zwischen Rente wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung und zwischen Zeit- und Dauerrente fand nicht statt. Bei der Beklagten ging am 09.07.2012 der Widerspruch der Klägerin ein. Der Widerspruch wurde von ihr begründet. Einen konkreten Antrag stellte die Klägerin im Rahmen des Widerspruchverfahrens nicht. Unter dem 31.10.2012 meldete sich der jetzige Prozessbevollmächtigte für die Klägerin. Mit Rentenbescheid vom 20.03.2011 gewährte die Beklagte im Abhilfeverfahren Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.11.2011 befristet bis 31.10.2015. Gleichzeitig enthielt der Bescheid eine Kostengrundentscheidung gem. § 63 SGB X, nach der die durch Zahlung eines Unkostenbeitrages bzw. Kostenvorschusses entstandenen Aufwendungen in Höhe von 2/3 Pauschalbetrages erstattet werden. Zur Begründung verwies die Beklagte auf den Teilerfolg des Widerspruchs durch die Teilabhilfeentscheidung.

Der Klägerbevollmächtigte wandte sich mit Schreiben vom 05.04.2013 gegen die Kostenquotelung und beantragte die Erstattung der vollen Kosten. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2013 wies die Beklagte den Widerspruch hinsichtlich der Kostengrundentscheidung zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin – vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten – Klage zum Sozialgericht Düsseldorf.

Die Klägerin trägt vor: Der Widerspruch sei erfolgreich gewesen; außerdem habe die Beklagte das Widerspruchverfahren durch ihre falsche Ausgangsentscheidung veranlasst. Er ist der Auffassung, dass die Beklagte mit Bescheid vom 15.8.2011 dem Widerspruch in

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Bescheide der Beklagten vom 28.06.2012 und 20.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.04.2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für das Widerspruchsverfahrens bezüglich des Bescheides vom 28.06.2012 und 20.03.2013 in vollem Umfang zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor: Es handele sich um eine Teilabhilfe. Es sei obergerichtlich bereits seit langem geklärt, dass eine Kostenquotelung – wie von ihr hier vorgenommen – gerechtfertigt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zu der Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und Unterlagen sowie die beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher angehört worden.

Gegenstand der Klage ist die Kostengrundentscheidung im Bescheid vom 20.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2013, soweit die Erstattung von Kosten des Widerspruchsverfahrens über 2/3 der entstandenen Kosten hinaus abgelehnt worden ist.

Der Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der notwendigen Kosten in vollem Umfang. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 63 SGB X.

§ 63 SGB X lautet wie folgt:

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 unbeachtlich ist. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht verpflichtet § 63 Abs. 1 SGB X die Behörde, zu einem ganz oder teilweise erfolgreichen Widerspruch eine Kostengrundentscheidung zu treffen. Dies hat die Beklagte getan. Anspruch auf Kostenerstattung besteht nur, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Der Anspruch ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen der angefochtene Verwaltungsakt im vollen Umfange aufgehoben wird, sondern besteht auch dann, wenn der Widerspruch teilweise Erfolg hat. Ein teilweiser Erfolg des Widerspruchs führt hinsichtlich der Kostenerstattung zu einer Kostenquote.

