L 17 U 256/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 281/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 256/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 11.03.2015 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Zugunstenverfahrens gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) darüber, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit (BK) der Ziffer 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV, Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) vorliegt.

Unter dem 04.10.2000 erstattete der Facharzt für Dermatologie und Allergologe Dr. L eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit. Die am 00.00.1961 geborene Klägerin leide unter Atemnot, Zittern, Schlafstörungen, Druck im Kopf, Konzentrationsstörungen, die sie auf Ausdünstungen von Tonersubstanz der Kopiergeräte zurückführe. Ursache der Erkrankung sei vermutlich das Bedienen von Kopiergeräten, Druckern und Faxgeräten bei der Firma L. Die Klägerin war als Sachbearbeiterin vom 01.04.1989 bis 30.06.1998 bei der Firma L, sodann vom 01.07.1998 bis 30.11.1998 bei der Firma L1 Warenhaus AG und ab dem 01.12.1998 bis 31.12.2002 wieder bei L bzw. deren Rechtsnachfolgerin, der Firma P beschäftigt. Ab August 2001 bestand kein direkter beruflicher Kontakt zu Tonern mehr.

Die Beklagte nahm diverse Arztberichte und einen Auszug über Arbeitsunfähigkeitszeiten der Krankenkasse der Klägerin zu den Akten und holte eine Stellungnahme ihres technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 20.12.2000 ein, welcher meinte, die Einwirkungen beim Wechsel von Tonerkassetten und beim laufenden Betrieb von Druckern und Kopierern im Büro der Klägerin seien so gering, dass eine toxische Einwirkung ausgeschlossen werden könne.

Mit Bescheid vom 06.02.2001 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Beschwerden der Klägerin als Berufskrankheit u.a. als BK 1317 sowie Leistungen nach § 3 BKV ab. Die bei der Klägerin bestehenden Beschwerden (z.B. Atemnot, Konzentrations- und Schlafstörungen) seien nicht durch die berufliche Tätigkeit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden. Dabei stützte sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Feststellungen ihres TAD.

Nachdem der Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid nach weiterer Stellungnahme des TAD vom 30.05.2001 mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2001 zurück gewiesen worden war, führte die Klägerin vor dem Sozialgericht Köln (SG) ein Klageverfahren (Aktenzeichen S 16 U 159/01). In diesem Verfahren holte das SG von Amts wegen ein Gutachten von dem Arbeitsmediziner Dr. Q vom 13.05.2003 ein. Dieser stellte im Hinblick auf eine BK 1317 fest, dass die typischen Symptome einer lösungsmittelbedingten Berufserkrankung im Sinne einer Enzephalopathie oder Polyneuropathie nicht vorlägen. Er meinte, die von der Klägerin geklagten Beschwerden seien primär psychovegetativer Natur. Überdies sei eine dauerhaft übergrenzwertige Exposition gegenüber Lösungsmitteln im Sinne einer BK 1317 in jedem Fall auszuschließen. Auch der anschließend nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Facharzt für Dermatologie, Allergologie, Umweltmedizin und Phlebologie Dr. L verneinte in seinem Gutachten vom 25.02.2004 das Vorliegen einer BK 1317. Mit Urteil vom 11.11.2004 wies das SG die Klage ab, die anschließende Berufung vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Az. L 4 U 113/04) nahm die Klägerin zurück.

Mit Schreiben vom 12.12.2013 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen "Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X für alle Bescheide betreffend Berufskrankheit Nummer 4301 /4302 [ ...] [sowie] auch vorsorglich die Berufskrankheit Nummer 1317" betreffend.

Mit Bescheid vom 23.01.2014 lehnte die Beklagte eine Rücknahme ihres Bescheides vom 06.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2001 über die Ablehnung einer BK 1317 ab. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, es hätten sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben, die eine Neufeststellung bedingen könnten.

Der Widerspruch der Klägerin vom 24.02.2014 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2014 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 23.06.2014 Klage vor dem SG erhoben. Sie hat die Ansicht vertreten, bei ihr sei eine BK 1317 anzuerkennen und zu entschädigen. Es bestehe eine Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse und ein Subsumtionsfehler in der Ablehnung. Ein neuer Sachvortrag sei nicht erforderlich.

