L 8 U 1271/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 7253/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 1271/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.02.2016 wird wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers im Rubrum berichtigt. Das Entscheidungsdatum 23.07.2015 wird durch das Datum 26.02.2016 ersetzt.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.02.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Der 1953 geborene Kläger absolvierte in der Zeit von September 1968 bis September 1971 eine Ausbildung zum Maler und Lackierer bei der Firma A. in W. , bei der er auch im Anschluss an seine Ausbildung in Vollzeit bis zum 13.04.1997 tätig war. Seit dem 14.04.1997 arbeitet der Kläger ebenfalls als Maler und Lackierer bei der Firma S. in B. mit einer Arbeitszeit von 42,5 Stunden in der Woche.

Aufgrund einer Anzeige der IKK classic leitete die Beklagte mit Schreiben vom 14.06.2011 (Bl. 2 der Verwaltungsakte) ein Feststellungsverfahren zur Prüfung einer BK Nr. 2102 ein und führte Ermittlungen zu Art und Umfang der kniebelastenden Tätigkeiten des Klägers durch. Der Präventionsdienst kam in seiner Stellungname vom 28.07.2011 (Bl. 15 ff. der Verwaltungsakte) zu dem Ergebnis, dass keine andauernden meniskusbelastenden Tätigkeiten ausgeübt worden seien. Der Kläger habe zudem nur Beschwerden im linken Knie, welche seit einem Arbeitsunfall am 08.09.2010 bestünden.

Mit Bescheid vom 18.08.2011 (Bl. 28 der Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte die Anerkennung der Gesundheitsstörungen des Klägers als BK Nr. 2102 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Ermittlungen des Präventionsdienstes hätten ergeben, dass der Kläger keine andauernden meniskusbelastenden Tätigkeiten ausgeübt habe. Meniskusbelastende Tätigkeiten würden nur in geringem Umfang durchgeführt.

Am 08.09.2011 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch. Er habe anlässlich eines Arbeitsunfalls am 08.09.2010 einen Knieschaden erlitten, der nicht ausgeheilt sei. Er leide unter ständigen Schmerzen und sei den Belastungen am Arbeitsplatz kaum gewachsen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Gewährung einer Entschädigung wegen einer Berufskrankheit setze u.a. voraus, dass die Erkrankung beruflich verursacht sei. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht gegeben. Eine ausreichende Exposition im Sinne der BK Nr. 2102 liege nicht vor. Soweit der Kläger in seiner Widerspruchsbegründung auf einen Arbeitsunfall Bezug genommen habe, könne dies nicht zu einer anderen Entscheidung führen. Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seien eventuelle Versicherungsfälle jeweils einzeln festzustellen.

Am 23.12.2011 erhob der Kläger hiergegen Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Zur Begründung führte er an, er habe im September 1988, im November 1998 sowie im Oktober 2010 Arbeitsunfälle erlitten, in deren Zusammenhang es auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Bereich des linken Kniegelenks gekommen sei. Bei dem letzten Arbeitsunfall am 03.10.2010 sei es zu einem großen Knieschaden links mit Absplitterungen gekommen. Im Rahmen der Behandlung sei festgestellt worden, dass im Bereich des Knorpels starke Abnutzungserscheinungen vorlägen. Er gehe daher davon aus, das bei ihm aufgrund der beruflich bedingten Belastungen im Zusammenhang mit den Vorverletzungen des Kniegelenks ein Schaden im Sinne einer Berufskrankheit eingetreten sei. Zudem verrichte er seit Jahren Gipserarbeiten auf Gerüsten und am Boden im Wesentlichen entweder in der Hocke und/oder im Knien. Dabei müsse er Kübel mit Mörtel, die ca. 30 kg schwer wären, hin- und herziehen, heben, umstellen, Mörtel an der Wand anbringen und verteilen. Es seien dabei dauernd Drehbewegungen im Knien und in der Hocke erforderlich, teils auch Drehbewegungen mit gebeugtem Knie. Enorme Belastungen ergäben sich auch durch ständiges Klettern auf Gerüsten und dem Besteigen von Leitern.