Hat der Betroffene den Widerspruch beschränkt, indem er den Verwaltungsakt nur hinsichtlich eines Teils der getroffenen Regelung angegriffen hat, so ist der Widerspruch in vollem Umfang erfolgreich, wenn dem begrenzten Begehren stattgegeben wird. Die Kostenquote richtet sich nach dem Verhältnis des erreichten Erfolgs in der Sache zum gesamten Verfahrensgegenstand. Entscheidend für den Umfang des Erfolgs ist deshalb der Verfahrensgegenstand. Dieser ergibt sich aus dem konkret gestellten Antrag des Widerspruchsführers im Widerspruchsverfahren zusammen mit dem zu Grunde liegenden Sachverhalt. Das Ziel des Widerspruchs ist also möglichst genau zu bezeichnen, es kann von der Behörde auch erfragt werden. Ein Widerspruch ohne einen bestimmten Antrag oder eine Bestimmung des Widerspruchsbegehrens greift den Verwaltungsakt vollumfänglich an und führt bei einem Teilerfolg nicht zur vollen Kostenerstattung (siehe dazu m.w.N. u.a. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 63 SGB X, Rn 21). Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Klägerin Kläger im Widerspruchsverfahren gegen den ablehnenden Rentenbescheid vom 28.06.2012 voll obsiegt. Die Klägerin hat vorliegend Widerspruch eingelegt und keinen konkreten Antrag gestellt. Dies ist nach Auffassung der Kammer dahingehend auszulegen, dass sie eine Rente wegen Erwerbsminderung nach den gesetzlichen Vorschriften" begehrt. Die Beklagte fragte bei der Klägerin auch nicht nach, was sie konkret begehrt, so dass der Widerspruch offensichtlich von der Beklagten auch dahingehend verstanden worden ist, dass Rente wegen Erwerbsminderung nach den gesetzlichen Vorschriften begehrt wird.

Mit Formblattantrag vom 26.04.2012 hat sie eine "Rente wegen Erwerbsminderung" beantragt. Eine Wahlmöglichkeit bei Antragstellung zwischen Erwerbsminderungsrente auf Zeit oder auf Dauer (bis zum Erreichen der Regelaltersrente) sah das ausgefüllte Standardformular der Beklagten nicht vor. Der Aufnehmende hat eine solche Befristung auch nicht aufgeführt. § 102 Abs. 2 SGB VI schreibt als Regelfall für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente eine Befristung vor. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei einer Rente auf Zeit im Vergleich zu einer Rente auf Dauer nicht um zwei eigenständige Ansprüche. Vielmehr ist die Befristung bzw. Nichtbefristung eine Rechtsfolge, die an besondere inhaltliche Voraussetzungen geknüpft ist. Folglich begehrt ein Versicherter mit Rentenantragstellung eine Rente wegen Erwerbsminderung nach den gesetzlichen Vorschriften. Wenn nun ein Widerspruchsführer bei einer ablehnenden Entscheidung, die keine Regelung zu einer Befristung der Rente trifft, sondern den Anspruch von vornherein ablehnt, wörtlich dasselbe begehrt, wie im ursprünglichen Rentenantrag, und dann das bekommt, was er schon im Verwaltungsverfahren hätte bekommen müssen, dann hat er alles bekommen, was er begehrt hat.

Diese Auffassung steht auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und der obergerichtlichen Rechtsprechung bezüglich des Inhalts eines befristeten Rentenbewilligungsbescheides nicht entgegen. Danach enthält der Bescheid über eine befristete Rentenbewilligung zwei Verfügungssätze: 1. wird die Rente für eine begrenzte Dauer bewilligt, 2. wird der weitergehende Anspruch auf die zeitlich nicht beschränkte Rentengewährung abgelehnt. Die zutreffende Trennung in zwei Verfügungssätze ist jedoch nur relevant, wenn eine Rente bewilligt wird. Bei einer vollständigen Ablehnung des Antrags existiert nur ein Verfügungssatz, nämlich die Ablehnung. Ein ablehnender Bescheid trifft bzgl. einer Befristung gar keine Regelung. Damit greift ein Widerspruchsführer die Ablehnung als solches an und obsiegt ganz, wenn ihm aufgrund seines Widerspruchs eine Rente bewilligt wird. Soweit die Beklagte zur Untermauerung ihrer Auffassung auf verschiedene entsprechende Beschlüsse sowohl des LSG Nordrhein-Westfalen als auch des SG Düsseldorf im Hinblick auf die Tragung von außergerichtlichen Kosten im Klageverfahren verweist, sind die dort zu Grunde gelegten Sachverhalte mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Bei den Kostenbeschlüssen im Klageverfahren gemäß § 193 SGG sind die Streitgegenstände und hier insbesondere die Anträge im Klageverfahren maßgeblich. Zwar hält es die hier zur Entscheidung berufene Kammer bei einem Klageantrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ohne Spezifizierung auf Zeit oder Dauerrente und tatsächlicher Gewährung einer solchen befristeten Rente im Klageverfahren (durch Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich) auch in diesen Fällen im Regelfall für angemessen, dass die Beklagte volle Kosten zu tragen hat, soweit nicht in anderen Teilen des Streitgegenstands (z.B. Beginn der Rente oder nur teilweise Erwerbsminderungsrente statt voller Erwerbsminderungsrente) nur teilweises Obsiegen vorliegt.