Ihrem schriftsätzlichen Vorbringen hat das SG den Antrag entnommen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2014 zu verurteilen, den Bescheid vom 06.02.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2001 zurück zu nehmen und bei ihr eine BK 1317 anzuerkennen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ihre Entscheidung für zutreffend gehalten.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.03.2015 zurückgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2014 sei nicht zu beanstanden. Zu Recht habe die Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin abgelehnt. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die damals getroffene Entscheidung rechtswidrig gewesen sei. Weder sei ersichtlich, dass sie aus rechtlichen Gründen keinen Bestand hätte haben können, noch sei erkennbar, dass von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise. Die Klägerin habe lediglich ihre bereits im Vorprozess vertretene Auffassung wiederholt, ihre geltend gemachten Erkrankungen seien durch Tonerstaub hervorgerufen, ohne auch nur ansatzweise etwas Neues vorzutragen. Die hier alleine in Rede stehende BK 1317 sei bereits Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gewesen, in dem alle gehörten Sachverständigen, sogar der von der Klägerin nach § 109 SGG benannte Gutachter, das Vorliegen dieser Berufskrankheit verneint hätten.

Gegen den ihr am 16.03.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 08.04.2015 Berufung eingelegt. Sie mache weiterhin eine Polyneuropathie und Enzophalopathie durch organische Lösungsmittel und deren Gemische geltend.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 11.03.2015 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2014 zu verurteilen, den Bescheid vom 06.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2001 zurückzunehmen und bei ihr eine BK gemäß Ziffer 1317 BKV anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat eine aktuelle Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 1317 unter Berücksichtigung der "Gesundheitlichen Bewertung Nr. 014/2008" des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 31.03.2008 und darin zitierter Studien eingeholt. Dieser hat unter dem 01.07.2015 im Ergebnis ausgeführt, dass nach neuen Studienergebnissen beim Druckerbetrieb von einer geringen Freisetzung von Benzol auszugehen ist. Werte, wie sie für Effekte im Sinne einer BK 1317 diskutiert würden, würden nicht erreicht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme vom 01.07.2015 (Bl. 98 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Die Klägerin hat einen Antrag nach § 109 SGG gestellt und Prof. Dr. G aus C benannt. Mit Beweisanordnung vom 11.01.2016 ist dieser antragsgemäß mit der Gutachtenerstattung aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin betraut worden, wobei er eine neuropsychologische Zusatzbegutachtung durch Prof. Dr. I für notwendig gehalten hat. Dieser ist entsprechend mit einer Zusatzbegutachtung betraut worden.

Einen Termin der beiden Sachverständigen zur ambulanten Untersuchung am 13.06.2016, zu welchem die Klägerin nach eigenen Angaben am 31.05.2016 eine Einladung erhalten hatte, hat die Klägerin abgesagt, da ihr der Termin zu kurzfristig mitgeteilt worden sei. "Aus gegebenem Anlass" könne eine Begutachtung erst ab dem 26.09.2016 erfolgen. Sie könne die Fahrtkosten zum Gutachter nach C nicht aufbringen und müsse wegen eines Basalzellkarzinoms am rechten Oberbauch, welches der Beklagten schon vor Jahren als Berufskrankheit gemeldet worden sei, dringend einen Dermatologen und einen Internisten aufsuchen. Nachdem die Klägerin vom Senat auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen und auf die Möglichkeit der Aufhebung der Beweisanordnung hingewiesen worden ist, haben die Sachverständigen einen weiteren Untersuchungstermin am 28.09.2016 anberaumt. Diesen hat die Klägerin erneut unter Verweis auf ihre finanzielle Situation und die Notwendigkeit von weiteren Arztbesuchen - ohne Vorlage entsprechender Belege - abgesagt, verbunden mit der Bitte, einen Termin zur Begutachtung ab April 2017 anzuberaumen. Auf Anfrage des Senats hat sich die Klägerin mit einer Begutachtung nach Aktenlage nicht einverstanden erklärt. Der Senat hat die Beweisanordnung am 24.10.2016 aufgehoben.

