L 7 SO 273/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 2948/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 273/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21. November 2016 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 19. November 2015 und Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2016 Anträge des Klägers auf Übernahme von Kosten im Zusammenhang mit einer Wohnungssuche und einem Umzug abgelehnt hatte, hat der Kläger am 11. Juli 2016 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21. November 2016 aufgrund mündlicher Verhandlung, an der der Kläger teilgenommen hatte, abgewiesen.

Gegen das ihm am 8. Dezember 2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. Januar 2017 Berufung eingelegt. Die Monatsfrist für die korrekte Erhebung der Berufung sei abgelaufen. Hierfür entschuldige er sich.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21. November 2016 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 19. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2016 zu verurteilen, ihm Leistungen in Höhe von 765,94 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass die Berufung verfristet eingelegt worden sei.

Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass beabsichtigt sei, die Berufung durch Beschluss wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen, hat der Kläger sinngemäß vorgebracht, dass nicht ein Fristversäumnis dafür entscheidend sein könne, ob ein Gericht für die Gerechtigkeitsfindung zuständig sei. Der Rechtsstreit sei im gesamten Jahr 2016 für ihn lebensbestimmend und zusätzlich auch existenzbedrohend gewesen. Wenn das SG diese Ungerechtigkeit ihm gegenüber nicht erkannt habe, dann müsse es noch eine zweite Anlaufstelle geben, welche sich seines Rechtsstreites annehme.

Mit Schreiben vom 20. Februar 2017 hat der Kläger die formularmäßige Erklärung, seine Berufung zurückzunehmen, vorgelegt. Mit Schreiben vom 21. Februar 2017 hat der Kläger mitgeteilt, er nehme seine Berufung nicht zurück. Er habe sich von Anfang Dezember 2016 bis Samstag, den 14. Januar 2017, bei seiner Mutter in B. aufgehalten. Anschließend habe er erst das Urteil des SG in seinem Briefkasten vorgefunden. Die Schreiben des Klägers vom 20. und 21. Februar 2017 sind beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zeitgleich am 22. Februar 2017 eingegangen.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Die Berufung des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen.

a) Der Entscheidung des Senats steht nicht entgegen, dass der Kläger seine Berufung bereits im Sinne des § 156 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückgenommen hätte. Zwar hat der Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2017 die formularmäßige Erklärung übersandt, dass er die Berufung zurücknehme. Mit Schreiben vom 21. Februar 2017 hat er jedoch mitgeteilt, dass er die Berufung nicht zurücknehme. Da beide Schreiben beim LSG zeitgleich eingegangen sind, liegt keine Erklärung der Berufungsrücknahme vor. Es handelt sich aufgrund dieser besonderen Konstellation nicht um einen Fall des (grundsätzlich unzulässigen) Widerrufs der Berufungsrücknahmeerklärung. Vielmehr lag von vorneherein keine Berufungsrücknahmeerklärung vor, weil keine Erklärung vorlag, der sich der unzweideutige Wille des Berufungsklägers, das Verfahren beenden zu möchten, entnehmen lässt, denn gleichzeitig beim Gericht eingehende Äußerungen der Beteiligten sind insgesamt zu würdigen (im Ergebnis ebenso Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 156 Rdnr. 2a; siehe auch den Rechtsgedanken des § 130 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch).

b) Die Berufung des Klägers ist aber verfristet.

aa) Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Das Urteil des SG – mit zutreffender Rechtsmittelbelehrung (§ 66 SGG) – vom 21. November 2016 ist dem Kläger ausweislich der zur Akte des SG gelangten Postzustellungsurkunde am 8. Dezember 2016 zugestellt worden. Die einmonatige Berufungsfrist wäre eigentlich am 8. Januar 2017 abgelaufen (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG). Da es sich hierbei um einen Sonntag gehandelt hat, ist die Berufungsfrist gemäß § 64 Abs. 3 SGG erst am 9. Januar 2007 abgelaufen. Das Berufungsschreiben des Klägers ist beim LSG Baden-Württemberg am 23. Januar 2017 und damit nach Fristablauf eingegangen.

bb) Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGG). Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung nach § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG auch ohne Antrag gewährt werden.