Die Beklagte legte sodann die ergänzende Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 13.03.2014 vor (Bl. 44 der SG-Akte), welche weitere Ausführungen zu der Meniskusbelastung des Klägers enthält.

Das SG befragte daraufhin den Arbeitgeber des Klägers schriftlich als Zeugen, welcher mit Schreiben vom 27.07.2015 (Bl. 72f. der SG-Akte) angab, der Kläger arbeite von Frühjahr bis Winteranfang vor allem im Außenbereich auf Gerüsten und Leitern. Haupttätigkeit sei hierbei das Aufbringen von Putzen und das anschließende Überstreichen von Fassaden sowie das Anbringen von Wärmedämmsystemen. In den Wintermonaten werde der Kläger hauptsächlich zur Renovierung von Treppen eingesetzt. Bei Tätigkeiten auf dem Gerüst sei die Arbeitshaltung jeweils zu einem Drittel stehend/gebückt/kniend, wobei oft bedingt durch die Stellung des Gerüstes oder der baulichen Gegebenheiten kniend gearbeitet werden müsse. Die kniende Haltung betrage durchschnittlich drei bis vier Stunden pro Arbeitstag.

Das SG holte sodann das Gutachten des Arztes für Arbeitsmedizin Prof. Dr. Dr. K. vom 26.08.2015 (Bl. 82 ff. der SG-Akte) ein, welcher den Kläger am 17.08.2015 persönlich untersuchte. Bei dem Kläger bestehe beidseits eine medial betonte Gonarthrose mit Retropatellararthrose. Für das linke Kniegelenk seien mehrfache Meniskusverletzungen anzunehmen. Für das rechte Knie sei eine Meniskopathie sowohl medial als auch lateral kernspintomographisch belegt. Fehlende belastungskonforme Schadensbilder und nicht adäquate kumulative berufliche Belastungen sprächen mit Wahrscheinlichkeit gegen einen Kausalzusammenhang hinsichtlich der Gonarthrose beidseits und auch hinsichtlich der Meniskopathie beidseits. Nach Beiziehung des im Verfahren S 6 U 1931/01 erhobenen unfallchirurgischen Gutachtens des Prof. Dr. U. vom 09.12.2002 (Bl. 125 ff. der SG-Akte) sowie dessen ergänzender Stellungnahme vom 04.08.2003 (Bl. 156 ff. der SG-Akte) nahm Prof. Dr. Dr. K. mit Schreiben vom 09.12.2015 ergänzend Stellung (Bl. 166 ff. der SG-Akte) und teilte mit, dass die Informationen aus den nachgereichten Aktenunterlagen seine Feststellungen stützten. Es könne keine Anerkennung der BK 2102 empfohlen werden.

Mit Urteil vom 23.07.2015 (zutreffend 26.02.2016) wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer BK Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV lägen bei dem Kläger nicht vor. Die Verteilung der degenerativen Veränderungen an den Menisken spreche gegen eine berufliche Verursachung, weil bei einer beruflichen Kniebeanspruchung typischerweise eine Degeneration des Innenmeniskushorns zu erwarten sei. Neben den medizinischen Aspekten spreche auch die vom Präventionsdienst erhobene Arbeitsplatzanalyse gegen eine andauernde Belastung.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 03.03.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.04.2016 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Zur Begründung führt er an, im Hinblick auf die beschriebene Arbeitssituation sei nicht nachvollziehbar, warum eine adäquate Meniskusbelastung fehle. Nicht ersichtlich sei zudem, inwiefern die drei Arbeitsunfälle die Beschwerden ausgelöst hätten. Auch die Ansicht, die Lokalisation des Knorpelschadens im medialen Kompartiment spreche gegen eine berufsbedingte Verursachung des Schadens, sei nicht nachvollziehbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.02.2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen sowie ihm Entschädigungsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das angefochtene Urteil sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 29/32 der Senatsakte).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Nach § 138 S. 1 SGG war der offenkundige Schreibfehler im Rubrum des angefochtenen Urteils des SG von Amts wegen zu berichtigen. Wenn die Voraussetzungen für eine Berichtigung vorliegen, muss das Gericht eine Berichtigung vornehmen, insoweit besteht kein Ermessen (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 138 Rn. 4). Für die Berichtigung einer Entscheidung des Sozialgerichts ist auch das mit der Sache mittlerweile betraute Rechtsmittelgericht zuständig, wobei insoweit nicht der Vorsitzende, sondern der in der Sache berufene Spruchkörper entscheidet (Keller a.a.O., Rn. 4a). Der Senat hat das durch die Sitzungsniederschrift offenkundig fehlerhafte Entscheidungsdatum "23.07.2015" durch das auch von den Beteiligten als richtig angesehene Datum "26.02.2016" ersetzt.

2. Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 18.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 16.12.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das SG hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 26.02.2016 zu Recht abgewiesen.

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage des Klägers auf Gewährung von Entschädigungsleistungen ist bereits unzulässig. Die Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 18.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2011 eine anfechtbare Verwaltungsentscheidung über die Gewährung von Entschädigungsleistungen nicht getroffen. Einen konkreten Antrag auf die Gewährung einer bestimmten Leistung (z.B. Verletztenrente, Erstattung von Zuzahlungen), über den die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid (inzident) eine Entscheidung getroffen hat, hat der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht gestellt. Damit ist eine ablehnende, anfechtbare Verwaltungsentscheidung der Beklagten über einen Anspruch auf eine (bestimmte) Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ergangen. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid wurde im Verfügungssatz die Anerkennung der geltend gemachten BK Nr. 2102 BKV abgelehnt. Soweit die Beklagte darüber hinaus einem Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ablehnt hat, liegt hierin aus der Sicht eines objektiven Empfängerhorizonts keine gerichtlich überprüfbare Entscheidung durch die Beklagte, sondern lediglich der klarstellende, allgemeine Hinweis, dass mangels Vorliegens einer BK ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht besteht. Die Berufung war deshalb schon aus diesem Grund hinsichtlich des Antrags auf Gewährung von Entschädigungsleistungen insoweit zurückzuweisen.

Im Übrigen ist die auf die Anerkennung einer BK Nr. 2102 BKV gerichtete Klage zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung von Meniskusschäden der Kniegelenke als BK Nr. 2102 BKV.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). BK sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind.

Die Verrichtung einer – grundsätzlich – versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität folgt der Senat der überzeugenden neueren Rechtsprechung des BSG (a.a.O.), dass auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen – in nachgewiesener Dauer und Intensität – begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den BK-Folgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der BK keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 Rdnr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).

Vorliegend konnte der Senat nicht feststellen, dass die Knieerkrankung des Klägers als BK nach Nr. 2102 BKV anzuerkennen ist.

Eine Erkrankung der Knie ist nach Nr. 2102 BKV als BK festzustellen, wenn Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten vorliegen. Nach den derzeit bestehenden Kenntnissen der Arbeits- und Sozialmedizin, die im "Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2102" (Bekanntmachung des BMA vom 11.10.1989, BArbBl 2/1990; im Internet: www.baua.de) Ausdruck gefunden haben, ist eine überdurchschnittliche Belastung der Kniegelenke biomechanisch gebunden an eine

- Dauerzwangshaltung, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung oder - häufig wiederkehrende erhebliche Bewegungsbeanspruchung, insbesondere Laufen oder Springen mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf grob unebener Unterlage.

Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat diese Belastungssituationen ebenso beschrieben und damit für den Senat zum Ausdruck gebracht, dass dies noch dem derzeitigen herrschenden wissenschaftlichen Meinungsstand entspricht. Unter diesen Belastungen werden die halbmondförmigen, auf den Schienbeinkopfgelenkflächen nur wenig verschiebbaren Knorpelscheiben, insbesondere der Innenmeniskus, in verstärktem Maße belastet. Dadurch können allmählich Deformierungen, Ernährungsstörungen des bradytrophen Gewebes sowie degenerative Veränderungen mit Einbuße an Elastizität und Gleitfähigkeit der Menisken entstehen (Merkblatt a.a.O.). Ein derart vorgeschädigter Meniskus kann beim Aufrichten aus kniender Stellung, bei Drehbewegungen, beim Treppensteigen oder auch bei ganz normalem Gehen von seinen Ansatzstellen ganz oder teilweise gelöst werden (Merkblatt a.a.O.). Man spricht hier von Spontanlösung aus Gelegenheitsursache (Merkblatt a.a.O.). Die berufsbedingte Meniskopathie kann als Folgeschaden auch zu Arthrosis deformans führen (Merkblatt a.a.O.).