Dies kann jedoch letztlich dahinstehen. Denn das Widerspruchsverfahren ist kein Klageverfahren, sondern ein besonderes Verwaltungsverfahren. Die beiden Sachverhalte sind nicht vergleichbar. Anders als im Klageverfahren gilt etwa im Widerspruchsverfahren nicht der Grundsatz, dass nicht mehr gewährt werden kann, als beantragt ist. Die Beklagte gewährt zu recht in gängiger Praxis auch dann eine Rente auf Dauer, wenn ein Widerspruchsführer im Widerspruch nur eine Rente auf Zeit beantragt

Dieses Vorgehen ist zudem zwingend, da das Widerspruchsverfahren eben gerade ein besonderes Verwaltungsverfahren ist. Die Beklagte hat im Verwaltungsverfahren und damit auch im Widerspruchsverfahren den Anspruch eines Versicherten vollumfänglich zu prüfen und muss alles gewähren, was ihm zusteht (so auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 85 SGG Rn 4a). Die Auffassung der Beklagten, dass bei einem Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung im Widerspruchsverfahren und einer anschließenden Rentenbewilligung auf Zeit nur 2/3 der Kosten zu erstatten sind, ist aus diesem Grund auch nicht praxistauglich. Denn würde das zutreffen, würde ein Widerspruchsführer immer nur Rente auf Zeit beantragen. Ein Kostenrisiko des Versicherten für den Fall der Rentenbewilligung besteht dann nicht mehr. Kommt die Abhilfeprüfung oder der Widerspruchsausschuss zu dem Ergebnis, dass eine Zeitrente zu gewähren ist, hätte der Widerspruchsführer auch nach seinem expliziten Antrag vollumfänglich obsiegt. Ergibt sich im Widerspruchsverfahren trotz des beschränkten Antrags aus medizinischen Gründen eine Dauerrente, gewährt die Beklagte über den Antrag hinaus Dauerrente. Auch in diesem Fall hat der Widerspruchsführer vollumfänglich obsiegt, denn er hat sogar mehr bekommen, als er beantragt hat. Und selbst wenn die Beklagte in einem solchen Fall im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nur eine befristete Rente gewähren würde (mit vollem Kostenersatz), könnte der Widerspruchsführer in einem anschließenden Verfahren gemäß § 44 SGB X die Dauerrente durchsetzen.

Die Berufung wird nach § 144 Absatz 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung, da die hier vorliegende Frage obergerichtlich noch nicht entschieden wurde. Die Berufung kann auch im Gerichtsbescheid zugelassen werden. Die Voraussetzung für die Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung und die Beschränkung der Befugnis zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid in Sachen, die keine besondere Schwierigkeit rechtlicher wie tatsächlicher Art aufweisen, schließen sich nicht gegenseitig aus (vgl. Kühl in Breitkreuz/Fichte SGG, 2. Aufl. § 105 Rn 3, 6). Die zu beurteilende Rechtsfrage weißt keine besondere Schwierigkeit rechtlicher oder tatsächlicher Art auf. Es ist lediglich eine Rechtsfrage.
Rechtskraft
Aus
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