Gründe für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor. Einen solchen Wiedereinsetzungsgrund stellt insbesondere nicht die vom Kläger behauptete Abwesenheit von zu Hause zwischen Anfang Dezember 2016 und dem 14. Januar 2017 dar. Zwar ist der Bürger nicht verpflichtet, jederzeit mit der Entgegennahme von fristgebundenen Schreiben von Behörden und Gerichten zu rechnen und Vorsorge zu treffen, diese zeitnah in Empfang nehmen zu können. So kann beispielsweise eine Urlaubsabwesenheit von bis zu etwa sechs Wochen einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn der Bürger nicht damit rechnen musste, dass ihm gerichtliche Schreiben zugestellt werden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 11. Februar 1976 – 2 BvR 849/75 – juris Rdnr. 9 ff.; BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1973 – 2 BvR 675/12 – juris Rdnr. 9; BVerfG, Beschluss vom 7. August 2009 – 1 BvR 685/07 – juris Rdnr. 19; Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 9. Oktober 2012 – B 5 R 196/12 B – juris Rdnr. 6).

Etwas anderes gilt indes, wenn der Bürger den Eingang an ihn gerichteter Schreiben in der Zeit seiner Abwesenheit erwarten musste (BVerfG, Beschluss vom 7. August 2009 – 1 BvR 685/07 – juris Rdnr. 19 m.w.N.). Ist er an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt und muss daher damit rechnen, dass während seiner Abwesenheit Fristen in Lauf gesetzt oder Termine bestimmt werden, so obliegt es ihm, seinen Posteingang zu kontrollieren und für eine rechtzeitige Erledigung fristwahrender Handlungen zu sorgen (BVerfG, Beschluss vom 7. August 2009 – 1 BvR 685/07 – juris Rdnr. 19 m.w.N.; BSG, Beschluss vom 14. November 2008 – B 12 KR 82/07 B – juris Rdnr. 5; Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 19. Dezember 1994 – II ZR 174/94 – juris Rdnr. 6; BGH, Beschluss vom 1. Dezember 1978 – I ZB 9/78 – juris Rdnr. 8; LSG Bayern, Urteil vom 28. März 2012 – L 2 P 72/11 – juris Rdnr. 17; Hintz in Hintz/Lowe, SGG, 2012, § 67 Rdnr. 14; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 67 Rdnr. 7; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1976 – 2 BvR 849/75 – juris Rdnr. 10; a.A. BSG, Urteil vom 24. August 1976 – 8 RU 130/75 – juris Rdnr. 17). Unterlässt er gleichwohl entsprechende Vorkehrungen, trifft ihn hinsichtlich der Fristversäumnis ein Verschulden, das eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt (vgl. BSG, Beschluss vom 14. November 2008 – B 12 KR 82/07 B – juris Rdnr. 5; BGH, Beschluss vom 1. Dezember 1978 – I ZB 9/78 – juris Rdnr. 8; LSG Bayern, Urteil vom 28. März 2012 – L 2 P 72/11 – juris Rdnr. 17; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 67 Rdnr. 7). Eine solche Sachlage ist etwa dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund eines anberaumten Verkündungstermins alsbald mit der Zustellung des schriftlichen Urteils rechnen musste (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2000 – II ZB 22/99 – juris Rdnr. 4; BGH, Beschluss vom 1. Dezember 1978 – I ZB 9/78 – juris Rdnr. 8; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 67 Rdnr. 7; vgl. auch LSG Bayern, Urteil vom 28. März 2012 – L 2 P 72/11 – juris Rdnr. 17 [nach Ankündigung eines Gerichtsbescheides]; a.A. BSG, Urteil vom 24. August 1976 – 8 RU 130/75 – juris Rdnr. 17).

So verhält es sich aber hier. Der Kläger wusste aufgrund seiner Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 21. November 2016 und der am selben Tag erfolgten Urteilsverkündung, dass in der Folgezeit mit der Zustellung des schriftlichen Urteils zu rechnen ist. Es bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit (vgl. zu diesem Maßstab BSG, Beschluss vom 9. Oktober 2012 – B 5 R 196/12 B – juris Rdnr. 9), dass während seiner Abwesenheit die Berufungsfrist in Lauf gesetzt wird. Es hat ihm daher oblegen, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass er auch während seiner Abwesenheit von zu Hause ist der Lage ist, die Berufungsfrist zu wahren. Da er dies versäumt hat und das Urteil – nach seiner Darstellung – erst nach seiner Rückkehr vorgefunden hat, hat er die Versäumung der Berufungsfrist verschuldet.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved