L 4 R 1486/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 1725/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1486/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. März 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweise Erwerbsminderung ab 1. Juni 2013.

Die am 1962 in der Türkei geborene Klägerin kam am 1. Januar 1974 in die Bundesrepublik Deutschland. Hier war sie zuletzt bis April 2012 als Reinigungskraft versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 25. Mai 2012 bezog sie Kranken- und zuletzt Arbeitslosengeld.

Am 6. Juni 2013 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, was sie unter Vorlage verschiedener Arztbriefe mit passagerem Drehschwindel, Depression, algetisches S1-Syndrom links mit muskulärer Verspannungen, Protrusion der Bandscheibe L4/5, engem Spinalkanal bei spinaler Enge L3/4, L4/5, Nikotinabusus und Schmerzsyndrom begründete.

In seinem aufgrund einer Untersuchung am 4. Juli 2013 unter dem 5. Juli 2013 erstatteten Gutachten diagnostizierte Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Gr. eine depressive Störung mit Schlafstörungen, Antriebsstörung und Minderbelastbarkeit, ein degeneratives Halswirbelsäulen- (HWS) und Lendenwirbelsäulen (LWS)-Syndrom mit spinalen Engen C5/C6 und L3 bis L5, ein allergisch bedingtes, medikamentös gut behandeltes Asthma bronchiale, Hallux valgus beidseits (Zustand nach Osteotomie Metatarsale I Februar 2013) mit Gangstörung, eine Gonarthrose links, eine Rhizarthrose rechts, eine Anämie, Wechseljahresbeschwerden sowie einen Lagerungsschwindel. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei in erster Linie aufgrund der psychischen Erkrankung gefährdet, eine psychosomatische Rehabilitation werde empfohlen. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin nach psychischer Stabilisierung ein sechs- und mehrstündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen oder Stehen erhalten könne. Ausgeschlossen seien Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Bücken oder Knien, das Steigen auf Leitern oder häufiges Treppensteigen sowie erhöhte Anforderungen an Aufmerksamkeit und Konzentration.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag unter Verweis auf das Begutachtungsergebnis ab, da weder eine volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliege. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruches verwies die Klägerin auf das Bestehen einer schweren psychischen Erkrankung.

In der Zeit vom 6. November bis 4. Dezember 2013 befand sich die Klägerin in stationärer Rehabilitation in der Z.-Klinik, S. B ... Im dortigen Entlassungsbericht vom 13. Dezember 2013 diagnostizierten Dres. W. und S. eine leichte depressive Episode, eine statomotorische Belastungsinsuffizienz bei degenerativem HWS- und LWS-Syndrom mit Spinalkanalstenose Höhe C5/6 und L3 bis L5, Bewegungs- und Gangbildbeeinträchtigungen bei Zustand nach zweimaliger Vorfußkorrektur rechts bei Metatarsalgie und Spreizfuß, eine Gonarthrose links sowie ein allergisch bedingtes, medikamentös gut eingestelltes Asthma bronchiale. Der Klägerin seien leichte bis mittelschwere Arbeiten überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen ohne Nachtschicht sechs und mehr Stunden täglich möglich. Das Einnehmen von Zwangshaltungen, vermehrte Verrichtungen in Armvorhalte- oder Über-Kopf-Höhe, erhöhte Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit sowie erhöhte Anforderungen an die Handkraft und Greiffunktion, insbesondere der rechten Hand, sollten vermieden werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2014 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 11. März 2014 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) unter Vorlage von Befundberichten des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 20. Januar 2014, der behandelnden Ärztin für Orthopädie Dr. M. vom 23. Januar 2014 sowie des Radiologie Zentrums S. vom 9. Januar 2014. Zur Begründung trug sie vor, insbesondere aus der Darstellung von Dr. L. ergebe sich eine deutliche Einschränkung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit, die auf unter drei Stunden täglich abgesunken sei.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Internisten Dr. Br. vom 20. Mai 2014 entgegen. Die von Dr. L. gestellte Diagnose einer mittelgradig ausgeprägten reaktiven Depression könne unter Berücksichtigung der nur relativ seltenen Vorstellung bei ihm und des Rehaentlassungsberichts nicht nachvollzogen werden.