Solchen, die Menisken überdurchschnittlich belastende Tätigkeiten in Dauerzwangshaltung oder mit einer erheblichen Bewegungsbeanspruchung war der Kläger nach der ergänzenden Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 13.03.2014 während der Dauer seiner Tätigkeit als Maler und Lackierer zwischen August 1968 und Juli 2011 nicht in einem Ausmaß ausgesetzt, das geeignet gewesen wäre, einen Meniskusschaden an den Kniegelenken im Sinne der BK Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu verursachen.

Die Frage, welcher Einwirkungen es mindestens bedarf, um eine BK zu verursachen bzw. unter Einbeziehung weiterer Kriterien die Anerkennung einer BK zu rechtfertigen, ist unter Zuhilfe-nahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu bewerten. Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also Konsens besteht. Nach dem derzeit aktuellen Erkenntnisstand bestehen gesicherte Erfahrungswerte über eine notwendige Gesamteinwirkung auf den Meniskus, d.h. eine Mindestmenge an meniskusbelastenden Tätigkeiten, nicht. Ein wissenschaftlich definierter Dosis-Wirkung-Zusammenhang, welche Einwirkungen meniskusbelastender Berufstätigkeiten das Risiko einer Meniskuserkrankung in einem ausreichenden Maß gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöht, um eine BK Nr. 2102 BKV hervorzurufen, besteht derzeit nicht. Der Versicherte muss aber während eines wesentlichen Teils seiner täglichen Arbeitszeit in Zwangshaltungen gearbeitet haben. Das Tatbestandsmerkmal "andauernd" sowie der Umstand, dass sich nach der genannten medizinischen Erkenntnis Menisken "erholen" können, erfordern für die Anerkennung einer BK Nr. 2102 daher, dass jedenfalls ein deutlicher Zeitanteil pro Arbeitsschicht mehrjährig kniebelastend gearbeitet wurde. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob dieser Zeitanteil ca. ein Drittel betragen muss (vgl. LSG Nordrhein Westfalen, Urteil vom 26.09.2001 - L 17 U 26/01, juris, a.A. nunmehr Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., S. 666) oder ob auch ein geringerer Zeitanteil (generell oder bei besonderen Fallgestaltungen) ausreicht (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23.10.2015 - L 8 U 3782/14 -, unveröffentlicht und vom 01.07.2011 - L 8 U 2252/09, juris und sozialgerichtsbarkeit.de; vgl. auch LSG Baden Württemberg Urteile vom 05.8.2008 - L 1 U 3824/06, 30.07.2014 - L 3 U 608/13, 26.09.2013 - L 6 U 5526/11, m.w. Rechtsprechungsnachweisen, jeweils nicht veröffentlicht).

Nach den Angaben des Klägers gegenüber dem Präventionsdienst der Beklagten (Stellungnahme vom 28.07.2011 sowie vom 13.03.2014) hat der Kläger bis 1972 sämtliche Einzeltätigkeiten innen und außen relativ gleichmäßig ausgeführt. Zudem war er bis September 1971 einen Tag pro Woche in der Berufsschule, wo in der Regel keine Kniebelastung besteht. Ab ca. 1972 montierte der Kläger zu ca. 70 % Vollwärmeschutz. Dies beinhaltete das Anbringen von Wärmedämmplatten an Fassaden, das Verputzen dieser Fassaden und das gelegentlich erforderliche Abstemmen von alten losen Putzen. Zudem hat der Kläger dabei regelmäßig ein Systemgerüst aufgebaut. Die restlichen 25 % der Gesamtarbeitszeit verteilten sich auf die übrigen Einzeltätigkeiten in etwa gleichmäßig. Ab ca. 1985 führte der Kläger zusätzlich zu den vorherigen Tätigkeiten zu ca. 15 % Trockenbauarbeiten und Bodenlegerarbeiten aus. Ab 1997 entfielen zunächst die Spritzlackierungen und ab ca. 2005 die Bodenlegerarbeiten. Nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes hat der Kläger dabei in der Zeit vom 01.08.1968 bis 30.09.1971 durchschnittlich 76,8 Minuten und damit 16 %, in der Zeit vom 01.10.1971 bis 30.06.1972 durchschnittlich 96 Minuten und damit 20 %, in der Zeit vom 01.07.1972 bis 31.12.1984 durchschnittlich 73,2 Minuten und damit 15,25 %, in der Zeit vom 01.01.1985 bis 13.04.1997 sowie vom 14.04.1997 bis 31.12.2004 durchschnittlich 72,48 Minuten und damit 15,1 % sowie vom 01.01.2005 bis 27.07.2011 durchschnittlich 71,04 Minuten und damit 14,8 % pro Arbeitsschicht in meniskusbelastenden Haltungen gearbeitet. Dass der Präventionsdienst bei seiner Bewertung von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, ist nicht erkennbar und im Hinblick auf die Sachkunde des Präventionsdienstes auch nicht wahrscheinlich.

Daran ändert auch die schriftliche Auskunft des Arbeitgebers des Klägers vom 27.07.2015 nichts, wonach der Kläger durchschnittlich drei bis vier Arbeitsstunden in kniender Körperhaltung verrichtet. Bei der pauschalen Angabe des Zeugen ist zu berücksichtigten, dass nicht jede kniende Tätigkeit zugleich auch meniskusbelastend ist. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. K. für den Senat überzeugend dargelegt. Denn biomechanisch sind die Menisken bei der statischen Belastung nur bei maximaler Kniebeugung mit einem Schädigungsrisiko behaftet (vgl. Seite 33 des Gutachtens gleich 114 der SG-Akte). Diese Ausführungen des Sachverständigen decken sich mit den Darlegungen in der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 665f.), weshalb sie den Senat überzeugen.

Damit erfüllt der Kläger bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht.

Darüber hinaus liegen auch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2102 weder bezüglich des rechten noch bezüglich des linken Kniegelenks vor. Der Senat stützt sich dabei auf das Gutachten des Arztes für Arbeitsmedizin Prof. Dr. Dr. K. vom 26.08.2015 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 09.12.2015. Da die Außenmenisken wesentlich lockerer im Gelenk fixiert sind als die Innenmenisken, können sie der Beanspruchung besser ausweichen und zeigen daher geringere und später bemerkbare Regressionen als die an ihrer gesamten Kapselkonvexität festgelegten Innenmenisken. Ein belastungskonformes Schadensbild ist somit bevorzugt am Innenmeniskushinterhorn zu erwarten. Begleitend – aber schwerlich isoliert – können Außenmeniskusveränderungen hinzutreten (vgl. zu all dem Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 662f.). Ein solches belastungskonformes Schadensbild konnte der Senat nicht feststellen. Bei dem Kläger ist im linken Kniegelenk nicht nur das Hinterhorn des Innenmeniskus sondern auch dasjenige des Außenmeniskus betroffen. Darüber hinaus ist am Außenmeniskus auch die Pars intermedia degenerativ verändert. Die degenerativen Veränderungen am Außenmeniskus sind also atypisch stärker ausgeprägt als am Innenmeniskus. Gleiches gilt für das rechte Kniegelenk. Die Pars intermedia des Innenmeniskus sowie der gesamte Außenmeniskus des rechten Kniegelenks zeigen sich als Hinweis auf degenerative Veränderungen im MRT signalalteriert.

Damit ist jedoch weder im linken noch im rechten Kniegelenk das Vorliegen eines belastungskonformen Schadensbildes festzustellen.

Nach alledem kann zur Überzeugung des Senates nicht festgestellt werden, dass bei dem Kläger eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang zwischen seinen Meniskusschäden und seiner Berufstätigkeit gegeben ist.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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