Die Klägerin ist mit Postzustellungsurkunde am 15.12.2016 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.02.2017 geladen worden. Am 06.02.2017 hat sie telefonisch um Terminsverlegung von mindestens zwei Monaten gebeten. Sie müsse Ihre Mutter, welche gestürzt sei, pflegen. Sie könne diesen Antrag nicht schriftlich stellen, da es ihr nicht möglich sei, sich in einem Raum mit Tonern, Druckern etc. aufzuhalten. Nach Rücksprache des Senatsvorsitzenden am selben Tag hat die Klägerin ergänzend mitgeteilt, die Versorgungsbedürftigkeit der Mutter bestehe seit Dezember 2016 und nach zwischenzeitlichem Krankenhausaufenthalt seit dem 24.01.2017 wieder. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass der Termin bestehen bleibt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die beigezogene Akte des SG, Az. S 16 U 159/01 = L 4 U 113/04 verwiesen. Ihre Inhalte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte die Streitsache auch in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, denn sie wurde mit der Ladung, die ihr am 15.12.2016 zugestellt wurde, darauf hingewiesen, dass auch in ihrer Abwesenheit mündlich verhandelt, Beweis erhoben und entschieden werden kann (§ 153 Abs. 1 i.V. mit § 126 SGG, vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 126 Rn. 4). Für eine Aufhebung des Termins im Hinblick darauf, dass die Klägerin am 06.02.2017 telefonisch die Bitte um Terminsverlegung um mindestens zwei Monate geäußert hatte, bestand kein Anlass. Es ist schon nicht belegt, dass die Klägerin, deren persönliches Erscheinen nicht angeordnet war, keine Möglichkeit hatte, ihre Mutter anderweitig, z.B. durch eine von der Krankenkasse gestellte Haushaltshilfe, versorgen zu lassen. Ebenso wie bei chronischer Erkrankung eines Klägers in der Regel Vorsorge für eine geeignete Vertretung zu treffen ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 14.09.2016, L 17 U 729/11, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de; Kühl in: Breitkreuz/Fichte, Kommentar zum SGG, § 110, Rn. 9), war es der Klägerin auch bei der vorliegend geltend gemachten und bereits seit dem 24.01.2017 bekannten langfristigen Pflegebedürftigkeit der Mutter zumutbar, für eine Vertretung entweder in der Pflege der Mutter oder vor Gericht zu sorgen. Einen Beleg über die Gründe ihrer Verhinderung hat die Klägerin (wieder) nicht vorgelegt.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert, da diese nicht rechtswidrig sind (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte hat zutreffend die Anerkennung einer BK 1317 unter Rücknahme des Bescheides vom 06.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2001 abgelehnt.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Es kann offen bleiben, ob die Beklagte den Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 06.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2001 schon mangels neuen Vorbringens ablehnen durfte (dagegen etwa BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R: Rechtsprüfung immer erforderlich). Jedenfalls sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Klägerin unter einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie leidet, wie bereits die im vorangegangenen Klageverfahren S 16 U 159/01 gehörten Sachverständigen Dr. Q, der dem Senat aus einer Vielzahl von Gerichtsverfahren als erfahrene Sachverständiger auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung bekannt ist und der sich als kompetent und ausgewogen urteilender Sachverständige erwiesen hat, und der auf Antrag der Klägerin gehörte Dr. L mit ausführlicher und für den Senat nachvollziehbarer Begründung dargelegt haben. Ebenso wenig sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen der begehrten BK im Vollbeweis nachgewiesen. Denn es ist nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand schon nicht bewiesen, dass bei dem Betrieb von Büromaschinen wie Druckern oder Fotokopierern organische Lösungsmittel oder deren Gemische in einer Konzentration freigesetzt werden, wie sie für die Verursachung von Krankheiten im Sinne der BK 1317 diskutiert werden. Der Senat nimmt insofern auf die entsprechenden Äußerungen des Dr. Q im Vorprozess sowie die aktuell von dem Präventionsdienst der Beklagten vorgelegte Stellungnahme vom 01.07.2015 Bezug. Der Senat hat keinen Anlass, an diesen Ausführungen zu zweifeln.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Anlass zur Revisionszulassung besteht nicht, da die gemäß § 160 Abs. 2 SGG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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