Das SG holte schriftliche Auskünfte der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen ein. Dr. L. gab unter dem 9. April 2014 an, bei Persistieren der Schmerzsymptomatik sowie der mittelgradig ausgeprägten reaktiven Depression halte er eine leichte berufliche Tätigkeit unter drei Stunden täglich für möglich; maßgeblich verantwortlich sei die ausgeprägte Schmerzsymptomatik. Arzt für Allgemeinmedizin Dr. T. verwies in seiner Auskunft vom 23. April 2014 auf die Fachgebiete der Psychiatrie und Orthopädie. Beigelegt wurden u.a. mehrere Berichte der orthopädischen Klinik M.: Entlassbericht des Arztes Se. vom 5. September 2013 über eine am 3. September 2013 durchgeführte Vorfußoperation (distale dreidimensionale Verschiebeosteotomie; laterale Kapselstraffung GGG [Großzehengrundgelenk]); Ambulanzbrief der selben Klinik, Prof. Dr. F., vom 11. November 2013 (gute knöcherne Konsolidierung im Bereich der Osteotomie; kein Hinweis auf Lockerung oder Fraktur; keine fortgeschrittene GGG-Arthrose; Notwendigkeit einer konservativen Therapie für längere Zeit; Verordnung von Krankengymnastik, manueller Therapie und einer Schuhzurichtung mit Abrollhilfe); Arztbrief von Prof. Dr. Li. vom 6. März 2014 (therapieresistente Lumboischialgie beidseits, Dermatom S1). Dr. M. berichtete unter dem 7. Mai 2014 über die operativen Therapien in der Klinik M. mit anschließender Nachbehandlung durch sie selbst sowie eine Vorstellung am 7. Januar 2014 (chronische rechtsseitige Lumboischialgien bei NPP L4/5 mit Wurzelkompression L5 und Foraminastenose L5/S1 mit Wurzelreizsyndrom L5 links). Unter Zusammenschau aller Befunde sei die Klägerin ihres Erachtens derzeit nicht in der Lage, als Reinigungskraft sechs Stunden zu arbeiten.

Das SG bestellte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. zum Sachverständigen. Dieser beschrieb in seinem aufgrund einer Untersuchung am 26. November 2014 am 1. Dezember 2014 erstatteten Gutachten eine Dysthymie, Somatisierungsstörungen, eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine rezidivierende depressive Episoden, derzeit leichtgradig, bei psychosozialen Belastungen (familiär). Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ergäben sich keine erheblichen Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit; führend seien hier eventuelle Einschränkungen aus orthopädischer Sicht. Aufgrund des Alters sollten Tätigkeiten mit Nachtschicht, unter Akkordbedingungen, Fließbandarbeiten und Tätigkeiten unter Witterungseinflüssen gemieden werden. Die Klägerin sei noch in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden vollschichtig zu verrichten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe nicht.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. März 2015 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Insbesondere der Einschätzung von Dr. P. folgend sei die Klägerin unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dessen Leistungseinschätzung werde durch das Gutachten von Dr. Gr. und den Reha-Entlassungsbericht vom 13. Dezember 2013 bestätigt. Die abweichende Leistungseinschätzung von Dr. L. überzeuge angesichts der Feststellungen in den Gutachten und dem Reha-Entlassungsbericht (insbesondere bezüglich des Tagesablaufs und der erhobenen Befunde) nicht. Die orthopädischen Gesundheitsstörungen bedingten keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens. Dr. M. habe lediglich Reinigungsarbeiten nicht mehr für leidensgerecht gehalten, leichte Tätigkeiten aber nicht ausgeschlossen.

Gegen den ihr am 17. März 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10. April 2015 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, sie könne aufgrund der versuchten Vorfuß-Korrektur nicht längere Zeit gehen oder stehen; wegen des HWS- und LWS-Syndroms bei Spinalkanalstenose sei auch eine sitzende Tätigkeit nicht möglich. Im linken Oberarm, übergreifend auf den linken Unterarm, bestehe ein Taubheitsgefühl. Die Greiffunktion der rechten Hand sei weiterhin gemindert. Sie habe erhebliche Probleme mit Schwindelattacken, bei deren Auftreten sie sich sofort hinlegen müsse; ihr werde schwarz vor Augen und sie müsse sich übergeben. Weder der Neurologe noch der HNO-Arzt habe eine Ursache dafür gefunden. Durch familiäre Probleme werde sie schwer belastet. Prof. Dr. Br., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, habe in seinem Gutachten (dazu unten) dargelegt, dass sie innerhalb einer Arbeitsstunde eine zusätzliche Pause von jeweils zehn Minuten benötige. Wegen dieser betriebsunüblichen Pausenregelung sei ihr der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen. Vorgelegt hat sie einen Entlassbericht der Dr. v. Ri., A. B. Krankenhauses S., vom 9. November 2015 (Neurolyse des Nervus fibularis superficialis, Entfernung der Schraube an Metatarsale 1; Großzehengrundgelenksarthrodese), einen Arztbrief der Dres. T. und K., Radiologie Zentrum S., vom 3. März 2016, eine Auskunft von Dr. M. gegenüber der Krankenkasse vom 20. Januar 2016 (Arbeitsfähigkeit nach Operation am 9. November 2015 ab dem 1. Februar 2016 gemessen an dem zeitlichen Umfang, in dem sich die Klägerin der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt habe [25 Stunden wöchentlich]; eine Erwerbsminderung bestehe oder drohe nicht.) sowie einen Auszug aus deren Patientenakte sowie eine Auflistung des Arztes für Orthopädie Y. vom 1. Juli 2016 mit Diagnosen seines Fachgebiets.

Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. März 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2014 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juni 2013 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Gestützt auf eine sozialmedizinische Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E.-D. vom 27. Oktober 2016 ausgeführt, Prof. Dr. Br. habe die bei den von ihm durchgeführten testpsychologischen Verfahren aufgetretene Diskrepanz nicht weiter kommentiert. Die gestellte Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode sei danach nicht nachvollziehbar. Die angenommene Notwendigkeit betriebsunüblicher Pausen könne aus den psychiatrischen Diagnosen nicht abgeleitet werden und werde von ihm auch nicht begründet.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Prof. Dr. Br. zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. In seinem aufgrund einer Untersuchung am 20. September 2016 unter dem 2. Oktober 2016 erstatteten Gutachten hat dieser folgende Diagnosen gestellt: Hallux valgus beidseits bei Zustand nach mehreren operativen Eingriffen rechtsseitig mit der Folge von Gehbeeinträchtigungen, Gonarthrose beidseits bei Zustand nach linksseitigem operativen Eingriff, rezidivierendes HWS- und LWS-Syndrom bei bekannten degenerativen Veränderungen des sog. Stütz- und Skelettapparats, Asthma bronchiale bei bekannter allergischer Diathese, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Nicht mehr zumutbar seien Tätigkeiten mit erheblichem Stress, wie Akkord-, Nacht- oder Schichtarbeiten, besondere klimatische Verhältnisse wie Feuchte, Nässe oder Hitze, intensiver Publikumsverkehr, Heben und Tragen von Lasten über 5 kg sowie körperliche Zwangshaltungen. Tätigkeiten sollten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen ausgeübt werden. Wegen ihrer raschen Erschöpfbarkeit sollte der Klägerin zumindest innerhalb einer Arbeitsstunde eine zusätzliche Pause von jeweils zehn Minuten eingeräumt werden. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei die Klägerin in der Lage, täglich mindestens sechs Stunden leistungsfähig. Hinsichtlich des Arbeitsweges bestünden keine besonderen Einschränkungen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Verfahrensakten des SG und des Senats Bezuge genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung. Denn die Klägerin begehrt laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Der Gegenstand des Verfahrens bestimmt sich nach dem erkennbaren Begehren der Klägerin. Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG). Erkennbar verfolgt die Klägerin das Ziel der Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgrund der Antragstellung vom 6. Juni 2013. Diesen vom SG abgewiesenen Anspruch verfolgt sie im Berufungsverfahren vollumfänglich weiter. Eine Einschränkung des Begehrens ist, auch gemessen an dem in Ziffer 3 des formulierten Sachantrags genannten Beginns der Rente wegen Erwerbsminderung, nicht ersichtlich. Die Berufung ist daher auf eine vollumfängliche Anfechtung des Gerichtsbescheides vom 13. März 2015 gerichtet mit dem Ziel dessen Aufhebung, nicht nur einer Abänderung. Bei tatsächlichem Bestehen einer Erwerbsminderung auf Dauer begänne die begehrte Rente nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) am 1. Juni 2013. Die Klägerin begehrt mithin, den Gerichtsbescheid des SG vom 13. März 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2014 zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juni 2013 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren. An den abweichenden Wortlaut des schriftsätzlich formulierten Antrags ist der Senat nicht gebunden (§ 123 SGG). Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit macht die am 11. Februar 1962 und damit nicht vor dem 2. Januar 1961 geborene Klägerin zu Recht nicht geltend (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

3. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2013. Der streitbefangene Bescheid vom 11. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

b) Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Klägerin in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen bei ihr gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern ihre berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht.

(1) Bei der Klägerin bestehen auf orthopädischem Fachgebiet eine statomotorische Belastungsinsuffizienz bei degenerativem HWS- und LWS-Syndrom mit Spinalkanalstenose Höhe C5/6 und L3 bis L5, ein Hallux valgus beidseits bei Zustand nach dreimaliger Vorfußkorrektur rechts bei Metatarsalgie und Spreizfuß, eine Rhizarthrose rechts, eine Gonarthrose sowie ein Zustand nach operativer Außenknorpelglättung im linken Kniegelenk am 23. Juni 2015. Dies entnimmt der Senat der übereinstimmenden Darstellung im Gutachten von Dr. Gr. und dem Reha-Entlassungsbericht von Dr. We., die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51), in der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. M. sowie dem von Prof. Dr. Br. vorgelegten Operationsbericht vom 23. Juni 2015. Internistisch besteht ein allergisch bedingtes Asthma bronchiale. Auch dies ist dem Gutachten von Dr. Gr. und dem Reha-Entlassungsbericht von Dr. We. zu entnehmen.

Auf psychiatrischem Fachgebiet besteht eine depressive Störung, die jedenfalls noch kein mittelgradiges Ausmaß erreicht hat. Dies entnimmt der Senat den schlüssigen und übereinstimmenden Bewertungen von Dr. Gr., Dr. We. und Dr. P ... Bei der Untersuchung durch Dr. Gr. fand sich die Stimmung deutlich zum depressiven Pol verschoben. Die affektive Schwingungsfähigkeit war etwas vermindert. Gelegentliches Weinen wurde beschrieben. Aufmerksamkeit, Konzentration und Merkfähigkeit zeigten sich unauffällig. Die Klägerin verrichtete den Haushalt für die gesamte Familie (Ehemann, zwei volljährige Söhne und eine volljährige, schwerhörige Tochter) alleine. Zum Abschluss des Rehaverfahrens im Dezember 2013 waren Psychomotorik und Antrieb lediglich leicht reduziert, die emotionale Schwingungsfähigkeit oberflächlich moduliert und situationsadäquat, der Affekt herabgestimmt. Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis waren intakt. Bei Dr. P. fand sich die Stimmungslage durchgängig herabgestimmt, allerdings nicht schwerwiegend depressiv. Die affektive Schwingungsfähigkeit war thematisch und nach Situation erhalten. Aufmerksamkeit, Konzentration, Einstellung und Umstellung waren nicht erschwert. Die Klägerin zeigte sich im Antrieb etwas reduziert, sozial zurückgezogen, aber nicht isoliert. Beschrieben wurde ein geregelter Tagesablauf mit morgendlichem Frühaufstehen und Verrichtung des gesamten Haushalts (Einkaufen, Bügeln, Waschen). Für den Senat überzeugend hat Dr. P. danach, übereinstimmend mit Dr. Gr. und Dr. We., eine mittelgradige Ausprägung der depressiven Störung ausgeschlossen. Den abweichenden Beurteilungen von Dr. L. (mittelgradig ausgeprägte reaktive Depression) und Prof. Dr. Br. (rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode) vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Dr. L. stützt sich nach dem Inhalt seiner sachverständigen Zeugenauskunft überwiegend auf subjektive Beschwerdeangaben der Klägerin. Des Weiteren hat bereits Dr. Br. in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 20. Mai 2014 darauf hingewiesen, dass bei Annahme dieses Schweregrades die nur seltene Vorstellung bei Dr. L. nicht nachvollziehbar wäre. Eine Vorstellung bei diesem fand nur alle zwei bis drei Monate statt. Auch noch aktuell gab die Klägerin gegenüber Prof. Dr. Br. an, etwa alle drei Monate bei Dr. L. in Behandlung zu sein. Zu Recht hat des Weiteren Dr. E.-D. auf das diskrepante Ergebnis der von Prof. Dr. Br. durchgeführten testpsychologischen Verfahren hingewiesen. Die Auswertung des Selbstbeurteilungsverfahrens des Beck-Depressions-Inventars sprach für eine schwere, die Anwendung der Fremdbeurteilungsskala (Hamilton-Depression-Scale) ergab hingegen lediglich eine leichte Depression. Diese Diskrepanz wurde von Prof. Dr. Br. nicht kommentiert. Im psychischen Befund beschrieb er die Klägerin psychomotorisch als "dezent" angespannt, in der Grundstimmung gedrückt und besorgt. Die Affektivität sei "etwas" in Richtung depressivem Pol verschoben. Die Gedächtnisleistungen, die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit waren nicht beeinträchtigt. Eine Minderung des Antriebs hat Prof. Dr. Br. nicht objektiv festgestellt. Im psychischen Befund gibt er diesen lediglich als subjektiv gemindert an. Einen Tagesablauf hat er nur rudimentär erhoben. Danach stehe die Klägerin morgens zwischen 7.00 und 8.00 Uhr auf. An manchen Tagen verspüre sie überhaupt keine Lust, irgendetwas im Haushalt zu tun. An den meisten Tagen mache sie "immer nur etwas ein bisschen". Ihr Mann helfe in keiner Weise. Den tatsächlichen Umfang und Verlauf hat Prof. Dr. Br. nicht weiter erfragt. Es bleibt unklar, ob der Haushalt "liegenbleibt" oder eben doch von der Klägerin verrichtet wird. Dies hatte sie bei Dr. P. noch explizit angegeben. Auch die Angabe gegenüber Prof. Dr. P., für Hobbies keine Zeit zu haben, spricht dafür. Des Weiteren gab die Klägerin subjektiv kognitive Einbußen an, die sich objektiv nicht bestätigt haben. Insoweit fehlt es im Gutachten von Prof. Dr. Br. an der Konsistenzprüfung der Angaben. Auch den Umstand, dass die Klägerin einen Monat zuvor einen wöchigen Urlaub in der Türkei verbracht hatte, wird von diesem nicht diskutiert.

Bei der Klägerin besteht daneben eine Schmerzstörung. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. P., der diese als Somatisierungsstörungen, somatoforme Schmerzstörung einordnete. Beschrieben sie auch von Dr. L. (Schmerzsyndrom) und Prof. Dr. Br. (chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren). Des Weiteren leidet die Klägerin an einer nicht somatisch bedingten Schwindelsymptomatik.

(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht ein. Ausgeschlossen sind aufgrund der orthopädischen Gesundheitsstörungen Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Bücken oder Knien, das Steigen auf Leitern oder häufiges Treppensteigen, vermehrte Verrichtungen in Armvorhalte- oder Über-Kopf-Höhe, erhöhte Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit sowie erhöhte Anforderungen an die Handkraft und Greiffunktion, insbesondere der rechten Hand. Da sich auch bei der aktuellen, zumindest orientierenden körperlichen Untersuchung bei Prof. Dr. Br. die Daumenbeweglichkeit rechtsseitig nur etwas eingeschränkt zeigte, die Feinmotorik der Finger und die grobe Kraft hingegen als normal beschrieben wurden, ist ein normaler Einsatz der rechten Hand als Arbeitshand gerade nicht ausgeschlossen. Entgegen der Ansicht der Klägerin stehen die Gesundheitsstörungen an der HWS und der LWS ohne sensomotorische Defizite einer Tätigkeit überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum gelegentlichen Haltungswechsel nicht entgegen. Dies entnimmt der Senat den überzeugenden Einschätzungen von Dr. Gr. und Dr. We ... Auch Dr. M. hat keine weitergehenden Einschränkungen beschrieben. Das Asthma bronchiale ist, wie bereits Dr. Gr. festgehalten hat, medikamentös gut behandelt. Wegen der Schwindelattacken sind Arbeiten mit erhöhter Verletzungs- und Absturzgefahr (z.B. auf Leitern, Treppen oder Gerüsten) nicht mehr leidensgerecht. Da sie aber unabhängig von einer körperlichen Tätigkeit auftreten und bislang auch nach Angaben der Klägerin nicht zu Bewusstseinsverlusten oder Stürzen geführt haben, sind weitere Einschränkungen nicht notwendig. Nachvollziehbar hat Dr. P. Tätigkeiten mit Nachtschicht, unter Akkordbedingungen, Fließbandarbeiten und Tätigkeiten unter Witterungseinflüssen als nicht mehr zumutbar erachtet. Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnisleistungen waren durchgehend und auch zuletzt sowohl bei Dr. P. als auch bei Prof. Dr. Br. als intakt beschrieben worden, so dass diesbezüglich keine Einschränkungen zu machen sind.

(3) Die bei der Klägerin als rentenrelevant zu berücksichtigen Gesundheitsstörungen führen jedoch nicht zu einem Absinken des tatsächlichen Restleistungsvermögen auf ein unter sechsstündiges Maß; sie ist weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Der Senat stützt sich auch insoweit insbesondere auf die überzeugenden Einschätzungen von Dr. Gr., Dr. We. und Dr. P., deren Einschätzung durch Dr. M. bestätigt wird.

Den orthopädischen Gesundheitsstörungen kann mit den oben genannten qualitativen Ausschlüssen ausreichend Rechnung getragen werden. Eine darüber hinausgehende Einschränkung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht rechtfertigen sie nicht. Dies entnimmt der Senat den überzeugenden Einschätzungen von Dr. Gr. und Dr. We ... Bei Entlassung aus der Rehabilitationsbehandlung im Dezember 2013 war die Belastbarkeit des rechten Fußes zwar noch erheblich herabgesetzt. Beschrieben wurde jedoch eine schmerzfreie Gehstrecke von 30 Minuten. Nach der am 9. November 2015 durchgeführten dritten Vorfuß-Operation mit Neurolyse des Nervus fibularis superficialis, Entfernung der Schraube an Metatarsale und Großzehengrundgelenksarthrodese war es zwar wegen Schmerzexazerbation zu einer verzögerten Mobilisation gekommen. Am Entlasstag (11. November 2015) war die Klägerin jedoch bereits auf Ebene und Treppe an Unterarmgehstützen mobil; poststationär erfolgte eine Mobilisation im Vorfußentlastungsschuh für acht Wochen. Dies entnimmt der Senat dem Entlassbericht von Dr. v. Ri ... Dr. M. gab in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft eine Minderung der Leistungsfähigkeit nur bezogen auf Tätigkeiten einer Reinigungskraft an. Eine Einschränkung für die hier allein in Rede stehenden körperlichen leichten Tätigkeiten lässt sich daraus nicht ableiten. Dementsprechend gab sie in ihrer Auskunft gegenüber der Krankenkasse vom 20. Januar 2016 eine Arbeitsfähigkeit nach der Operation am 9. November 2015 ab dem 1. Februar 2016 für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt an. Die darin enthaltene Angabe von 25 Stunden wöchentlich (und damit fünf Stunden täglich) erfolgte lediglich, weil sich die Klägerin gegenüber der Agentur für Arbeit nur in diesem zeitlichen Umfang der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hatte. Eine medizinisch begründete zeitliche Beschränkung liegt darin nicht. Vielmehr hat Dr. M. in dieser Auskunft ausdrücklich das Bestehen einer Erwerbsminderung verneint.

Die depressive Erkrankung bedingt auch im Zusammenspiel mit der Schmerzstörung keine Einschränkung des Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten in zeitlicher Hinsicht. Dies entnimmt der Senat dem überzeugenden Gutachten von Dr. P ... Soweit Prof. Dr. Br. die Diagnosenzuordnung durch Dr. P. kritisiert hat, ist dies für die hier allein relevante Frage der beruflichen Leistungsfähigkeit nicht von entscheidender Bedeutung. Auf die genaue diagnostische Zuordnung oder die Ursache der Gesundheitsstörung kommt es nicht an. Maßgeblich ist vielmehr zunächst die Schwere deren Schwere und Ausprägungsgrad sowie die daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen im Alltag. Diese hat Dr. P. eingehend erhoben und – wie oben bereits dargestellt – in Abgleich mit der Alltagsgestaltung der Klägerin, insbesondere ihrem tatsächlichen Tagesablauf, bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Der abweichenden Leistungseinschätzung von Dr. L., der einen solchen Abgleich nicht vorgenommen hat, vermag der Senat aus den oben genannten Gründen nicht zu folgen. Prof. Dr. Br. hat ebenfalls ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen beschrieben.

(4) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

(5) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist hier gegeben, insbesondere besteht aus den oben genannten Gründen keine Notwendigkeit zusätzlicher, betriebsunüblicher Pausen. Die von Prof. Dr. Br. angenommene Notwendigkeit einer zusätzlichen Pause von zehn Minuten je Arbeitsstunde überzeugt nicht. Zunächst ist, wie bereits oben ausgeführt, die von ihm angenommene Schwere der depressiven Störung nicht nachvollziehbar. Des Weiteren wird die rasche Erschöpfbarkeit, die zusätzliche Pausen bedinge, nicht näher begründet. Es ist nicht ersichtlich, worauf sich Prof. Dr. Br. insoweit stützt. Objektive Hinweise oder Anzeichen einer vorzeitigen Erschöpfung oder Ermüdung sind in seinem Gutachten trotz immerhin fünfstündiger Untersuchung und Exploration nicht beschrieben.

6) Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dass ihr dies nicht mehr möglich sei, wird von keinem der mit ihr befassten Ärzte angenommen. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist dies auch nachvollziehbar. Die Gehfähigkeit der Klägerin ist zwar insbesondere aufgrund des Hallux valgus mit inzwischen dreimaliger Vorfuß-Operation beeinträchtigt. Als Abschlussbefund bei Entlassung aus dem Rehaverfahren beschreibt Dr. We. trotz noch erheblich herabgesetzter Belastbarkeit des rechten Fußes eine schmerzfreie Gehzeit von 30 Minuten. Zur Untersuchung bei Dr. P. war die Klägerin zwar von einem Bekannten gefahren worden, zurückfahren wollte sie aber nach eigenen Angaben mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Des Weiteren war sie in der Lage, die Wege zum Einkaufen zurückzulegen. Dr. v. Ri. beschreibt die Klägerin im Entlassbericht nach der dritten Vorfuß-Operation am Entlasstag (11. November 2015) auf Ebene und Treppe an Unterarmgehstützen mobil; eine Mobilisation im Vorfußentlastungsschuh folgte für acht Wochen. Zuletzt beschrieb Prof. Dr. Br. ein – leichtes – Rechtshinken auch in unbeobachteten Situationen. Eine rentenrelevante Einschränkung der Gehstrecke hat auch er verneint.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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